Beiträge zur Geschichte der Steinkreuze |
Die Sage, daß ein von seinem Standort entferntes und für profane Zwecke verwendete Steinkreuz dem
Träger einer solchen Handlung Unheil bringe, ist ebenso alt wie die mit dieser Ueberlieferung Hand in Hand gehende Sage, daß es
an diesen auf respektlose Art und Weise entweihten Plätzen umzugehen pflegt. Dieser seltsame aus dem Totenkult geborene und
mit der Zeit zum Aberglauben herabgewürdigte Glaube unserer Vorfahren ist uralt und geht weit in die vorgeschichtliche Vergangenheit
zurück.
Trotz der ständig im Wechsel befindlichen Kultur haben die beiden Sagen sich mit Zähigkeit zu behaupten
versucht und sich sogar bis ins zwanzigste Jahrhundert vererbt.
Aus dem von der "Deutschen Steinkreuzforschung" mit Bienenfleiß zusammengetragenen Material seien einige Beispiele
von Begebenheiten angeführt, die an der Schwelle des 19. zum 20. Jahrhundert in Franken sich ereigneten.
Bis zum Jahre 1940 lag im sogenannten Birnzipfel von Tennenlohe bei Erlangen das obere Teil eines
Steinkreuzes, welches vor seiner Zerstörung bis zum Jahre 1900 im Wetterkreuzfeld (Flurplan Nr. 187½) an der Nürnberger Straße,
kurz vor dem Ortseingang auf der linken Seite seinen Standplatz hatte und von dem Landwirt Fritz Ströhlein, Tennenlohe Haus Nr. 31,
entfernt und in zwei Teile zerschlagen wurde. Das untere Stück legte Ströhlein als Stufe vor die Tür seines Hauses, während die obere
Partie des Wetterkreuzes in der Hofecke seines Anwesens einen unwürdigen Platz fand. Als Ströhlein bald darauf schwer erkrankte,
führte er die Ursache seiner Krankheit auf die Beseitigung und Zerstörung dieses Steinkreuzes zurück. Da der Gesundheitszustand
Ströhleins es nicht erlaubte, das Kreuz wieder an seinen ursprünglichen Standort zu schaffen, ließ er auf Anraten das in der Ecke
seines Hofes lagernde Stück einstweilen vor das Anwesen und zwar an der äußeren Mauerseite seines Backofens verbringen.
Seinen Vorsatz, das Wetterkreuz wieder an seinen alten Platz zu stellen, konnte er jedoch nicht mehr ausführen, da er an den Folgen
des sich zugezogenen Leidens bald darauf verstarb. Das Steinkreuz war auch unter dem Namen Sebastianskreuz bekannt und wurde
im Jahre 1940 von einem Maurer völlig zerschlagen, die Trümmer zur Befestigung der Gartenpfosten des gleichen Anwesens
verwendet. Ein ähnlicher Fall ereignete sich in Niederndorf bei Herzogenaurach. Das an der Wegscheide Herzogenaurach - Lohhof
stehende Steinkreuz war eine Zeit lang in die Mauer einer auf dem angrenzenden Grundstück sich befindlichen Scheune des
Wegemachers Reichelsdorfer eingemauert. Da Reichelsdorfer eines Tages erkrankte und in Konkurs geriet, wurde, weil das Gerücht
entstund, der gesundheitliche und wirtschaftliche Verfall Reichelsdorfers sei auf die Beseitigung des Steinkreuzes zurückzuführen,
der Stein von dem Ewerber des Grundstückes, der die Scheune vergrößern ließ, der Mauer entnommen und wieder an seinen alten
Platz verbracht und aufgestellt. Ein anderes ungefähr einen Kilometer östlich von Weiterndorf bei Roßtal befindliches radförmiges
Steinkreuz, das bis zum Jahre 1936 mit Erde bedeckt und mit Gras überwuchert war, sollte von einigen Mitgliedern der Deutschen
Steinkreuzforschung wieder aufgestellt werden. Als man sich zu diesem Zweck von dem Maurer Johann Leonhard Laux das
erforderliche Werkzeug zum Ausgraben borgen wollte, lehnte er dieses Begehren unter Hinweis darauf, daß es beim Steinkreuz
nicht recht geheuer sei, ganz entschieden ab. Wie nachträglich festgestellt wurde, hatte Laux vor vielen Jahren das Kreuz
umgeworfen und teilweise zerschlagen; um die Trümmer für eine Mistgrube zu verwenden, aber aus Angst, weil es dort umgehe,
die völlige Vernichtung unterlassen.
Die geschilderten Begebenheiten enthalten dasselbe Glaubensgut, wie die von Kuhfahl, Pflanz, Walter,
Hofman, Ernst Mössinger u.a. Steinkreuzforschern gesammelten Sagen.
Bis vor nicht allzulanger Zeit wurden Sagen, die sich auf den Inhalt vorgeschichtlicher Grabhügel bezogen,
für wertlos gehalten. Seitdem jedoch die Grabungsfunde die Richtigkeit dieser Ueberlieferungen bestätigten, ist man hinsichtlich deren
Bewertung etwas vorsichtiger geworden.
Mit den Steinkreuzsagen ist es nicht viel anders. Man kann auch hier annehmen, daß der alte vom Staat und
von der Kirche verbotene Volksglaube und der Brauch unserer Vorfahren teils in Sagen und Märchen, teils im sogenannten
Aberglauben Unterschlupf gefunden hat.
Wenn Ludwig der Fromme die heidnischen Sagen und Lieder, welche Sitten und Gebräuche unserer
Vorfahren enthielten und die von dessen Vater Kaiser Karl dem Großen gesammelt wurden, nicht vernichtet hätte, würden wir
sicherlich manche als Aberglauben verschrieene Sage als ein Glaubensgut unserer Altvorderen bestimmen können. Trotz des Eifers,
mit dem die christlichen Berater Ludwig des Frommen, sowie die irischen und schottischen Glaubensboten nahezu alles, was an die
heidnischen Gepflogenheiten erinnerte, zerstört haben, blieb in den mittelalterlichen Konzil- und Synodalbeschlüssen, sowie in den
Kapitularien Kaiser Karl des Großen und in den mittelalterlichen Bußordnungen und Predigten manches interessante
kulturgeschichtliche Bild erhalten, das imstande ist, uns den Weg zu zeigen, wo im Zwielicht der Geschichte der Ursprung unserer,
zur Besprechung vorangestellten Sage zu suchen ist.
So hat, wie wir wissen, das Konzil von Tours im Jahre 567 allen jenen Personen, welche der heidnischen
Gewohnheit gemäß ihre Gebete bei den Menhiren, den großen Steinen verrichteten, das Betreten der christlichen Kirchen offiziell
verboten. Die Kirchenversammlung von Toledo (681/682) nahm wegen Unterbindung der in aller Heimlichkeit fortgesetzten Verehrung
der alten Gottheiten und der Verrichtung nicht gern gesehener kultischer Handlungen an Steinen erneut zu dem 567 zu Tours
erlassenen Verbot Stellung. Die Hartnäckigkeit jedoch, mit welcher ein nicht geringer Teil der Bevölkerung die von ihren Vätern
ererbten Sitten und Gebräuche bei den Menhiren fortführten, führte schließlich dazu, daß das Konzil zu Nantes 687 strengere
Maßnahmen ergriff und anordnete, daß diejenigen Steine, bei welchen heidnische Kulthandlungen wahrgenommen würden,
auszugraben, umzustoßen und an ihrer Stelle christliche Kapellen zu errichten seien. Siebzig Jahre später, im Jahre 743, befaßte
sich die Synode von Liftinae, da der Steinkult immer noch geübt wurde, ebenfalls mit der Abschaffung dieser heidnischen Sitte und
stellte ein Verzeichnis der von der Kirche verbotenen und als heidnisch bezeichneten Gebräuche auf. Dieser Indiculus superstitionum
et paganiarum enthält leider nur noch die Ueberschriften von 30 verloren gegangenen Kapiteln, welche die verbotenen heidnischen
Gebräuche behandelten. Das 7. Kapitel handelt von den Gebräuchen, welche man an Steinen oder Felsen beobachtete. Bonifatius,
der als päpstlicher Legat den Vorsitz dieser Versammlung inne hatte, duldete nicht einmal Kreuze an Brunnen und auf den Feldern,
weil man dort die Darbringung heidnischer Opfer beobachtete. Diese Maßnahme erinnert an die von dem christlichen Apologeten
Minutius Felix um das Jahr 180 herum verfaßte Schrift "Octavius" in welcher das Kreuz als heidnisches Symbol bezeichnet wird. Auch
die Schriften des heiligen Pirmin ( 754) enthalten dieselben Gebräuche verzeichnet, gegens welche Bonifatius in Liftinae seine
Verbote erließ. Die Nichtbeachtung der von der Kirche wegen der heidnischen Sitten und Gebräuche ausgesprochenen Verbote
führte schließlich dazu, daß Kaiser Karl der Große in seinen auf dem Landtag zu Aachen 789 erlassenen Kapitularien unter anderem
auch bestimmte, daß die vor Gott verwerfliche Sitte, an Bäumen, Quellen und Steinen Andachten zu verrichten, zu verbieten, und die
dabei ertappten Personen zu bestrafen seien. Das zähe Festhalten des Volkes an seinen altererbten religiösen Gepflogenheiten
veranlaßte schließlich die Kirche, ihre bisherigen Christianisierungsmethoden, entsprechend den Ratschlägen, die Papst Gregor der
Große dem Abt Millitus bereits im Jahre 601 brieflich übermittelte, zu ändern. Man ging dazu über, die heiligen Stätten der zu
bekehrenden Völker nicht mehr zu zerstören, sondern die für diese Plätze überlieferte Ehrfurcht zu benützen, um dem an solchen
Stellen bestehenden Gottesdienst ein christliches Gepräge zu geben. Im Zuge dieser Maßnahmen führte der aus dem Kreuzzug
zurückgekehrte Abt Odilo von Clugny im Jahre 998 das Allerseelenfest ein. Mit dieser Einführung versuchte Odilo die zeitlich
verschieden gefeierten Totenfeste auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und dem Volk ein Fest zurückzugeben, das im
Totenkult unserer Vorfahren eine große, wenn auch ganz anders geartete Rolle spielte. Die Art und Weise, mit welcher jedoch das
unter dem Zwang der Verhältnisse zum Christentum übergetretene Volk die von der Kirche verachteten Gebräuche seiner Väter
fortsetzte, nötigte im 11. Jahrhundert den Bischof Burkhard von Worms eine Bußordnung zu erlassen, die zur Feststellung, aber
auch zur endgültigen Beseitigung der noch vorhandenen heidnischen Gebräuche dienen sollte. Nach diesen Vorschriften hatten die
Priester die Pflicht, in Beichtangelegenheiten nur dann Absolution zu erteilen, wenn der Beichtende das Glaubensbekenntnis
abgelegt und verschiedene vorgehaltene Fragen beantwortet hatte. Die für unsere Forschung in Betracht kommende Frage lautete:
"Bist Du zum Beten an einen anderen Ort gegangen als in die Kirche? Etwa an Quellen, Bäume, Steine oder Kreuzwege und hast
Du dort irgend ein Heil für Deinen Leib und Seele gesucht?"
Aus dem jüngeren Christenrecht des Gulathing ist ein Verbot bekannt, welches der Bevölkerung untersagt,
an die Landgeister zu glauben, die in Steinen wohnen. Der Glaube, daß große Steinblöcke Sitze der Abgeschiedenen sind, ist fast
über die ganze Erde verbreitet. Wie sich bei uns neben Martersäulen, Steinkreuzen und Kreuzsteinen oft Kapellen finden, so leisten
in Norwegen gar oft die aus christlicher Zeit stammenden Steinkreuze den heidnischen Bautasteinen Gesellschaft. Diese Tatsache
erinnert an die für christliche Zwecke in Beschlag genommenen heidnischen Kultplätze durch den Abt Mellitus nach dem Ratschlag
Papst Gregors des Großen vom Jahre 601. So wie die Kelten für die Seelen ihrer Toten Menhire setzten, so errichteten die alten
Skandinavier und Wikinger aus gleichen Gründen die Bautasteine, die der Zeit der Christianisierung durch die Runensteine abgelöst
wurden. Die Kreuzstene und Steinkreuze des späten Mittelalters sind nichts anderes als die Nachfolger der Menhire, Bauta- und
Runensteine und dienten wie die Hinkel-, Heiligen- und Langensteine dem Totenkult, dem Seelenglauben und der Ahnenehrung. Die
zur Ablösung der Blutrache eingeführte Totschlagsregelung des Mittelalters, welche sowohl der heidnischen, wie der christlichen
Auffassung in Gestalt der Sühneverträge Rechnung trug, fand mit der Einführung der 1530 von Kaiser Karl dem Fünften erlassenen
"Peinlichen Halsgerichtsordnung" ein für die Kirche willkommenes Ende, denn bereits 1531 erklärte der Bischof von Eichstätt einen
in seinem Gebiet abgeschlossenen Sühnevertrag für ungültig und ließ das inzwischen auf Grund des Sühnevertrages errichtete
Steinkreuz zerschlagen. Aus dieser Handlung spricht die volle Abneigung gegen die im 13. Jahrhundert eingeführten Sühneverträge
und den damit eingegangenen Synkretismus. Der Sühnevertrag war nichts anderes als eine vertragliche Abmachung über die
Neugestaltung des aus dem heidnischen Totenkult hervorgegangenen und in christlichen Gewändern weitergeführten Steinkultes.
Wer sich mit der Steinkreuzforschung befaßt, dem fällt besonders auf, daß die zur Regelung von
Totschlagsfällen abgefaßten Sühneakten des Mittelalters die Forderung von Seelenmessen und den Hinweis enthalten, daß für des
Toten Seel und Seelenheil ein steinernes Kreuz zu setzen sei. Ein steinernes Kreuz deshalb, weil nach uraltem Glauben der Stein
wie auch der Pfahl und die Grab-Stele der Aufenthaltsort der Seelen verstorbener Ahnen und das Kreuz das Abwehrmittel gegen die
bösen Geister und gegen die unheimlichen Wiedergänger war.
Die Geister der Toten aus der großen Schar der namenlos umherschwirrenden Seelen stellen sich die
Mittelmeervölker des Altertums als menschenköpfige Vögel vor. Diese Vorstellung, allerdings etwas abgewandelt, gibt Paulus Diakonus
in seiner Geschichte der Langobarden Buch I, Kapitel 54 wieder. Er schreibt, daß die Langbarden für die fern ihrer Heimat
verstorbenen Genossen ihrer Sippe inmitten der Familiengräber, die sich außerhalb der Mauern der Stadt Tizinus befanden, lange
Stangen errichteten, auf deren Spitzen hölzerne Tauben befestigt waren. Von den ersten Christen wissen wir, daß die Taube als
Symbol der Seele galt. Auch auf antiken Grabmälern findet sich die Taube als Seelenvogel. Selbst im modernen Seemannsglauben
kennt man die Taube als die Seele der Ertrunkenen. Heute noch werden Bildstöcke und Marterl gesetzt mit der Bitte, daß die
Vorübergehenden ein Vaterunser für die armen Seelen verrichten möchten. Man hat also einen Brauch, welchen man zuerst mit aller
Strenge verfolgte und da er nicht auszurotten war, aus dem Heidentum übernommen und gebilligt. Dieselbe Erscheinung ist auch bei
anderen Völkern festgestellt worden. So verehren die Mohammedaner heute noch den schwarzen Stein in der heiligen Kaaba zu
Mekka und verrichten dort nach wie vor mit großer Inbrunst ihre Gebete, obwohl nach der Behauptung der Wahabiten der Stein aus
der Zeit der Heiden stammt.
In dem Sitzungsbericht der Naturforschenden Gesellschaft zu Leipzig vom Jahre 1915 berichtet Max Näbe
und J. Felix von der steinernen Jungfrau von Döhlau bei Halle, daß es bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts Sitte war, bei diesem
5½ Meter hohen, menhirähnlichen Stein, der vom Volk auch als der Heidenstein bezeichnet wurde, Gottesdienst zu halten und zwar
dergestalt, daß jährlich dreimal drei Geistliche der umliegenden Ortschaften eine Predigt halten mußten.
Mancher Menhir und manches Steinkreuz führt für viele Menschen den unverständlichen Namen "Die
Spinnerin." Der Eingeweihte und der mit dem Wesen der Steinkreuzforschung vertraute Heimatfreund weiß jedoch Bescheid, daß mit
diesem Namen die dritte Norne der drei Schicksalsfrauen gemeint ist, die nach heidnischer Auffassung das Lebensende der
Menschen bestimmt. Daraus ergibt sich, daß die den Namen "die Spinnerin" tragenden Steine im germanischen Totenkult einst eine
wichtige Rolle spielten und in den Augen des Volkes einen sakralen Charakter hatten. Nach einem durchaus zuverlässigen und im
10. Jahrhundert abgefaßten isländischen Missionsbericht, der sogenannten Kristnasaga verrichtete ein Bauer namens Kodrun in Gilja
auf seinem Gehöft vor einem Stein, der ihm, wie einst seinen Vorfahren angeblich Glück und Erfolg brachte, seine täglichen Gebete.
Wenn Kodrun sich nach der Kristnasaga auch bekehrte, so verging bis zur völligen Christianisierung des Landes noch ziemlich viel
Zeit, denn 1154 verbietet das isländische Kirchenrecht den Bewohnern, die Bautasteine in religiösen Dingen aufzusuchen.
In altnorwegischen Gesetzen finden sich ebenfalls Beispiele, welche beweisen, daß sich die Kirche gegen
das fortlebende Heidentum und gegen den Glauben an den Sitz der Ahnengeister im Stein wendet. Sicher war der Stein, welchen
Kodrun verehrte und den er für den Aufenthaltsort der Seelen seiner Ahnen hielt, nichts anderes als einer jener Steine, in denen nach
dem Volksglauben die Landgeister hausten und die unter dem Namen "Landisarsteinar" bis in die Neuzeit bekannt gewesen sind.
Diese Steine dienten wie die Menhire in der Bretagne, wie die Bautasteine und Runensteine in Norwegen, Schweden und Dänemark,
sowie die Hinkel-, Langen- und Heiligensteine in der Pfalz, Hessen und Mitteldeutschland einst zu religiösen Dingen. Ein ähnlicher
Monolith befindet sich südlich von Massendorf bei Spalt (Mittelfranken) in unmittelbarer Nähe einer kleinen Feldkapelle. Beide stehen
auf ein und demselben Gemeindegrundstück. Da außerdem noch der Stumpf einer Martersäule vorhanden ist, darf man annehmen,
daß dieser Platz von jeher eine besondere Bedeutung hatte. Ein in der Nähe befindliches Gehölz, welches den Namen "Drudenholz"
führt und die Spuren eines nicht weit davon entfernten großen Ringwalles lassen auf eine ehemals vorhanden gewesene keltische
Siedlung schließen.
Nach den Zeugnissen des Origines und des Theophilakt glaubten die Juden und Heiden, daß die Seele
eines erschlagenen Menschen solange am Ort des Verbrechens umherschweife, bis die ruchlose Tat gesühnt war. Aber auch die
Seele des Verbrechers unterliegt nach dem gleichen Bericht demselben Schicksal. Einen ausgezeichneten Beleg bietet der Dialog
Platons "Phaidon". In diesem Zwiegespräch wird die Ruhelosigkeit der Verbrecher als eine Art Zwischenspiel der Seelenwanderung
aufgefaßt.
Von den Wikingern wissen wir, daß sie für ihre fern der Heimat gefallenen Kampfgenossen Steine mit der
in Runen geprägten Aufschrift "Gott helfe seiner Seele" errichteten.
Die Vorstellung von der Ruhelosigkeit der Seele nach dem Tode eines Menschen war auch den Römern
bekannt. Für das Wort "begraben" hatten sie den Ausdruck "Animam condere", das heißt soviel wie "der Seele zur Ruhe verhelfen."
Sie setzten daher ihren Verstorbenen steinerne Denkmäler und fügten der Inschrift die Bitte bei, das Denkmal nicht zu vernichten.
Ein schönes Beispiel hiefür bietet ein an der Villa Apia zu Rom befindlicher Stein eines Perlenhändlers, der an den vorübergehenden
Wanderer die Bitte richtet:
"Fremdling, bleibe stehen und blicke auf den Grabhügel zui Linken, in dem die Gebeine eines guten, barmherzigen, liebenden und armen Menschen ruhen. Ich bitte Dich tu diesem Denkmal nichts zu Leide."
Die Sorge, welche aus der Bitte für die Erhaltung dieses Denkmales spricht, ist der Ausdruck eines uralten Glaubens, der bei fast allen Völkern herrscht und zum Inhalt unter anderem auch die Vorstellung hat, daß der Stein der Ruheplatz der Seele sei. Ein aus dem Mittelalter vorhandenes Beispiel spiegelt den Geist der nordischen Völker und den Geist der Wikinger wieder. Auf dem Grabstein des Dichters William Shakespeare befindet sich folgende Inschrift:
"Guter Freund um Jesu willen, unterlaß es, den hier eingeschlossenen Staub auszugraben. Gesegnet sei der, der diese Steine schont und verflucht der, der meine Gebeine rührt."
Auch hier kommt die Sorge um die Erhaltung der Grabstätte, sowie des dazu gehörenden
Steines zum Ausdruck.
Die beiden Beispiele, die sich um viele andere vermehren lassen würden, erinnern an die allgemein
bekannten und an die von den Aegyptern für wirksam gehaltenen Fluchsprüche, welche man schon vor Jahrtausenden an den
Grabkammern der Pharaonen einmeißeln ließ. Die Drohung: "Verflucht sei, wer meine Ruhe stört" sagt ganz deutlich, was man mit
dem angebrachten Fluchtext wollte. Da die alten Aegypter an die Präexistenz und an die Metempsychose der Seele glaubten, wollte
man zunächst mit dem Fluch der ruhelosen Seele die notwendige Ruhe verschaffen und mit der Furcht vor der Wirkung des Fluches
gleichzeitig den Schutz für die Erhaltung der wertvollen Grabbeigaben erreichen.
Kein Brauchtum ist so alt wie die um Tod und Bestattung sich schmiegenden Sitten und wenn wir auf den
mittelalterlichen Grabsteinen, neben dem Namen des Verstorbenen und dessen Todestag die Worte finden: "Cuius anima requiescat
in Pace," dann empfinden wir den Wandel der Zeit, aber auch den Kompromiß zwischen Heidentum und Christentum ganz deutlich.
Zum Schutz des Totenmales, das man sich als Thron der Seele dachte, wird nicht mehr der als heidnisch empfundene Fluch, sondern
eine dem milden Charakter des Christentums entsprechende aber auch der vorchristlichen Auffassung Rechnung tragende Formel
angewandt, nämlich: "Die Seele des Toten ruhe in Frieden."
Der Glaube, daß der Geist oder die Seele der Verstorbenen, besonders aber die Seelen der unter
außergewöhnlichen Umständen ums Leben gekommenen Menschen umherirren, wenn ihnen nicht ein Ruheplatz oder ein Ruhestein
verschafft werden würde, bekam unter den Fittichen der Kirche, wie wir aus den mittelalterlichen Totschlagssühneverträgen ersehen,
eine andere Gestalt. Die heidnische wie die christliche Auffassung fanden in diesen Verträgen ihren Platz. Das heidnische Interesse
wurde durch das Wergeid und durch den Stein vertreten, de allerdings erst in der Zeit der Kreuzzüge zuerst als Kreuzstein, dann als
steinernes Kreuz zu Ehren kam, das christliche Interesse dagegen kommt durch die große Zahl der Vigilien und Seelenmessen, durch
die Wallfahrten nach Rom und Aachen, sowie durch die Wachsspenden zum Ausdruck. Der Name Sühnekreuz ist übrigens ein in
der Neuzeit von der Wissenschaft geprägter Ausdruck. Nicht selten findet man auf alten Steinkreuzen von den Anhängern des alten
Glaubens ein, zwei oder drei Kreuze, mitunter auch ein Hagalkreuz eingeritzt. Diese Zeichen sollten als Dämonenabwehr dienen und
dem Wiedergänger, dessen ruhelose Seele am Totschlagsorte weilte, hindern, die Hinterbliebenen zu ängstigen und zu schrecken.
Bei solchen Betrachtungen werden wir an eine heute noch in manchen Kreisen übliche Sitte erinnert, nämlich an den Brauch, hinter
dem Rücken eines sich zum Abschied anschickenden Menschen, dessen Besuch unerwünscht war, drei Kreuze zu machen.
Aus der Geschichte des Benediktinerklosters Niederaltaich ist bekannt, daß der zu Missionszwecken vom
Abt Godehard in den Böhmerwald gesandte Laienbruder Guntar Kreuze (vermutlich Holzkreuze) gegen die bösen Geister errichtete.
Diese Geister, Gespenster und Totenfurcht geht weit in die vorgeschichtliche Zeit zurück. Die Bestattungsform in der Steinzeit läßt
darauf schließen, daß die Menschen schon in jener Zeit unter der Gespensterfurcht litten. Der Glaube an ein Weiterleben nach dem
Tode und die Furcht vor der Wiederkehr der schon bei Lebzeiten als unheimlich bekannten Sippengenossen war höchstwahrscheinlich
auch die Ursache, warum man die Toten gefesselt in das Grab legte. Diese Toten- und Gespensterfurcht ist noch heute der
Angelpunkt gewisser Bräuche, die besonders auf dem Lande beim Ableben eines Menschen bis zu dessen Beerdigung beobachtet
werden können. Welche Formen die Furcht vor dem Wiedergänger annehmen kann, schildert Willibald Mathäser in der Bayerischen
Heimat Nr. 9, einem Beiblatt der Münchener Allgemeinen Zeitung vom 31.10.1948. Er gibt den Bericht eines Arztes wieder, welcher
nebenbei die Funktion eines Totenbeschauers innehatte. Er erzählt, daß er im Riesengebirge Leichen angetroffen habe, deren
Gesicht mit Flachs oder Werg bedeckt und der Körper mit Hanfstricken oder Strohbändern auf das Totenbrett gebunden worden
war, ja, er habe die Leichen in diesem Zustand sogar in Backöfen und Kellern gefunden. Der aufmerksame Beobachter und der für
volkskundliche Dinge sich interessierende Mensch wird immer wieder interessante kulturgeschichtliche Wahrnehmungen machen,
welche, wenn sie zeitlich geordnet und aneinander gereiht werden, die Kontinuität von Sitte und Brauch bestätigen. Der an manchen
romanischen Säulen als Ornament angebrachte Zauberknoten erinnert ebenfalls daran, daß man noch in christlicher Zeit der
Meinung war, man könne Geister und Gespenster oder unangenehme Wiedergänger, also jene ruhelosen Seelen, welche die
Menschen in ihren Träumen quälen und ängstigen oder sonstwie peinigen und verfolgen, unter Anwendung von Zaubersprüchen
mittels Bänder, Schnüre oder Stricke an den Stein knüpfen und fesseln. In Schleswig und Flandern findet man auf älteren Grabsteinen
noch den sogenannten Kreuzknoten angebracht, der die dunklen Kräfte binden und bannen soll. In den Bußordnungen des Burchard
von Worms ist in Kapitel 5 § 15 von einem stark verbreiteten Brauch der Ligaturen, welche man an Kreuzen anbrachte, die Rede. Man
hat nach dem Untergang des alten Glaubens gegen den wiederkehrenden Toten vermutlich eine besondere Abwehrmaßnahme darin
gesehen, wenn man eine vierfach geknüpfte Schleife, den Kreuzknoten, am Kopf des Kreuzes anbrachte. Ein sprechendes Beispiel
für die aus vorchristlicher Zeit stammende und im Mittelalter noch eingefleischt gewesene Auffassung, daß der Stein der Aufenthalt
der Seele sei, liefert die romanische Bauplastik der im 12. Jahrhundert errichteten Kirche von Millstatt in Kärnten. Am linken
Gewände des westlichen Kirchenportales ist an der oberen Partie einer Säule das Gesicht eines aus einer kreisrunden Oeffnung
blickenden Menschen zu sehen, der mit spähendem Blick alle Personen, welche die Kirche betreten oder verlassen, zu beobachten
scheint. Diese Darstellung ist so realistisch und so sprechend gestaltet, daß man von der fast lebendigen Wiedergabe eines uralten
Volksglaubens stark überrascht ist und annehmen muß, daß der Schöpfer dieser Plastik ein Anhänger oder ein Kenner, dieses,
von der Kirche so streng verfolgten Glaubens war. Die Tatsache, daß in vielen Fällen der Ort, wo sich ein steinernes Kreuz befindet,
als verrufen gilt, hängt mit dem uralten Glauben zusammen, daß der Stein und seine Oertlichkeit als der Aufenthalt der Geister und
Gespenster angesehen wurde. Diese uralte Ueberlieferung klingt uns sogar in der Neuzeit, in der Zeit der Aufklärung und zwar aus
Goethes Faust I. Teil entgegen:
Mephistopheles: "... und die Gefahr, der Du dich aussetzest?
Wisse, noch liegt auf der Stadt Blutschuld von Deiner Hand.
Ueber des Erschlagenen Stätte schweben rächende Geister und lauern auf den wiederkehrenden Mörder."
Heute noch gibt es auf dem Lande Menschen, die in der Dunkelheit nur ungern an einem alten Steinkreuz vorübergehen und lieber einen Umweg machen, um nach Hause zu kommen. Goethe hat auch diese zu seiner Zeit lebendige Gespensterfurcht festgehalten (Faust I. Teil, Verszeile 4565 bis 4569):
Margarethe: "Ach! wären wir nur am Berg vorbei! Da sitzt meine Mutter auf einem Stein. Es faßt mich kalt beim Schöpfe! Da sitzt meine Mutter auf einem Stein und wackelt mit dem Kopfe."
Die Heiligkeit der Gräber und ihrer Denkmäler, sowie der Respekt vor den Toten steht mit der Ahnenverehrung
auf einer Stufe, das beweisen unter anderem auch.die auf den Bauta- und Runensteinen in Runen zum Ausdruck gebrachte
Denkungsart über Leben und Tod. Bald ist von Blutrache, bald von Mord und Totschlag die Rede. Andere Inschriften beschäftigen
sich mit dem Charakter jener Menschen, zu deren Gedächtnis ein solcher Stein gesetzt wurde; andere mit jenen Personen, die diese
Steine zerstören wollen. Dann gibt es wiederum Steine mit Beschwörungsformeln, um die bösartigen Wiedergänger an den Stein zu
bannen. Von den vielen, durch Gebet und Opfer geweihten und aus diesem Grunde vom Volk für heilig gehaltenen Denkmäler aus
heidnischer und christlicher Zeit seien die Inschriften einiger Bauta- und Runensteine zitiert, welche jene furchterregenden
Fluchformeln tragen, die in vielen Fällen die Zerstörung dieser Denkmäler verhinderten. Der fast drei Meter hohe und vor der Kirche
in Tanum (Bohuslän) stehende Bautastein wünscht demjenigen, welcher dieses Mal zerstören sollte, den allerverächtlichsten Tod.
Der Stein von Tanum wird von sachverständiger Seite dem 5. Jahrhundert zugeschrieben. Der Stifter des vier Meter hohen Steines
zu Björketorp in Blekinge ließ in Runen einem etwaigen Zerstörer sagen, daß er eines heimtückischen Todes sterben werde, wenn er
dieses Denkmal vernichten würde. Gleichzeitig fügte er hinzu, daß der Fluch durch Zauber nicht entkräftet werden könne. Die
Inschrift auf dem Stein zu Glaventrup (Nordfünen) bekundet, daß derjenige, der dieses Denkmal wegwälzen und für einen anderen
abtragen sollte, ein Hundsfott werde. Auf einem im Innern eines Grabes zu Opedal (Norwegen) niedergelegten Stein steht geschrieben,
daß der Tote die Lebenden schonen und durch Wiedergängerei nicht erschrecken möge. Andere Bautasteine enthalten ähnliche
Inschriften. Ihr Zweck war, soweit es sich um Grabsteine, also um solche Steine handelt, die im Innern des Grabes untergebracht
waren, den Toten an sein Grab zu bannen und Grabfrevler zu warnen oder fern zu halten. Aus diesem Grunde hält man diese Steine
auch für den Seelenthron der abgeschiedenen Seelen. Der Stein von Skaäng enthält eine ältere aus dem 6. Jahrhundert stammende
und nicht mehr lesbare Inschrift und einen dem 11. Jahrhundert zugeschriebenen Runensatz mit dem Text: Gott helfe seiner Seele.
Die,Untersuchung über die Sage, weshalb ein von seinem Standort entferntes Steinkreuz dem Urheber
einer solchen Handlung Unheil bringe, hat ergeben, daß diese Ueberlieferung aus dem heidnischen Totenkult, der Ahnenehrung
und dem Seelenglauben hervorgegangen ist, wobei die Furcht vor der Wirkung des bei der Errichtung des Totenmales
ausgesprochenen Fluches und die angeborene Totenfurcht in vielen Fällen für die Erhaltung dieser Denkmäler ausschlaggebend
war. Aber auch der Seelenglaube spielte im Zusammenhang mit der Erklärung unserer Sage eine nicht untergeordnete Rolle.
Ja, man kann sogar behaupten, daß gerade auf diesem Gebiete manches wertvolle Gedankengut im Zusammenhang mit der
Steinkreuzforschung noch nicht genügend beachtet wurde.
In den Sitten und Gebräuchen der Gegenwart, die mit dem Totenkult in Beziehung stehen, spiegeln sich die
Zeiten der Vergangenheit und die Urformen der Religion unserer Vorfahren.
Wer dem tieferen Sinn der Totenehrung Verständnis entgegenbringt, der wird auch die Sprache der alten
Sagen und Märchen verstehen, die gar oft von seltsamen und merkwürdigen Dingen flüstern und raunen. Freilich, der vom nervösen
und hastigen Geschäftseifer des Alltags stark beanspruchte Mensch hat keine Zeit, sich mit den Dingen der Vergangenheit zu
beschäftigen. Er wird daher auch die Welt der Sagen und Märchen nie begreifen und verstehen. In altmodischen Gewändern
schreiten sie an uns vorüber und gehen unbeachtet ihres Weges. Niemand versteht ihre Sprache und niemand glaubt an die
Wahrheit ihrer Worte. Von jedermann als Lügnerin gescholten, steht sie einsam und verlassen abseits der schnellebigen Zeit und
wartet wie die Prinzessin "Wegewart" auf den Prinzen, der die Sprache ihres Herzens kennt.
Viele Rätsel der Vorzeit hat die Steinkreuzforschung mit den Freunden der Vorgeschichte zu lösen
vermocht, aber viele Probleme warten noch auf ihre Lösung und richtige Deutung.
(Das Steinkreuz, Jahrgang 10, 1950, Heft 1/2, S.20-28)Benützte Literatur:
Franz Widlack: Die abergläubiigen und heidnischen Gebräuche der alten Deutschen nach dem Zeugnisse der Synode von Liftinae im Jahre 743
G.A. Kuhfahl: Die alten Steinkreuze in Sachsen
Wolfgang Krause: Was man in Runen ritzte
Eugen Mogk: Der Ursprung der mittelalterlichen Sühnekreuze 1929 und der Ursprung der sogenannten Sühnekreuze. 1912/16
Eugen Christmann: Menhire und Hinkelsteine in der Pfalz.
Georg Weicker: Der Seelenvogel
Dr. Hans Schreuer: Das Recht der Toten
Anton Nagele: Fragen und Ergebnisse der Steinkreuzforschung.
Hilmar Kallife: Das Rätsel der Steinkreuze.
Dr. Joachim von Trauwitz-Hellwig: Urmensch und Totenglaube
C. Cleinen: Das Leben nach dem Tode
L. Wittmann: Ursprung des Steinkultes, Heft I
L. Wittmann: Steinkreuze im Volksglauben (Das Steinkreuz 1934, Heft 2,Seite 3.)
Freerk Haye Hamkens: Sinnbilder auf Grabsteinen von Schleswig und Flanderne. 1944.
Max Ernst: Alte Steinkreuze in der Umgebung Ulms.
Franz Zettler: Das Steinkreuz. 1942, Heft 1/2, Seite 39
Die meisten volkstümlichen Überlieferungen über die alten Steinkreuze berichten vom gewaltsamen Tod
eines oder mehrerer Menschen, zu deren Andenken die Kreuze gesetzt worden seien. Im Vordergrund aller solcher Berichte steht
die Erzählung von der gegenseitigen Tötung. Meistens sollen sich an der Stelle der Kreuze zwei in Streit Geratene gegenseitig
umgebracht haben. Ein Teil der Berichte fügt hinzu, daß die Umgekommenen auch an Ort und Stelle begraben seien.
Entweder werden die Beteiligten gar nicht näher bestimmt, und es heißt nur ganz allgemein: "zwei", "zwei Männer", "Frauen",
"Mädchen" oder, und das ist meistens der Fall, werden Beruf oder Stand der beiden Todeskämpfer mitgeteilt: "zwei
Handwerksburschen", "zwei Metzger", "Schäfer", "Bauern", "Offiziere", "Soldaten", "Ritter", "Bäcker", häufig heißt es auch "zwei
Brüder". Nicht immer entstammen die Zweikämpfer gleichem Stand oder Beruf, fast ebenso häufig hört man: "Müller und Bauer",
"Schäfer und Schuster", "Metzger und Jud". Ein Teil der Berichte läßt es auch nicht bei zwei sich Tötenden bewenden, sondern
stürzt drei, vier, fünf oder gar mehr als ein Dutzend in das Gemetzel, Bauern, Schäfer, Metzger, Handwerksburschen, Musikanten.
Vielleicht nicht ganz so häufig wie die Sage von der zweiseitigen Tötung, aber ebenfalls allgemein verbreitet sind die Mord- und
Totschlagsberichte, denen zufolge einer von einem anderen umgebracht wird: Wieder entweder allgemein "einer" von "einem" oder
mit weiteren Angaben: ein "Bauer" hat einen anderen "Bauer" erschlagen, ein "Bettler" einen solchen, ein "Bauer" einen "Metzger",
ein "Knecht" seinen "Herrn", ein "Kohlenbrenner" sein "Verhältnis".
Die Tötungsart wird meistens nur sehr allgemein mit "erschlagen" und "umgebracht" angegeben, weniger häufig erfährt man
genaueres: "erstochen worden", "erschossen", "mit dem Beil erschlagen".
Regelmäßiger Bestandteil der Geschichten ist das "früher": der Hinweis auf das ferne Zurückliegen des berichteten Geschehens.
So heißt es, das hätten schon die Alten erzählt, oder die Alten hätten auch nicht mehr gewußt, wann es gewesen sei; auch berufen
sich die Erzähler auf eine ganze Ahnenreihe, auf den Großvater, der es seinerseits auch wieder vom Großvater habe.
Ein guter Teil der Sagen von Totschlag, Mord oder gegenseitiger Vernichtung bewahrt nur den Vorgang als solchen, ohne
Einzelheiten mitzuteilen oder den Hergang genauer zu schildern, und ohne den Anlaß der Tat näher zu formulieren. "Da haben
sich zwei umgebracht. Das Kreuz ist zur Erinnerung aufgestellt worden". Der Anstoß zu dem überlieferten blutigen Ereignis ist vielfach
einfach unbekannt. Wenn eine Begründung für tödlichen Zweikampf oder Totschlag und Mord gegeben wird, erscheint sie meist in
völlig allgemeiner Form ("... haben sich im Streit erschlagen"), ohne daß der eigentliche Ausgangspunkt bekannt ist. Mitgeteilte
Gründe schließlich kommen zum größten Teil über einen beschränkten Motivkreis nicht hinaus: Streit um die Ackergrenze,
Kriegszustand, Notzeit, Raubüberfall, Eifersucht.
Eine Gruppe von Steinkreuzsagen stellt das blutige Hauptgeschehen vor einen geschichtlichen Hintergrund. So findet das tödliche
Duell zweier Offiziere oder Soldaten etwa im 30jährigen Krieg statt: große Kriege sind die beliebteste historische Szenerie. daneben
stehen Not- und Hungerszeiten und Zeiten der wütenden Pest. Der geschichtliche Rahmen wird entweder sehr allgemein bezeichnet:
"im Krieg", "Franzosenkrieg" oder wird durch historische Gestalten repräsentiert, durch "Soldaten", "Offiziere", "Ritter", genauer
durch "Schweden", "Franzosen", "Russen", "schwedische Generäle", auch durch "Florian Geyer" etwa und "Marschall Turenne".
Den ersten Platz in den geschichtlichen Sagen behaupten mit Abstand die Schweden, meistens mit dem Zusatz, es handle sich
um die Zeit des 30jährigen Krieges. Die Benennung "Schwedenkreuz" für die Steinkreuze findet sich überall im Land. Gewöhnlich
soll so ein "Schwedenkreuz" den Begräbnisplatz schwedischer Soldaten anzeigen; daß unter dem Kreuz ein Massengrab verborgen
sei, ist eine verbreitete Ansicht; aber es heißt etwa auch, dort seien "schwedische Soldaten", "schwedische Reiter", "schwedische
Hauptleute", "Generäle", "Offiziere" begraben. Den Motiven vom tödlichen Zwei- und Mehrkampf und dem gewaltsamen Ende des
einen durch den andern gesellt sich hier das Grabmotiv als weiteres wesentliches Thema hinzu. Aber "Schwedenkreuze" stehen
nicht nur auf sagenhaften Gräbern; sie erinnern auch an Überfälle schwedischer Soldaten auf einsam pflügende Bauern oder Mord
an harmlosen Leuten. Selten bleiben in der Steinkreuzsage Menschenleben verschont; aber in Ertingen Krs. Saulgau zum Beispiel
kann man hören, das "Schwedenkreuz" stehe zur Erinnerung an die glückliche, dem Muttergottesbild in der Kirche zu verdankende
Abwendung eines schwedischen Anmarsches.
Neben den "Schwedenkreuzen" gibt es auch viele "Franzosenkreuze", die ebenfalls meistens Grabstellen bezeichnen sollen:
"Massengrab", "Franzose gefallen und begraben" ,"französischer Offizier begraben". Andere Kreuze gelten als Denksteine über
Russengräbern, Rittergräbern, Fürstengräbern, Offiziersgräbern, Generalsgräbern oder Gräbern für Bauernführer. Münchinger
Einwohner (Krs. Leonberg) halten es für möglich, daß das steinerne Kreuz an ein "Rittergrab aus dem 30 jährigen Krieg" erinnert.
Vielfach berichten die Sagen auch einfach von "Soldaten", nur teilweise mit näherem Hinweis auf die Zeit des mitgeteilten
Ereignisses. Im Vordergrund steht wiederum das Grab, das "Soldatengrab", von grauen "Soldatenkreuzen" bewacht. Schließlich
erzählen auch viele Sagen lediglich von einem "Massengrab" - "ha, für Soldata".
Die am meisten genannte Zeit für die Kriegerschicksale und -taten ist der 30jährige Krieg, der in den Sagen als Krieg
schlechthin erscheint, und auf den Ereignisse verschiedenster Zeiten bezogen werden. Eine große Rolle spielt auch der
"Franzosenkrieg", wobei von einer bestimmten zeitlichen Vorstellung meistens ebenfalls keine Rede sein kann; wie schon gesagt ist
auch vom 30jährigen Krieg oft genug nur der einprägsame Name geläufig.
Die Vorstellung vom Grab oder Massengrab heftet sich auch an sogenannte Pestkreuze, unter denen Pesttote bestattet sein
sollen. In Gottersdorf Krs. Buchen zum Beispiel aber soll ein Überlebender der Pest das Pestkreuz errichtet haben zur Erinnerung
an seine Begegnung mit einem anderen Überlebenden bei der Rückkehr in das durch die Pest verödete Dorf.
Neben Kriegszeiten, die in Steinkreuzsagen immer wiederkehren, werden regelmäßig auch andere Zeiten der Not und
Bedrängnis als Rahmen für die Geschichten herangezogen: "die Pest", "die Hungerszeit", "eine Notzeit", meistens ohne jede
historische Fixierung in beispielhafter, absoluter Form oder ganz allgemein im Sinne des "irgendwann". Andererseits ist auch hier
das Streben nach Zurückverlegung, das "ganz früher" und "schon lange her" allgemein verbreitet. Wenn überhaupt nähere zeitliche
Angaben mitgeteilt werden, beziehen sie sich in aller Regel auf den unerschöpflichen 30jährigen Krieg.
Im Mittelpunkt der Sagen von der "teuren Zeit" steht der tödliche Kampf um einen Laib Brot oder einen Wecken, auch etwa um
einige Pfennige Geldes oder um eine arme Maus. In den Vordergrund rückt wiederum das Motiv der gegenseitigen Tötung; weniger
häufig bringt ein Überlebender den anderen um. Auch hier sind es etwa "zwei", "zwei Männer", "zwei Handwerksburschen" oder
"ein Bäcker und ein Metzger", "ein Bauer und ein Schneider".
In einer weiteren großen Gruppe von Steinkreuzsagen wird das Denkmal mit einem Unglücksfall verknüpft, der sich an der
betreffenden Stelle ereignet haben soll: auch in diesen Sagen werden stets Menschenleben gefordert. Oft heißt es einfach, daß
"jemand" oder "ein Mann" dort "verunglückt" oder "umgekommen" sei, teils werden die Betroffenen näher beschrieben: "ein Bauer",
"ein Schäfer" - und ein Teil der Erzählungen überliefert schließlich auch das unglückliche Ereignis selbst: an erster Stelle ist es der
Blitz, dem Bauern, Schäfer, Frauen zum Opfer fallen, und ähnlich verbreitet findet sich die Geschichte vom Fuhrwerkunglück.
Meistens sind es Holzfuhrleute, die von ihrem Fuhrwerk überfahren werden; aber auch Bauernwagen überrennen auf abschüssiger
Straße oder steiler Hofauffahrt ihre Lenker, oder umstürzende Heuwagen begraben den Mann unter sich. Auch von verunglückten
Postkutschen und Hochzeitskutschen ist die Rede. Häufig sind Sagen über scheuende Pferde oder wild gewordene Ochsen, die
pflügende Bauern zu Tode reißen. Das Steinkreuz bei Kinzigtal Krs. Wolfach zum Beispiel soll zum Gedenken an einen mit dem
Ochsenfuhrwerk verunglückten Bauern aufgerichtet worden sein.
Mehrfach wird auch von einem Holzfällerunglück berichtet oder von unvorhergesehenem Tod durch Ertrinken. Da und dort kann
man hören, ein Wolf habe ein Kind, Frauen oder Männer angefallen; zwei Fräulein wurden zum Beispiel beim Steinkreuz von
Wittmersklingen Gemeinde Ettenhausen Krs. Crailsheim von einem Wolf überfallen, und eine von ihnen mußte ihr Leben lassen.
Auch ausgesprochene Rechtssagen "Rechtsdenkmalsagen" im engeren Sinn, knüpfen an Steinkreuze an, vor allem das
bekannte Motiv der Bestrafung durch Kopfabpflügen ist belegt. Am steinernen Kreuz in Lauffen Krs. Heilbronn sollen sich zwei
Weiber um Kirbekuchen gestritten haben, und eine sei totgeschlagen worden. Seitdem hätten die Lauffener keine Kirbe mehr.
Mit dem berichteten unglücklichen Vorfall wird also auch ein rechtlicher Tatbestand erklärt.
Nur wenige Steinkreuzsagen lassen das zentrale Motiv des tödlichen Schicksals beiseite, sehen im Steinkreuz nicht einen
Totengedenkstein, sondern gehen von einer ehemals praktischen Bedeutung des Males aus: so gilt das Steinkreuz auch als alter
Asylstein, an dem sich Verbrecher vor der Verfolgung schützen konnten oder man hält es für ein Gerichtskreuz, das den Richtplatz
bezeichnete. Schließlich haben sich auch allgemein verbreitete sonstige Sagenmotive an Steinkreuzen festgesetzt, so in katholischen
Gegenden das geläufige Scherzmotiv von der Drehung im Kreise während des Karfreitagläutens: am Karfreitag läuten bekanntlich
die Kirchenglocken nicht.
Zu den genannten Steinkreuzsagen tritt noch ein wesentliches Motiv: das des Unheimlichen, Verrufenen, der umgehenden
Geister, Hunde und Lichter. Der Platz des einsamen, stummen Kreuzes ist ein Platz böser Tat, kann daher nicht geheuer sein und
ist am besten zu meiden, vor allern bei Nacht. Meistens bekommt man nur allgemeine Hinweise auf die Grausigkeit des Platzes, daß
es auch umgehe dort, oder daß die Gegend verrufen sei. Seltener werden ausdrücklich die Beteiligten der düsteren Steinkreuzsagen
als umgehende Geister benannt: beim Steinkreuz von Oberwinden Gemeinde Rot am See Krs. Crailsheim hat ein Knecht seinen Herrn
erstochen. Der um Mitternacht umgehende Knecht verfolgt Vorbeikommende und schlägt ihnen auf den Kopf.
Ein 1935 von dem damals etwa 40 jährigen Wilhelm König, Bauer vom Werdecker Hof (Gemeinde Beimbach Krs. Crailsheim),
aufgezeichneter Bericht mag zur Veranschaulichung eingefügt werden: "Zwischen Streitwald und Burgholz ist eine Mulde, in ihr, hart
an der Straße, ist eine Quelle, daneben ein Sühnekreuz. Man erzählt, daß hier einst die Schäfer des Werdecker und des
Sommerhofes wegen der Quelle in Streit gerieten und einer der beiden erschlagen liegenblieb" ... Im Jahre 1906 mußte ein "Knecht
nachts den Arzt von Kirchberg mit der Chaise holen. Sie waren auf dem Weg zum Hof am Sühnekreuz angelangt, als sich plötzlich
die Pferde kerzengerade aufbäumten und wild davonrasten. Der Arzt sprang auf und packte den Mann, 'haben Sie auch gesehen?
Was war das?' Eine Gestalt war über sie hinweg ...
An dieser Stelle ist auch schon zwischen eine Schafherde, die nachts getrieben wurde, ein Feuerrad gefahren, die Schafe
mußten dann am ändern Morgen zusammengesucht werden. Als letztes eine Begebenheit aus dem Jahr 1935. Eine Frau aus S.
begleitete einen Besucher eine Strecke Wegs. Am Sühnekreuz kehrte sie um, ihr Weg führte durchs Burgholz. Die Dämmerung
brach herein. Plötzlich gewahrte sie einen Lichtschein neben sich und sah, wie zwei Füße neben ihr herliefen. Die Erscheinung
verschwand, als ihr jemand begegnete, der sie vollends nach Hause begleitete. Sie wurde daraufhin auch krank.
Immer wieder hört man von seltsamen Erscheinungen, die willkürlich von ihrem Platz fortgeholte und ihrem Zweck entfremdete
Steinkreuze bewirkt haben sollen: es spukte, rasselte und schrie im Haus, bis der Stein wieder auf seinen alten Platz gebracht war.
In diesen Zusammenhang gehören auch Äußerungen, die dem Steinkreuz übernatürliche Kräfte zuschreiben: man suchte bei
ihm Hilfe gegen Krankheit und Seuchen; vom Steinkreuz abgekratztes Steinmehl wurde als Heilmittel verwendet.
Nur selten kann man darüber heute noch etwas hören, aber viele Kreuze tragen sichtbare Spuren der ihnen beigemessenen
Heilkraft: kleine runde Vertiefungen, in denen das Steinpulver ausgeschabt wurde. Meistens befinden sich die Aushöhlungen auf der
Ansichtsfläche der Kreuze, aber häufig auch auf der Oberseite von Kopf und Armen; eine ganze Reihe von Kreuzen weist gleich
mehrere solcher Schabstellen auf. Teilweise finden sich auch künstliche Rillen auf Steinkreuzen, die dem gleichen Zweck wie die
runden Vertiefungen ihre Entstehung verdanken mögen.
Die Steinkreuze sind also auch in abergläubischer Haltung aufgesucht worden, und eines unter ihnen, das Bischofskreuz von
Freiburg-Betzenhausen hat es zeitweilig sogar zum regelrechten Wallfahrtsziel gebracht. Es verdankte diese Bedeutung dem als
heilig verehrten Straßburger Bischof Konrad von Lichtenberg, zu dessen Gedenken das Kreuz aufgerichtet sein soll. Man glaubte,
der Heilige sei hier beerdigt, und suchte seinen Beistand für kranke Kinder.
Heinrich Schreiber berichtet über das "uralte griechische Kreuz von rothem Sandstein": "Früher wurde es durch eine darüber
aufgeführte Kapelle, in deren Altar es eingemauert und die mit einer Menge von Kinderkäppchen, als Weihgaben, ausgestattet war,
geschützt. Es hatte sich nämlich während mehr als fünf Jahrhunderten die geschichtliche Bedeutung dieses Denkmals in dem
Gedächtnisse des Volkes verwischt, und dafür die Sage geltend gemacht: hier sei ein Heiliger beerdigt, der in Kindesnöthen und
Kinderkrankheiten Beistand leiste. Dadurch war diese Kapelle nach und nach das Ziel vieler Wallfahrten, besonders aus dem Elsaß
geworden. In neuerer Zeit hielt man es, um diesem Aberglauben zu steuern, für geeigneter, sie abzutragen und das Kreuz an die
Kirchenwand des benachbarten Pfarrdorfes Lehen zu versetzen, woher es jedoch bald wieder an seine ursprüngliche Stelle
zurückkehrte. Hier steht es nun im Freien, jeder Witterung und Roheit preisgegeben, so daß seine baldige Zerstörung zu gewärtigen
ist, obgleich es zu den merkwürdigsten Denkmalen gehört, welche Freiburg in seiner Umgebung besitzt".
Die bekannten Steinkreuzsagen lassen gewisse einheitliche Grundzüge, viele gemeinsame Motive und Formen erkennen, bilden
aber weniger eine selbständige Gruppe für sich, wie man leicht annehmen möchte, sondern stehen in enger Verbindung mit anderen
Flurdenkmalsagen. Entsprechende Untersuchungen könnten diese Zusammenhänge besonders verdeutlichen.
Die Übersicht über die Sagen, in denen Steinkreuze eine Rolle spielen, läßt zunächst ganz bestimmte Motivgruppen erkennen,
die überall auftreten. Der fast allen Steinkreuzsagen eigene Grundzug ist Tod oder tödliches Schicksal. In der Mehrzahl der Sagen
verursachen Menschen selbst den Tod, teils aber fordern auch höhere Mächte ein Menschenleben. Am weitesten verbreitet ist das
Leitmotiv vom gegenseitigen Totschlag, daneben folgt das Thema vom Totschlag oder Mord, den einer am andern begeht. Ein weiteres
Grundmotiv ist der Unglücksfall, der Menschenleben kostet, schließlich auch das Grabmotiv, das von Umgekommenen handelt. Das
Grabmotiv kann einerseits den Kern einer Erzählung ausmachen, kann auf der anderen Seite aber auch dem Leitgedanken des
Totwerdens zusätzlich anhängen.
Stets wiederkehrender Bestandteil der Sagen sind auch die beteiligten Personen: in erster Linie Bauern und Handwerker,
daneben Soldaten und Fremdvolk. Die einzelnen Angaben treten als eigene Motive auf: der Metzger oder zwei Metzger, der Schäfer,
der Soldat, die Schweden, der Jude und Zigeuner. Das Brudermotiv etwa ist auch ein solch viel behandeltes Thema. Ähnlich sich
wiederholend wird auch der Tatvorgang geschildert: die Tatwerkzeuge vor allem sind immer wieder die gleichen. Gleichbleibende
Bestandteile der Sagen sind weiterhin die mitgeteilten Gründe für Unglück oder Unglücksfall: der Streit, der Streit um die Feldgrenze,
um ein Stück Brot, um eine Maus, die Eifersucht, der umstürzende Wagen, die scheuenden Zugtiere, der Blitz. Auch die bekannten
Zeitangaben erscheinen als feste Motive, so die grundsätzliche Betonung der geschichtlichen Ferne, daneben der 30jährige Krieg
oder die Schwedenzeit sowie Hungerszeit, Notzeit und Pest. Es gibt nichts an diesen Sagen, was nicht geläufig wäre; die einzelnen
Bestandteile der Geschichten sind auswechselbar und überall verbreitet. Der einfache Bericht kann durch alle möglichen Teilmotive
die Gestalt einer umfänglichen, aber um nichts weniger allgemeinen Erzählung annehmen. Die verfügbaren Einzelmotive können in
jeder Kombination wieder auftreten.
Bekannte Motive aus anderen Sagen finden sich in den Steinkreuzgeschichten wieder: abgesehen von Kriegen, Hungers- und
Notzeiten zum Beispiel die fremden Leute, die Bestrafung des Gotteslästerers, die Spinnerinnen-Varianten, die Sichelgestalten, der
Glockengießer und sein Lehrling, der hinkende Hase beim Henkerlesspiel. Faßt man das Wesentliche der Steinkreuzsagen
zusammen, bleiben die Todesmotive, hineingestellt in eine bäuerlich-handwerkliche Welt oder in Kriegs- und Notzeiten, vorab den
30jährigen Krieg.
Es zeigt sich, daß von einem direkten Zusammenhang zwischen Sage und wirklicher Bedeutung der Kreuze meistens keine
Rede sein kann; die Geschichten erweisen sich als bloße Anhängsel, als "Wandersagen", die überall auftauchen können und alle
mehrfach und in verschiedenen Versionen belegt sind, "wie gängige Redensarten ..., die nur einer entgegenkommenden Situation
bedürften, um an einem neuen Orte zu wurzeln". Vielfach gibt es in einem Ort nicht nur mehrere Versionen einer Geschichte,
sondern die Versionen ganz verschiedener Geschichten nebeneinander. Das Steinkreuz von Mariazell Krs. Rottweil heißt einerseits
"Schwedenkreuz" und soll andererseits an jemand erinnern, der im früheren Teich ertrunken sei.
Regelmäßig ist zu beobachten, daß die vorhandenen Geschichten selbst in verschiedenen Varianten berichtet werden, die zum
Teil weit voneinander abweichen. In Waltershofen Krs. Freiburg kann man zum Beispiel hören, an der Stelle des Kreuzes sei ein Kind
von einem Bettler in alter schwerer Zeit wegen eines Stücks Brot umgebracht worden, in einer anderen Fassung heißt es: dort haben
sich zwei wegen eines Stücks Brot umgebracht. Ein vierzigjähriger Lipburger (Krs. Müllheim) weiß von seinem Großvater, daß am
Steinkreuz ein Metzger einen anderen Mann erstochen hat; eine alte Frau sagt, zwei Metzger hätten sich gegenseitig erstochen
wegen eines Mädchens. In Mutlangen Krs. Schwäbisch Gmünd meint ein 65 jähriger Bauer: "Do sen frier amol, awa des ischt scho
600, des ischt ganz frier gwe, do sen do amol Soldate gfalle", ein anderer, gleich alter, sagt: "Aus em 30jährige Krieg ischt des, do
hend se a paar neigrabe".
Verschiedene Versionen und verschiedene Formen lassen sich schwer auseinanderhalten; die Formen der
Steinkreuzgeschichten sind wie die Geschichten selbst äußerst vielfältig und können sich fortdauernd verändern.
Neben durchgestalteten, wirkungsvoll ausgeführten Erzählungen stehen Kurzformen und blasse Ungefährbildungen. Gerade
solche allgemein gehaltenen Formen, die ein Ereignis nur andeuten, sind sehr verbreitet, vielfach auf geringsten Umfang beschränkt.
Weitläufig ausgeführte und ausgeschmückte Formen leben oft von einer literarischen Fassung, die als Vorbild auf die mündliche
Tradition zurückwirkt.
Die wirkliche Bedeutung der steinernen Kreuze ist den Leuten verlorengegangen; mit Hilfe der bekannten Sagen aber finden
sie eine Erklärung für die seltsamen Denkmäler: die erklärende Funktion ist das eigentliche Wesen dieser Sagen, aus dem heraus
sie leben und Verbreitung finden. Einmal aufgegriffen, werden sie durch die vorhandenen Denkmäler wiederum verbürgt und stets
neu bestätigt.
Häufig sind die Sagen an die jeweiligen örtlichen Verhältnisse besonders angeglichen; die zumeist vordergründigen lokalen
Abwandlungen illustrieren sinnfällig den sekundären Charakter der Geschichten. So wird etwa die Anzahl der Kreuze an einem
Standort berücksichtigt: bei den vierzehn in eine Wegmauer eingefügten Kreuzen bei Reicholzheim Krs. Tauberbischofsheim sollen
sich vierzehn Burschen wegen eines Mädchens umgebracht haben: ein weiteres Kreuz, nicht weit davon am Weg in die Ortschaft
hinab eingemauert, soll die Stelle bezeichnen, bis zu der das Blut bei dieser Liebestragödie den Berg hinabgeflossen ist. Drei nicht
weit voneinander entfernte Steinkreuze bei Heidersbach und Großeicholzheim Krs. Buchen sollen der Erinnerung an drei Metzger
gelten, die sich gegenseitig umgebracht haben.
Wie sehr die Sage sich an das äußere Erscheinungsbild anlehnen kann, zeige ein Beispiel aus Unterweissach Krs. Backnang;
dort befinden sich am Ortsausgang drei Steinkreuze, eines davon ist schwer beschädigt und lag bis zu der kürzlichen Neuaufstellung
der Kreuze am Boden unter Gras und Gestrüpp verborgen: nur die beiden früher sichtbaren Kreuze treten in der Sage auf, das
größere soll einem ermordeten Ochsentreiber gesetzt worden sein, das kleinere dessen ebenfalls umgekommenem Hund.
Teilweise ist auch die Art des Standorts mitbestimmend für die Sage oder wenigstens in den Sagenbericht einbezogen, wie auch
das Aussehen der Kreuze sich in der Sage widerspiegeln kann.
Natürlich werden die Kreuzinschriften, die meistens von einem Unglücksfall berichten, großenteils von der mündlichen
Überlieferung aufgegriffen; teilweise werden sie auch ausgeschmückt (Hänner Krs. Säckingen: die genannten Kreuzstifter sollen
beide unglücklich in die Umgekommene verliebt gewesen sein), oder bekannte Steinkreuzsagen werden mit ihnen verknüpft
(Dittwar Krs. Tauberbischofsheim: zwei "Schwedenkreuze" mit Inschrift und den Jahreszahlen 1607 und 1644 erinnern an einen
Bauern, der am Platz des einen Kreuzes beim "Zackern" von den Schweden überrascht wurde, die Flucht ergriff, aber im Pflugeisen
hängenblieb und nur noch bis auf den "Rammersberg" kam, wo er von den Schweden eingeholt und umgebracht wurde. Dort steht
das zweite Kreuz, in dessen Inschrift es heißt: "... Hans Weber von den Soldaten ersosen worden". - Die kaum mehr lesbare
Inschrift des erstgenannten Kreuzes berichtet vom Tod eines andern, wird jedoch von der Erzählung übergangen wie auch die
Verschiedenheit der Jahreszahlen).
Auf den Kreuzen angebrachte Datierungen mögen ebenfalls die Ansiedlung bestimmter Sagen begünstigt haben, können
genausogut aber im Gegensatz zu den berichteten Kreuzsagen stehen. Besonders häufig haben die auf den Denkmälern sichtbaren
Zeichen die Sagen beeinflußt - sie erscheinen entweder als Berufs- oder Beschäftigungsmerkmal der Sagengestalt (Steinkreuz in
Lauffen a.N. Krs. Heilbronn mit Backschaufel: vom Backhaus kommende Frauen) oder, wie häufiger der Fall, als Mordgerät, die
schauerliche Tat in Stein verewigend (Hübnershof Gemeinde Rechenberg Krs. Crailsheim: zwei Kreuze mit Pflugschar und Sech,
mit welchen Geräten die beiden erzürnten Bauern sich totgeschlagen haben sollen).
Nicht nur die Anzahl mehrerer Steinkreuze an einem Platz kann in der Sage berücksichtigt sein; sie schließt oft auch
unbedenklich andere in der Nähe von steinernen Kreuzen befindliche Denkmäler in ihre Darstellung mit ein (zwei Bauern erschlagen
sich, und ihre Frauen setzen ihnen Steinkreuz und Bildstock: Reichenbach Krs. Lahr). Überhaupt sind die für die Steinkreuze
charakteristischen Geschichten auch für andere Flurdenkmäler belegt. Am "Kreuz", einem Steinblock bei Lautenbach Krs. Rastatt
sollen sich zwei Brüder gegenseitig erschlagen haben; an einem Stein auf der Markungsgrenze Ottoschwanden - Freiamt Krs.
Emmendingen sollen sich ein Müller und ein Metzger gegenseitig umgebracht haben. Ein bestimmter Sagenstoff kann gleichzeitig
verschiedene Denkmäler oder Örtlichkeiten für sich in Anspruch nehmen; die Vorstellungen übertragen sich einfach.
Einseitige Erhebungen mögen daher ein schiefes Bild entstehen lassen; in Wirklichkeit wird man den Steinkreuzsagen viel weniger
Selbstständigkeit und Eigenleben zusprechen können, als man zunächst meinen möchte; sie stehen in einem größeren Zusammenhang
von Überlieferungen überhaupt und müssen wie einerseits im weiträumigen Vergleich, so andererseits auch innerhalb der Gesamtheit des
jeweiligen örtlichen Überlieferungsbestandes gesehen werden.
(Losch, Bernhard - Steinkreuze in Südwestdeutschland, 1968, S.99-120)