Beiträge zur Geschichte der Steinkreuze |
Die Steinkreuze, so wie sie heute noch in Tausenden von Exemplaren vor uns stehen, sind in der Mehrzahl
mittelalterliche Rechtsmale und stammen aus der Zeit des ausgehenden 13. Jh. bis zum Ende des 16. Jh. über diese Male geben uns
noch sehr viele Urkunden Aufschluß.
Im Zeitraum dieser 300 Jahre war es üblich, an der Stelle, wo ein Mensch eines zwar gewaltsamen, aber nicht beabsichtigten
Todes durch einen dritten starb, ein steinernes Kreuz aufzustellen. Der Totschlag, der im Affekt, also in der momentanen Erregung
geschah, war im Mittelalter und in den vorhergehenden Zeiten eine Privatangelegenheit, um die sich die Gerichte nur bedingt
kümmerten. Konnte der Täter sich mit den Hinterbliebenen des Erschlagenen auf gütlichem Wege einigen, dann war er vor jeder
weltlichen Strafe frei. Diese Einigung zwischen Täter und Hinterbliebenen wurde durch Verträge festgehalten, in den Verträgen wurde
bestimmt, was der Täter alles zur Sühne für den Totschlag zu erfüllen hatte. In der Regel waren folgende Punkte aufgeführt:
Für das Seelenheil des Toten in einer Kirche Seelenmessen lesen zu lassen, deren genaue Anzahl bestimmt wurde.
Den Hinterbliebenen eine Summe Geldes, das Wer- oder Manngeld geheißen, zu bezahlen.
Verschiedene Wallfahrten zur eigenen Buße sowie zum Seelenheil für den Entleibten zu unternehmen und darüber beglaubigte Bestätigungen über den Vollzug beizubringen. Wenn nicht besonders bestimmt, konnte der Täter diese Wallfahrten auch durch andere Personen ausführen lassen. Die am meisten vorgeschriebenen Wallfahrten gingen nach Rom, Aachen, Maria Einsiedeln in der Schweiz oder nach St. Jago de Compostella in Spanien. Für die Romfahrten konnten auch ähnliche Wallfahrten nach innerdeutschen Orten ausgeführt werden, die dann aber gleichfalls den Namen "Romfahrten" erhielten.
Bestimmte Mengen an Wachs der Kirche stiften.
Dem Begräbnis in vorgeschriebener Bekleidung mit einer Anzahl Freunden oder Sippengenossen beiwohnen, am Grabe den Hinterbliebenen Abbitte leisten. Die Kosten des Begräbnisses tragen.
Den Hinterbliebenen auf etliche Jahre aus dem Wege gehen, keine öffentlichen Lustbarkeiten besuchen, Wirtshaus und Badstube verlassen, sobald einer der Hinterbliebenen des Erschlagenen sie betritt, ja sogar die Meidung der Heimat auf einige Jahre wurde oft vorgeschrieben. Der Täter mußte vielfach sein Leben lang einen eisernen Ring oder einen Strick um den Hals tragen u. ähnl.
Die gesamten Gerichtskosten und die der Zeugen tragen, ein Essen veranstalten (Leichenschmaus).
Am Tatort ein steinernes Kreuz errichten lassen zur eigenen Buße und zum Seelenheil des Getöteten (jeder Vorübergehende betet an solcher Stelle ein Vaterunser für den Toten, der ohne die Sterbesakramente verschieden war und dadurch die Seeligkeit nur schwer erlangen konnte, die Gebete sollten dazu dienen, diese Frist des Toten zu kürzen).
Der Täter mußte sich auch öfters verpflichten Kriegsdienst mit einer Anzahl geworbener Söldner, die er bezahlen mußte, zu tun.
Konnte der Totschläger alle die oben geschilderten Bußen erfüllen, dann war seine große Blutschuld gesühnt. Aus diesem
Grunde hat man die Verträge, um sie auch von anderen Privatverträgen zu scheiden, "Sühneverträge" genannt und die
Erinnerungsmale "Sühnekreuze", wenn auch das Volk immer wieder von Schwedenkreuzen u. ähnl. spricht. Als "Mordkreuze" sind
sie bis auf den heutigen Tag unter der Bevölkerung bekannt und - gemieden.
Kam ein Sühnevertrag nicht zustande, dann trat an seine Stelle die Blutrache der Hinterbliebenen, die sie an der Sippe des
Täters vollzogen. Vielfach wurde der Körper des Erschlagenen solange nicht der Erde übergeben, bis er gerächt war. Um den Toten
zu konservieren, hat man ihn des öfteren in den "Schlot", in den Rauchfang zum Ausräuchern gehängt. Etwas "in den Schlot / Esse
schreiben" hatte ursprünglich gerade das Gegenteil von dem zu bedeuten, was wir heute darunter verstehen.
Mit der Einführung der Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. im Jahre 1533 wurden private Abmachungen nicht mehr geduldet,
an ihre Stelle trat das ordentliche Gericht, das den Täter nach dem neuen Recht verurteilte. Mit der Einführung dieses neuen Rechtes
wurden die Sühneverträge zwar offiziell abgeschafft, lebten jedoch je nach Landessitte noch durch das ganze 16. Jh. fort; erst das 17.
Jh. räumte mit ihnen endgültig auf.
Die frühmittelalterlichen Verhältnisse
Wir wissen, daß mit dem ausgehenden 13. Jh. Steinkreuze zur Sühne für einen Totschlag aufgestellt wurden. Die ältesten
Sühneverträge jedoch stammen erst aus dem Anfang des 14. Jh. Dies liegt daran, daß die Zeit vor 1300 kaum irgendwelche
Aufschreibungen über Kriminalfälle gemacht hat, erst mit dem Aufblühen der Städte kommt dies in Übung. Die Strafmaße jedoch sind
schon lange bekannt und aufgeschrieben worden, wie sie uns die alten Volksrechte überliefern. So ist das Bayer. Gesetz bereits aus
dem beginnenden 8. Jh. bekannt, dort wird von dem Wergeid gesprochen, das für einen freien Mann oder Frau bezahlt werden
mußte, wenn er oder sie erschlagen wurde, alles andere war Privatsache; der Totschläger war nur an die vorgeschriebene Buße
gehalten, damit war für ihn der Fall erledigt, d. h. wenn der Totschlag kein Mord war, also aus Vorsatz geschehen ist. Aus diesem
Grunde ist man wahrscheinlich auch der Blutrache mehr gefolgt als wie dem Vergleich. Eine "Richtung" wurde deshalb nicht aufgestellt,
sondern alles wurde mündlich unter den Sippen am öffentlichen Thing abgemacht. Auf vorsätzlichen oder "heimlichen" Mord stand
auch schon in der frühesten Zeit der Tod.
Die Blutrache war eine Einrichtung, die weit in die germanische Zeit zurückgeht, kennen doch schon die uralten Volks- und
Heldenlieder der "Edda" diese Dinge, aber auch dort ist schon die Rede von der gütlichen Einigung, die allerdings als schmählich
betrachtet wurde und der Feigheit gleichkam.
So kam es, daß diese persönlichen Auseinandersetzungen oft zu bösen Sippenkriegen ausarteten, die das Land nicht zur Ruhe
kommen ließen. Schon Karl der Große suchte deshalb die Blutrache durch seine Capitularien einzudämmen, es ist ihm nicht gelungen;
erst mit der Einführung und Fußfassung des Christentums erfolgte hier ein Wandel in Sitte und Brauch.
Waren die Abmachungen und Vereinbarungen wegen eines Totschlages vor dem 13. Jh. mündlicher Art, die durch Handschlag
der Sippen bekräftigt wurden, so schaltete sich jetzt die Kirche ein mit ihren Kirchenbußen, dem Bann und dessen Ablösung durch
materielle Abgaben, die als Seelgeräte dem Toten dienlich sein sollten. Der Landesverweis und die Flucht des Täters in die Einsamkeit,
die ihn zum "Waldläufer" und "Vogelfreien" werden ließen, wenn er sein Leben retten wollte, die Vernichtung seines Hauses und seiner
Sippe konnte dadurch gemildert, wenn nicht gar verhindert und der Landfrieden gewährleistet werden, wenn sich die Parteien der
Kirchenstrafe unterwarfen, wollten sie dies nicht tun, dann traf die gleiche Strafe auch die Sippe des Getöteten. Die Kirche konnte
kraft ihrer moralischen Qualitäten dies viel gründlicher vornehmen als wie irgendein weltliches Gesetz. Der Kirchenbann war ein
Instrument, das auch den größten Widersacher in die Knie zwang und das gegen Hoch und Nieder gleichmäßig zur Anwendung
gebracht wurde, dadurch aber hatte diese Strafe auch die große Gewalt. Zur Festigung des gegenseitigen Verspruches kam dann
mit der Zeit die schriftliche Fixierung der Sühneleistungen im allgemeinen, denn nun hatte auch die Kirche hier ihre Interessen zu
wahren, da ja die "Sportein" für sie recht erheblich waren. (Wachs, Messen, Opfer, Begräbnis usw.). Daß die Kirche sich hinter
den Landes- resp. Stadtherren stellte und ihn als Urteilsfinder deklarierte, ist klar, denn es lag nicht in ihrem Sinne und nicht in ihrer
Auffassung von der Nächstenliebe, sich hier mit weltlichem Recht zu belasten. Aus all diesen Gründen finden wir unter den Urteilen
zwar die Abgaben an die Kirche, aber die Bestätigung der Sühneverträge geschah durch den weltlichen Richter und die Schiedsleute.
Es ist aus dem Gesagten deshalb erklärlich, warum wir für die Zeit vor dem 13. Jh. keine Urkunden finden, die sich mit der
Sühnung eines Totschlages befassen.
Steinkreuze auf den Fluren vor dem 13. Jahrhundert
Durch das vorher Gesagte scheint es nun so zu sein, als ob es bei uns Kreuze irgendwelcher Art draußen auf den Fluren von
dem 13. Jh. nicht gegeben hätte; dies trifft nicht ganz zu, nur ist es fraglich, ob diese Male, die einer früheren Zeit angehören, aus
Ursachen eines Totschlages entstanden sind. Wir wissen, daß es viele steinerne Kreuze vor dem Jahre 1000 gegeben hat, die ihren
Ursprung in der Devotion hatten. So ist es bekannt, daß die Angelsachsen schon im 7. Jh. den Brauch hatten, zur Verehrung Gottes
und zum Gedächtnis der Vorfahren Kreuze aufzustellen. In der Lebensbeschreibung des hl. Willibald finden wir da recht interessante
Hinweise; des -weiteren sind die Kreuze in Irland und Schottland, die sich bis auf unsere Tage herübergerettet haben, Zeugen dieser
Erkenntnis. Aus Irland sind Hochkreuze bekannt, die sich genau in das 7. Jh. datieren lassen. Bei uns in Deutschland können diese
Male nicht vor dem 8. Jh. in Erscheinung getreten sein, da die Missionierung nicht früher eingesetzt hat. Es sind eine Reihe von
Steinkreuzen aus Deutschland bekannt und auch schriftliche Überlieferungen sind vorhanden, mit denen man den Nachweis des
früheren Brauches bestimmen kann; das Aufeinanderabstimmen von Urkunden und Denkmal, d. h. ein Denkmal mit Hilfe der Urkunde
festzulegen, ist jedoch noch nicht ganz geglückt. Eines ist als gesichert zu betrachten: "Es gibt Steinkreuze bei uns, die vor das Jahr
1000 datiert werden können und diese Steinkreuze sind meist religiösen Ursprungs". Das Gebiet der Eifel und die Gegend um
Frankfurt hat verschiedentlich derartige Denkmale.
Gibt es Gedächtnismale, die vor das 12. Jh. datiert werden?
Bei Gedächtnismalen kann dies ohne weiteres bejaht werden, vor allem in der nordischen Form der Runensteine sind sie sehr
sinnfällig. Durch die oft reiche Beschriftung ist es möglich, den Anlaß, Sinn und Zweck dieser Steine zu bestimmen und an Hand der
Runenzeichen auch das Alter festzulegen; unsere Museen bewahren eine ganze Reihe derartiger Steine. Die Runensteine sind meist
gesetzt, um der Seele des Dahingegangenen zu helfen, sie wurden gesetzt für eine Person, die fern der Heimat gestorben oder
verschollen ist, ähnlich wie die Langobarden auf hohen Stangen geschnitzte Vögel aufsteckten, die nach der Richtung sahen, in die
der Verschollene gegangen ist. Diese Vögel sollten die Seelen der Verstorbenen heinirufen, oder wie es an Schottlands Küsten heute
noch üblich ist, daß für die ertrunkenen Seelen am Ufer Kerzen aufgestellt werden, die den über den Wassern einherirrenden Seelen
den Weg in die Heimat zeigen sollen. Dieser Seelenkult ist mit dem Kult der Steine, die die Seelen Verstorbener bergen, auf das
engste verwandt, findet man doch auf Runensteinen diese Seelenvögel wieder, dazu die Texte wie zum Beispiel daß dieser Stein von
den Söhnen des Nachkommen zu seinem Gedächtnis gesetzt worden ist. Auch in der Edda finden sich da Strophen, die auf diese
Sitte hindeuten.
Zum Schluß mag noch gesagt sein, daß eine gerade Linie von den Steinkreuzen zu den Runensteinen und von hier zu den
Großbauten der Menhirs der Megalithkultur führt. Diese Linie genau nachzuweisen, ist der heutige Sinn und Zweck der
Steinkreuzforschung, nachdem die mittelalterlichen Gegebenheiten vollkommen geklärt sind. Mit der Erforschung dieser
vorchristlichen Denkmale wird eine der tiefsten seelischen Regungen unserer Vorfahren lebendig werden, die sich zum Teil auch
heute noch spüren und beobachten läßt; diese seelische Regung manifestiert sich in den mittelalterlichen Sühnekreuzen.
Unter den Kaulbachschen Bildern zu Goethes Reineke Fuchs findet sich auch die Krähenszene. Der auf
Beute lauernde Fuchs liegt am Fuße des Galgenberges, über ihm der Galgen mit hängenden Gestalten und dem Rad und zu seiner
Linken ein schlichtes Steinkreuz. Diese Verbindung von Galgenberg und Steinkreuz hat Kaulbach zweifellos dem Volksglauben
entlehnt, in dem die Steinkreuze eine wichtige Rolle spielen. Solche Kreuze sind in großer Zahl in Mittel- und Nordeuropa
verbreitet und haben schon öfter die Forschung beschäftigt 1). In Sachsen allein hat Kuhfahl, der sich hier dieser alten Denkmäler
besonders angenommen hat, gegen, 300 nachgewiesen, fast ebensoviel Nagele in Württemberg, Wilhelm in Böhmen. Auch auf
den britischen Inseln sind sie verbreitet 2) - ebenso in Skandinavien, in
Norwegen besonders am Küstengebiete 3), in Schweden vor allem
auf den Inseln Gotland und Öland 4).
Kuhfahl berechnet ihre Zahl in Mitteleuropa auf ungefähr 3000. Sie finden sich allerorten: an Feldern und in Wäldern, mitten im
Dorfe, an Brücken, auf bergischem Gelände, ganz besonders häufig an Kreuzwegen und Weggabelungen. Viele dieser Kreuze sind
heute geschwunden, aber urkundlich noch nachweisbar. Häufig hat man sie zu Bauten, namentlich Kirchhofmauerbauten, verwendet.
Die erhaltenen stehen nicht immer dort, wo sie errichtet worden sind, zumal wenn sie auf Feldern gestanden haben, hat man sie
andernorts aufgestellt. Meist stehen sie einzeln, aber sie finden sich auch gruppenweise, zu zweien, dreien, fünfen, ja selbst elfen
(Steinkreuznester, wie man diese Gruppen zu nennen pflegt). Ihrer Form nach überwiegt das einfache lateinische Kreuz, wie es
Kaulbach gezeichnet hat, aber es begegnen auch andre Formen, wie das griechische Kreuz, das Maltheserkreuz, das Radkreuz.
Das Material ist meist von dem Gestein der Gegend abhängig, in der das Kreuz errichtet ist. Eine nicht geringe Zahl dieser Steinkreuze
hat eingeritzte Figuren, namentlich von Waffen und Mordinstrumenten: Schwerter, Dolche, Beile, Lanzen, Armbrust. Oder
landwirtschaftliche Geräte wie Sichel, Sense, Pflugmesser, Pflugschar. Auch Handwerkerabzeichen begegnen, so der Schuh, die
Tuchschere, die Bretzel, das Weberschiffchen. Einige schmückt ein ritterliches Wappen. Andre enthalten Jahreszahlen, einzelne
Buchstaben, kurze Inschriften, was besonders bei den britischen und nordischen der Fall ist 5)
,
während hier die Figuren sehr selten sind.
Diese Steinkreuze sind ein üppiges Gebiet der Volkssage. Schon die Namen, die ihnen der Volksmund gegeben hat, bezeugen
dies 6). Bald sollen sie an Kriege erinnern und gefallenen Kriegern
gesetzt sein, und so kennt man Hussiten-, Tartaren-, Franzosen-, Schwedenkreuze; bald soll in der Pestzeit die Pest an ihnen halt
gemacht haben und so sind sie zum Pestkreuz geworden; bald sollen sie an die christliche Mission erinnern wie das Cyrillus-, das
Bonifacius-, das St. Ulrichskreuz. Öfter sind auch Wandersagen an das Kreuz geknüpft, die sich als solche schon durch ihr Auftreten
in ganz verschiedenen Gegenden zu erkennen geben. Der Doppelmord spielt dabei eine Hauptrolle; eifersüchtige Mädchen sollen
sich gegenseitig getötet haben, oder zwei Brüder, die sich nicht erkannten 7).
Namentlich in Norddeutschland findet sich die Sage vom Glockengießerlehrling, den sein Meister im Zorn erschlagen hat, an mehrere
Kreuze geknüpft 8). Dergleichen Sagen haben für die Frage nach
dem Ursprünge der Steinkreuze fast keine Bedeutung. Wer auch nur eine Sage geschichtlich verfolgt hat, weiß, wie die Sage
sprungweise wandert und schnell Aufnahme findet, wenn die Örtlichkeit oder eine geschichtliche Überlieferung der Sage angepaßt zu
sein scheint. So hat denn auch die Forschung im allgemeinen diese Sagen bei Erörterung der Bedeutung der Steinkreuze
unberücksichtigt gelassen. Hierüber sind nun von den Steinkreuzforschern verschiedene Hypothesen aufgestellt worden. Dabei
verallgemeinerte man nur meist einen vereinzelten, oft ziemlich jungen Brauch, ohne auf die geschichtliche Entwicklung dieser
Denkmäler und den Kulturwandel im Laufe der Zeit Rücksicht zu nehmen. Von diesen Deutungen hat schließlich die der Sühnekreuze
den Sieg davongetragen, unter welchem Namen sie sich besonders bei den Rechtshistorikern finden. Und das ist unumstritten eine
große Zahl dieser Kreuze aus dem 14. bis 16. Jahrh. gewesen. Wir besitzen aus dieser Zeit Sühneverträge, die meist unter der
Leitung einer weltlichen oder geistlichen Obrigkeit zwischen dem Mörder und den Angehörigen des Ermordeten geschlossen worden
sind und worin in zahlreichen Fällen der Mörder unter anderem sich verpflichten mußte, dem Ermordeten
ein "steinernes Kreuz" zu setzen. Von 76 Verträgen, die Rieder aus dem Eichstätter Hochstift veröffentlicht hat, wird in 63 Fällen
ein solches Kreuz gefordert 9), und von den 70, die Frauenstädt aus
schlesischen Urkunden herausgegeben, in 35 Fällen, worunter
jedoch schon das Kruzifix 10) begegnet. Andere haben Marie Eysn, Wilhelm u. a. veröffentlicht, so daß schon jetzt eine stattliche
Anzahl solch alter Sühneverträge vorliegt 11).
In diesen Sühneverträgen haben wir den letzten Ausläufer altgermanischen Sippschaftsrechtes, das die Kirche unter ihre
Fittiche genommen hat; das Sippschaftsrecht ist kirchliches Seelenrecht geworden, wie Schreuer diese Umwandlung alten
Volksrechtes durch die Kirche genannt hat 12). Der Inhalt dieser Verträge ist in seinem Grundstock überall der gleiche, wenn auch
die einzelnen Forderungen öfter voneinander abweichen. Der Mörder muß sich verpflichten, an die Angehörigen des Ermordeten
eine Entschädigungssumme zu zahlen, für ein ordentliches Leichenbegängnis und für das Seelenheil des Toten durch eine Anzahl
Messen, Vigilien, Seelenbäder zu sorgen, Wachs zu Weihkerzen zu liefern, eine Pilgerfahrt nach Rom oder Aachen oder nach
einem ändern Ort zu unternehmen. Dazu kommt im 14. Jahrhundert eine Abgabe für die Obrigkeit, die den Sühnevertrag leitet und
über seine Durchführung wacht. In dieser Zeit scheint auch die Errichtung des steinernen Kreuzes in den Vertrag gekommen zu
sein. Wenigstens wissen die einzigen Urkunden des 13. Jahrhunderts aus den Jahren 1285 und 1288, die Böhmer (Zschr. f.
deutsches Altertum IX, 261 ff.) veröffentlicht hat, nichts davon.
Das älteste Zeugnis ist das laut Inschrift dem 1299 erschlagenen Straßburger Bischof Konrad von Lichtenberg von den
Freiburgern gesetzte Betzenhauser Bischofskreuz 13).
Im 16. Jahrhundert verschwinden dann im allgemeinen die Sühneverträge, obgleich sie in katholischen Ländern hier und
da noch später begegnen. Die Ursache hiervon ist sicher neben der Reformation die Einführung der Carolina, durch die die
weltliche Obrigkeit die Bestrafung des Mordes oder Totschlages in die Hand nahm. Schon 1531 läßt der Bischof von Eichstätt
ein solches Sühnekreuz zerschlagen und fordert die Gefangennahme und Bestrafung des Mörders 14).
Der Tote ist nach altgermanischer Auffassung gleichsam der Forderer der Sühne, der Vergeltung 15), während die Angehörigen
als Kläger nur als Vormund, als Vorständer des Toten auftreten 16). Die Geister des Erschlagenen sollten durch die Sühne zur Ruhe
gebracht und dadurch der Wiedergang verhindert werden. In diesem altgermanischen Glauben wurzelt der volkstümliche Ritus.
Da die Kirche diesen nicht ausrotten konnte, nahm sie selbst sich seiner an und hat ihn in ihrer Weise umgewandelt.
Der Tote fand nach ihrer Auffassung keine Seelenruhe. Sein Lebensfaden war vor der Zeit, die ihm Gott zum Leben bestimmt
hatte, abgeschnitten worden und damit die Vorbereitung zu seinem Seelenheil. So kam das steinerne Kreuz unter das Seelengerate.
Aber es sollte nicht den Spuk wehren, sondern wie Messen, Vigiien u. a. zum Seelenheil des Toten dienen 17).
So war ein Kompromiß christlicher Gedanken mit volkstümlichem Totenkult geschlossen (Schreuer).
Aus den angeführten Urkunden geht also unzweideutig hervor, daß ein großer Teil der noch erhaltenen und geschwundenen
Steinkreuze Sühnekreuze sind. Allein der offizielle Brauch, diese zu setzen, ist auf drei Jahrhunderte beschränkt. Und wir wissen,
daß auch vor und nach dieser Zeit steinerne Kreuze errichtet worden sind, ohne daß es sich dabei um einen Sühnevertrag handelt.
Die Kreuze müssen also ursprünglich eine andere Bedeutung gehabt haben, die auch jederzeit im Volksbewußtsein fortgelebt hat.
Man versteht schon nicht recht, wie das steinerne Kreuz dazu kommt, den Frieden der Seele in kirchlicher Auffassung zu fördern.
Doch noch andere Zweifel tauchen auf. Nach den Sühneverträgen hat der Mörder das Kreuz setzen lassen müssen. Aber nicht
nur Erschlagenen sind Steinkreuze gesetzt worden, sondern vielfach auch Leuten, die durch Unglücksfall, Blitzschlag, Ertrinken
und dgl. eines plötzlichen Todes gestorben sind 18). Ebenso
Selbstmördern und Gehängten 19). Hier hält der Brauch sogar länger an, als
das Sühnekreuz. Und als Erinnerungszeichen, wie man es vielfach auffaßt, läßt es sich oft nicht deuten. Wenn wir aus alter Zeit
darüber weniger schriftliche Zeugnisse haben, so ist das leicht verständlich; denn hier liegt kein Grund zu einer urkundlichen
Aufzeichnung vor wie bei den Sühnekreuzen und nur gelegentlich wird die Veranlassung des Todes mitgeteilt und dieser mit dem
Steinkreuz in Verbindung gebracht. So ist um 1300 dem Gesetzmann Sigurd Brynjolfsson auf Hesthammer im südlichen Berghusamt
in Norwegen ein Steinkreuz dort gesetzt worden, wo er ertrunken war 20).
Oder 1653 am Großen Zschirnstein dem Schönaer Förster Jakob Murre, der beim Fällen einer Eiche verunglückt war 21).
Natürlich mehren sich die Zeugnisse in neuerer Zeit, da nach Aufkommen der Zeitungen Lokalereignisse vielfach in weiteren
Kreisen bekannt werden. So ist noch 1826 in Böhmen einem Fuhrmann ein Steinkreuz gesetzt worden, der von seinem
Wagen erdrückt worden war 22), 1844 in der Lausitz einem
verunglückten Landmanne 23). In katholischen Ländern sind Marterl
und Bildstock 24)
, vielleicht auch die Totenbretter jüngere Sprossen
des steinernen Kreuzes 25).
In all diesen Fällen liegt kein Rechtsbruch vor und deshalb kann auch von einer Sühne nicht die Rede sein. Auch haben
mehrfach Leute, die nicht zur Sühne verpflichtet sind, das Kreuz errichtet, so Angehörige des Ermordeten oder Dorfgenossen,
die zu ihm in gar keinem näheren Verhältnis gestanden haben 26).
Vor allem geschah es, wenn der Mörder unbekannt oder geflohen war 27).
Es galt also als Volksbrauch, und zwar in allen germanischen Ländern, daß allen, die eines unnatürlichen und plötzlichen
Todes gestorben sind, ein Steinkreuz errichtet werden müsse. Gestützt auf diese Tatsache und den fast auf der ganzen Erde
und besonders auch in den germanischen Ländern verbreiteten Steinkult habe ich schon vor 15 Jahren den Ursprung der
Steinkreuzsetzung im Totenkult unserer Vorfahren zu finden geglaubt, in der Angst vor dem Umgehen, dem Spuk der Toten
und vor dem Schaden, den sie dabei anrichten 28). Weitere Quellenzeugnisse haben mich in dieser Auffassung bestärkt.
So berichtet die Zimmersche Chronik zum Jahre 1555: Zwei Gutensteiner haben einen aus Frankreich heimkehrenden
Landsknecht erschlagen und beraubt. Die Mörder bleiben unbekannt und halten sich von dem Leichnam möglichst fern.
Unter sich beschließen sie aber, dem Ermordeten ein Kreuz zu setzen. Das merkt der Amtmann und zwingt sie zur Bahrprobe,
bei der sie als Mörder erkannt und daraufhin hingerichtet werden 29). Hier wird keine Forderung gestellt, ein Kreuz zu setzen;
die Furcht vor dem Toten erklärt allein ihre Handlung, denn an kirchliche Sühne haben die Mörder schwerlich gedacht.
Wie schon hervorgehoben, haben öfter Angehörige oder ganz Fremde dem Toten ein Kreuz errichtet. So haben z. B.
in Meusebach im Altenburgischen in der napoleonischen Zeit die Bauern einem feindlichen Franzosen, den sie erschlagen
hatten, ein Kreuz gesetzt 30). An Sühne oder gar dem Erschlagenen zum Gedächtnis werden sie schwerlich gedacht haben.
Oder Bauern von Schwoosdorf in der Lausitz haben im zweiten schlesischen Krieg einem preußischen Husaren, der als
Deserteur gehängt worden war, ein Kreuz an der Stelle gesetzt, wo sich der Galgen befand 31). Wer die Seele unsrer Bauern
kennt, wird schwerlich behaupten, daß dies aus Mitleid oder Liebe zu dem schönen Jüngling geschehen ist. Wie alle
Gehängten keine Ruhe finden und nach weitverbreitetem Volksglauben spuken, so fürchtete man es auch von diesem,
und das veranlaßte die Kreuzsetzung. Zahlreiche Volksüberlieferungen bezeugen auf gleiche Weise die Furcht vor dem
Wiedergang eines Menschen, der eines unnatürlichen Todes gestorben ist.
Öfter setzte man erst das Kreuz, wenn sich der Spuk zeigte; durch das Kreuz suchte man ihn zu vertreiben, in dasselbe
den Toten zu bannen. So läßt ein schlesischer Bauer ein Steinkreuz setzen, weil ein Gehängter in seiner Umgebung spukt 32);
ein anderer seiner toten Frau, wo ihm diese erschienen ist 33).
Im Taubergrund in Württemberg werden die Leute in der Nacht zwischen elf und zwölf Uhr mit Steinen geworfen, was
erst aufhört, als man hier ein Kreuz gesetzt hatte 34). In Kärnten finden plötzlich Gestorbene erst Ruhe, wenn sie ein Steinkreuz
bekommen haben 35); ebenso in Bayern die ermordeten
Jungfrauen 36). Der Aargauer macht durch die Errichtung eines Kreuzes
den Spuk unschädlich 37), der Walliser Pfarrer läßt das Kreuz
errichten und bannt dadurch die bösen Geister 38).
So bezeugt überall der Volksglaube, daß im Kreuz dem irrenden Toten ein Ruheplatz geschaffen wird.
Gilt nun dieses als Sitz der Toten, so erklärt sich auch die Furcht, die namentlich der Landbewohner vor dem Steinkreuz hat 39).
Er meidet es, besonders während der Nacht, und macht lieber einen großen Umweg, um nur nicht an dem Kreuz vorüberzugehen.
Auch darf das Kreuz nicht von seinem Bestimmungsort versetzt werden. Geschieht es, so rächt sich der Tote. Dem Bauer,
der es tut, stirbt das Vieh im Stalle, sein Feld gedeiht nicht, bis das Steinkreuz wieder an seinen ursprünglichen Platz gestellt ist.
Ein Ulmer nahm es fort und machte einen Dängelstein aus ihm; da lärmt und poltert es in seinem Hause so lange, bis er das
Kreuz seinem Bestimmungsorte wieder gegeben hat. Ebenso ging es einem Jüterbogker Schmied, der das Kreuz abgebrochen
und in seinem Hause erst Ruhe bekommen hatte, nachdem er es wieder an seinen ursprünglichen Ort gebracht. Man hört Wimmern
beim Versetzen des Kreuzes 40). Ebenso verlangt der Kreuzstein, d. i. der mit dem Kreuze versehene Steinblock, das Bindeglied
zwischen Stein und Steinkreuz, ja selbst, der Grabstein an den Platz zurück, wo man ihn ursprünglich gesetzt hat. Der Tote
spricht in dem Stein und verlangt durch Zurücksetzung seine Ruhe. Aus diesem Vorstellungskreise des Volkes erklären sich die
zahlreichen Spukgeschichten, die sich an die Steinkreuze knüpfen 41). Sie sind zwar den Toten als Ruheplätze gesetzt, aber auch
dann können nach dem Volksglauben Ermordete, Selbstmörder, Gehängte, Verunglückte keine Ruhe finden, weil sie vorzeitig
ihr Leben ausgehaucht haben.
Als Irrlichter, feurige Hunde, Raben, als Menschen ohne Kopf schweifen sie umher, beängstigen den Wanderer auf seinem
nächtlichen Gange, verschwinden aber vielfach, sobald man an dem Steinkreuz angelangt ist 42).
In dem Glauben vom Sitz der Toten im Steinkreuz wurzelt auch der Steinkreuzkult, den man noch mehrfach in katholischen
Ländern findet. So werden in Österreich an Steinkreuzen Lichte angezündet für die abgeschiedenen und nicht erlösten Seelen,
wie schon in frühchristlicher Zeit geschah. Oder es wird dort am Allerseelentag für die Toten gebetet und auch sonst, wenn ein
Wanderer vorübergeht 43). In Skandinavien wurden in der katholischen Zeit am Steinkreuz Messen gelesen und gebetet.
Daher hießen die Kreuze bönkors (Gebetskreuze) oder själkors (Seelenkreuze). Vielleicht erinnern die napfartigen Vertiefungen,
die man hier und da in den Kreuzen findet, an Seelenopfer, Nahrungsspenden, die man in früheren Zeiten den Toten gebracht hat,
wie noch bis zur Gegenwart in Schweden auf den sogen. Elfensteinen 44).
So zwingt schon die Volksüberlieferung der letzten Jahrhunderte im Steinkreuze Reste alten Totenkultes zu sehen. Ich erklärte
daher das Steinkreuz als christliche Form älteren Steinkultes. Der Glaube, daß große Steinblöcke Sitze der Abgeschiedenen sind,
ist fast über die ganze Erde verbreitet, wie namentlich Lubbock und Tylor gezeigt haben 45). Auf germanischem Gebiete haben wir aus
heidnischer Zeit den Bericht von dem Isländer Kodran, der nach der durchaus glaubwürdigen Kristnisaga kurz vor Einführung des
Christentums einen Stein verehrte, dem seine Vorfahren geopfert hatten und in dem nach ihrem Glauben ihr Schutzgeist wohne 46).
Noch im ganzen Mittelalter war auf Island, wo sich alter Glaube ganz besonders lange rein erhalten hat, jeder durch seine
Form ausgezeichnete große Stein Wohnung des Hulduvolkes, der Toten, und noch in jüngster Zeit gab es hier landdisasteinar,
in denen die Schutzgeister des Landes wohnen sollten 47).
In allen germanischen Ländern eifern Bußordnungen, Predigten, Gesetze gegen die Opfer und die heidnische Verehrung
der Steine. Galten diese als Aufenthaltsorte der Toten, so lag es nahe, diese dort zu setzen, wo der Mensch gestorben oder
begraben war. Dies erklärt im Norden die Errichtung der Bautasteine 48), an deren Stelle später der Runenstein trat, die wie die
keltischen Menhirs und Cromlechs in und auf Gräbern errichtet wurden. Wir haben hier denselben Glauben wie die Juden an
den sogenannten Geisterstein, von dem sie annehmen, daß die Seele des Toten beim Begräbnis in ihn eingehe.
Dieser Glaube hat sich im Volke bis zur Gegenwart erhalten, wovon fast jede Sagensammlung Zeugnis gibt. Spukgeschichten
knüpfen sich an zahlreiche Steine, in sie bannt man die Wiedergänger, in ihnen wohnen die Geister, auf ihnen ruhen sie aus, auch
sie lassen sich nicht versetzen und wimmern, wenn es geschieht, auch ihnen bringt man Opfer und Spenden, gerade so wie den
Steinkreuzen. Da dieser Steinaberglaube und -kult wegen seiner Verbreitung und seines Alters zweifellos das ältere ist, ist der
Steinkreuzglaube und -kult nur eine besondere jüngere Form, die sich m.E. unter christlichem Einfluß erst entwickelt hat.
Diese Auffassung vom Ursprung der Sühnekreuze habe ich seiner Zeit kurz skizziert 49). Sie hat mehrfach Zustimmung gefunden
und man glaubt, daß durch sie der Weg zur Lösung des Steinkreuzrätsels gefunden werden könne. An sie knüpft auch Kalliefe 50) an,
aber er geht über sie hinaus und sucht den Ursprung dieser Kreuze aus altgermanischem Götterkult zu erklären. Recht hat Kalliefe,
daß das Steinkreuz schon der frühsten christlichen Zeit angehört. Gestützt auf das Kreuz zu Varmissen in Hannover, das die
älteste Jahreszahl (1260) enthalten soll, und auf das Aufkommen der Sühnekreuze fast um dieselbe Zeit nahm ich an, daß das
Steinkreuz den Kreuzzügen seinen Ursprung verdanke. Das ist falsch, wie sich noch zeigen wird, und Kalliefe hat mit der früheren
Datierung recht. Was er aber über den germanischen Götterkult vorbringt, kann ich leider nicht gutheißen. Die Auffassung, die er
von altgermanischer Religion hat, gehört einer vergangenen Zeit an, jener Richtung, über die einst M. Haupt äußerte: "Es wird bald
keinen roten Hahn oder stinkenden Bock mehr geben, der nicht Gefahr läuft, für einen germanischen Gott erklärt zu werden."
Zunächst ist der Götterglaube und -kult bei den Germanen nie etwas Einheitliches gewesen, was die Verbreitung des
Steinkreuzes und der sich daran knüpfende Volksglaube in allen germanischen Ländern voraussetzt. Dagegen ist es der Glaube
an das Fortleben und Wirken des Menschen nach dem Tode und der Totenkult. Welche Bedeutung dieser aber im altgermanischen
Leben gehabt hat, erkennt man am klarsten aus den Arbeiten Brunners und vor allem aus Schreuers Abhandlungen über das
Recht der Toten.
Dazu ist der Totenkult älter als der Götterkult, der sich zum Teil erst aus jenem entwickelt hat. So ist Wodan, der Führer des
wuot, des exercitus feralis des Tacitus, eine chthonische Gottheit, deren Emporsteigen in engstem Zusammenhang mit altem
Totenglauben und -kult steht. Aber mit der Sonne wird er nirgends zusammengebracht, nicht einmal von den nordischen Skalden,
durch die die Odindichtung zur Blüte gelangt ist 51). Deshalb können auch die Radkreuze nicht mit Wodankult in irgendwelcher
Beziehung stehen, und das Rad in den signa der Germanen bei Tacitus (Germ. 7) zu finden, hängt ebenso in der Luft wie
Hammer und Schwert.
Die elf Kreuze von Reichholzheim, zu denen Kalliefe das zwölfte ergänzt, sollen den zwölf germanischen Göttern gesetzt
sein, obgleich selbst im Norden das Zwölfgöttersystem der allerjüngsten mythologischen Dichtung angehört und in Deutschland
sich keine Spur davon findet. Überhaupt findet sich die Elfzahl der Kreuze auch in Baden, wo sie den auf Befehl des Kaisers
hingerichteten elf Ettlinger Ratsherrn errichtet worden sein sollen (Baader, Volkssagen aus Baden Nr. 188).
Die sogenannten Steinkreuznester, die für altgermanischen Götterkult sprechen sollen, erklären sich viel einfacher daraus,
daß mehreren Toten an einer Stelle auch mehrere Kreuze gesetzt worden sind. Auf Berichte hierüber in Sagen ist ja kein Gewicht
zu legen, aber aus dem Sühnebrief zwischen den Herzögen von Braunschweig-Lüneburg und Harbert von Mandeslo geht klar
hervor, daß 1403 den fünf Erschlagenen jedem ein Kreuz gesetzt werden mußte (Schreuer, Das Recht der Toten II, S. 181).
Wie dann ferner die Erzählungen von dem gegenseitigen Mord zweier Brüder mit der nordischen Baldrsage und dem
Kampf zwischen Sommer und Winter zusammenhängen sollen, verstehe ich ebenso wenig wie den Zusammenhang der
gegenseitigen Ermordung der beiden Sichelmädchen mit dem Kult einer altgermanischen weiblichen Gottheit.
Mich lehren die Quellen eine andere germanische Religion als sie zum großen Teil Kalliefe vertritt. Recht muß ihm, wie
gesagt, gegeben werden, daß die Steinkreuze schon dem frühen Mittelalter angehören. Allein die geschichtliche Quelle, auf
die er sich dabei stützt, habe ich nicht auftreiben können. Danach soll Papst Leo III. 779 die Vorschrift gegeben
haben: "Man möge an Wegesecken, wo man sich zu begegnen pflegt, Kreuze errichten."
Kalliefe, dem dann Kuhfahl gefolgt ist, beruft sich auf Kreuzberg und dieser auf Arntz. Bei letzterem steht ganz allgemein,
wie auch seine Nachschreiber übernommen haben: s. Libri Carolini von Alcuin.
Ich habe gleich an dieser Stelle Anstoß genommen, da bekanntlich Leo III. 779 noch gar nicht Papst war und auch als
kleiner Kirchenfürst keine Rolle gespielt hat. Sein Name begegnet auch in den Libri Carolini nirgends, ja kann gar nicht, wenn
diese nach Hefeies einleuchtenden Bemerkungen 790 verfaßt sind 52). Aber auch die Worte finden sich in dem Werke nicht.
Die einzigen Kapitel (Lib II, 28 und IV, 16), in denen die christliche Bedeutung der cruces den imagines gegenübergestellt wird,
berühren diesen profanen Gebrauch des Kreuzes mit keinem Worte.
Auch in den Episteln Leo III. habe ich sie vergeblich gesucht. Ich muß sie daher unberücksichtigt lassen, so sehr sie
auch zu meiner Auffassung von der Geschichte der Steinkreuze paßten. Dagegen findet sich eine Stelle im Corrector des
Burchard von Worms, die wesentlich zur Lösung des Steinkreuzrätsels beiträgt und auch in anderer Beziehung für
altgermanischen Volksbrauch wichtig ist. So vorsichtig man auch bei Benutzung der Bußordnungen zur Feststellung
altgermanischen Volksglauben sein muß und Burchard vieles aus älteren Quellen, namentlich von Martin von Bracara,
herübergenommen hat, so darf man doch sicher annehmen, daß im Corrector ein großer Teil aus dem lebenden Volksglauben
seines Sprengeis geschöpft ist, vor allem das, was sich in ändern Bußordnungen nicht findet. So begegnen im
Corrector drei altdeutsche Wörter (holda, belisa, werwolf); dann sind einzelne Vorgänge, wie der Regenzauber, so
lebhaft dargestellt, daß sich die Darstellung nur aus Autopsie erklärt. Zu diesen Stellen gehört nun auch die über die Kreuze
an Scheidewegen.
Hierüber heißt es (Kap. 5 § 15):
"Comedisti aliquid de oblationibus, quae in quibusdam locis ad sepulcra mortuorum fiunt vel ad fontes aut ad arbores aut ad lapides aut ad bivia aut comportasti in aggerem lapides aut capitis ligaturas, quae in biviis ponuntur" 53).
In diesem Paragraph sind abergläubische Handlungen zusammengefaßt, die alle im Totenkult wurzeln. Denn wie die
Gräber, galten bei den Germanen auch Quellen, Bäume und Steine als Aufenthaltsorte Toter, denen man Opfer brachte.
Aus dieser Stelle geht zunächst klar hervor, daß man um das Jahr 1000 in Westdeutschland Steinkreuze an Kreuzwegen
zu setzen pflegte. Das "ponuntur" deutet an, daß dieser Brauch verbreitet war.
Hiergegen eifert auch Burchard nicht, sondern nur gegen das Niederlegen von capitis ligaturae an den Kreuzen.
Was sind nun diese capitis ligaturae und weshalb legte man sie an den Kreuzen nieder? Ligatura bedeutet in den
Bußordnungen meist Amulett und geht ursprünglich auf den Faden, der den schützenden oder helfenden Gegenstand,
der sich an ihm befindet 54), mit einem Körperteile des Menschen verbindet. Capitis ligaturae sind also Kopfbänder, vielleicht
verknotete Kopfbänder, da der Knoten im Heilzauber wie bei fast allen Völkern auch bei den Germanen eine wichtige Rolle
spielt (vgl. Frazer, The golden bough I, S. 392 ff; Wolters, Arch. f. Relig. Wiss., Beiheft zum 8. Bde. S. i ff).
Nun finden sich noch heute in katholischen Ländern in Kirchen und Kapellen zahlreiche Votivgaben und Weihgeschenke
aufgehängt, jene als Dankesgabe für gewährte Gesundheit oder Unterstützung, die der Kranke vom Kirchenheiligen empfangen
zu haben glaubt, die Weihgeschenke, um von dem Schutzpatron Heilung oder Unterstützung zu erlangen. Im letzteren Falle
sind die kranken Glieder in Holz oder Wachs nachgebildet oder es sind Gegenstände, die mit dem kranken Gliede des Menschen
in näherer Verbindung gestanden haben. Der Glaube an die Kraft solcher Weihgeschenke ist ja weit verbreitet. Er findet sich bei
den Israeliten, bei den Ägyptern, den Griechen und Römern und ist bei diesen Kulturvölkern meist an den Götterkult geknüpft,
weshalb diese Gegenstände im Göttertempel niedergelegt oder aufgehängt wurden. Auch bei den Germanen hat er schon in
heidnischer Zeit geherrscht, wie aus den zahlreichen Verboten dieses Volksglaubens von Geistlichen hervorgeht. So schreibt
der heilige Eligius von Noyon im 7. Jahrhundert an die Geistlichkeit: 55)
"pedum similitudines, quos per bivia ponunt, vetate."
Pirmin der erste Abt von Reichenau, mahnt: "Membra ex ligno facta in trivios et ad arbores vel alio nolite facire neque
mittere, quia nulla sanitate vobis possunt prestare" 56). Und der 29.
Abschnitt des Indiculus superstionum handelte "De ligneis pedibus vel manibus pagano ritu." 57).
Auch Burchard von Worms läßt die Menschen schwer büßen, die "nefaria ligamenta aut in arbores abscondunt aut in
bivio aut in trivio projiciunt, ut aut sua animalia vel canes liberent a peste et a clade" 58).
Aus diesen Zeugnissen, die germanischen Brauch widerspiegeln, geht klar hervor, daß die Deutschen in vorchristlicher
Zeit nachgebildete Glieder an Kreuzwegen niederlegten, um dadurch Heilung von Krankheiten zu erlangen. Unter römischem
Einfluß sind dann frühzeitig diese Gegenstände in den Tempeln aufgehängt worden. Dieses zeigt sich zuerst in der
Rheingegend, und zwar noch im Heidentum.
Im 6. Jahrhundert berichtet Gregor von Tours über einen heidnischen Tempel in Köln: "Ibi (in templo) membra, secundum
quod unumquemque dolor attigisset, sculpebat in ligno" und dann weiter: "visi enim in eo barbari gentili superstitione modo auri
argentique dona, modo fercula ad potum vomitumque ebrii offerre, cultumque, quo nihil insanius, istic simulacrum inanis dei, ac
ut quemque affecti membri dolor presserat, sculpebet in ligno suspendelatque opitulaturo idolo" 59).
Dieser Brauch, der fest im Volke wurzelte, gab nach Aufkommen des Heiligen- und Reliquienkultes der Kirche Veranlassung,
sich desselben anzunehmen, und so wurden Kirchen und Kapellen Aufnahmeorte von Weihgeschenken einzelner Personen,
die dadurch ihr Leiden zu heben glaubten. Wurden diese Nachbildungen und Verbindungsgegenstände in vorchristlicher Zeit an
Kreuzwegen niedergelegt, so haben wir hierin einen sicheren Beweis, daß man diesen Brauch in heidnischem Totenkult zu suchen
hat.
Denn die Kreuzwege waren, wie allgemein bekannt ist, im Volksglauben zahlreicher Völker, so auch der Germanen,
Aufenthaltsorte der Toten. Übrigens hat man hölzerne Nachbildungen menschlicher Glieder auch in Gräbern gefunden 60).
Und der Heiligenkult ist nur Umwandlung altheidnischen Totenkultes. Mit Recht sagt daher Hauck in Anlehnung an die Worte des
Indic. superst. "De eo, quod sibi sanctos fingunt mortuos."
"Was sind die Heiligen anders als tote Menschen? Es war wieder eine naive Forderung aus der kirchlichen Übung, wenn
man die Ahnen der eigenen Familie in den Kreis der himmlischen Schutzmächte versetzte" 61).
Zu diesen Weihgaben gehören nun auch jene capitis ligaturae, die dem Wortlaut nach zur Heilung eines Kopfleidens dienen
sollten. In Andrees grundlegendem Werke über Votive und Weihgaben 62) findet man nur Kopfurnen aus Ton oder Holzköpfe als
Abwehrmittel von Kopfleiden, aber in der Kirche von Kiedrich im Rheingau, die dem heiligen Valentin geweiht ist, werden noch
jetzt Wachsfaden niedergelegt, die bei Verkäufern vor der Kirche zu haben sind. Diese Fäden werden bei Kopfweh um den
Kopf gelegt und dann in der Kirche dem heiligen Valentin geopfert 63). In ganz ähnlicher Weise wird im Hans Jochenwinkel bei
Salzwedel in der Altmark bei Kopfweh ein Faden um den Kopf gewunden und dann an einen Baum gehängt 64). Bäume sind aber, wie
schon bemerkt, wie Steine Sitze und Verehrungsorte der Toten. Hieraus erklärt sich auch das Verpflöcken der Krankheiten.
In diesen Fäden sehe ich die Nachkommen der capitis ligaturae Burchards, und wie jene hat man auch diese zur Heilung
von Krankheiten, und zwar Kopfkrankheiten verwandt, nur erhoffte man die Heilung nicht von einem Heiligen, sondern von den
Toten 65). Und diese lebten fort in den Steinkreuzen, die man an Kreuzwegen oder Weggablungen zu setzen pflegte. Bei Burchard
haben wir die frühste Angabe der Tatsache, daß Kreuze und Scheideweg eng miteinander verbunden sind. Sie lebt im
Volksglauben durch die Jahrhunderte fort bis zur Gegenwart. Nach den Sühneverträgen sollte das Steinkreuz, wenn ein Ort
angegeben wird, entweder am Orte der Tat oder am nächsten Kreuzwege gesetzt werden.
So heißt es z. B. in einem fränkischen Sühnevertrag vom Jahre 1383: Der Mörder soll an der nächsten Wegscheide,
wo der Schenk von Lochof erschlagen ward, ein Kreuz setzen 66).
Ebenso soll nach schlesischen Urkunden aus dem Jahre 1501 und 1512 der Mörder das steinerne Kreuz an einem
Scheideweg setzen lassen 67). So findet sich denn auch eine große Zahl der noch erhaltenen Steinkreuze an Scheidewegen
oder geschwundene und versetzte sind an ihnen nachweisbar, sowohl in Deutschland wie in Skandinavien.
In den von Kuhfahl in Sachsen nachgewiesenen Kreuzen sind 38 an Kreuzwegen und Weggablungen errichtet worden.
Fast in allen Aufzählungen der Steinkreuze in den einzelnen Ländern (Württemberg, Bayern, Böhmen u.a.) wird betont, daß
sich diese ganz besonders an oder nahe bei Kreuzungen von Straßen und Wegen befinden. So besteht in der Anschauung
des Volkes zwischen Steinkreuz und Kreuzweg der engste Zusammenhang, an beide knüpft sich der gleiche Aberglaube.
Kreuzwege spielen wie bei vielen ändern Völkern auch bei den germanischen in der Volksphantasie eine wichtige Rolle.
Sie sind die Ruheplätze der Toten wie ja auch bei ändern Völkern, z. B. bei den Griechen, wo man an ihnen ihrer Herrin Hekate
Opfer brachte. Es gibt fast keine deutsche Sagensammlung, in der sich nicht Wiedergängersagen an Kreuzwege knüpften.
Hier erscheinen die Toten als Irrlichter, als feurige Hunde, als Menschen ohne Kopf, als feurige Reiter und dergleichen,
gerade so wie an den Steinkreuzen. Hier kann man die Wilde Jagd, das Wütende Heer, die Schar der Toten, sehen, hier
rastet sie mit ihrem Führer. Hier wird das Geschirr des Toten zerschlagen, damit er nicht wiederkehre. Hier sucht man durch
Zauber Krankheiten zu heilen; hier treiben die Hexen ihr Zauberhandwerk und beschwören die Toten. Ganz besonders während
der Zwölfnächte, der Zugzeit der Toten, treiben diese hier ihr Wesen. Daher eignen diese Tage sich vor allem zum Zauber
und zur Prophetie, wenn man erfahren will, was sich im künftigen Jahre ereignet, wer in ihm sterben wird 68).
Noch aus jüngster Zeit haben wir Zeugnisse, daß man sich am Silvesterabend auf den Kreuzweg setzte, um nach
verschiedenen rituellen Handlungen die Zukunft zu erfahren. Dieses Draußensitzen am Kreuzwege, die ütiseta während der
Jul- und Neujahrsnächte, verbieten schon die altnorwegischen Gesetze als heidnischen Brauch.
Wie lebendig die Vorstellung von diesem Aufenthaltsort der Toten in der Volksphantasie noch ist, zeigt die Tatsache,
daß man mehrerenorts an Kreuzwegen Stroh niederlegt, damit die Toten auf ihm ausruhen können. Um Krankheiten der
Menschen oder des Viehs zu heilen, legt man an den Kreuzwegen wie an den Steinkreuzen Votivgaben und Weihgeschenke
nieder 69). Wie in alter Zeit zündet man in katholischen Gegenden an ihnen noch heute Lichte an. Gegen diesen Brauch
eifert im 6. Jahrhundert schon Martin von Bracara, indem er an die Geistlichen seiner suevischen Bauern schreibt: "Nam
ad petras et ad arbores et ad fontes et per trivia cereolos incendere, quid est aliud nisi cultura diaboli?" 70)
Und Pirmin predigt: "Ad trivios nolite adorare nee redire" 71).
Als dann der orientalische Teufelsglaube nach dem Abendland kam und sich hier mit heimischem Hexenglauben verband,
da wurde der Kreuzweg Aufenthaltsort des Teufels, wo der Mensch mit ihm verkehrte, wo er neben den Totenbeschwörungen
auch Teufelbeschwörungen vornahm und ihm Spenden brachte. So wurde der Scheideweg auch vielfach Versammlungsplatz
der Hexen, auf dem sie mit dem Teufel zusammenkamen und hier seine Unterstützung erhielten 72).
Wie bei vielen ändern Völkern ist somit auch bei den germanischen der Kreuzwegglaube und -kult auf alten Totenglauben
und Totenkult eingestellt. Und setzte man nach alten und jungen Zeugnissen die Steinkreuze an Scheidewege oder in deren Nähe,
so müssen auch diese in altem Totenglauben und Totenkult wurzeln, wohin ja schon die Volksüberlieferung der Gegenwart und
die capitis ligaturae Burchards führten. Hierzu stimmen nun auch die ändern Worte des betreffenden Paragraphen bei
Burchard: "comportasti in uggerem lapides", deren Inhalt ein Brauch gleichen Volksglaubens ist wie das ,comportare capitis
ligaturas ad cruces'.
Das ,aut' scheidet und verbindet zwei parallele Handlungen. Die Bedeutung der Worte ist klar. Sie gehen auf den weit über
die Erde, auch im Altertum verbreiteten Brauch, Steine auf den Todesort oder Begräbnisplatz eines Menschen zu werfen,
der eines unnatürlichen Todes gestorben ist. Noch in der Gegenwart ist die Steinhäufung oder Steinniederlegung an Mordstellen
in den germanischen Ländern nicht ausgestorben. Öfter ist sie mit Häufung von Dorngebüsch in Verbindung gebracht.
In frühchristlicher Zeit rügt Martin von Bracara den heidnischen Brauch, daß Leute an Kreuzwege gehen und dort (homines)
in quadriviis transeuntes, "jactatis lapidibus acervos petrarum pro sacrificio reddunt" 73).
Auch hier ist neben der Pflicht gegen die Toten die Angst vor ihrem Umgehen die Veranlassung des Kultes gewesen.
Wie auch dieser Brauch in primitivem Totenkult wurzelt, ist von Andree, Liebrecht, Kahle, Nilsson u. a. hinreichend erwiesen 74).
So stützt auch dieser parallele Brauch die Auffassung, daß die Sitte, Steinkreuze zu errichten, auf alten Totenkult zurückgeht.
Es gilt noch die Frage zu erörtern, wie man auf das Kreuz gekommen ist. Neuere Forscher neigen der Ansicht zu, daß das
Kreuz germanischen Ursprungs sei und schon der heidnischen Zeit angehöre, da man es bei verschiedenen außereuropäischen
Völkern zu ähnlichem Zwecke verwendet finde. Ich halte das nicht für richtig. Wir besitzen aus vorchristlicher Zeit zahlreiche
Steindenkmäler, die ebenfalls mit dem Totenkult zusammenhängen - ich verweise auf die nordischen Bauta- und Runensteine -,
aber kein einziges hat die Kreuzesform. Erst unter dem Einfluß des Christentums taucht das Kreuz auf, wie schon Liljegren
(Runlära S. 141) gezeigt hat.
Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es nach dem Norden durch den Verkehr mit England gekommen. Die Steinkreuze mit
Inschriften, z.T. mit Runeninschriften, die sich in Skandinavien, namentlich auf Gotland befinden, gehören erst dem 13. und den
folgenden Jahrhunderten an. Ich glaube auch, daß in den Bußordnungen und Predigten gegen den Kreuzeskult angekämpft worden
sein würde, wie gegen den Stein-, Baum- und Quellenkult, wäre das Kreuz heidnischen Ursprungs gewesen.
Vielmehr scheint es erst in christlicher Zeit, und zwar zunächst in Britannien aufgekommen zu sein, wo es sich schon
im 7.Jahrhundert findet. Die Vermutung liegt nahe, daß der Brief Gregors an Mellitus (Beda, Hist. eccles. I. K. 30) Veranlassung
gegeben hat, die Kreuzesform einzuführen. Von da hat sie sich mit der angelsächsischen Mission über das ganze germanische
Gebiet verbreitet und sich so neben die ältere Form des einfachen Steines gestellt. Da sich das Steinkreuz mit dem Symbol der
Christenheit berührte, ja aller Wahrscheinlichkeit nach aus diesem hervorgegangen ist, hatte die Kirche natürlich dagegen nichts
einzuwenden, und so läßt sie den alten Steinkult in dieser Form bestehen, ja nimmt denselben sogar unter ihre Fittiche.
Und nun läßt sich die Geschichte unserer Steinkreuze kurz zusammenfassen: Allgemein verbreitet unter der Menschheit ist
der Glaube an das körperliche Fortleben des Menschen nach dem Tode und die Angst vor seiner Wiederkehr, um den Lebenden
zu schaden. Aufenthaltsorte der Toten auf ihren Fahrten waren die Kreuzwege, Ruheorte die Gräber oder die Orte, wo der Mensch
den Tod gefunden hatte. Hier errichtete man ihm Steine, damit er in diesen wohnen, auf ihnen ausruhen könne.
Auch dieser Steinkult ist weit über die Grenzen Germaniens verbreitet. Besonders germanisch dagegen scheint das
Niederlegen von Weihegaben an den Scheidewegen zu sein, um dadurch Krankheiten zu heilen; wenigstens habe ich den
Brauch bei keinem ändern Volke nachweisen können. Da kommt mit dem Christentum die Sitte auf, an Stelle des einfachen
Steines ein Steinkreuz zu setzen.
So verschmolz in der Kreuzsetzung Volksglaube mit christlicher Symbolik, aber jener überwiegt und hält sich im Volke
durch die Jahrhunderte. Daher setzte man die Steinkreuze besonders an den Kreuzwegen bzw. Weggablungen oder in ihrer
Nähe. Im Volksglauben war und blieb das Kreuz wie der Stein Aufenthaltsort, Ruheort der Toten, an dem man den Totenpflichten
nachkam, um den Toten Ruhe zu verschaffen und schädigenden Wiedergang zu verhindern.
Als dann die Kirche für sich das Recht in Anspruch nahm, in Mord- und Totschlagfällen mitzusprechen und die aus
altgermanischem Recht entnommene Sühne vorzuschreiben, führte sie das Seelengeräte ein (Messen, Vigilien, Pilgerfahrt usw.),
wodurch den armen Seelen der Ermordeten Erlösung und Ruhe verschafft werden sollte.
Zu diesem gesellte sich um 1300 auch der volkstümliche steinerne Kreuz. So wurde dieses zum Sühnekreuz. Im Lauf der
Zeit ward dann im Volksbewußtsein die eigentliche Bedeutung der Kreuzsetzung vergessen, der Brauch blieb, aber eine neue
Bedeutung wurde ihm untergelegt. Das Kreuz wurde Gedächtnismal an eine Person oder irgendein wichtiges Ereignis, wie schon
zeitig in Britannien; zum steinern Kreuz gesellte sich das hölzerne und dies lebt vielfach in den Martern und Bildstöckeln fort.
Man zog über das Kreuz den Grenzstrich und so begegnet es zuweilen als Grenzzeichen, ist es aber nicht von Haus aus 75).
Als Hexensammelplatz wurde es Wetterkreuz. Auch Gerichtsverhandlungen fanden hier und da an ihm statt. Wie auch dabei
noch der alte Volksglaube vom Totenkreuz mit hineinspielt, zeigt die Dorfgerichtsordnung von Kalchofen, wo der Landknecht
beim Steinkreuz das Halsgericht mit den Worten zu beschreien hatte: "Auf, ihr Lebendigen und Toten, kommt auf den und den
Tag zum Halsgericht!" 76).
Aber das alles sind erst spätere Entwicklungsstufen, die neue kulturelle Verhältnisse geschaffen haben. Von ihnen darf
die Kreuzsteinforschung nicht ausgehen, wenn man den Ursprung dieser alten Denkmäler verstehen will. Hier löst nur geschichtliche
Betrachtung und Eindringen in die Volksseele das Rätsel.
(Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Phil.-hist. Klasse, 81. Band, Heft 1, Leipzig 1929)Literaturverweise:
1) Die allgemeinen Fragen, die sich an die Sühnekreuze knüpfen sind in letzter Zeit wiederholt dargelegt worden, so daß ich sie hier nur kurz berühre. Vgl. Frank, Deutsche Gaue IX, 145 ff., Nagele, Zschr. des Ver. f. Volkskunde XXII, 253 ff., 375 ff.; Ders. Württemberg. Jahrb. f. Statistik und Landeskunde 1913, 377 ff.; Walter, Vom Steinkreuz zum Bildstock 9 ff.; Kalliefe, Korrespondenzbl. der deutschen Gesch.-und Altertumsver. 1918, Sp. 167 ff.; Kuhfahl, Die alten Steinkreuze in Sachsen S. 13 ff.
2) A. Rimner, Ancient Stenecrosses of England (London 1875); W. Seymour, The cross in tradition, history and art (New York and London 1898); vgl. auch Kermode, Catalogue of the Manks Grosses with the Runic Inscriptions2 (London 1982).
3) Bendixen, Oldtiden II. 2, 75 ff.; Nicolaysen, Norske Fornlevninger S. 301—387, 480—513, 613, 642 (öfter neben dem Bautastein).
4) Hildebrand, Sveriges Medeltid II, 407 ff.; Säve, Svenska Forn-minnes för. Tidskr. II, i ff. Hier sind vor allem die Radkreuze zahlreich vertreten, die alle erst dem späteren Mittelalter angehören, wie aus den Inschriften hervorgeht. Besonders von Interesse ist das Kreuz bei Bondarfve (S. 6), das auf seiner Rückseite die Mordszene bildlich darstellt, die Veranlassung zur Kreuzsetzung gegeben hat.
5) Das erwähnte Kreuz von Bondarfve auf Gotland mit der Mordszene enthält auf der Vorderseite in Runen die Bitte, für das Seelenheil des Toten zu beten.
6) Eine gute Übersicht dieser Namen gibt Kalliefe a. a. O. Sp. 173.
7) So begegnet der Doppelmord: Wucke, Sagen der mittleren Werra Nr. 21 (zwei Zimmerleute); Nr. 784 (zwei Mädchen aus Eifersucht); Deutsche Gaue IX, S. 158; Voges, Sagen aus dem Lande Braunschweig Nr. 231; Birlinger, Aus Schwaben I, S. 288; Zschr. d. Ver. f. Volksk. V, 206; 17, S. 99; Zschr. f. österr. Volksk. III, 75, 77. Auch öfter mehrere, denen dann jedem ein Kreuz gesetzt worden sein soll: Peter, Volkstümliches aus Österreich. Schlesien II, S. 128. (Sieben Fürsten haben sich gegenseitig getötet); Baader, Volkssagen aus dem Lande Baden Nr. 410 (10 Burschen).
8) Temme, Volkssagen der Altmark S. 14; Schmitz, Volkstümliches aus dem Siebengebirge S. 128; Seifart, Sagen aus Stadt und Stift Hildis-heim S. 69.
9) Sammelblatt des Histor. Vereins Eichstätt VI, i ff. und VII, i ff.
10) Frauenstädt, Blutrache und Totschlagsühne S. iSiff.
11) Marie Eysn, Zschr. f. österr. Volkskunde III, 65ff.; Wilhelm, Mitt. des Ver. f. sächs. Volksk. IV, 37 ff.; Ders. Zschr. f. österr. Volksk. X, 22off.; Deutsche Gaue IX, i89f.; Meiche, Neues Archiv f. Sächs. Gesch. u. Altertumsk. XL, 190ff.; Nagele, Württemberg. Jahrbücher 1913, S. 401 ff.
12) Das Recht der Toten. Zschr. f. vergleichende Rechtswissenschaft XXXIV, S. 180.
13) Albert, Freiburg. Diöz.-Arch. N. F. III, 340ff.; Nagele, Zschr. d. Ver. f. Volksk. XXII, 267.
14) Sammelbl. des Histor. Vereins Eichstätt 1892, S. 2.
15) Man vgl. den Bericht der isländ. Svarfdoela saga aus heidnischer Zeit (Isl. Forns. III, 6iff.): Ein gewisser Klaufi war von den Brüdern seiner Frau erschlagen worden. Da erscheint er am Bette seiner Gattin und ängstigt diese. Sie bittet infolgedessen ihre Brüder um ihren Beistand. Diese schlagen dem Toten das Haupt ab und setzen es unten an die Fußsohlen. Da erscheint Klaufi seinen Sippengenossen und fordert sie auf, seinen Tod an den Mördern zu rächen. Nun kommt es zwischen den Brüdern der Yngvild, Klaufis Frau, und Klaufis Verwandten zum Kampfe, an dem der Tote selbst teilnimmt, bis er durch einen Feuerbrand vertrieben wird. Jetzt greift das Thing ein, und die Mörder werden aus dem Lande verwiesen. Aber bald kehren sie heimlich zurück. Da erscheint Klaufi wieder; er ist noch nicht gerächt. Jetzt straft er seine eigenen Verwandten; er wird zum Nachzehrer und in Menge sterben Menschen und Tiere. Erst als Klaufis Körper verbrannt und die Asche in eine heiße Quelle versenkt ist, hört der Spuk auf.
16) Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte2 I, 255.
17) Auch dies Seelengerät wird von denen gefordert, die eines unnatürlichen Todes gestorben sind. Vergl. Temme, Die Volkssagen der Altmark S. 134, wo der spukende Hans Schartauen, der in der Ohre ertrunken ist, eine gewisse Anzahl von Vigilien zu seiner Erlösung verlangt.
18) Vom Blitz erschlagen: Deutsche Gaue IX, 185; Meiche, Sagenbuch des Königreichs Sachsen Nr. 1123, 1138; Naumann, Steinkreuze und Kreuzsteine von Bautzen und Umgegend S. 9; Birlinger, Aus Schwaben I, S. 288; Gress, Holzlandsagen S. 60; Eisel, Sagenbuch des Voigtlandes Nr. 727; Zschr. d. Ver. f. Volksk. XXII, 263f. - Erfroren: D. Gaue IX, 184; Naumann S. 13; Zschr. f. österr. Volksk. IX, 170. - Ertrunken: Naumann S. 12; Meiche Nr. 817; Pröhle, Harzsagen Nr. 245; Wucke, Sagen der mittleren Werra Nr. 389, 736. - Vom Wolfe zerrissen: Deutsche Gaue IX, 184; Birlinger, Aus Schwaben I, Nr. 313; Engelien u. Lahn, Der Volksmund in der Mark Brandenburg S. 45. - Vom Pferd erschlagen: Zschr. f. österr. Volksk. IX, S. 166; von Ochsen getötet Naumann S. 43; von einem Baum oder Gestein: N. Arch. f. Sachs. Gesch. XL, S. 192; Naumann S. 7; Stöber, Sagen des Elsasses (neue Ausg. von Mündel) I, Nr. 144; vom Wagen gestürzt: Deutsche Gaue IX, S. 165; 184; Hoffmann, Sagen aus dem Ruhrgebiete Nr. 236; Voges, Sagen aus dem Lande Braunschweig Nr. 223; Naumann S. lof. - Allgem. verunglückt: Naumann S. 24, 29; Meiche Nr. 1113, 1133, 1134; Sagen aus dem Ruhrgeb. Nr. 119; Eisel, Sagenb. des Voigtlandes Nr. 717; Mitt. über volkstüml. Überlieferung aus Württemberg 7, S. 356.
19) Knoop, Ostmärkische Sagen Nr. 32; Müllenhof, Sagen aus Schleswig-Holstein u. Lauenburg Nr. 91; Kühn, Westfälische Sagen I, Nr. 279; Bindewald, Oberhessisches Sagenbuch S. 139; Birlinger u. Bück, Volkstümliches aus Schwaben I, S. 172. Vgl. dazu Reiser, Sagen des Allgäus II, S. 3iof.; Rosen, Om Dödsrike och Dödsbruk i fornnordisk Religion S. 45 ff. Einem ermordeten Verräter ist ein Kreuz gesetzt, wo man ihn lebendig begraben hat: Lyncker, Sagen u. Sitten in hessischen Gauen S. 185f.; ebenfalls einem als Kindesmörderin hingerichteten Mädchen: Rochholz, Schweizersagen aus dem Aargau I. Nr. i8if.
20) Haukanaes, Hardanger 7. Del. S. 33of. Das soll um 1300 (nach dem 3. März 1293 s. Nicolaysen, Norske Fornlevn. S. 373) geschehen sein und an dem Kreuze sollen Seelenmessen stattgefunden haben.
21) N. Arch. f. Sachs. Gesch. XL, S. 192 f.
22) Deutsche Gaue IX, S. 184.
23) Naumann, S. lof. (Kreuzstein); ein solcher auch noch einem am 12. Juni 1876 vom Blitz erschlagenen Manne ebd. S. 13.
24) Walter, Vom Steinkreuz zum Bildstock (1923).
25) Am Urquell II, S. 101; Zschr. f. öster. Volksk. XIII, 119.
26) Der Vater für den erschlagenen Sohn: Hyckel, Schlesischer Sagenborn S. 64; Der Mann der ermordeten Frau: Voges Nr. 226. Kleine Leute dem vom Herzog von Braunschweig erschlagenen Dietrich Mandelsloh: Heimatbuch des Landkreises Linden S. 16f.; Bauern dem erschlagenen Einsiedler: Schöne, Oybin-Sagen S. 18; einem Selbstmörder und dessen Opfer, dem erschlagenen Bruder: Graber, Sagen aus Kärnten S. 435; Bauern einem erschlagenen Enken: Voges Nr. 228; dem von Zigeunern 1642 erschossenen Poschenbauer: Zschr. f. österr. Volksk. III, S. 77; die Freiberger ihren ermordeten Ratsherren: Meiche Nr. 1126; zwei Gemeinden einem erschlagenen Abt: Stöber-Mündel, Sagen des Elsaß II, Nr. 195; Freunde ihrem erschlagenen Kameraden: Lübische Geschichten Nr. 137; Fremde einer ermordeten Jungfrau; Thiele, Danmarks Folkesagn I, S. 257; einem erschlagenen Mönche ebd.
27) Monatsbl. f. pommersche Gesch. 1904 S. 21; Voges Nr. 230; Meiche Nr. 1119.
28) Mitt. des Vereins f. sächs. Volksk. VI, S.
29) Zimmersche Chronik II, S. 512f.
30) Greß, Holzlandsagen S. I26f. (im Befreiungskriege); ebenso Kärntner Bauern einem 1813 von einem Österreicher erschossenen Franzosen: Graber Nr. 518.
31) Meiche Nr. 1139.
32) Kühnau, Schles. Sagen I, Nr. 148.
33) Ebd. I, Nr. 296.
34) Alemannia XXIV, S. 2.
35) Graber, Nr. 592.
36) Panzer, Bayr. Sagen I, Nr. 197.
37) Rochholz, Sagen aus dem Aargau I, Nr. 208.
38) Jegerlehner, Sagen aus Unterwallis S. 77. - Weitere Zeugnis von Steinkreuzsetzung gegen den Wiedergang: Kühnau II, Nr. 1105 1244; III, Nr. 1744; Graber, Nr. 592; Kunzendorf, Sagen der Provinz Brandenburg Nr. 197; Zschr. f. österr. Volksk. I, S. 307.
39) Graber Nr. 590; Am Urquell II, 101; IV, 15. Zschr. f. österr. Volksk. II, 73.
40) Voges, Nr. 231, 232; Birlinger, Aus Schwaben I, Nr. 313, 2; Märkische Sagen Nr. 87; Schambach-Müller, Niedersächs. Sagen S. (Nr. 6); Meiche Nr. 335. Der Tote verlangt das Steinkreuz: Strackerjan I, Nr. 171 d; Zingerle, Sagen aus Tirol Nr. 502; Volksk. der Jülicher Lande Nr. 205; Graber Nr. 592; Sagen aus Unterwallis S.77; Kunzendorf, Brandenburg Nr. 20; Panzer, Bayr. Sagen I, Nr. 197.
41) Kühnau I, Nr. 67; 281; III, Nr. 2035; Rochholz, Sagen aus dem Aargau I, Nr. 181e; II, Nr. 261, 437; Graber Nr. 107, 269, 282, 295 (der Zauberer kommt aus dem Kreuz und verschwindet beim nächsten); Jülicher Volksmund Nr. 173, 230; Sagen aus Unterwallis S. 79; Baader, Volkss. aus Baden Nr. 163, 188, 217, 410; Jänner, Mythen des Hörselberges S. 12; Wucke Nr. 267 (Sammelplatz der Hexen); Haas, Pommersche Sagen Nr. 12, 22; Meiche Nr. 352; Wolf, Niederländische Sagen Nr. 559; Stehle, Volkstümliches aus Hohenzollern 8.7; Vernaleken, Mythen u. Bräuche in Österreich S. 46, 47, 100; Birlinger, Aus Schwaben I, Nr. 199, 12; 206; Zschr. f. österr. Volksk. X, 93.
42) Strackerjan I, Nr. 171; Kühnau I, Nr. 398; III, 1710, 1817; Rochholz I, Nr. 208; Jülicher Volksmund Nr. 96; Birlinger, Aus Schwaben I, Nr. 241; Vonbun, Sagen aus Vorarlberg Nr. u.
43) Deutsche Gaue IX, S. 150, 161, 180, 189; Zschr. f. österr. Volksk. III, 65, 70, 76; Erzgeb. Zeitung 1905 S. II, 26 (Opfergaben); der Bräutigam muß mit der Braut drei Tänze um das Kreuz tanzen, Zschr. f. österr. Volksk. VI, 173.
44) Naumann, Steinkreuze S. 22. Deutsche Gaue IX, 163; Eisel, Sagen des Voigtlandes Nr. 973.
45) J. Lubbock, Die Entstehung der Civilisation, übers, von Passow .S. 253ff.; Tylor, Die Anfänge der Cultur II, S. 161 ff.
46) Kristnisaga (Saga Bibl. XI) hg. von Kahle, Kap. 2.
47) Zschr. d. Ver. f. Volksk. VI, 381; Kälund, Bidrag til en hist.-topografisk Beskrivelse af Island I, 581. Die Bußordnungen eifern überall gegen den Steinkult, vgl. Caspari, Homilia de sacrilegiis S. 17 ff.
48) Sehr oft finden sich in Norwegen die Steinkreuze neben den Bautasteinen.
49) Mitteilungen des Ver. f. Sachs. Volkskunde VI, 79ff. Dort habe ich auch mehrere Steinsagen angeführt, aus denen der Glaube des Volkes als Sitz der Toten folgt, die ja sehr oft durch dämonische Wesen vertreten sind. Daß wir es hier mit einem lebendigen Volksglauben zu tun haben, bezeugen die alten nordischen Gesetze. So verbietet das jüngere Christenrecht des Gulathing an die Landgeister zu glauben, die in Steinen wohnen (NgL. II, 326), oder ihnen da zu opfern (Sverrirs Christenrecht, Ebd. I, 430) und dort die Zukunft zu erkunden, indem man die drauga eda haugbüa weckte (Christenrecht des Gulathing NgL. II, 308, 327). Auch die isländ. Gesetze verbieten zu glauben a steina til heilendis (Grägäs efter Stadarhölsbök S. 27). Bis in die Neuzeit gehen die Opfer an Steinen: Aarb. f. dansk Kulturhist. 1894, S. 71. Ganz wie unter Steinkreuzen hört man es unter Steinen wimmern: Märkische Sagen Nr. 97, 109; Maal og Minne 1911, S. 311; sieht Spukgestalten: Strackerjan I, Nr. 185bb; Niedersächs. Sagen Nr. 56; Isländ. Volkssagen übers, von M. Lehmann-Filhes I, S. 132, 172 (der Tote in den Stein gebannt); auf ihm ruhen die Geister aus: Märkische Sagen Nr. 237; das Holzweibel: Kühnau II, Nr. 813; die Wasserjungfrau ebd. Nr. 930; der Wassermann ebd. Nr. 863; wer im Grabe keine Ruhe findet, dem wird ein Stein gesetzt: Niedersächs. Sagen Nr. 54; verrückte Steine verlangen an ihren ursprünglichen Ort zurück: Strackerjan I, Nr. i87d; Niedersächs. Sagen Nr. 56; Knoop, Volkssagen aus dem östl. Hinterpommern Nr. 125; Zschr. d. Ver. f. Volksk. VII, S. 134. Die Zeugnisse lassen sich noch vielfach vermehren. Überall zeigt sich, daß sich an die Steine derselbe Volksglaube knüpft wie an die Steinkreuze. Dazu kommt noch, daß die Steine oft verwandelte Menschen sind und daß sie bluten wie die Bäume und sich bewegen.
50) Korrespondenzbl. des deutschen Geschichts- und Altertumsver. 1918, Nr. 7/8; Zschr. f. Ethnologie 1920/21, H. i.
51) Vgl. Wodan in Hoops, Reallex. der German. Altertumskunde II S. 559ff. - Meine Ausführungen in Germanica, Festschr. f. Edi Sievers, S. 258 ff.
52) Hefele, Conciliengeschichte III, S. 697.
53) Ich habe den Text von Friedberg "Aus deutschen Bußbüchern" S. 90 mit unbedeutenden Änderungen nach der Freiburger Handschrift zugrunde gelegt, da Friedberg die Abweichungen von den ändern Bußordnungen und die Stellen, die sich nur im Corrector finden, durch den Druck kenntlich gemacht hat. Daß in diesen Stellen unbedingt deutscher Brauch vorgelegen hat, zeigt auch F. Schneider, Arch. f. Religionswissenschaft XX, S. 363.
54) Die Gange unter Ligatura versagt hier. Ich habe daher die Bedeutung des Wortes in den Bußordnungen aus diesen selbst suchen müssen.
55) J. Grimm, Deutsche Mythologie III, S. 402.
56) Caspari, Kirchenhistorische Anecdota S. 175.
57) Saupe, Der indic. superst et paganiarum S. 33.
58) Lib. XIX, C. 5, 4 (bei Friedberg S. 84).
59) Gregor v. Tours, Vitae patrum Kap. 6.
60) Weinhold, Die heidnische Totenbestattung in Deutschland. In den Sitzungsber. der Wiener Akad. Philos.-hist. Cl. XXX Bd., S. 206. S. auch Sagen aus den Aargau I, Nr. 17.
61) Kirchengeschichte Deutschlands II, S. 361.
62) Votive und Weihgaben des katholischen Volks in Deutschland (Braunschweig 1904), S. 113. Dazu Taf. XIV u. XV. In der Einleitung gibt Andree eine kurze Geschichte dieses Brauches auch bei ändern Völkern.
63) Zschr. des Ver. f. Volkskunde 1909, S. 201.
64) Temme, Volkssagen der Altmark S. 83.
65) Öfter werden Gegenstände, die mit einem kranken Gliede in Verbindung gestanden haben, dem Toten im Sarge beigelegt: Strackerjan I, Nr. 97, 98, 99. Zschr. d. Ver. f. Volksk. I, 175 (aus dem 15. Jahrb.); VII, S. 56; VIII, I97f.; Zschr. f. rhein.-westfäl. Volksk. V, 97. Pulversiertes Totengebein heilt Krankheiten: Zschr. d. Ver. f. Volksk. VII, 291; VIII, 199. Gleiche Wirkung hat abgeschabter Staub vom Steinkreuz: Voges, Sagen aus Braunschweig Nr. 229, 232; Zschr. f. österr. Volksk. V, 113. Als an Stelle der Toten die Heiligen getreten waren, werden diese Krankheits-Patrone, s. Höfler, Die Kalender-Heiligen als Krankheits-Patrone. Zschr. d. Ver. f. Volksk. I, 292 ff.
66) Zschr. f. deutsche Mythologie u. Sittenkunde I, S. 108.
67) Frauenstädt a. a. O. S. 224, 227. Andre Zeugnisse von Kreuzen an Kreuzwegen: Deutsche Gaue IX, S. 159, 164, 165 u. oft.; Naumann, Steinkreuze S. 19, 20; Nagele, Zschr. d. Ver. f. Volksk. XXII, S. 275; Württemb. Jahrb. S. 381; Knoop, Ostmärkische Sagen Nr. 27; Zschr. f. österr. Volksk. III, 76; Mitt. d. Ver. f. Sachs. Volksk. IV, 5.40, I2of. Auch in Schweden: Hildebrand, Sveriges Medeltid III, 407.
68) Kühnau, Schles. Volkss. I, Nr. 484; Reiser, Allgäu II, S. 19; Wuttke, Deutscher Volksaberglaube Nr. 729; man legt Stroh auf den Weg, damit der Tote ausruhen kann ebd. Nr. 747; man trifft sich am Kreuzweg mit dem Toten: Schmitz, Volkstümliches aus dem Siebengebirge S. 128f. Spukgeschichten an Kreuzwegen finden sich allerorten: Kühnau Nr. 391, 442; Panzer, Bayr. Sagen I, Nr. 112; Meiche, Sagen d. Königreichs Sachsen, Nr. 134, 220, 304, 317; Lemke, Volkstüml. aus Ostpreußen I, S. 60; Rausch, Sagen des Samlandes Nr. 3; Knoop, Posener Dämonensagen Nr. 31; Volksk. des Jülicher Landes Nr. 125, 148, 221 ; Graber, Kärnten Nr. 375; Grohmann, Aberglaube aus Böhmen II, Nr. 102; Eisel, Sagenbuch d. Voigtlandes Nr. 90, 97, 129, 133, 232, 310; Zimmersche Chron. II, S. 197; Kapff, Schwäbische Sagen S. 16; Wuttke Nr. 755 (Tote tanzen an Kreuzwegen); Wolf, Hess. Sagen Nr. 138. - Die spukende Gestalt verschwindet am Kreuzweg: Kühnau I, Nr. 385, 566, 579; Strackerjan, Oldenburg I, Nr. i84f., i86i, i86q; Volksmund der Mark Brandenburg Nr. 4; Volksk. d. Jülicher Landes Nr. 173; Grohmann, Sagen aus Böhmen I, S. 281; II, S. 197 (1382); Eisel, Voigtland Nr. 85. - Der wilde Jäger oder die wilde Jagd an Kreuzwegen: Kühnau II, Nr. 1101; Wuttke, Volksaberglaube Nr. 18, 634; Kühn u. Schwartz, Norddeutsche Sagen Nr. 115; Schriften d. Ver. f. Gesch. der Neumark XXIII, S. 6; Panzer, Bayr. Sagen I, Nr. 112, S. 260 (Nr. 57); v. Leoprechting, Aus dem Lechrain S. 35; Grohmann, Böhmen II, S. 4, 5. Besonders häufig zeigt sich das wilde Heer in den Zwölfnächten, der Zugzeit der Toten. In dieser Zeit pflegen auch Zauber und Prophetie an Kreuzwegen stattzufinden, wozu man sich der Toten bedient. An ihnen beschwört man die Toten: Wuttke, Volksaberglaube Nr. 108, 773; Panzer, Bayr. Sagen 8.72, 272; an ihnen treibt man allen möglichen Zauber: Drechsler, Volksgl. in Schlesien II, Nr. 558; Zschr. d. Ver. f. Volksk. II, 13; auf ihm wurden im 15. Jahrh. Zauberer gehängt und begraben: Drechsler II, Nr. 591. - Die Kreuzwege sind der geeignetste Ort für die Prophetie: Burchard v. Worms Corr. Lib. 19, Kap. 5, §3; Wuttke Nr. 357, 365; Drechsler I, Nr. i (16), 12, 13, 45, 47, 50; Vernaleken, Mythen aus Österreich S. 333, 340; Reiser, Allgäu II, S. 178; Zschr. f. Volksk. VIII, 400; man sieht an Kreuzwegen die Toten des kommenden Jahres: Kapff, Schwab. Sagen S. 100, oder die Ereignisse des neuen Jahres: Zschr. f. österr. Volksk. VI, 121. In ganz gleicher Weise beschwört man auf Island an Kreuzwegen die Toten, um mit ihrer Hilfe Zauber und Prophetie zu treiben: Arnason, Islenzkar J)jödsögur I, S. 436 ff. Im Altertum war es nicht anders. Kreuzwege sind bei den Griechen der Lieblingsort der Toten: Nilsson, Griech. Feste S. 391; an ihnen opfert man für die Seelen: Samter, Familienfeste der Griechen und Römer, oder gießt nach dem Zeugnis des Theophrast Öl über den dort aufgestellten Stein: Samter, Religion der Griechen 8.4; an ihnen verehrt man vor allem die Hekate, die chthonische Göttin der Gespenster: Gruppe, Griech. Mythol. II, S. 1291; Nilsson, S. 396. Hier erscheint sie mit ihrer Totenschar, den Seelen derer, die mit Gewalt ums Leben gekommen sind: Rhode, Psyche II, S. 83 u. 411. Noch in der Neuzeit lebt dieser alte Volksglaube fort: Schmidt, Das Volksleben der Neugriechen S. 93. Also hier der gleiche Kreuzwegglaube und -kult wie in Deutschland.
69) Bartsch, Sagen aus Mecklenburg II, S. 107 (397); S. 136 (597), 157 (721); Strackerjan, Oldenburg Nr. 82, 85, 92, in; Wuttke Nr. 483, 484, 492, 508, 514; Drechsler II, S. 301, 305, 314; Grohmann, Aberglauben aus Böhmen Nr. 961; Zschr. d. Ver. f. Volksk. VII, 43, 72 (24); VIII, 391; XXXV, S. 43; Zschr. f. österr. Volksk. VI, in.
70) Martin von Bracaras Schrift "De correctione rusticorum" hg. v. C.P. Caspari, S. 29; ebenso Eligius von Noyon (Grimm, D. Myth.4, III, S. 402.)
71) Caspari, Kirchenhistorische Anecdota S. 172. In einer Rede an Getaufte ebd. S. 204.
72) Am Kreuzweg kommen die Hexen zusammen oder man kann sie dort treffen: Wuttke, Nr. 373, 376; Kühnau III, Nr. 1373; Drechsler I, Nr. 119, 156; II, Nr. 622; Zschr. d. Ver. f. Volksk. VII, S. 193; Strackerjan I, Nr. 218, 227 e; Zschr. f. Volksk. XX, 387; XXIV, 416. Dort kommen sie mit dem Teufel zusammen. Dort beschwört man den Teufel: Wuttke Nr. 384; Baader, Baden Nr. 324; Grohmann, Böhmen Nr. 365; Drechsler II, Nr. 508; dort holt der Teufel seine Opfer: Baader, Baden Nr. 437; Strackerjan Nr. 2040; oder er verkehrt mit Menschen und lehrt sie geheime Künste: Zingerle, Tirol Nr. 757, 762.
73) Ausg. von Caspari Kap. 7 (S. 8).
74) Andree, Ethnographische Parallelen und Vergleiche I, S. 46 ff.; Nilsson, Griech. Feste S. 389ff.; Liebrecht, Zur Volkskunde S. 267ff. ; Frazer, The gold. Bough2 III, S. 4ff; Dyrlund, Dania VII, S. 224ff.; Kahle, Zschr. d. Ver. f. Volksk. XVI, 89ff; 203ff, 319ff; Haberland, Zschr. f. Völkerpsychol. XII, 289ff; B. Schmidt, Neue Jahrb. f. Phil, u. Pädag. CXLVII, 369ff. - Auch durch Steinhäufung und Dornenstecken sollen arme Seelen erlöst werden: Zschr. f. österr. Volksk. XVIII, 46; es geschieht dort, wo es spukt: Rochholz, Schweizersagen aus d. Aargau I, Nr. 52. Daher auch neben Steinkreuzen: Rochholz, ebd. Nr. 28; Zschr. f. Volksk. X, 239. Oder über Mordstellen: Zschr. f.Volksk.VIII, 456 (wo weitere Literatur); Zschr. f. österr. Volksk. VII, 22; XIX, 204.
75) Hier mag die Tatsache mit eingewirkt haben, daß die Grenze im Volksglauben oft eine ähnliche Rolle spielte wie der Kreuzweg. Spuk- und Wiedergängersagen sind besonders häufig auch an Grenzen geknüpft: Meiche, Sagenbuch Sachsens Nr. 208, 358; Eisel, Voigtland Nr. 192, 375; Asmus u. Knoop, Sagen aus dem Kreise Kolberg-Köslin S. 44; Stehle, Volkstümliches aus Hohenzollern S. 9 (Nr. 7).
76) Deutsche Gaue IX, S. 174.
Nachdem ich im Korrespondenzblatt der Geschichts- und Altertumsvereine das gesamte Gebiet der Steinkreuze auf meine Deutung als Kultzeichen der alten Germanen hin untersucht hatte, will ich heute einen kleineren Teil mit den an Steinkreuzen reichen sächsischen Landen beleuchten. Um so mehr, da Kuhfahls Sammlung- der sächsischen Steinkreuze abgeschlossen vorliegt als erste so gut wie vollständige Übersicht dieser alten Denkmale einer Gegend.
Wie ich angegebenen Orts (Landesverein Sächsischer Heimatschutz, 1918 Heft 7 und 8), dargelegt habe, geht der Ursprung dieser bisher sehr rätselvollen Denkmale bis in die Christianisierungszeit, ja Vorzeit der germanischen Länder und die Bedeutung ihres Standortes sicher weit in die Vorgeschichte unseres Volkes zurück. Es sind Kultstätten unserer Ahnen, Gerichts- und Opferplätze unserer Voreltern, hier brachten sie einer einzelnen oder mehreren Gottheiten ihre Verehrung entgegen. Nach Mogk mag auch manch Erinnertingsstein an einen bedeutenden Toten darunter sein, auch in diesem Falle ist er der (Toten-)Gottheit heilig. Doch kommt diese Art Erinnerungsmal erst an zweiter Stelle und gewinnt seine hervorragende Bedeutung im späteren Mittelalter.
Die Standorte bieten uns in den meisten Fällen Umgebungen, wie sie unsere Vorfahren zur Gottesverehrung geeignet schienen.
Wie jedes Haus mit seinem Herrgottsbalken oder -winkel in den Schutz der Gottheit gestellt wurde, so pflegte man auch der ganzen Siedlung, dem Weiler, Flecken oder Dorf ein Heiligtum zu weihen. In der Ortschaft oder in der Nähe derselben wurde ein geweihter Stein oder Baum verehrt, an welchem die Bewohner zusammen kamen, um den Segen des Höchsten herabzuflehen und gleichzeitig über Wohl und Wehe der Gemeinde zu beraten.
So finden wir die Kreuze auf dem Anger, der manchmal auch außerhalb der Ortschaft lag, wie in Cannewitz, Deuben, Hirschfelde, hier neben dem Gemeindegraben, einer alten Volksversammlungsstätte; weiter am Dorfteich: Crostwitz, Nauleis, am Ein- und Ausgange des Ortes: Bonnewitz bei Pirna, Dachlowitz, Stätten, die man am geeignetsten hielt, öffentlicher Angelegenheiten zu pflegen, zu richten und zu raten. Dort warf man Losstäbchen und befragte die Runen, die Erfindung Wodans. Handelte es sich um Angelegenheiten eines größeren Kreises, einer Hundertschaft, eines Gaues, so wählte man die Thiug-und Malstätte auf einem heiligen Berge - Brambach, einer Insel, an einem Wasserlauf oder einer Furt durch denselben - Dreikretscham an der Brücke über das Schwarzwasser, bei Auerbach an der Göltzschbrücke, und an vielen anderen Orten, die von einer Mehrzahl von Wohnstätten bequem zu erreichen waren - Naundorf am sechsfachen Kreuzweg - oder sonstwie hervorragende Eigenschaften boten. Sie lagen in den meisten Fällen wohl damals schon an öffentlichen Straßen, doch mochte besondere Abgeschlossenheit und Verstecktsein manchmal von Wert gewesen sein - Basteiwald, Borsbergwald.
Außer diesen Versammlung- und Gerichtsstätten gab es auch n u r dem Gottesdienst geweihte Plätze, die sich in ihrem Äußern wenig von den ändern unterschieden haben werden: ein oder mehrere heilige Bäume und Steine sind in beiden Fällen wohl anzunehmen, jedoch wird bei Orten, die der Volksversammlung dienten, auf Sitze bzw. Plätze für die Vorsteher und Älterleute oder Schöffen Bedacht genommen worden sein.
All diese Weihtümer fand die Kirche und ihre Missionare in unserem Lande vor und mußte oft die Zähigkeit fühlen, mit der die Bevölkerung an ihrem angestammten Glauben hing, so daß man die alten Heiligtümer bestehen ließ und durch ein christliches Zeichen dem neuen Glauben weihte. War der Platz von minderer Bedeutung, so genügte wohl das Setzen eines Kreuzes. Bei großen Heiligtümern mag manch Kloster oder manche Kapelle errichtet worden oder dem Setzen von Steinkreuzen gefolgt sein. Dieser letzte Fall liegt überall dort vor, wo neben Kirchen und Kirchhöfen oder in späterer Zeit in die Umfassungsmauern eingesetzt sich Steinkreuze vorfinden, wie wir es in Zittau an der Weberkirche; Kamenz, St. Jakobus; Kittlitz, der Kirchenhammel; Oelsnitz und anderwärts sehen.
Nun war es mit dem Setzen eines Steinkreuzes (Auch Holzkreuze kommen in Betracht, wie man sie vielfach in steinarmen oder holzreichen Gegenden findet.) nicht immer abgetan, so leicht gab sich die Bevölkerung nicht zufrieden.
Mancherorts standen mehrere heilige Bäume und Steine, jeder seiner eigenen Gottheit geweiht, jeder der Sitz des verehrten Wesens. An jedes Einzelnen Stelle mußte ein Kreuz treten, außer wenn schon ursprünglich e i n Stein als Sitz mehrerer Wesen gedient hatte. So finden wir oft eine Mehrzahl von Steinen bis zu sieben Stück und noch mehr an einer Stelle, was bisher als unerklärlicher Tatbestand und entweder gar nicht zu erklären gewagt wurde, andererseits so unsicheren Vermutungen Raum gab, daß wohl die eigenen Verfasser kaum daran glaubten. Die einzig mögliche Deutung haben wir vor uns.
Einen weiteren Beweis haben wir in den ebenfalls bisher sehr rätselhaften Zeichen auf den Kreuzen: Es sind die alten Göttersinnbilder: Rad, Hammer oder Beil und Schwert, die das Volk wiederum auf den Steinen verlangte.
Wodan, Donar und Ziu, ein jeder heischte seine Verehrung, ja einer, wie wir später sehen werden, in erhöhtem Maße, nämlich Ziu. Diesem waren die meisten Heiltümer geweiht. Seinem Schwertzeichen begegnen wir nicht weniger als 60 mal im Königreich Sachsen und in ähnlich starker Verbreitung in den benachbarten Gegenden, besonders Ostthüringens. Oft wurde er mit Wodan und Donar, oder einem derselben zusammen verehrt, deren Sinnbilder seltener vorkommen. Besonders treffen wir Wodans Rad und Speer sowie Stab, Fußsohlen und Hufeisen und Donars Hammer und Beil. Das Radkreuz kann nebenbei bemerkt allgemein als Götterzeichen gelten, so vielfach in Böhmen, wenngleich es vorzüglich mit Wodan erscheint.
In vielen Fällen wird ursprünglich kein Zeichen auf dem Stein vorhanden gewesen, noch weniger also auf dem Steinkreuz gefolgt sein, wo es die Geistlichkeit unterdrückt haben wird, so daß die meisten Kreuze, wie es übrigens allgemein ist, zeichenlos sind und uns keine Auskunft geben, welche Gottheiten dort ihre Verehrung genossen.
Mitunter sind auf einem Stein mehrere Zeichen verschiedener Götter zu finden, was in Böhmen und Mähren öfter und in hervorragend klarer Darstellung der drei Zeichen Rad oder Speer Beil und Schwert der Fall ist.
Beispiele für mehrere Zeichen auf einem Stein sind die Kreuze und Steine von Schönau bei Borna mit Schwert und Beil, Commerau mit Schwert und Lanze, Gränze mit Kreuz und Beil und Bautzen mit Radkreuz und Maltheserkreuz, doch brauchen die Kreuze in den beiden letzten Fällen keine besonderen Götterzeichen zu sein, wie es auf dem Kreuz von Gottleuba beabsichtigt ist, wo neben einem mittleren Stab oder Speer zwei Kreuze rechts und links erscheinen.
Daß die Zeichen auf den Kreuzen, die bisher für alle möglichen mehr oder weniger grausigen Deutungen der Sühne-, Raub-, Mord-und Unfallerklärung herhalten mußten, diese obenstehende Bedeutung haben, erklärt sich aus den Tatsachen, daß solche Zeichen nie doppelt erscheinen, weder auf einem einzelnen Stein, noch innerhalb einer Mehrzahl von Kreuzen an derselben Stelle. Dies betrifft nicht nur Sachsen, sondern das ganze Verbreitungsgebiet, wo ehemals germanische Völkerschaften saßen.
Sollte wirklich in ganz Europa an ein und derselben Stelle, wo nach der Mehrzahl der Kreuze mehrere Untaten stattgefunden hätten, nie zweimal jemand mit einem Beil, Schwert usw. erschlagen worden sein? Andererseits hätten auf einer Galgenstätte ausgerechnet drei wie in Oschatz, anderwärts sechs, auch sieben besondere Verbrechen ihre Sühne gefunden und darunter niemals eine Todesart doppelt vollstreckt worden sein? In den nordischen Ländern, in Großbritannien, Österreich, Ober-Italien, überall wo die gleichen Verhältnisse in Zahl, Zeichen und Standort herrschen, nie ist unter den 3000 mir bisher bekannten Kreuzen und verwandten Denkmalen auch nur zweimal an einer Stelle dasselbe Zeichen.
Eine Ausnahme hiervon machen zwei Zeichen, die ich gleich besprechen will.
Zum ersten das gewöhnliche Kreuz oder von einem Ring umschlossene Radkreuz. Dies ist nicht nur ein Wodanszeichen, sondern, wie schon gesagt, Göttersinnbild im allgemeinen und kommt bis zu dreimal auf einem Stein oder einer Gruppe vor. In größerer Anzahl ist es bisher nicht bekannt. Dreimal finden wir das Radkreuz auf dem Kreuz von Öchlitz, drei kleine Kreuze sind auch an den drei Enden des schönen Radkreuzes auf dem Steinblock von Drehsa.
Zweitens spielt der Schuh oder die Fußsohle als Wodanszeichen eine Rolle und kommt gewöhnlich in der Zweizahl, z. B. in Roda S.-A., seltener allein vor. Als Wegegott, weshalb Tacitus Wodan mit Merkur vergleicht, waren ihm besonders an Kreuzwegen Nachbildungen von Schuhen und Füßen aufgestellt oder Steine mit solchen Zeichen geweiht, wie uns das Konzil von Autun überliefert. Für diese Wegegottheit empfahl Papst Leo III. (779) das Aufstellen von Kreuzen an Wegeecken, wo man sich zu begegnen pflegt, nicht um der neuen Kirche neue Heiligtümer zu schaffen, sondern weil an solchen Orten heidnischer Brauch geübt wurde, der schwer auszurotten war und welchem der übrigens sehr diplomatisch verständig vorgehende Kirchenvater auf diese Weise wirksam begegnete. Er kann sozusagen als Mitbegründer des Setzens von Steinkreuzen gehalten werden.
Die Anzahl der Steinkreuze in einer Gruppe beschränkt sich wie gesagt nicht nur auf drei. Vier bis sechs, ja sieben und noch mehr kommen vor (Bei Reicholzheim in Baden steht eine Gruppe von 14 Stück). Bei vier und fünf Kreuzen sind wahrscheinlich einige verloren gegangen, was manchmal noch nachweisbar oder aus anderen Gründen zu erkennen ist. Man wird sechs Kreuze annehmen dürfen, von denen drei der männlichen Götterdreiheit, deren Zeichen sie oft tragen, und drei einer entsprechenden weiblichen Götterdreizahl geweiht gewesen sind. Diese Kreuze sind immer zeichenlos, was auffallend ist. Daß wir eine Verehrung weiblicher Gottheiten in der Dreizahl annehmen müssen, sehen wir vielerorts in Deutschland und werden es betreffs der Steinkreuze ein andermal betrachten.
Die Siebenzahl ist die Zahl des Gerichtsplatzes, der Sitz des Gerichtsherrn und seiner sechs Schöffen. Oft waren es nur drei Sitze und mitunter dreizehn. Drei und sieben Steine bzw. Bäume sind uns in Steinkreuzen und Ortsnamen erhalten, einmal die drei Kreuze von Breitenau beim Gasthof zum Erbgericht, die Steine in Stürza bei Stolpe, Weifa, Woltersdorf, sämtlich mit der Überlieferung eines Erbgerichtes. Diese Sage ist bei den sieben verschwundenen Kreuzen von Liebstadt anscheinend nicht bekannt, doch ist deren Bestimmung wohl zweifellos. An Namen sind unter anderem Schloß Siebeneichen bei Meißen zu erwähnen mit dem besonderen Hinweis, daß es einst ein Vorwerk des Klosters Heiligkreuz war. Schließlich seien noch die drei Linden am Wege von Schmölln nach Oberputzkau erwähnt als Gerichtsstätte auf dem Putzkauer Rabenstein.
Solche Gerichtsplätze blieben noch lange im Gebrauch, nachdem jede gottesdienstliche Handlung längst von ihnen gewichen war. Andererseits blieb die Gepflogenheit, Gericht oder Versammlungen auch weltlicher Art abzuhalten, weiter an den Ort gebunden, selbst nachdem eine Kirche oder Kapelle dort errichtet war, ja das Thing wurde sogar in der Kirche abgehalten. In Lübeck und anderwärts wurden im späten Mittelalter noch vielfach Versammlungen ganz weltlicher Art in den Kirchen abgehalten, die sogar als Börsen zum Abschluß von Handelsgeschäften dienten.
Auch Friedhöfe ohne Kirchengebäude gehören hierher. Dementsprechend finden sich bei Kirchen und Kirchhöfen sehr oft Kreuze und dazu in größerer Anzahl, z. B. Kamenz, Zittau und Oschatz „hinterm Gottesacker". Meines Wissens heißt die Stelle auch der Galgenberg, was mit der Bedeutung eines Hochgerichtes gleichbedeutend wäre. Die Vollstreckung des Urteils ist gewöhnlich als letzter Rest der ehemals an Ort und Stelle, später in einem bedeckten Raum der nahen Ortschaft geführten Verhandlung auf der alten Malstatt zurückgeblieben.
Ehe wir weiter gehen, soll noch ein Zeichen berührt werden, eine rein sächsische Eigentümlichkeit: die Armbrust, z. B. in Laughennersdorf und Kamenz. Diese Armbrust ist wohl eins der dunkelsten Gebilde unter den Steinkreuzen. In die Mordtheorie paßt sie sehr gut, aber trotzdem ist es auffallend, daß sie nur in Sachsen, in einzelnen Stücken auch außerhalb vorkommt, und da wie gesagt die Morddeutung nur sehr vorsichtig anzuwenden ist und infolge des beschränkten Vorkommens dieses Zeichens ganz unberücksichtigt bleiben muß, ist man gezwungen, eine andere Erklärung zu suchen. Ob die Armbrust mit den sächsischen Schützenfesten etwas zu tun hat, die ja in Sachsen eine ganz besondere Pflege bis auf den heutigen Tag genießen, ist nicht ganz unwahrscheinlich, da diese Feste wohl als letzter Rest heidnischer Frühjahrsfestspiele anzusehen sind. Nun sind diese Armbrustzeichen sehr verschiedenartig. Eine regelrechte Armbrust mit geschwungenem Bogen, durchgehendem Schaft und verdicktem Kolben ist es selten. Manchmal hat sie an der Spitze einen kopfartigen Ansatz, oft an der rechten Schaftseite einen heruntergezogenen Haken, den man als besonders hervorgehobenen Kolben ansehen kann. Besonders dieser Haken und der eigenartige Kopf ließen vermuten, daß wir es gar nicht mit einer Armbrust, sondern mit einem Runenzeichen zu tun haben und dies vergewissert sich dadurch, daß solche armbrustähnlichen Zeichen als Werkzeichen und Wappenbilder vorkommen. (Bei der Korrektur ist es mir möglich, die Armbrust als Dreieinigkeitsrune, wie auch den Ursprung anderer Zeichen aus Runen zu bestimmen.)
Vielleicht handelt es sich auch um ein verkanntes und verbildetes Zeichen. Steinkreuze sind vielfach neu ersetzt worden, manchmal in alter ähnlicher Form, manchmal dem Zeitstil angepaßt, wie das Kreuz von Gr. Röhrsdorf mit seinem in gotischen Formen gehaltenen Radkreuz und das leider verschwundene reichverzierte gotische Schwertkreuz von Ringethal. In solchen Fällen mutet ein altes Zeichen wunderlich an, oder eine uralte Sage hängt noch zäh an Ort und Stelle, was sonst auch für Wandlungen mit letzterer vorgenommen werden mögen.
Überhaupt ist die Sage bisher viel zu wenig beachtet worden, und sie gibt uns doch in unendlichen Fällen oft nur noch die einzige Erinnerung an die Bedeutung eines Platzes. Auch für unsere obigen Ausführungen haben wir einen teilweise unumstößlichen Halt an ihr. Die Bezeichnungen des Volkes sind kaum für Wert gehalten worden, betrachtet zu werden. Pfarrer Helbig weist sie als völlig wertlos zurück, und doch ist es gerade das Volk, das täglich mit den Denkmälern der Landschaft lebt, das von Urahnenzeiten her „ganz genau und bestimmt" weiß, welche Bewandnis die Dinge mit diesem oder jenem Geheimnis haben. Helbig gibt als Beweis der Wertlosigkeit der Sage ihr wiederholtes Auftreten an verschiedenen Orten an. Das mag mit Hinsicht auf ein kleines Gebiet manchmal zutreffen, spannt man den Gesichtskreis aber weiter und findet, daß dieselben Sagen nicht nur in Sachsen sondern im gesamten Verbreitungsgebiet unserer Kreuze vorkommen, dann macht einen das doch recht stutzig und erkennt man bei näherer Betrachtung dazu den mythologischen Inhalt, so wäre es für einen Forscher ganz undenkbar, daran vorbeizugehen.
Die Sage wandert, kann man einwerfen. Gewiß, sie wandert aber in erster Linie nur unter den Völkern gleichen Denkens und Fühlens. Dieses verwandte Wesen bedingt aber auch gleiches Verständnis für sonstige Sitten z.B. diese Steinkreuze. Die Sage ist nicht gewandert und haften geblieben, weil der neue Volksznzug in dem neuen Land heilige Steine oder Steinkreuze vorfand. Gewandert ist die Sage bzw. der Kult mit dem Volk und dies schuf sich gleiche Verehrungsstätten in neuen Ländern. Unsere Kreuze, genau wie in Mitteldeutschland, in Skandinativien oder sonstwo, kommen doch auch im Kaukasus vor und den Schwarze-Meer-Gegenden, dem einstigen Sitz der Goten. Ihr Auftreten ist dort spärlich, was sich erklären läßt. Leider sind die russischen Quellen sehr dürftig und für einen Durchschnittseuropäer unleserlich. Ob auch dort ähnliche Sagen vorkommen? Übrigens findet sich auf einem Steinkreuz in Gorysowon Gouv. Nowgorod eine Zeichnung, die entfernte Ähnlichkeit mit einer Armbrust hat.
Die Bezeichnung Sühnekreuz ist gar nicht so allgemein beim Volk. Man hat vorgefaßten Behauptungen die Tatsachen anzupassen versucht oder gar nicht weiter in Erwägung gezogen.
Ein großer Teil wirklich mittelalterlicher Sühnekreuze unserer Art soll nicht geläugnet werden, nur die Verallgemeinerung trifft nicht im geringsten zu. Die Hauptzahl ist älterer Herkunft, was wir deutlich an den Überlieferungen sehen, von denen weit über die Hälfte unmittelbar oder mittelbar ins Heidentum oder die Christianisierungszeit weisen. Beispiele sind: Heidenstein, Missionskreuz, hier ist ein heidnischer Bauer vom Blitz erschlagen, dort das Kreuz im Heidenholz bei Bürnersdorf, Wetter- und Donnerkreuze, Bonifazius- und andere Missionarskreuze, Methud z. B. bei Göbeln, das Kreuz von Klaffenbach mit der Erinnerung an den Märtyrertod Arnos von Würzburg im Jahre 892, Jungfern-, Brüder-, Heils-, Mal- und Gerichtssteine. Dem stehen gegenüber Hussiten-, Schweden-, Tartaren- usw., Abschiedskreuze und wenig mehr, und schließlich entpuppen sich auch diese noch als etwas anderes, wie wir bald hören werden.
An Stelle der alten Götter müssen Hölle und Teufel, Unholde u. a. oft herhalten. So stehen zwei Kreuze im Höllental bei Gr. Schweidnitz, bei Oybin an der Tenfelsmühle, zu gleicher Zeit in der Nähe eines Baches. So drollig heute die Bezeichnung „der Kirchenhammel" des Kreuzes in Kittlitz mit Stab oder Speer klingt, ist deren Bedeutung doch von ernster Wichtigkeit. Selbstverständlich hat das Wort nichts mit einem Hammel zu tun, sondern hängt mit hamelig, heimlich zusammen. Mit diesem Kirchenheimlichen ist wahrscheinlich Wodan, sicher eine Gottheit gemeint. Man kennt in Sachsen auch den Uliamel = den Unheimlichen, mit dem man Kinder schreckt.
Erwähnt sei auch der Geiststein bei Werda i.V. mit Bischofsstab, der auch außerhalb Sachsens vorkommt. In anderen Fällen sind aus den alten Gottheiten Große Herren, Feldherren, Generäle und Fürsten geworden, die das Volk manchmal dort sogar begraben wissen will.
Die allgemeine Bezeichnung Mord- oder Sühnekreuz, besonders dies, ist selten und wohl mehr unter dem Einfluß der Forscher entstanden. Gewiß hat sich bei sehr vielen Kreuzen die kurze Sage angeknüpft, da ist jemand erschlagen worden, doch der Begriff der Sühne kommt sehr selten zum Ausdruck. Es hängt etwas Vergangenes, Totes an diesen rätselhaften Steinen, und ist es nicht so? Sind es nicht die schlafenden alten Götter, die hin und wieder ihre Raben um den Stein fliegen lassen, ob ihre Auferstehungsstunde noch nicht geschlagen hat?
Mit ihnen wartet das schlafende Heer, bis es an bestimmten Tagen von Walvater Wodan, dem Waldkönig, in wilder Jagd durch die Lüfte über Kreuzweg, Stock und Stein geführt wird. Schwarze Hunde springen kläffend zu seinen Seiten und manchmal hat sich einer verirrt und ist am nächsten Morgen um solch ein Steinkreuz irrend mit Grausen beobachtet worden. In schaurigen finsteren Nächten hat mancher die Wilde Jagd gesehen und an jener Stelle wäre sie verschwunden. Wieder schläft es und wartet auf seinen Tag. Heute heißt es: Soldaten aus Schweden-, Tartaren- oder sonstigen Kriegen liegen dort begraben und leicht erkennen wir das Wilde Heer wieder, denn setzt man den Spaten an, so findet man keine .Spur. Wie bei den Schwedenschanzen ist es auch hier: neueren wichtigen Ereignissen sind die alten Sagen angepaßt worden.
Oft jagt der Wilde Jäger ein gar eigen Wild: eine oder mehrere Hexen oder die Holzweiblein und noch immer erzählen die Leute: ein Jäger hat eine Frau erschossen. Und seltsam, so oft die Sage vorkommt, es ist meistens ein Jäger und immer ein Weib.
Wodan war auch Heilgott.
Pest- und Seuchensteine (Zu Pest- und Seuchensteinen sind die Kreuze sicher erst im Mittelalter geworden, als diese Krankheiten auftraten. Nichtsdestoweniger ging schon vordem von ihnen Heilskraft in jeglichen Volksnöten aus.), Heilkreuze wurden immer wieder aufgesucht, um Rettung aus Not und Gefahr zu erbitten. Den stärksten und oft einzig gebliebenen Eindruck hinterließ das letzte Bedrängnis. Auch ging man heimlich hin, rieb etwas Steinmehl aus dem heiligen Stein und mischte es zu seiner oder eines anderen Gesundheit in einen Trank. Rillen und Näpfchen blieben als dauerndes Zeichen zurück. Zog man in den Kampf, so strich man mit den Schwertspitzen über den Stein und weihte die Waffen zu Wodans Ehre. Diese Schwertweihe hat sich bis ins späte Mittelalter erhalten, wo man auch in sächsischen Kirchtürgewänden diese Riefen (Teufelskrallen) findet.
Der Frühling kommt ins Land und mit ihm beginnt der wechselnde Kampf von Sommer und Winter, Donars mit dem Riesen, der Streit zwischen Baidur und Hödr, den Wodanssöhnen, um die jugendfrische Erde. Haben nicht hier zwei Brüder, dort zwei Handwerksgesellen oder sonst jemand um ein Mädchen das Leben lassen müssen und dieses ist aus Gram dem Liebsten in den Tod gefolgt! Folgen wir den Überlieferungen in ihrer vielfachen Form, so führte bei Hohendorf eine Bauerntochter beim Ackern ihrem Vater die Stiere. Ein Knappe aus dem Troß des Ritters von Reitzenstein kam herbei, nahm ihr die Führung ab und koste mit ihr. Der Knecht, dem der Bauer die Leitung des Pfluges übergeben hatte, war ergrimmt darüber, nahm die Pflugreute und warf sie tödlich nach dem Knappen. Sei es Zufall oder Absicht: der glänzende Ritter im Gegensatz zum Bauern ist der Lichtgott im Vergleich mit dem trüben Winter. Auch das Werfen der Pflug reute, die heute noch auf dem Kreuze abgebildet ist, wäre zu beachten.
Ein ähnliches Bild haben wir in dem Liebesdrama des Kreuzes am Wege von Wechselburg nach dem Rochlitzer Berge. Die beiden Liebhaber sind hier aber in Verschmelzung vielleicht mit der oben erwähnten Jägersage zu Jägern gestempelt.
Im tiefen Grund bei Hohnstein erschlugen sich zwei Bauernburschen aus Waitzdorf um eines schönen Mädchens willen mit Sensen. Die Sage hat verschiedene mythische Kennzeichen. Ebenso die Sage, die sich mit dem gleichen Stoff an das Kreuz der Frauenkirche zu Zittau heftet. Der überlebende Liebhaber wird, wie größtenteils, nicht gefangen, es ist der zur Herrschaft kommende Winter, dagegen wird die Jungfrau eingemauert (!), die sommerliche Erdenpracht verschwindet unter der Erdoberfläche.
Auch bei Luga wird während des Hochzeitszuges vom verschmähten Liebhaber die Braut und der Bräutigam, sogar noch der Hochzeitsbitter erschlagen. Vom Täter schweigt die Sage. Bei den drei Kreuzen von Kamenz an der St. Jodokuskirche mit der gleichen Darstellung ersticht der Täter sich noch selbst. Hier ist der Stand des Täters als Schmied, des Handwerkers der Unterwelt, und der begünstigte Liebhaber als Gärtner, der Pfleger von Blumen und Blättern, vielleicht zu beachten.
Neben diesen Liebesstreitigkeiten werden Kämpfe und Totschläge der verschiedensten Art genannt. An diesen Streitfragen mag nicht zum geringsten das Gottesurteil des altgermanischen Gerichtes Anteil haben, das gewöhnlich in einem Zweikampf bestand.
Kam das Osterfest heran und die ersten Blüten wagten sich hervor, das erste Gewitter rollte drohend über die Erde, dann machte man sich auf, zog hinaus an die Grenzen der Ortschaft (Hier wollen wir auch die einzige Möglichkeit der Kreuzsteine als Grenzzeichen berühren, jedoch ist diese Bedeutung nur mittelbar, Hauptzweck bleibt der Kultus. Mittelbar sind auch alle späteren, selbst urkundlich erwähnten Grenzkreuze aufzufassen, wo bei den meisten ohne weiteres aus den Urkunden erhellt, daß man sie erst zu Grenzkreuzen gestempelt hat, weil sie zufällig dort standen.), umging die Gemarkung in feierlicher Bittprozession und flehte von Donar den Segen seines Hammers. Zum Wetterkreuz bei Großenhein oder bei Lößnitz (am Schnappenberge) lenkte man die Schritte, dorthin wo der Götter heiliges Zeichen stand.
Hierher gehören auch die drei Kreuze bei Kl. Schönau am Dronberge (Donnersberg).
Dem Wetterkult dienten nebenbei bemerkt sicher die sieben Martersäulen zu Höckendorf, ein sogenannter Kreuzweg, der im Westen Deutschlands sehr oft vorkommt und gewöhnlich aus der doppelten Anzahl Stationen besteht. Hierbei finden Frühjahrsbittgänge statt, die, da sie meistens in der Osterwoche abgehalten wurden, mit der Leidensgeschichte Christi verflochten wurden.
Noch bleibt uns Ziu oder Saxnot (Bei diesem Kapitel sind noch große Schwierigkeiten zu überwinden, da das Königreich Sachsen mit dem eigentlichen Niedersachsen nur wenig Berührungspunkte hat und der Name Saxnot des Schwertgottes sich wohl nur auf Niedersachsen beschränkt.), Sachsens größte und wichtigste Gottheit, sein Schwertgott (Ziu war ursprünglich Himmelsgott, dann Thinggott, sein Sinnbild von jeher das Schwert.), der Spender von Kriegsruhm und Schlachtenglück. Nicht weniger wie 60 mal begegnen wir seinem Sinnbild und wollen sogleich die Wichtigkeit kennen lernen, die das Schwert im Sachsenlande spielte.
Sagen, die sich an Ziu anschließen, sind nicht vorhanden, wenn man nicht die Legenden von im Kriege gefallenen und begrabenen Generälen, Feldherren oder Großen heranziehen will, z.B. bei Guttau und Gleina.
Auch Ortsnamen geben wenig Hinweise auf ihn. Vielleicht hängt der Ziegelberg mit Ziu zusammen, auf dessen Fortsetzung vor Zeiten ein Kreuz stand. Ziesberg in der Elbgegend trägt auch seineu Namen.
Die Form der meisten Schwerter auf den Steinkreuzen entspricht der Zeit des 9.-13. Jahrhunderts mit deren Beginn die Parierstangen aufkamen, wie alle Schwertbildcr zeigen.
Es ist unsicher, ob unter den Spieß- und Stabgebilden sich Schwerter mit ganz kleiner oder gar keiner Parierstange verbergen. Ein Schwert mit sehr kurzer Parierstange ist mir unter anderem aus Claußnitz und eins auch aus dem benachbarten Böhmen bekannt. Die Bekehrung Sachsens setzte auch im 9. Jahrhundert erst ein, so daß in der Hauptsache Schwerter mit Parierstange zu erwarten sind. Das Schwert des Ritters Kourad Schenk von Winterstetten (1209 - 1243) im Dresdner Historischen Museum ist das beste Vorbild für eine Anzahl der sächsischen Steinkreuzschwerter.
Dies Schwertbild galt als hochheiliges Zeichen und ich sehe es als drittes der bei Tacitus Germania Cap. VII erwähnten Signa an, die als Rad, Hammer und Schwert in heiligen Wäldern aufbewahrt, im Kampfe vorangetragen wurden. Ist doch die Tragbarkeit, wenn auch nicht des Schwertes, was selbstverständlich ist, jedoch des Rades mitunter auf dem Kreuz dargestellt, wo z.B. das Radkreuz auf dem Stein von Pflanzwirbach in der Gegend der mittleren Saale und am Eingang der Pfarre zu Neschwitz einen Stil aufweist. Später wurde daraus das tragbare Prozessionskreuz, das wie viele andere romanische Kreuze seine Herkunft vom Radkreuz dadurch verrät, daß an den Enden der Kreuzarme sich kurze Querbalken befinden. Ein tragbares Kreuz, allerdings ohne Querbalken, ist an einem Stein an der Weißenbnrger Landstraße bei Bantzen dargestellt. Es wird von ihm erzählt: ein heidnisches Götterbild hätte dort gestanden. Sehr richtig, das Götterbild steht sogar noch, wir haben zweifellos den alten heiligen Stein vor uns.
Alte heilige Sclnverter als Weihebilder sind uns sogar gegenständlich überliefert, wie das von Valenciennes und das aus dem Delubrum Martis zu Köln (siehe Simrock, Germ .Myth. S.278).
Als überaus kriegerisches Volk verehrten die alten Sachsen wohl lange schon mit besonderer Vorliebe ihren Schwertgott Saxnot, der durch die siegreichen Kämpfe gegen die Türinger und Franken solch überragende Bedeutung erlangte, daß sie ihm und seinem Zeichen eine größere Verehrung widmeten. Welch Wunder, wenn sie das Schwert als ihren besten Schutz ansahen und es gleichsam als Heilzeichen und Wappenbild in Anspruch nahmen.
Was nun die Verbreitung des Schwertbildes als Kreuzzierat anbelangt, so kommt es bezeichnenderweise hauptsächlich in dem sächsischthüringischen Einwanderungsgebiete vor. Dies ist das Dreieck, das vom Erzgebirge, Thüringer Wald, Harz und Elbe gebildet wird. Darüber hinaus wird es sehr selten, findet sich noch wiederholter in Schlesien, d.h. östlich der Elbe am Gebirge entlang und im nördlichen Böhmen, auffallenderweise kaum in Niedersaehsen.
Das Thüringer Reich, das 531 zugrunde ging und mit Ausnahme der Harzgegenden das oben beschriebene Gebiet umfaßte, wird die Slaven gehindert haben, weiter vorzudringen. Diese sickerten ganz allmählich in deutsches Gebiet ein, das in unserm Falle von den Thüringern und Sachsen nur dünn bevölkert gewesen sein wird. Hier, wie gewöhnlich bei germanischen Wander- und Kriegszügen, hat die Güte der Mannschaft mehr als die Menge die großen Erfolge zu Wege gebracht, um in der darauffolgenden Untätigkeit in der eingeborenen oder einströmenden Volksmasse unterzugehen.
Durch die aufreibenden Kämpfe mit den Franken wurden die Thüringer immer schwächer und kamen schließlich unter den Einfluß der Sachsen, denen das Land als Belohnung für die den Franken geleistete Hilfe zufiel. Als sich dann die Wut der Franken zwei Jahrhuuderte später gegen die Sachsen selbst wandte, werden viele von diesen freiwillig oder mehr noch durch die Verordnungen Kaiser Karls gezwungen, ihre Heimat und die von dort aus zuerst besiedelte nordthüringische Mark verlassen haben, um weiter nach Südosten zu gehen. Wie sie sich mit den von Osten eindringenden Slaven auseinandergesetzt haben, ist nicht zu sagen, doch wissen wir, daß sie dieselben im Bunde mit den Thüringern als willkommene Hilfe gegen die Franken herbeiholten und infolgedessen, wahrscheinlich als Hcrrenschicht, friedlich mit ihnen gelebt haben müssen. Hierbei gingen beide Völker ihrer Gottesverehrung nach. Die Sachsenthüringer verehrten nach wie vor ihren Schwertgott, dem in der slawischen Mythologie eine verwandte Gestalt gegenübersteht im Donnergott Perkim mit dem Sinnbilde des Schwertes oder eines Pfeilbündels, wie es uns ein mährischer Kreuzstein zeigt. Auch sei hierbei auf die slawische Gottesbezeichuung Wet oder Wit oder Gott der Rache, Rugiewit mit sieben Köpfen und sieben Schwertern hingewiesen, mit dem vielleicht das Wittichkreuz bei Glashütte in Verbindung stehen könnte, wenn es nicht in den Wieland-Segenkreis der germanischen Mythologie gehört oder zu einer geschichtlichen Persönlichkeit.
Diese beiderseitige Verehrung von Schwertgöttern läßt also kaum Wunder nehmen, wenn das gemeinsame Heilzeichen eine große Bedeutung erlangte, die auch durch die Einführung des Christentums unwandelbar fortbestand, so daß es zu Schutz und Trutz im Mittelalter als Wappenbild aufgenommen wurde, ja die Herzöge von Sachsen das Recht, in Anspruch nahmen, den deutschen Kaisern das Schwert voranzutragen.
Das Auftreten der Schwerter im sächsischen Wappen ist allerdings erst unter dem Herzog Wenzel von Sachsen-Wittenberg (1370 - 1388) zum ersten Mal nachzuweisen.
Wie dem auch sei, es ist zweifellos, daß das Schwert seit uraltersher bei den Sachsen eine hervorragende Rolle spielte, die sich schon in dem eigenen Namen ihres Schwertgottes Saxnot kundtut. Unsere Steinkreuze bestärken uns in dieser Bedeutung.
Wir haben diese alten stillen Zeugen von einer ganz anderen Seite betrachten gelernt und gesehen, daß sie uns viel mehr zu berichten wissen und können uns den rätselhaften Umstand erklären, daß auffallenderweise an das im Steinkreuz sichtbare christliche Kreuzzeichen sich so viel heidnische Sagen und sonstige Bestandteile knüpfen.
Dadurch gewinnen diese alten Steine einen gewaltigen Wert. Sie sind uns nicht nur kultur- und völkerkundlich, in siedlungs- und verkehrsgeschichtlicher Hinsicht unersetzlich, sondern werden noch mehr, wie es diese Zeilen vermuten lassen, dazu dienen können, die dunklen Verhältnisse der germanischen Volksreligion zu erhellen.
Wir verstehen, warum diese unscheinbaren, ungefügen Steine sich nicht mit dem Formenreichtum und der Zierfreude der Zeiten vereinbaren ließen, in welche wir sie bisher setzten. Gewiß ist nicht daran zu zweifeln, daß eine Anzahl dieser Kreuze trotz ihrer Schlichtheit als Sühnedenkmäler des Mittelalters entstanden sind, doch dürfte nie ein heidnisches Bild ihre Formen zieren. In den meisten Fällen tragen Sühnedenkmäler Inschriften oder sonst untrügliche Zeichen.
Sehr befremdlich ist die seltene Erwähnung der Steinkreuze bei alten Schriftstellern und noch mehr das anscheinend vollständige Verschweigen in den Berichten der Missionare. Diese selbst werden vielleicht nur in seltenen Fällen die dauerhaften Kreuze gesetzt haben.
Erst die da nachfolgten, um deren Arbeit zu befestigen, richteten an den Gottesdienstplätzen ein Steinkreuz auf. Wie manche Zwittererscheinungen mögen hier zwischen heidnischen und christlichen Gebräuchen bestanden haben, wie es uns Bonifacius und andere Glaubensboten schildern, so daß es gar nicht auffallend wäre, auf dem christlichen Kreuz ein germanisches Götterzeichen zu finden.
Dieser Umstand läßt sich auch nicht mit den Sühneurkunden vereinbaren, um so mehr als diese ungelenken Strichzeichnungen ein viel höheres Alter verkünden. Hier soll auch der Stein von Jahnshain sprechen, der mit seiner menschlichen Figur spätestens dem ausgehenden 12. Jahrhundert angehört.
Suchen wir also nicht fieberhaft nach geschriebenen Urkunden, wir haben ihrer genug und sie können uns nicht sagen, was wir wissen wollen. Fragen wir das Volk und die Steine selber und wir werden die vorliegenden Betrachtungen wohl in vielen Fällen ergänzen können.
(in: Zeitschrift für Ethnologie 52/53, 1920/21, S. 64-67)