Deutschland Hessen Lkr. Bergstraße

Reisen / OT von Birkenau

PLZ: 69488

GPS: N 49° 34.935', O 8° 43.409'

Standort: Am nördlichen Ortsausgang von Reisen am parallel zur Bahnlinie verlaufenden Weg nach Mörlenbach.

Größe / Material: 130:44:15 / roter Sandstein

Geschichte: Das Kreuz liegt noch so, wie es schon bei Riebeling beschrieben ist, lose an die Böschung des Weges gelehnt, der Fuß sitzt lose auf der waagerecht liegenden Sockelplatte auf. Der Schaft des Kreuzes verbreitert sich von zunächst 15cm geschweift auf 34cm, dann nochmals über einen schrägen Absatz zu einer 46cm breiten Platte. Es weist zwei reparierte Bruchstellen auf.

Sage: Das sicher neuzeitliche Kreuz soll an einen tödlichen Reitunfall erinnern, wie berichtet wird.

Quellen und Literatur:
Riebeling, Heinrich - Steinkreuze und Kreuzsteine in Hessen, 1977, Ziff.6418.18
Bormuth, H. / Azzola, F.K. - Das Steinkreuz von Reisen bei Birkenau, aus: Kleine Beiträge, in: Geschichtsblätter für den Kreis Bergstraße, Bd.10, 1977, S.255-258
recherchiert und bebildert von Volker Rumpf, Ebsdorfergrund und Rudolf Wild, Annweiler-Queichhambach



Das Steinkreuz von Reisen bei Birkenau
Nachtrag zu "Die alten Steinkreuze im Landkreis Bergstraße",
in: Geschichtsblätter für den Kreis Bergstraße, Bd. 7 (1974)
von Heinz Bormuth und Friedrich Karl Azzola

Das Steinkreuz von
Reisen bei Birkenau

Abmessungen: Gesamthöhe 140cm, auf Sicht gearbeitete Höhe 95cm, Dicke 15cm, Länge des Querbalkens 44,5cm, seine Breite 15cm, Breite des Kreuzkopfes 15cm
Material: hellroter Sandstein

Zu den ältesten Zeugen der Vergangenheit Reisens gehört das Steinkreuz am Ortsrand neben der alten Straße nach Mörlenbach unweit der Bahnüberführung. In der Literatur ist dieses Denkmal bisher nicht erwähnt. Weder Rektor Pfeifer 1) noch Friedrich Mößinger 2) oder das Inventar der Steinkreuze im Landkreis Bergstraße 3) kennen dieses Kreuz, obgleich es seit Menschengedenken auf dem Rain neben der alten Mörlenbacher Straße liegt. Frau Helga Müller (Reisen) machte jetzt auf dieses in Vergessenheit geratene Denkmal aufmerksam, dessen Beschreibung hiermit nachgetragen werden soll.
Ältere Reisener Bürger glauben sich erinnern zu können, das Steinkreuz habe früher, vor dem Bahnbau, dort, wo es jetzt liegt, aufrecht gestanden, doch diese Erinnerung ist unsicher, so daß sich der ursprüngliche Standort wohl nicht mehr zweifelsfrei bestimmen läßt. Heute ist das Kreuz in drei Stücke zerbrochen (Abb.) was darauf schließen läßt, daß es einst umgestürzt ist und diesen Schaden erlitten hat. In Reisen wird erzählt, das Steinkreuz erinnere an ein Unglück; ein Arzt sei vom Pferd gestürzt und dabei ums Leben gekommen. Urkundlich ließ sich dieses Geschehen bisher nicht belegen.
Das Kreuz weist eine Gesamtlänge von 140cm auf, wovon 45cm als Fuß im Boden staken, so daß die sichtbare Höhe des Denkmals 95cm betrug. Man kann dies einwandfrei an der Oberflächenbehandlung der Schmalseite des sich stelenartig verbreiternden Schaftes erkennen. Diese tafelartige Verbreiterung tritt bei jungen Steinkreuzen des Odenwaldes und seiner Randgebiete auf. Hingewiesen sei hier lediglich auf das Steinkreuz beim Herrenwäldchen von Kirch-Brombach, das an den tödlichen Unfall eines jungen Burschen erinnert, der am 13. August 1793 von einem Baum gestürzt ist. Demnach ist das Kirch-Brombacher Steinkreuz ein Erinnerungsmal 4). Auch das 1879 in den Buchelsgräben von Schaafheim gesetzte Kreuz gehört zu dieser Gruppe junger Denkmäler. Seine Inschrift ist zwar nicht mehr lesbar, jedoch im Wortlaut überliefert. Danach erinnert das Kreuz an einen Jäger, der den Tod fand, als sich ein Schuß aus der eigenen Flinte löste. Schließlich erinnert auch das im Jahr 1892 in Wenigumstadt errichtete Kreuz an einen tödlichen Unfall.
Während die drei hier genannten jungen Kreuze des späten 18. und des 19. Jahrhunderts Inschriften tragen, ist das Reisener Steinkreuz bemerkenswerterweise inschriftlos – ein Charakteristikum mittelalterlicher Denkmäler. Zu seiner Datierung darf man sich jedoch nicht an der fehlenden Inschrift, nach unserer Auffassung auch nicht an den zuvor erwähnten sehr jungen Denkmälern orientieren. Bestimmend ist seine Besonderheit: der sich tafelartig verbreiternde Schaft. Grab-Steinkreuze dieses Typs treten erst im ausgehenden 17. Jahrhundert auf 5), finden sich in der ersten Hälfte 6), im Odenwald sogar noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts 7). Man geht nicht fehl, wenn man sich an diese Feststellung anlehnt und das Reisener Steinkreuz ebenfalls diesem Zeitraum vom ausgehenden 17. bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zuordnet.
Damals war die mittelalterliche Sitte, Sühnekreuze zu setzen, bereits Vergangenheit. Die im Jahr 1532 erlassene Peinliche Halsgerichtsordnung, die Carolina, hatte sich während des 16. Jahrhunderts im Deutschen Reich durchgesetzt und die dem germanischen Sippenstrafrecht entlehnten Sühneabreden für Mord abgelöst 8,9). Jüngere Kreuze sind demnach vorwiegend Erinnerungsmale an Unglucksfälle mit tödlichem Ausgang. Der zuvor genannten mündlichen Überlieferung, die dem Reisener Steinkreuz anhaftet, kommt demnach eine weit größere Wahrscheinlichkeit zu als bei mittelalterlichen Denkmälern, da in diesen Fällen sowohl durch den mehrhundertjährigen Abstand wie auch durch den Wechsel der Altbevölkerung nach den Nöten des 30jährigen Krieges die Überlieferungen wohl verblaßt waren.

Anmerkungen:
1) J. Pfeifer: Steinkreuze in der Umgegend von Weinheim. In: Die Windeck, Blätter für Heimatgeschichte und Volkskunde (Beilage zum Weinheimer Anzeiger), Jg.7, Nr.8 (August 1931), S.33-35.
2) Friedrich Mößinger: Steinkreuze zwischen Rhein, Main und Neckar. In: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde, N.F., 19 (1936), S.49-98.
3) Heinz Bormuth: Die alten Steinkreuze im Landkreis Bergstraße. In: Geschichtsblätter für den Kreis Bergstraße, Bd.7 (1974), S.49-91.
4) Fr. Mößinger (wie Anm.2), Anm.3.
5) Karlheinz Fischer: Die alten steinernen Grabkreuze im Kölner Raum. Eine Typenuntersuchung. Diss. TH Darmstadt 1956; insbes. Bild 121 auf S.196.
6) F. H. Kemp, J. Schäfer, H. Vogts: Die Inschriften der alten Grabdenkmäler und Wegekreuze der ehemaligen kurkölnischen Ämter Linz/Altenwied. Rheinische Friedhöfe, Heft 3, Köln 1966; insbes. Bild 27 auf Tafel V.
7) Friedrich Karl Azzola und Hermann Knodt: Die Grabstein-Inschriften von Lauerbach/Odw. In: Hessische Familienkunde, Bd.7, Heft 8 (Okober/Dezember 1965), Sp.395-400; insbes. Abb.2 auf Tafel III.
8) Heinz Bormuth: Steinkreuze – Rechtsdenkmäler aus alter Zeit. In: Sammlung zur Volkskunde in Hessen, Heft 6 (Flurdenkmäler im Kreis Dieburg), Otzberg-Lengfeld 1976, S.22-32.
9) Heinrich Riebeling: Steinkreuze und Kreuzsteine in Hessen. Ein topographisches Handbuch zur rechtlichen Volkskunde. Dossenheim/Heidelberg 1977.

(aus: Kleine Beiträge, in: Geschichtsblätter für den Kreis Bergstraße, Bd.10, 1977, S.255-258)


Sühnekreuze & Mordsteine