Deutschland Hessen Lkr. Hersfeld-Rotenburg

Unterhaun / OT von Hauneck


Blick zum Standort
Foto: Künzl (2011)

Zustand 2011
Foto: Künzl

PLZ: 36282

GPS: N 50° 50,135', O 9° 42,880'

Standort: An der frühmittelalterlichen Kirchenruine auf dem Kreuzberg oberhalb von Unterhaun. Auf der Umfriedungsmauer des späteren Friedhofs, direkt neben dem Pfosten des Eingangstores.

Größe / Material: 50:60:23 / Sandstein

Geschichte: Das Plateau des Kreuzberges oberhalb von Unterhaun ist nach dem Verfall der Kirche als Friedhof benutzt worden. Das Kreuz wurde 1937 bei Grabungen zur Freilegung der frühmittelalterlichen (9.Jh.?) Kirchenruine unter dem Schutt geborgen, nebst zwei mittelalterlichen Grab-Kreuzsteinen. Bei Renovierungsarbeiten wurde es 1969 gesichert und sitzt heute mit den Armen auf, da der Schaft abgebrochen ist. Seit dem Fund bereitete die Deutung des Steinkreuzes Schwierigkeiten: die Ausgräber von 1937 konnte noch Bruchstücke der mittlerweile nicht mehr lesbaren Inschrift auf den Kreuzarmen entziffern: AO 15[...] (14?), gedeutet als ein Grab-Steinkreuz von Anno 1514. Heinrich Riebeling widerspricht dieser Darstellung in seinem Buch "Steinkreuze und Kreuzsteine in Hessen" und vermutet in dem Kreuz das ehemalige Giebelkreuz vom Westgiebel der verfallenen Kirche. Er argumentiert mit der sorgfältigen achtkantigen Behauung, mit dem "sanduhrähnlichen Steinmetzzeichen" sowie mit dem auffälligen Loch "vermutlich zur Aufnahme einer Halterung". Der bekannte Steinkreuzforscher Prof. Friedrich Karl Azzola hat sich jüngst mit dem Steinkreuz befaßt und widerspricht beiden bisherigen Versionen. Er identifiziert das "sanduhrähnliche Steinmetzzeichen" als Haue, das Standeszeichen des Müllerhandwerks (technisch handelt es sich hierbei um den Kraftschluß zwischen der rotierenden Achse und dem Läuferstein einer Mühle). Insofern sei das Steinkreuz der Rest eines Sühnekreuzes für einen auf gewaltsame Art zu Tode gekommenen Müller, welches anno 1514 errichtet als Flurdenkmal worden sein könnte. Die Jahreszahl ist heute aufgrund der fortgeschrittenen Verwitterung nicht mehr nachvollziehbar. Wo es ursprünglich gestanden hat, ist nicht mehr bekannt.

Sage:

Quellen und Literatur:
Riebeling, Heinrich - Steinkreuze und Kreuzsteine in Hessen, 1977, S.112, Ziff.5124.6
Azzola, Friedrich, Karl - Das Steinkreuz-Bruchstück von St. Crucis über Unterhaun nahe Bad Hersfeld, in: Mein Heimatland, Bd.44, Nr.11, Nov.2005, S.41-43
recherchiert und bebildert von Thorsten Pirkl, Petersberg (Foto von 2007)
Ergänzungen von Barbara und Gert Künzl, Bürgel (Fotos von 2011)



Das Steinkreuz-Bruchstück von St. Crucis
über Unterhaun nahe Bad Hersfeld

Der Rest eines spätmittelalterlichen Flurdenkmals von 1514?
Von Prof. Dr. Friedrich Karl Azzola, Trebur

Abb. 1: Das Bruchstück eines Flur-Steinkreuzes aus dem beginnenden 16. Jahrhundert an seinem alten Standort bei der Ruine von St. Crucis über Unterhaun. Die Aufnahme aus dem Jahr 1966 lässt auf dem Querbalken noch Reste einer zweizeiligen Inschrift erkennen; darunter eine Haue als historisches Müllerzeichen.   Foto: Azzola

Bei den 1937 durchgeführten Grabungen zur Freilegung des Zentralbaues auf dem Kreuzberg über Unterhaun nahe Bad Hersfeld 1) traten nicht nur zwei mittelalterliche Grab-Kreuzsteine 2) sondern auch das Bruchstück eines Steinkreuzes 3) zutage (Abb. 1). Der Ausgräber bezeichnete dieses Bruchstück als Rest eines Grabsteins; Heinrich Riebeling vermutete ein Giebelkreuz 4). Offensichtlich bereitete die Deutung des Denkmals Schwierigkeiten. Dem Ausgräber lieferte die zweizeilige Inschrift auf dem Querbalken (Abb. 1) das Argument für seine Interpretation, obgleich er schon vor 65 Jahren nur noch geringe Reste dieser Inschrift entziffern konnte - und davon etliches noch nicht einmal zweifelsfrei.
Die Inschrift beginnt auf dem Querbalken links oben mit den beiden Buchstaben "AO" für ANNO, danach folgen vier Ziffern, von denen auf der Abbildung 1 aus dem Jahr 1966 die erste als eine "1" und die zweite als eine spätgotische "5" zu lesen wären. So glaubte der Ausgräber, die Jahreszahl 1514 lesen zu können.
Im beginnenden 16. Jahrhundert war die verbindliche frühe Grabsteinform im Raum Fulda-Rothenkirchen-Hersfeld der Grab-Kreuzstein und nicht das Grab-Steinkreuz. Insofern kann die Identifikation des Ausgräbers nicht zutreffen. Die entscheidende Hilfe zur funktionsgerechten Identifizierung des Steinkreuz-Bruchstücks (Abb. 1) bietet das kleine Zeichen im Schaftansatz, das man leicht übersieht und deshalb hier als vergrößerte Skizze beigegeben ist (Abb. 2). Nach bisheriger Kenntnis gibt es nur noch ein zweites Flurdenkmal mit diesem Zeichen nunmehr in Flachrelief und zwar einen Kreuzstein bei Wüstenbuchau in Oberfranken (Abb. 3): Es ist eine Haue.

Abb. 2: Skizze der Haue vom Steinkreuz bei St. Crucis als Detail aus der Abbildung 1. Skizze: Azzola

Die Haue stellt den Kraftschluss zwischen der rotierenden Achse und dem Läuferstein einer Mühle her. Abbildung 4 zeigt eine mit Blei in einen Läufer eingegossene zweiflügelige Haue aus dem Freilichtmuseum Anzenaumühle bei Bad Goisern in Oberösterreich 5).
Die Haue konnte sich als historisches Müllerzeichen lange halten, obgleich im Ablauf der Entwicklung auch das Kammrad sowie das oberschlächtige und unterschlächtige Wasserrad als Müllerzeichen hinzukamen 5). So zeigt Abbildung 5 den Grabstein des gewesenen Herrenmüllers Sebastian Kesseler von 1699 in Büdingen, dessen Haue nunmehr wappenartig gefasst ist (Abb. 6). Heute sind die Inschrift-Reste auf dem Querbalken des Bruchstücks von Unterhaun bis zur Unkenntlichkeit verwittert; nur noch die Haue darunter ist immer noch gut erhalten (Abb. 1).
Versucht man dank der hier vorgelegten Materialien eine Antwort auf die in der Überschrift gestellte Frage, so bereitet dies nunmehr keine Probleme: Das Bruchstück ist der Rest eines spätmittelalterlichen Steinkreuzes aus dem beginnenden 16. Jahrhundert, wobei die vom Ausgräber genannte Jahreszahl 1514 sich dank der fortgeschrittenen Verwitterung nicht mehr bestätigen lässt. Errichtet wurde das Steinkreuz für einen Müller, der einst gewaltsam umgekommen und unversehen, also ohne Ausstattung mit dem Sterbesakrament, umgekommen war.
Es forderte die Vorübergehenden auf, für die arme Seele des Umgekommenen Fürbitten zu beten. Wie man sich das einst komplette Steinkreuz vorstellen darf, zeigt Abbildung 7. Da das Bruchstück im Schutt der Ruine von St. Crucis gefunden wurde, wird man wohl nie erfahren, wo das Steinkreuz im Sinne der Abbildung 7 einst stand, welche mündlichen Überlieferungen an dem Denkmal hafteten, wodurch es zu Bruch ging und wie der 1937 aufgefundene Rest unter den Schutt der alten Kirche geriet.

Abb. 3: Der spätmittelalterliche Flur-Kreuzstein bei Wüstenbuchau in Oberfranken mit einer Haue als Müllerzeichen links unten.   Foto: Azzola

Abb 4: Eine mit Blei in einen Läuferstein eingegossene zweiflügelige Haue aus dem Freilichtmuseum Anzenaumühle bei Bad Goisern in Oberösterreich.   Foto: Azzola

Abb 5: Der Grabstein des gewesenen Herrenmüllers Sebastian Kesseler, 1669, in Büdingen (Oberhessen) mit einer zweiflügeligen Haue als historisches Müllerzeichen.   Foto: Azzola

Abb 6: Die wappenartig gefasste Haue als Detail aus der Abbildung 5.   Foto: Azzola

Abb 7: So muss man sich das spätmittelalterliche Steinkreuz vor seiner Zertrümmerung vorstellen. Foto und ergänzende Skizze: Azzola

Anmerkungen
1) Rudolf Wesenberg: Die Freilegung eines Zentralbaues in Unterhaun. Ein vorläufiger Bericht, in: Hessische Heimat 1 (1937), Nr. 2, S. 52 - 60.
Ders.: St. Crucis bei Hersfeld, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 18 (1955), S. 61 - 67.
2) Friedrich Karl Azzola: Neues zur Datierung der beiden Grab-Kreuzsteine von St. Crucis bei Unterhaun im Kreis Hersfeld, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde Band 81 (1970), S. 231 - 238.
3) Anm. 1, S. 60.
4) Heinrich Riebeling: Steinkreuze und Kreuzsteine in Hessen. Dossenheim/Heidelberg 1977, S.112 unter der Nr. 5124.6.
5) Friedrich Karl Azzola: Zwei Epitaphien mit historischen Handwerkszeichen der Müller, 1587 und 1590, vom Friedhof bei St. Peter in Straubing. Zugleich ein Beitrag zur Vielfalt historischer Müllerzeichen, in: Jahresbericht des Historischen Vereins für Straubing und Umgebung, Jg. 99 (1997), S. 193 - 210.

(Mein Heimatland, Bd.44, Nr.11, Nov.2005, S.41-43)


Sühnekreuze & Mordsteine