Ikonographie |
Betrachten wir die Eintragungen und Eingrabungen, von Narren- oder Kinderhänden welche an den Wandbrettern der Lutherstube auf der Wartburg
im Laufe der Zeit zugefügt, so finden wir - man ist fast versucht, Gott sei Dank zu sagen - neben den Namen, Buchstaben und Monogrammen auch Jahreszahlen. Diese
lassen nicht nur erkennen, wie die Sitte des Wandbeschmierens schon zur Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts im Schwange war, (die älteste Wandbemalung der
Lutherstube soll die Zahl 1560 als Datum tragen, oder getragen haben) sondern überzeugen uns auch von dem Jahrhunderte alten, unveränderten Wandbehang des Raumes.
An der Südwand des ritterlichen Gefängnisses Junker Jörgs erregt unsere Aufmerksamkeit unter unzähligen Eintragungen ein mit dem Messer der Bretterwand
eingegrabenes Zeichen, das eine Verschränkung einer Reihe lateinischer Buchstaben, (HNESFA [?]) sozusagen als
Monogramm zeigt. Diese über und ineinandergestellten Buchstaben werden überkrönt von einem der arabischen 4 ähnlichen Zeichen. Als ich dieses zum ersten Male
vor vielen Jahren bemerkte, fiel es mir wohl zunächst als ungewöhnlich oder zumindest mir unverständlich auf, aber ich vergaß es dann wohl bald. Nach einiger Zeit
bemerkte ich dann am Clas-Cley-Stein, am sogenannten Promenadenweg zur "Hohen Sonne", ein der erstgenannten 4 gleichendes Zeichen, nur hat der horizontale
Strich noch einen vertikalen Querstrich , so, dass er in einer Kreuzform endet, ein Bild, dem ich noch oft begegnen sollte.
Als ich dann in der St. Georgenkirche zu Eisenach an einem Epitaph des Johannes Breithaupt von dem Jahre 1591 in den Krallen eines Löwen (oder gekrönten
Leoparden) ein gleiches Zeichen (4 mit Schlußkreuz) fand, wurde ich aufmerksam und beschloß, diesem seltsamen Zahlenzeichen nachzugehen, sein Vorkommen
an möglichen Stellen und Orten festzustellen, seine Form und deren Abwandlung zu beobachten und zu versuchen, dieses, zunächst mir unverständliche Zeichen zu deuten.
Zuvorderst vertiefte ich mich in die Arbeit des um die Eisenacher Ortsgeschichtsforschung hochverdienten Hugo Peter: "Hausmarken und Steinmetzzeichen in und
um Eisenach" aus der Reihe der "Beiträge zur Geschichte Eisenachs". Ich war beglückt zu lesen, wie auch ihm schon vor mehr als 40 Jahren das mysteriöse Zeichen
der 4 aufgefallen war. Er schreibt darüber auf Seite 20 seiner oben angedeuteten Arbeit folgendes: "Eine auffallende Beobachtung die man an den Hausmarken und den
ihnen verwandten Zeichen gemacht hat ist das außerordentlich häufige Vorkommen der einer arabischen 4 gleichenden Form". Leider unternimmt Peter des weiteren
keinen Versuch einer Deutung dieser ihm auffallenden Form.
Unterdessen stieß ich auf meinen Wanderungen und Reisen durch Deutschland immer häufiger auf das Zeichen. Ich fand es an den Felsen im Zwinger der Burg
Hanstein, an dem Familienepitaph der H. in der Kirche Friedrichsrode, an dem Erker der Komturei Liebstedt bei Weimar und unfern des Goethe-Hauses, als Hauszeichen
eines alten Besitzers in Artern. Ich bemerkte es an einem Epitaph in der Stiftsruine in Hersfeld, als Steinmetzzeichen an der Stadtburg in Vacha, in erhabener
Steinmetzarbeit an einem Epitaph der prächtigen Marienkirche in Gelnhausen (dort 4 Zeichen an vier Epithaphen), ebenso einem Epitaph nicht weit der holländischen
Grenze, in der alten Kirche zu Burgsteinfurth in Westfalen. Ich erblickte es in Hamburg als Hausmarke eines Cordt (Curt = Conradt) Kordes , in gleicher Eigenschaft zu
Rodt in der Pfalz, in einer Kirchenwand in der Altmark, am Bachhaus zu Arnstadt als Hausmarke, und auf der Hohensyburg in Westfalen. Mein Notizbuch füllte sich mit
vielen Aufzeichnungen und Skizzen.
Es war nicht verwunderlich, dass die Form der 4 sich hier und dort ein wenig veränderte, dass sie manchmal schräg und oben spitzwinklig, dann breiter ausladend
erschien. Auch trug sie oft die Kreuzform im Auslauf ihres Querbalkens. Sie thronte manchmal über einer Buchstabengruppe, dann wieder über einem Anker, einem
Dreieck, einem nach unten offenen Winkel. Auch bekam hier und dort der Querstrich der Zahl eine Parallele, seltener zwei gleichlaufende Querstriche darunter. Ja, es
wurde dann und wann auch die 4 "spiegelverkehrt“"sichtbar, d.h. die Nase der 4 erschien. [...]
[...] Die Frage ist nun zu beantworten: was bedeutet dieses Zeichen? Wenn es so zahlreich an Hausmarken, auf Grabsteinen und auch in Wappen sichtbar wird,
muß es wohl ein allgemein seinerzeit gültiges Symbol, nicht aber ein im Benutzungsrecht abgegrenztes Sippen - und Hauszeichen gewesen sein. Der Gedanke, dass
der Inhaber dieses Zeichens einst ein Vierherr (Tetrarch), ein Viertelsmeister gewesen , und deshalb die 4 gleichsam als Amtszeichen hätte führen können, musste sofort
fallen gelassen werden, da man den Beweis dafür nicht hätte erbringen können.
Ebenso erschien es völlig abwegig, etwa den astronomischen Zeichen für den Planeten Jupiter 4, dessen sich ja so gern Goethe in seinen Briefen bediente (wenn er
Carl August andeuten wollte) mit unserem, der arabischen Zahl 4 ähnlichen Zeichen in Verbindung oder Abhängigkeit zu setzen. Beide Zeichen haben zwar einiges in der
äußeren Form, doch in der inneren Bedeutung nichts, was sie zu einander in nähere Beziehung bringen könnte.
Ist das Zeichen vielleicht eine Erinnerung, eine überlieferte Form aus der germanischen Vorzeit? Ist es etwa eine Rune, oder runenähnlich, in christlicher Zeit wieder
aufgetaucht und naiv oder bedenkenlos weitergeführt worden? Allerdings, eine unmittelbare Ähnlichkeit unseres Zeichens mit einer Rune ist nicht festzustellen, dagegen
haben die spiegelverkehrten Formen der 4 eine gewisse Aehnlichkeit mit der Pard- oder Perd-Rune. [...]
[...] Der Rahmen unserer Arbeit würde auf das Eingehen auf diese Hypothese gesprengt und der Fortgang der Untersuchungen kaum gefördert werden.
Auch die Aehnlichkeit mit der Kreuzform und die öfters unten in einen Anker wurzelnde Form des Zeichens soll uns nicht bewegen , die 4 als ein Symbol zu deuten,
das, mit dem Anker vereint, etwa: Glaube und Hoffnung bedeuten könnte Wir müssten in diesem Falle nach dem dritten Zeichen : dem Herzen suchen, um die Trias:
Glaube, Liebe, Hoffnung konstruieren zu können. Aber nach meinen - natürlicherweise ergänzungsbedürftigen Beobachtungen fehlt das Herz bei allen Zeichen, die den
Anker im Grunde tragen und, wo einmal das Herz erscheint am Fuß der 4, da fehlt der Anker. Also mit der Synthese: Glaube, Liebe, Hoffnung ist es auch nichts.
Und wenn es nun wirklich eine 4 wäre, was hätte uns dieses Zeichen als Symbol in mittelalterlicher Deutung zu sagen? Da müssen wir uns schon ein wenig mit der
mittelalterlichen Zahlensymbolik befassen, die eine große Rolle einst spielte und manchesmal sich in der Mystik verlor. Die von der Symbolik am meisten ausgezeichnete
Zahl ist zweifelsohne die Ziffer 7. In der Offenbarung des St. Johannes und der Apokalypse ist sie vielfach vertreten, aber auch in den Evangelien und im kirchlichen
Leben. 7 Siegel im Buch, 7 güldene Leuchter, 7 Sterne in Christi Hand, Engel, Bitten des Vaterunsers, Worte am Kreuz, Werke der Barmherzigkeit, Todsünden,
Sakramente der katholischen Kirche, Schwerter und Schmerzen der Jungfrau Maria, 7 magere und 7 fette Jahre. [...] Nach der mittelalterlichen Ansicht war die
Siebenzahl besonders heilig und geweiht, dass sie sich aus den Grundzahlen der göttlichen 3 (Dreieinigkeit, Glaube-Liebe-Hoffnung, drei Stufen der Buße;
Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft; aber auch weltlich - halbgöttlich: drei Nornen, Grazien, Parzen usw.) und der weltlichen 4 zusammensetzt. [...] In der Tat wertete
man die 4-Zahl vornehmlich weltlich. Man zählte vier Lebensalter der Menschen (Kind, Jüngling, Mann, Greis) vier Tageszeiten, vier Jahreszeiten. [...]
[...] Wenden wir diese Deutung der 4 auf unser Zeichen, das wir in Hausmarken, Steinmetzzeichen, Meisterzeichen, Wappen, Siegelmarken usw. finden, an, so
wird uns wohl bald klar werden, dass uns mit dieser Symbolik der Zahl kaum gedient ist. Die Zahl 4 wird unserem Zeichen kaum etwas zu sagen haben. Wir sind also
gezwungen, uns nach einer anderen Deutung umzusehen, auch auf die Gefahr hin, hier und dort Ablehnung und Widerspruch zu begegnen. Es kann sich ja nur um den
Versuch einer Deutung handeln. Dabei ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass dieser Deutungsversuch der wahren mittelalterlichen Symbolik unseres Zeichens, wenn
auch nicht völlig entspricht, so doch der Wirklichkeit im Motiv des Zeichens nahe kommt. Vorausgeschickt aber sei die Tatsache, dass viele aus der Zahl derer, die das
Zeichen als Hausmarke, im Monogramm, Signet, Wappen, Siegel usw. anwandten, sicherlich nicht einmal wussten, was dieses zu bedeuten habe; vielmehr das Zeichen
in der Fortführung eines Gebrauchs, einer Sitte, einer Mode, sagen wir: aus bewusstem oder unbewusstem Traditionsgefühl gewählt haben. [...]
[...] Ich möchte an dieser Stelle auf die im Laufe der Jahrhunderte verschiedenartige Deutung des Zeichens aus der Frühzeit des Mittelalters machen, wie das oft
auch in Monogrammform gebrachte IHS es uns zeigt. Von der Wissenschaft als die beiden ersten (griechischen)
und - mit Abbreviatur - der letzte Buchstabe des Wortes Jesus gedeutet, wird es in der späteren Legende um den christlichen Kaiser Konstantin als die
Anfangsbuchstaben des "in hoc signo" (vinces), unter diesem Zeichen (wirst du siegen) vermerkt. Von den Jesuiten wurde es später wiederum anders: "Jusus hominum
salvator" - in "Jerusalem ruht das Heil" ausgelegt.
Bei unserem Zeichen , wenn es in Verbindung mit Buchstaben erscheint, sind ohne weiteres diese als Anfangsbuchstaben der Namen der Eigentümer, Besitzer
usw. anzusehen. In unserer Tafel bemerken wir nun aber eine interessante Zusammenstellung des oben erwähnten IHS mit dem Kreuzzeichen und unserem Zeichen
der 4. Es ist das gleichsam eine Weihung des Felsens, auf dem die mächtige Ruine der Burg Hanstein sich erhebt. (Bildtafel 5, 6.) Unmittelbar über der etwa 50
Zentimeter in der Breite messenden Einmeißelung liegt die Burgkapelle. Man wollte wohl auch den Grund des sakralen Raumes mit dem dreifachen Zeichen heiligen,
weihen: mit dem IHS, mit einem Kreuz und endlich noch mit unserem Zeichen der 4. Es muß dieses Zeichen, mittelalterliche gewertet, doch wohl von ähnlicher
Bedeutung wie die beiden anderen Zeichen sein, sofern es nicht durch etwa das Steinmetzzeichen des ausführenden Werkmannes ist. Als ich in Naumburg in der großen
Marienkirche auf der Jagd nach unserem Zeichen war, und einige Einwohner nach der Bedeutung des Zeichens fragte, wurde mir neben anderen Antworten (Hausmarken,
Wappen, ...) eine Auskunft erteilt, die mich aufhorchen ließ. Man sagte mir wörtlich: das sei ein Haussegen, es seien mehrere Kreuze darin enthalten. Je länger ich mir
nun unsere 4 daraufhin ansah, um so fester wurde bei mir die Gewissheit, in den Zeichen über den Haustüren, auf den Grabsteinen, über den Monogrammen, eine
segenspendende Linie, eine symbolische Form himmlischen Segens zu erblicken: dazu angebracht, das Haus, den Besitzer, auch die Toten, oder die mit Buchstaben
angegebenen Lebenden zu segnen.
Die Linienführung des segenspendenden Priesters und das kleine Kreuz am Auslauf der Querlinie folgt ebenso genau der Gepflogenheit der Priester, beim
Segenspenden und Kreuzschlagen die Handbewegung mit dem Schlagen eines kleinen Kreuzes zu beenden. Unser Zeichen der 4 kann also mit einigem Recht und
ziemlicher Sicherheit als ein einen Kreuzsegen gebendes Symbol betrachtet werden, sofern es als Hausmarke, Eigentumszeichen, Wappen, Siegel usw. zu sehen ist.
Als Steinmetzzeichen scheint es bewusst oder unbewusst als "gutes Zeichen" übernommen zu sein. [...]
Bemerkungen zu der Bildtafel:
1 Wartburg, Lutherstube - um1720 2 Eisenach, Claes Cley-Stein (Ausschnitt) - gesetzt 1620 3 Eisenach, Georgenkirche Grabplatte d. Johannes Breithaupt - 1591 4 Starkenburg, Hauszeichen F. Franz - 1662 5, 6 Burg Hanstein, am Fels des Südzwingers 7 Hamburg, Hauszeichen Cordt Kordes - 1575 8 Naumburg, St. Wenzel, Hostiendose - 16. Jahrhundert 9 Naumburg , Seilergasse 18, Hausmarke 10 Wappen der Fam. Hedde-Steckelmann 11 Saalfeld, Hausmarke - 1804 12 Arnstadt, Bachhaus 13 Rhodt (Pfalz) Hausmarke 14 Arnstadt, Hotel zum Schwan 15 Görlitz, Hauptfriedhof, Erbbegräbnis 16 Saalfeld, Haus am Johanniskirchhof 17 Saalfeld, Haus am Johanniskirchhof 18 ?/Altmark, An einer Kirchenwand 19 Oybin, Pard-Rune (Christus-Monogramm) 20 Naumburg, Große Marienstr.14 21 Naumburg, Große Marienstr.12 22-24 Friedrichroda, Kirche, Familienepitaph - um1580 25 Freyburg/Unstr., Haus Kloß - 1552 26 Leipzig, Offizin Haag-Drugulin |
27 Wolfshagen, Franz-Westphal-Verlag 28 Schmalkalden, Fedor-Wilisch-Verlag 29 Naumburg, St. Wenzel, Meisterzeichen am Südportal 30 Liebstedt, Konturei, Erker 31 Hohensyburg, St.Peter 32 Gelnhausen, St. Marien, Epitaph 33 Hersfeld, Stiftsruine, Epitaph 34 Gelnhausen Epitaph 35 Burgsteinfurth, Alte Kirche, Epitaph 36-38 Häufig kommende Arten des Zeichens der 4 40 Caspar Preibisch Wappen 41 Schweiz Rungger Wappen 42 Rivier (ripa) Wapppen 43 Lauchröden, Burggut, Am Tor, Steinmetzzeichen - 1562 44 Eisenach, Kreuzkirche, Wappen des Herrn Senger auf dem Rödiger-Epitaph 45 Eisenach, Markt 18, Hausmarke - um1750 46 Ruhla, Alte Traube, Hausmarke 47 Vacha, Stadtburg, Steinmetzzeichen 48 Eisenach, Siegelmarke eines Bürgers (Sammlunmg Werneburg) 49 Kuttenberg (Böhmen), St. Barbara, Steinmetzzeichen - um1490. |