Geschichte & Forschung Rechts-Bräuche

Kopf abpflügen


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Bestrafung des Felddiebstahls.
   Es stehn in verschiedenen Feldmarken der Fürstenthümer Göttingen und Grubenhagen und darüber hinaus Steine, an denen ein Pflugrad oder eine Pflugschar eingehauen ist oder sein soll. Von diesen Steinen geht die Sage, daß darunter ein Mann begraben liege, dem an der Stelle dafür, daß er einen im Felde stehenden Pflug bestohlen (das Eisen davon genommen hatte), der Kopf abgepflügt wurde. Dem Frevler, der diese Strafe erleiden sollte, ward vorher ein lager in der Erde bereitet und dann der Pflug so über ihn weggeführt, daß ihm das Eisen den Kopf abschnitt.
   Ein Stein dieser Art steht nahe bei dem Dorfe Diemarden an dem Wege nach Reinhausen. Dann noch in folgenden Gegenden: bei dem Dorfe Hullersen im Amte Einbeck "unter der Linde"; bei dem Dorfe Eilensen hart an der Straße, die von Einbeck nach Dassel führt; bei dem Dorfe Amelsen im kleinen Anger, auf welchem das Pflugrad noch deutlich zu erkennen ist, und auf dem Kreutzplatze bei Oldendorf. Der Mann, welcher an dieser Stelle todt gepflügt wurde, geht dort noch jetzt in ganz schwarzer Gestalt um.
   Zwei solcher Steine stehn bei Lüthorst, unter denen zwei Männer begraben liegen, welche Ackergeräthe aus dem Felde gestohlen hatten; zwei andere an der entgegengesetzten Seite des Dorfes, da wo der Weg nach Wangelstedt führt. Einst hatte ein Mann aus Lüthorst einen dieser Steine weggeholt, um ihn zu einer Treppe vor seinem Hause zu benutzen. Da erhob sich in jeder nacht in dem Hause ein so starkes Gepolter, daß die Menschen es nicht mehr darin aushalten konnten. Dieses dauerte so lange fort, bis der Stein wieder an seine Stelle gebracht war.
   Auch im Pinkler Felde der Einbecker Feldmark bei "Gerken Brunnen" nicht weit von der Linde, an der Stelle, welche man up Sünle Jaust nennt, befinden sich zwei solcher Steine. Unter einem derselben (nach andern unter beiden) soll ein Mann begraben sein, dem der Kopf abgepflügt wurde, weil er einen Pflug aus dem Felde gestohlen hatte. Um die Jahreszeit, wo er die Strafe erlitt, geht er noch immer ohne Kopf um den Stein herum. Einige meinen, er habe deshalb keine Ruhe, weil sich später herausstellte, daß er unschuldig war.
   Endlich stehn noch zwei bei dem Dorfe Meensen links am Wege, der nach Münden führt, zwei Feldsteine, auf denen ein Rad eingegraben ist. Unter dem einen liegt ein mann begraben, dem der Kopf abgepflügt wurde, weil er einen Grenzstein verrückt hatte.
(Schambach, Georg / Müller, Wilhelm - Niedersächsische Sagen und Märchen, 1854, Nr.56, S.38-39)

[...] Diese Rechtsschutzsagen gehören zu den verbreitetsten Sagentypen. Ein bekanntes Beispiel ist die Sage vom Grenzsteinverrücker, der um eines an sich vielleicht geringen Vergehens am Gut seiner Nachbarn willen nach dem Tod ruhelos an der Grenze seiner Felder herumirren muß und erst Erlösung findet, wenn der von ihm verschobene Grenzstein wieder an seiner Stelle steht. Die Sagen schildern diese geisternden Toten als feurige Männer, als Gestalten, die den fraglichen Grenzstein auf den Schultern oder ihren eigenen Kopf unterm Arm tragen. Von Künßberg hat daraufhingewiesen, daß gerade dieses letzte Motiv in eigentümlicher Weise übereinstimmt mit der Strafbestimmung in zahlreichen Weistümern: dem Grenzfrevler soll, nachdem er bis zur Achsel eingegraben worden ist, mit einem Pflug der Kopf vom Leibe getrennt werden. Nach allgemeiner Ansicht handelt es sich dabei um eine Strafandrohung, die in Wirklichkeit nie vollzogen worden ist; man hätte sonst in den reichlich vorhandenen Quellen der Rechtspraxis mit Sicherheit darauf stoßen müssen. Die Beziehung zwischen Sage und sagenhafter Strafe im Weistum ist auffallend, und ihr nachzugehen wäre eine lohnende Aufgabe, denn eine Wechselwirkung scheint durchaus nicht ausgeschlossen, wenn auch bis jetzt noch keine Sage bekannt ist, in der die Kopflosigkeit des Geistes mit dem Abpflügen begründet wird. Zweifelhaft bleibt wahrscheinlich auch bei einem positiven Ergebnis einer solchen Untersuchung die Entscheidung, ob die Sage die Rechtssatzung, oder die Rechtssatzung die Sage beeinflußt hat. Beides ist im Bereich der Möglichkeit, besonders wenn man in Betracht zieht, daß die Weistumstexte jährlich einmal oder mehrfach der versammelten Dorfgemeinde vorgelesen wurden. Man darf annehmen, daß gerade die Rechtssätze über die Grenzen, wie alle Sätze über materielle Nachbarrechte, aufmerksame Zuhörer fanden. [...]
(Kramer, Karl-S. - Problematik der Rechtlichen Volkskunde, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1962, S.52)

Die öffentliche Strafe: § 78:
[...] Auch wird man in Anschlag bringen müssen, daß nicht alle im nähmlichen Recht vorkommenden Rituale aus der nähmlichen Zeit stammen, wie z.B. das Abpflügen des Kopfes nicht über die Zeit der eisernen Pflugschar zurückreichen kann, daher auch nur in räumlich beschränkter Verbreitung (Deutschland) vorkommt. [...]
[...] Wiederum gehört hierher beim Enthaupten der Gebrauch von Block, Barte und Schlegel, in bestimmten Fällen auch der Pflugschar, das aufstecken des abgeschlagenen Hauptes, beim Ertränken die Wahl der Flutgrenze als Hinrichtungsort. [...]
(Amira, Karl von - Grundriss des germanischen Rechts, 1913, S.241-242)

[...] Steine mit Darstellungen von Rädern oder Pflugscharen werden nach Grimm für Hinrichtungssteine gehalten, weil an ihrem Aufstellungsort ein bis zum Halse in das Erdreich eingegrabener Mensch durch Abpflügen des Kopfes getötet worden sei. Zu einem früher bei Sudheim stehenden Steine erzählt die Sage, "daß einem Knechte, der einen Pflug gestohlen habe, der Kopf abgepflügt sei. Seinem Gedächtnis sei der Stein gesetzt." [...]
(Görlich, Joachim-Ulrich - Kreuzsteine - Mordsteine - Galgensteine, 1976, S.17)

Auch ausgesprochene Rechtssagen "Rechtsdenkmalsagen" im engeren Sinn, knüpfen an Steinkreuze an, vor allem das bekannte Motiv der Bestrafung durch Kopfabpflügen ist belegt.
(Losch, Bernhard - Die Steinkreuzsagen, in: Losch, Bernhard - Steinkreuze in Südwestdeutschland, 1968, S.99-120)

[...] Diese Erzählung hält einen vor tausend Jahren geübten Rechtsgrundsatz fest. Damals galt: Wer auf dem Feld einen Pflug oder etwas Ähnliches stiehlt, soll bis zum Hals in den Boden gegraben werden. Dann müssen Ochsen den Pflug gegen den Kopf ziehen, ist dieser dann nicht weggezackert, so darf der Dieb am Leben bleiben.
(Matthes, Wilhelm - Öhringer Heimatbuch, 1929, S.390-391)

[...] War am Hoheitsmale ein Pflugkörper abgebildet, so zeigte dies an, daß der ergriffene Missetäter in das vertiefte Loch des versetzten Steinkreuzes bis zum Halse vergraben und über seinem Kopf mit dem Pfluge, der mit drei neugespitzten Eisen besetzt war, dreimal hinweggefahren wurde, "ob er davon kommt oder nicht".
(Blöchl, Franz - Von alten Steinkreuzen und Kreuzsteinen, Pilsen 1936, S.10)

[...] Es ist wahrscheinlich, daß auch in Steinbach (bei Bad Liebenstein im Thr. Wald) ein Weistum, nämlich eine Rechtsprechung wie in Barchfeld herrschte, wo jeder, der einen Grenz- oder Markstein ausgrub, um ihn zu verrücken, mit dem Tode bestraft werden sollte. Er sollte lebendig so tief in die Erde eingegraben werden, daß nur der Kopf hervorsah, und über diesen soll ein neuer Pflug, von vier Pferden gezogen, so lange hin und her gehen, bis er vom Rumpf getrennt ist. Aber trotz dieses grausamen Gebotes kam nichts häufiger vor als die Verrückung der Steine.
(Fritze, Dr. - Geschichtliches über Bad Liebenstein, Schweina, Steinbach und Atterode, Meiningen o.J., S.40)

Ich bin überzeugt, dass es das nie gegeben hat! Aber es liest sich immer gut, wenn die Geschichte in einem Aufsatz erscheint. Eine ähnliche Strafandrohungt müßte schon im Sachsenspiegel erscheinen, aber darin steht nur "[...] haut er Grenzbäume um oder gräbt er Steine aus, die als Grenzsteine gesetzt worden sind, muß er dreißig Schillinge bezahlen.
In einer deutschen Centordnungen steht, das dem welcher wissentlich einen Markstein verändert, das Haupt mit dem Pflug abgefahren werden soll, so lassen schon die Ausführunsbestimmungen erkennen, daß das nur eine mystische Strafandrohung war - es ist zu lesen:
"wor einer wissentlich einen Markstein verändert, das Haupt ihm mit dem Pfug abgefahren werden soll [...] soll dann nehmen 4 Pferde, die des Ackers nicht gewohnt seyn und ein Pflug, der neu ist und solle die Pferde nicht mehr gezogen, der Enkh (Knecht) nicht mehr geähren noch der Pflughalter nicht den Pflug gehalten haben und ihm nach dem Halß ähren, bis so lange es ihm den Halß abgeähren hat.
Der Autor Andeas von Knichen fügt 1603 (Hanau) in "de Iuritii" hinzu, daß das noch bei jedsmalig gehaltenem Ettersgericht die Strafe öffentlich abgelesen wird, so seye sie doch nicht mehr gebäuchlich und so weit er sich erinnere nie exequirt worden.
Ich konnte auch ausser dem Hinweis auf die Zehntordnung keine andere Quelle finden. Das schien schon damals alles frei erfunden. Die Begleitumstände für den Vorgang waren schon so schwierig, dass an eine Ausführung nicht zu denken war. Der neue Pflug und die 4 Pferde, die noch nie gezogen hatten! Der Knecht, der noch nie gepflügt hatte!
(Karl-Heinz Hentschel, Karlsruhe)



 weiterführende Literatur und Quellen 
Gerth, Sven - Rechtsdenkmal und Weistum - nur ein sagenhafter Bezug? in: Signa Juris, Band 2, 2008, S.145-163


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