Volksaberglaube & Brauchtum


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Die sogenannten Teufelskrallen an alten Bauwerken
Von Prof. Dr. Rud. Eberstadt.

   Zu den eigentümlichen Erscheinungen des mittelalterlichen Bauwesens, die sich bisher einer allgemein anerkannten Erklärung entzogen haben, zählen jene merkwürdigen Ausschleifungen, die sich regelmäßig an den Außenmauern mittelalterlicher Kirchen, zumeist unmittelbar bei den Kircheneingängen, finden. In der überwiegenden Zahl der Fälle zeigt der äußere Umriß dieser Vertiefungen die Form einer Furche, die in senkrechter Richtung verläuft und stets nach der Mitte oder nach dem unteren Ende hin durch kräftiges Ausschleifen vertieft ist. Nicht selten aber findet sich auch die Form einer kreisrunden Grube, deren Rundung äußerst regelmäßig ausgeschliffen erscheint. Im Volksmunde bezeichnet man die länglichen Vertiefungen als Teufelskrallen. In der Tat haben die Furchen vielfach die Form, wie sie eine eingeschlagene Kralle – natürlich in einem weichen Gegenstand – zurücklassen würde. Vgl. hierzu die Abbildung Sp.189-190.

Vom Südportal der Jakobikirchre in Goslar

   Die Sage von den Teufelskrallen gehört zu dem Kreis der mittelalterlichen Bau-Sagen und ist in verschiedener Ausschmückung allgemein verbreitet. Der gemeinsame Inhalt in allen diesen örtlich abweichenden Erzählungen läßt sich etwa in folgendem zusammenfassen: der Baumeister der Kirche hat mit dem Teufel über den Kirchenbau, der besondere Schwierigkeiten bot oder von ungewöhnlicher Schönheit werden sollte, einen Pakt geschlossen und für die Beihilfe seine Seele verschrieben. Nach Vollendung des Baues wird der Teufel von dem schlauen Baumeister um den ausbedungenen Lohn geprellt, und voller Wut schlägt der Böse seine Krallen in die Mauern des Gotteshauses.
   Es ist gewiß verständlich, daß die auffälligen, an den verschiedenen Orten sich gleichmäßig wiederholenden Ausschleifungen – die zumeist nur an mittelalterlichen Bauwerken anzutreffen sind – sich der Beobachtung des Architekten und Historikers aufdrängten und zu dem Versuch einer Lösung des Rätsels anregten. Die meistverbreitete Erklärung geht dahin, daß Ritter, wehrfähige Bürger und Kriegsleute, durch einen Aberglauben an die heiligende Macht des Gotteshauses getrieben, ihre Waffen an den Steinen schärften, so daß durch dieses Schleifen allmählich die tiefen Rillen entstanden. Die Annahme ist unrichtig und unschwer zu widerlegen. Wer die Spitze einer Lanze oder eines Schwertes gegen einen Mauerstein gerieben hätte, würde mit unbedingter Sicherheit erreicht haben, daß die Waffe gänzlich abgestumpft und unbrauchbar geworden wäre. Die Schneide einer Klinge oder eines Schwertes vollends kann in die Rillen und ihre grubenartig verlaufende Vertiefung überhaupt nicht eingeführt werden, sei es zu Schärfen oder selbst zum Abstumpfen. Auf die kreisförmigen Ausschleifungen (sog. "Näpfchen") ist schließlich die Vermutung überhaupt nicht anwendbar. Demgegenüber bedarf es kaum noch des weiteren Hinweises, daß sich die Furchen nicht nur an Kirchenbauten, sondern in ganz gleicher Form an weltlichen Gebäuden finden, die für den abergläubischen Brauch nicht in Betracht kommen.
   Eine zweite, häufig vorgebrachte Erklärung stützt sich auf ein angebliches Verbot des Waffentragens in der Kirche. Den fehdelustigen und stets kampfbereiten Rittern und Bürgern soll es im Mittelalter untersagt gewesen sein, die Kirche mit Spieß und Lanze zu betreten. Die kriegerischen Mannen mußten diese störende Zubehör vor dem Eintritt ablegen; sie lehnten nun die Spieße an die Kirchenmauer, und die angelehnten scharfen Spitzen gruben allmählich jene Furchen in die Bausteine.
   Auch diese Annahme ist unzulänglich und unhaltbar. Zunächst waren ja die Hauptwaffen im Nahkampfe (um den es sich innerhalb der Kirche allein handeln konnte) das Schwert und der Dolch, und gerade diese durften die Kampfhähne nach der obigen Voraussetzung bei sich behalten. Ferner versagt die Erklärung wiederum vollständig gegenüber den kreisrunden "Näpfchen", die nicht durch Anlehnen von Speerspitzen entstanden sein können. Indes auch bei den länglich verlaufenden Vertiefungen wird die Vermutung bereits durch die Lage wie durch die Form der Furchen widerlegt. Unsere Furchen zeigen sich in den Mauern teilweise so nahe beim Erdboden, daß die Spitzen der Lanzen von Liliput beinahe darüber hinaus geragt haben würden. Im übrigen ergibt sich aus der Gestaltung und dem Verlauf der Furchen zur Genüge, daß für ihre Entstehung die obige Annahme nicht in Betracht kommt. Auch die mehrfach geäußerte Vermutung, daß die Ausschleifungen durch spielende Kinder hervorgebracht worden seien, widerlegt sich von selbst, wenn wir unsere Abbildung betrachten; für die Bildung der Aushöhlungen ist sowohl die Regelmäßigkeit wie eine Kraftentwicklung in der Bearbeitung erforderlich, die die Erklärung des Kinderspiels ausschließen. Demgegenüber brauchen wir kaum zu betonen, daß man eine derartige Bearbeitung der Steine durch spielende Kinder an dem meist benutzten Eingang des Gotteshauses nicht zugelassen haben würde.
   Vgl. zu dem obigen D. Heinrich Otte, Handbuch der kirchlichen Kunst-Archäologie des deutschen Mittelalters, 5. Aufl. I.Bd. S.44: "Völlig unaufgeklärt ist bis jetzt die Bedeutung der sogenannten Längsrillen und Rundmarken, die sich an den Kirchen in der Nähe der Türen, namentlich auf der Süd- und Westseite in der Höhe bis zu 2m über dem Erdboden oft sehr zahlreich finden. In Braunschweig und Goslar erklärt sie der Volksmund als Krallenspuren des Löwen Heinrich d.L. Man hat sie als zufällige Produkte der während des Gottesdienstes außen an den Kirchenmauern angelehnten Waffen der Kirchgänger oder als Spuren absichtlicher Schleifung von Waffen oder sonstigen Geräten an der Kirchenwand, um sie dadurch zu feien oder zauberkräftig zu machen, wiederum auch als bloße Kinderspielereien und neuerdings als Reisezeichen wandernder Steinmetzen erklären wollen, alles nicht zureichend.“ – Friedrich Schneider (Die Krypta des Mainzer Domes, Mainz 1871, S.8) nimmt ebenfalls an, daß diese scharfen Rinnen ihren Ursprung darin haben, das man an einem geheiligten Bau Waffen und Werkzeuge schärfte, um sie zu "feien". – Ernst Friedel, Archiv für kirchliche Baukunst, herg. von Prüfer, Bd.II, S.56 glaubt, daß die Ausschleifungen lediglich an kirchlichen Gebäuden (nicht an profanen) anzutreffen seien und daß ihre Entstehung nur durch irgendeinen Aberglauben (Hineinpusten von Krankheiten u. ähnl.) zu erklären sei; s. auch a.a.O. I, S.40. – In der kirchlichen Monatsschrift herg. von Pfeiffer, XII, S.789 gibt E. Beckenstedt eine Reihe von Deutungen, hält aber die Frage noch für ungelöst. Krüger in dem Jahrbuch für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, 46.Jahrgang S.312 glaubt, daß die Ausschleifungen Zeichen der Bauhütten seien. Auf die Rillen und Näpfchen in hessischen Städten an der Bergstraße wird in dem Korrespondenzblatt der Deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 1880 S.79 und 1881 S.51 hingewiesen, unter Verzicht auf eine Erklärung. Georg Fehn (Jahrbuch der Geschichte, Sprache und Literatur Elsaß-Lothringens, XXV Straßburg 1909 S.9f.) teilt seine Wahrnehmungen aus einer größeren Anzahl von Städten in Elsaß-Lothringen mit und vermutet ebenfalls, daß Waffen an den Steinen geschliffen wurden. – Aus den durch zahlreiche Abbildungen in der "Denkmalpflege" Bd. I und III vgl. die Ausführungen von Oelenheinz: Nach eingehender nochmaliger Untersuchung der Schweinfurter und Koburger Rillen bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß Kinderhände beim Hervorbringen der Rillen keinesfalls eine ursprünglich-schöpferische Rolle gespielt haben können. Es sprechen viel mehr viele Gründe für eine weitere eingehende Behandlung der Rillenfrage, sie bleibt nach wie vor ein Rätsel.
   Sachgemäßer dagegen erscheint eine Erklärung, die mir seinerzeit von Prof. Hölscher-Goslar mitgeteilt, allerdings von dem Urheber selber nachträglich als unzureichend wieder aufgegeben wurde. Man könnte danach die Entstehung der Furchen auf meteorologische Einflüsse zurückführen. Die Erklärung würde dann dahingehen, daß an der Wetterseite des Bauwerks durch Schlagregen zunächst einzelne Teilchen aus den Mauersteinen herausgelöst wurden. Der eindringende Regen hätte dann die Bruchstelle erweitert und allmählich zu einer Furche oder einem Näpfchen ausgewaschen. Doch auch diese Erklärung – so ansprechend sie zunächst ist – hält einer näheren Prüfung nicht stand. Unsere Vertiefungen finden sich vielfach gerade an solchen Stellen, die vor Wetter vollständig geschützt und dem Schlagregen gänzlich unzugänglich sind. Ferner – und dieses ist wohl der Hauptpunkt – zeigt die Form der Ausschleifungen, daß sie nicht durch Naturspiel, sondern durch bewusste menschliche Tätigkeit, und zwar durch eine während längerer Zeit fortgesetzte, entstanden sind.
   Unsere Abbildung läßt den Vorgang genau erkennen. Bei den länglichen Rillen sehen wir deutlich wie ein dauernder Gebrauch die Vertiefung hervorbringt und die Fläche glättet, und wie die Furche verlassen wird, sobald sie einen bestimmten Grad der Ausschleifung erreicht hat, worauf man die nächste Furche in Angriff nimmt. Ebenso zeigen die runden Näpfchen, wie die Ausschleifung mit einem kleinen Kreis ansetzt und allmählich den Ring vertieft und erweitert, bis er seinen größten, unter den gegebenen Umständen offenbar nicht überschreitbaren Umfang erreicht hat. Die Untersuchung der Steine ergibt allgemein über jeden Zweifel, daß die Verwitterung des Baumaterials in irgendeiner Form nicht für die Entstehung der hier zu erklärenden Erscheinungen in Betracht kommen kann, sondern daß ein fortgesetzter Gebrauch zu einem bestimmten Zweck als Ursache angenommen werden muß.
   Zunächst würde man nun – und dies war auch die Vermutung der von mir befragten Ethnologen – annehmen können, daß die Absicht bei der Ausschleifung der Steine auf die Erlangung des Steinstaubs gerichtet war, dem, als von einem kirchlichen Gebäude herrührend, eine heilkräftige Wirkung zugeschrieben wurde. Von Herrn Dr.Brunner-Berlin wird mir freundlichst die folgende Notiz zur Verfügung gestellt, aus der hervorgeht, daß in der Tat Steinstaub in der sogenannten "Volksmedizin" verwendet wurde:
   Über die Kulka der Wenden nach v. Schulenberg S.504: Man feilt den Stein aus und trinkt den Steinstaub mit Wasser, oder der Stein wird gegen die leidende Stelle gedrückt. Die Kulka ist die sogenannte Mutterplage; Brandenburgia, Bd. VI 1897/98 S.491f.
   Eine zweite Angabe über die Verwendung des Steinstaubs von kirchlichen oder geweihten Gebäuden findet sich bei Hovorka und Kronfeld, vergleichende Volksmedizin:
   Zu den eigenartigsten Volksanschauungen gehört auch jene, nach welcher auch Kirchenstaub die Wunden heilen soll. Wie uns ein Bericht der Kölnischen Zeitung vom November 1905 mitteilt, wurde nach dem Tode des heiligen Camillus von Lellis (1550 bis 1614, 1746 kanonisiert, Schutzpatron der Kranken und Spitäler) aus den Steinen seiner Zelle ein Staub bereitet, der den Kranken stets Heilung brachte, wenn sie ihn im gläubigen Vertrauen auf die Fürbitte dieses Heiligen anwandten, und der heute noch in dem Kamillanerkloster zu Vaals, einem holländischen Städtchen dicht an der Grenze bei Aachen, verkauft wird. Die Heilkraft solchen Staubes ist bereits im frühen Mittelalter bezeugt. Dafür ist bezeichnend die Äußerung des Gregor von Tours: ein wenig Staub aus der Kirche des heiligen Martin nutzt mehr als alle Wahrsager mit ihren unsinnigen Hilfsmitteln. Der Staub aus der Zelle des heiligen Camillus hat übrigens seine Analogie in der berühmten italienischen Wallfahrtskirche San Loretto bei Ancona, wohin nach der Legende Engel im 13. Jahrhundert das Haus der heiligen Jungfrau aus Nazareth getragen haben. Inmitten der prächtigen Kirche steht diese einfache Casa santa. Innerhalb der Kirchentür sitzt ein Laienbruder an einem Pult, der gegen ein geringes Entgelt den gläubigen Wallfahrern den von dem Dache der Santa Casa zusammengefegten Staub in die Schälchen gibt. Dieser Staub soll die Fähigkeit besitzen, wenn er im Vertrauen auf die Fürbitte der Madonna di Loretto angewendet wird, schwere alte Wunden zur Heilung zu bringen; a.a.O. II.Bd. Stuttgart 1909 S.361.
   Wenn auch im einzelnen der Gebrauch von Steinstaub in den oben geschilderten Formen nachweisbar sein mag, so können solche Einzelfälle doch in keiner Weise die hier erörterte Übung erklären, die schlechthin allgemein verbreitet ist und uns allerorten im Mittelalter begegnet. Es bedarf im übrigen kaum des Hinweises, daß die Form und die senkrechte Lage unserer Rillen und Näpfchen die Annahme ausschließen, als ob bei dem Ausschleifen die Absicht auf die Gewinnung von Steinstaub gegangen wäre. Zu alledem aber kommt der wesentliche Punkt, daß unsere Ausschleifungen keineswegs nur an geweihten Gebäuden, sondern wie zuvor erwähnt, in gleicher Weise an profanen Bauwerken anzutreffen sind. In Bamberg fand ich in der Stadtmauer in dem als "Fischerei" bezeichneten Winkel bei einem alten Festungsturm, der als Wachtstube gedient hatte, eine ganze Reihe von "Teufelskrallen", in der bekannten Form auf der zweituntersten Schicht der Quadersteine ausgehöhlt. In Quedlinburg finden sich die Teufelskrallen an zwei Stellen beim Aufstieg zum Schloßberg, einmal an einem einschnitt, durch den ein schmaler Pfad führt, ferner am inneren Schloßweg vor dem Tor; an beiden Stellen dürften sich in alter Zeit Wachtgebäude befunden haben. Weitere Beispiele für Profanbauten werden von Schulz-München in der "Denkmalpflege" Bd.III, 1901 S.65 mitgeteilt.
   Unsere Erklärung muß demnach einen Gebrauch ausfindig machen, der sowohl bei kirchlichen Gebäuden – und hier in der Hauptsache – wie auch bei weltlichen Bauwerken entsprechende Anwendung zu finden vermag. Betrachten wir nochmals unsere Abbildung, und zwar nach den einzelnen Formen der Ausschleifung. Die Mehrzahl der Vertiefungen hat die "Krallenform" und verläuft in einem senkrechten Einschnitt. Daneben aber finden sich in erheblicher Zahl die kreisrunden Vertiefungen. Durchweg zeigt es sich, wie oben erwähnt, daß die Ausschleifung über eine bestimmte Tiefe (etwa 3cm) nicht hinaus geht; ist diese erreicht, so wird der Einschnitt verlassen. Insbesondere bei den kreisrunden Gruben bemerkten wir, daß sie erst durch allmählichen Gebrauch ausgearbeitet worden sind. Es ist klar, daß hier ein bestimmter Gegenstand unter fortwährender Drehung wider den Mauerstein gepreßt wurde und dabei die Grube erweiterte. Auch bei den senkrechten Rillen muß die Vertiefung durch scharfes Reiben oder glattes Schlagen entstanden sein. Als sachliche Voraussetzungen können wir somit die folgenden annehmen: 1. die Vertiefungen sind durch Anwendung menschlicher Tätigkeit und praktischer Zwecksetzung ausgearbeitet worden; 2. durch diese Tätigkeit ist die eigentümliche Form der Vertiefungen erst allmählich hervorgebracht und bestimmt worden; 3. die Benutzung muß eine dauernde, durch längere Zeit fortgesetzte gewesen sein. Ferner muß der Gebrauch bei seiner allgemeinen Verbreitung ein derartiger gewesen sein, daß er von der Kirche geduldet wurde und liturgischen Zwecken entsprach.
   Mir scheint, daß sich ein Gebrauch benennen ließe, der diesen Voraussetzungen entspricht; es ist die Benutzung der Steine zum Feuerschlagen und Feuerreiben. Da sich unsere Ausschleifungen vorzugsweise nächst den Eingängen der Kirchen – an der Jacobikirche in Goslar und auch sonst häufig, beim Südportal – finden, müßte eine Übung bestanden haben, wonach in Verbindung mit liturgischen Zwecken außerhalb der Kirche Feuer aus dem Stein geschlagen wurde. Eine solche allgemeine Übung bestand in der Tat; es handelt sich um die Samstagsweihe, die von der Katholischen Kirche am Ostervorabend vollzogen und uns folgendermaßen – den Hinweis in der Literatur verdanke ich der Freundlichkeit des Herrn Dr. theol. Johannes Kißling – beschrieben wird:
   Die Feuerweihe am Karsamstag, aller Wahrscheinlichkeit nach zur Verdrängung des heidnisch-germanischen Frühlingsfeuers eingesetzt, begegnet uns zum erstenmal im 8. Jahrhundert auf fränkischem Gebiete und drang von da aus in die römische Liturgie. Nach der Vorschrift des Missale wird am Karsamstag morgens aus einem Stein außerhalb der Kirche Feuer geschlagen und mit diesem Feuer Kohlen angezündet, dieses Feuer unter den Gebeten Deus, qui per Filium tuum, angularem scilicet lapidem usw.; Domine Deus pater omnipotens, aeterne Deus: benedicentibus nobis hunc ignem usw. gesegnet ..... Von der Weihe des Feuers war aber anfänglich in der römischen Kirche nicht die Rede, sie ist vielmehr fränkischen Ursprungs und scheint von Anfang an die Bestimmung gehabt zu haben, die heidnischen Frühlingsfeuer, die zu Ehren des Wuotan oder irgendeiner heidnischen Gottheit angezündet wurden, um Gedeihen der Feldfrüchte zu erlangen, durch en kirchliches Sakramentale zu verdrängen. Manche noch gegenwärtig bestehenden Gebräuche sind aus dieser Auffassung des kirchlichen geweihten Feuers zu erklären ..... Es ist auch bezeichnend, daß gerade dieses Osterfeuer aus einem Stein geschlagen werden muß, denn nach altgermanischer Anschauung, welcher auch die antike Überlieferung entspricht, hat das aus dem Stein geschlagene oder durch Reiben von Hölzern gewonnene Feuer eine reinigende und heiligende Kraft. Das Mittelalter hat aber das aus dem Stein geschlagene Feuer einstimmig auf Christus und den Heiligen Geist gedeutet: es stamme das neue Feuer, sagt Durandus, de lapide, id est de christo, qui est lapis angularis, qui verbere crucis percussus Spiritum Sanctum nobis effudit; Dr. Valentin Thalhofer, Handbuch der katholischen Liturgik, 2.Aufl. I.Bd.; Freiburg 1912, S.637 und 640.
   Die Weihe des "neuen Feuers" – "benedictio novi ignis" – in der Karwoche hängt mit dem Brauche zusammen, in den Metten der drei letzten Tage vor Ostern sämtliche Lichter nach und nach auszulöschen ... Seit dem 11. Jahrhundert aber gehört die Feuerweihe auch in der deutschen Kirche zu den Zeremonien der Karwoche. Sie fand nach Ausweis der liturgischen Bücher oft in Coena Domini, selten am Karfreitag, meist am Karsamstag statt. Das kirchliche Feuer wird mittels des Steines gewonnen; es ist reines, himmlisches Feuer, dem durch die Weihe eine noch höhere Kraft verliehen wird; Ad. Franz, Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter, Freiburg 1909, Bd.I S.507f. Vgl. Wetzer & Welte, Kirchenlexikon 2.Aufl. Freiburg 1895, Bd.IX S.1136. Sachlich übereinstimmend hiermit Hockenberg, der die Entstehung der Näpfchen durch die Anwendung des Feuerbohrers erklärt, dessen man sich für die Entzündung des Weihrauchs bediente. "Man stemmte den Bohrer mit dem dickeren Ende gegen die Kirchenwald, die ja einen festen Halt bot, mit dem anderen in die Kerbe eines trockenen Holzstücks, Brettchens, gegen die Brust, setzte durch eine Schnur den Bohrer in schnelle Drehung, bis der mit der Spitze in die Kerbe des Holzstücks gedrückte Zunder erglühte, legte ihn unter die toten Kohlen im Rauchfaß, setzte dieses in Schwingung und der Zweck war erreicht. Auch mag man die am Karsamstag gelöschte Flamme der ewigen Lampe am Ostermorgen auf dieselbe Weise von neuem entzündet haben"; Die Näpfchensteine an den Pfarrkirchen zu Kiecko, Lekno, Rogasen und Wongrowitz, Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen, I, S.118 und II, S.90.
   Gegenüber diesen Darlegungen dürfte die hier vorgebrachte Erklärung wohl als annehmbar erscheinen. Dem für die Samstagsweihe überlieferten Brauch entspricht vollständig die Gestaltung unserer Ausschleifungen; das Feuerschlagen ergibt die Rillenform, während durch Feuerreiben die runden Näpfchen entstehen; ist die Vertiefung auf etwa 3cm ausgehöhlt, so wird sie (wegen der Höhe der Ränder) unbrauchbar und eine neue Stelle muß in Angriff genommen werden. Die Feuerentzündung erfolgte sowohl auf Bruchstein, wie auf Ziegelstein, dessen Material überdies bei den älteren Bauten härter und körniger war als der heutige Ziegel.1) Die gleiche Art der Feuergewinnung wird man für weltliche Zwecke in den obenerwähnten Beispielen angewandt haben. Durch diese Übung würde es ich auch erklären, daß sich die Rillen in großem Abstand über dem Erdboden finden, und zwar in solcher Höhe, da sie nur von einem Baugerüst aus zugänglich und benutzbar gewesen sind. In solchen Fällen wäre anzunehmen, daß die Bauleute bei der Verwendung von Eisen, Blei und Kupfer Werkfeuer gebrauchten und es an einer bestimmten Stelle, die vor dem Wind geschützt war oder einen besonderen Stein darbot, durch Schlagfeuerzeug entzündete. Bei der an den mittelalterlichen Monumentalbauten durch eine Anzahl von Jahren oder auch Jahrzehnten hingezogenen Bauausführung würden sich dann Ausschleifungen gebildet haben.

1) Hockenberg weist a.a.O. S.118 darauf hin, daß bei vielen Näpfchen aus der Wandung kleine Stückchen von Quarz, Glimmer, Feuerstein, Kiesel in verschiedenen Stärken hervortreten, welche beim Anfertigen der Näpfchen nicht völlig abgerieben wurden; ein Beweis, daß der Bohrer aus Holz bestanden haben muß. Die Bauzeit der von H. untersuchten Kirchen fällt in das 16. Jahrhundert.

(aus: Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der Deutschen Geschichts- und Altertumsvereine – Nr.11/12, 1916, Sp.286–293)


   Über Näpfchen und Rillen an alten Bauwerken, deren Deutung R. Eberstadt in diesem Blatte Jahrgang 1916 S.286 erörtert, brachte die "Denkmalpflege" bereits 1901 S.65 u.f. einen lebhaften Meinungsaustausch, an dessen Schluß S.126 ich, was die Deutung der Näpfchen angeht, auf die trefflichen und gründlichen Mitteilungen hinwies, die H. Hockenberg in der Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 1885 und 1886 gegeben hat. Danach kann kein Zweifel bestehen, daß die Näpfchen mit dem Feuerbohrer hergestellt sind, in der Absicht Feuer, insbesondere zu kirchlichen Zwecken, zu gewinnen. Die Worte, mit denen ich Hockenbergs Mitteilungen zusammenfaßte, hat Eberstadt, dessen Erklärung annehmend, S.292 wiederholt. Er geht noch weiter und vermutet, daß auch die Rillen, an manchen Orten Teufelskratzen genannt, aus der Feuerbereitung entstanden seien. Schon Hockenbeck wollte die Rillen in der Weise erklären, daß man das angekohlte Ende des Bohrstifts von der Kohle zu reinigen und wieder zuzuspitzen suchte. Diese Erklärung vermag nicht unbedingt zu überzeugen. Wenn aber Eberstadt sagt, daß das Feuerschlagen die Rillenform ergebe, so ist dem entgegen zu halten, daß die Rillen nicht durch Schlagen, sondern durch Schleifen oder Wetzen hervorgerufen sind. Die alten Feuerzeuge benutzten ein Eisenstück, das gegen den Feuerstein geschlagen wurde; mit einem derartigen Gerät können die Rillen keinesfalls gemacht worden sein.
   Die genannten Einschürfungen gelten als im Mittelalter oder im 16. und 17. Jahrhundert entstanden. Jedoch bemerkte ich mehrere Rillen an den Eingängen der inschriftlich 1752 erbauten evangelischen Pfarrkirche in Barchfeld an der Werra (Kreis Schmalkalden). Die Werkstücke sind für den Neubau der Kirche angefertigt, die Rillen dort also erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden; Näpfchen sind nicht vorhanden. Die Erklärung der Näpfchen aus der Feuerbereitung ist gesichert; hinsichtlich der Rillen aber werden wir weiter zu beobachten haben, bis wir ihre Entstehung einwandfrei erkennen.

J. Kohle

(aus: Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der Deutschen Geschichts- und Altertumsvereine – Nr.3/4, 1917, Sp.112–113)

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Nochmals die Teufelskrallen und Näpfchen an alten Bauwerken.
Von Oberlandmesser Hellmich (Stettin).

   Die Frage nach der Entstehung der Ausschleifungen an den Mauern alter Bauwerke ist von Herrn Prof. Dr. Eberstadt in Nr.11/12 des Jahrgangs 1916 des Korrespondenzblattes wieder angeregt worden; wie lebhaft die Teilnahme dafür ist, erhellt wohl daraus, daß in einer Reihe von Altertums-Vereinen kurz nach dem Erscheinen jenes Aufsatzes diese rätselhaften Spuren besprochen worden sind.
   Da ich mich mit dem Gegenstande schon vor längerer Zeit befaßt hatte, bin ich den oben erwähnten Ausführungen mit besonderer Aufmerksamkeit gefolgt und war angenehm überrascht, einen Erklärungsversuch, allerdings im ablehnenden Sinne, erwähnt zu finden, auf den ich selbst schon früher selbständig gekommen war. In Ermangelung eines streng sachlichen, zwingenden Beweises für eine der bisher bekannten oder noch neu beizubringenden Erklärungen nämlich, gebe ich für meine Person derjenigen den Vorzug, die annimmt, daß die Ausschleifungen bei der Gewinnung von Steinstaub zu Heilzwecken entstanden sind. Dagegen möchte ich mich mit aller Entschiedenheit gegen die auch von Herrn Prof. Dr. Eberstadt anscheinend gebilligte Auffassung aussprechen, daß sie bei der Feuerentzündung durch Schlagen oder Bohren entstanden sind. Zwar beschränkt sich meine Kenntnis der Ausschleifungen nur auf ihr schlesisches Vorkommen. Doch scheinen sie mir nur unwesentlich verschieden, die Striemen vielleicht manchmal länger, als auf der Abbildung von der Jakobikirche in Goslar; sie erreichen in Schlesien mitunter eine Länge von einem halben Meter und darüber; bei den Näpfchen aber kann ich keinen Unterschied gegen die mir bekannten erkennen.
   Die übrigen immer wieder auftauchenden Erklärungen, das die Vertiefungen durch Schleifen von Werkzeugen und Waffen oder Anlehnen der letzteren an die Kirchenwände oder durch spielende Kinder entstanden seien, sind bereits so häufig und treffend zurückgewiesen, daß ich von der Erhebung neuer Einwände wohl absehen kann. Dagegen möchte ich die Entstehung durch Feuerschlagen oder -bohren eingehend durch sachliche Gründe widerlegen.
   Ich habe mich gelegentlich mit den Verfahren der Feuererzeugung seit der ältesten Zeit beschäftigt, auch mit Werkversuchen, und muß die Möglichkeit, Feuer an einer glatten Wand zur Entzündung von Schwamm oder Zunder zu schlagen, in Abrede stellen, wenigstens, wenn es mit regelmäßigem, nicht mit bloß zufälligem Erfolge Ausgeführt werden soll. Ganz bestimmt aber ausgeschlossen ist die Richtigkeit der Hockenbergschen Erklärung des Feuerbohrens. Beides möchte ich näher begründen.
   Also zunächst die Frage: wie schlägt man Feuer mit Stahl und Stein? Denn die Erzeugung aus Stein mit Stein kommt für die Zeit, um die es sich hier handelt, nicht mehr in Frage und stellt auch Bedingungen, die hier wohl niemals erfüllt waren (s. G.F. Saraw, le feu et son emploi dans le nord de l’Europe aux temps préhistoriques et protohistoriques). Nun, es gibt hie und da noch einen alten Waldarbeiter oder Förster, also Leute aus Berufen, die oft im Freien Feuer zu machen genötigt sind, und sei es auch nur für ihre Pfeife, der uns den Vorgang zeigen kann. Man legt den Feuerstein mit einer scharfen Kante nach vorn und rechts hin gewendet auf den gekrümmten Zeigefinger der linken Hand und darauf den Schwamm – wohlgemerkt, darauf und nicht etwa darunter, wie es jeder mit dem Verfahren nicht Vertraute zuerst immer tut. Schwamm und Stein werden mit dem daraufdrückenden Daumen festgehalten und nun schlägt man mit dem in der rechten Hand geführten Stahl an der Kante des Steins möglichst hart und kurz herunter. Dabei kreuzen sich die Kanten von Stahl und Stein etwa rechtwinklig. Der Funken, ein durch den Stein abgerissenes und ins Glühen geratenes Stahlspänchen, wird dabei vom Stein nach oben geschleudert, also nach der Richtung hin, aus der der Schlag geführt wurde; er trifft dort auf den Schwamm, den er zum Glimmen bringt. – Nun stelle man sich diesen Vorgang, auf unsere Schrammen übertragen, vor! Für das Entstehen der Ausschleifungen in ihrer Tiefe ist es erforderlich gewesen, daß die wenigen, immer erst nach Ablauf eines Jahres sich wiederholenden Schläge mit einem spitzen oder schneidenartig geformten Stahl Jahr für Jahr wieder dieselbe schmale Stelle getroffen haben. Das ist allein schon recht unwahrscheinlich. Abgesehen davon halte ich das Anhalten von Schwamm oder Zunder an die Mauer zum Auffangen des Funkens für unmöglich, da es den aus der gleichen Richtung zu führenden Schlag behindern würde. Die senkrecht aufstrebende Mauer ist an sich schon ungeschickt genug für die ganze Verrichtung, und es erscheint verwunderlich, daß man nicht lieber eine der stumpfen oder gar rechtwinkligen Steinkanten benutzte, wie sie ja in den Leibungen der großen Portale genug sich boten. (S. Portal der Haynauer Pfarrkirche Abb.1.) Dort wären doch ähnliche Verhältnisse wie beim oben beschriebenen Feuerzeug wenigstens annähernd erreicht. Ferner ist es meistens doch der verhältnismäßig weiche Sandstein, in dem die Rillen ausgeschliffen sind, während man zum Feuerschlagen stets einen harten Stein, Feuerstein oder Quarzit, benutzt hat, der sich nur langsam oder gar nicht abschliff. Und schließlich bedarf es doch einer sehr starken Bearbeitung selbst bei weichen Steinen, um solche Striemen einzuschleifen. Rechnet man, daß an einer und der selben Stelle jährlich nur einmal – zu Ostern – Feuer geschlagen wird, so dürften wohl bis zur Erzielung einer Rille von (wie angegeben) 3cm Tiefe, sehr gering gerechnet, 10 Jahre nötig gewesen sein. Ich würde den Zeitraum eher um ein Vielfaches höher schätzen; aber selbst bei dem Ansatz von nur 10 Jahren würde man die Übung dieses Brauches für die etwa 60 Furchen, die ich auf dem Bilde von Goslar zähle, auf 600 Jahre veranschlagen müssen. Und da sich die Striemen anscheinend auf der rechts in den Vordergrund vorspringenden Mauer noch fortzusetzen scheinen, käme man dann mit den jüngsten so weit in die neuere Zeit hinein, daß man mit Sicherheit erwarten dürfte, durch schriftliche oder mündliche Überlieferung etwas Genaueres von dieser Sitte zu wissen. Alle beigebrachten Nachrichtensprechen nun zwar vom Erzeugen des neuen Feuers; aber daß man sich der Steine des Kirchengebäudes dazu bedient habe, ist nirgends herauszulesen. Es ist vielmehr mit Berechtigung darauf hinzuweisen, daß dieser Brauch mit vielen anderen von der christlichen Kirche aus dem Heidentum übernommen worden ist und daß hier, wie bei anderem, der Hauptnachdruck auf dem ehrwürdigen Alter der benutzten Geräte liegt. Man vergleiche die Feuerentzündung aus Stein mit Stein bei den Palilien-Festen des alten Rom, als das Stahl-Stein-Feuerzeug schon längst bekannt war, die Notfeuer in der Schweiz durch Drehen einer hölzernen Achse vermittels eines darauf getriebenen unbeschlagenen Wagenrades auf hölzerner Unterlage noch in neuester Zeit. Ebenso gehört hierher als Beispiel aus einem anderen Gebiet die Verwendung des Steinmessers bei der jüdischen Beschneidung.

Abb.1 Haynau Pfarrkirche, Rillen und Näpfchen
Abb.2. Beuten a.O. Stadtpfarrkirche, Näpfchen

   Wie geringe Spuren übrigens sehr häufigeres Feuerschlagen in dem allerdings härteren Quarzit hinterläßt, kann man an den von Sarauw a.a.O. beigebrachten Abbildungen der dem Weberschiffchen ähnlichen vorgeschichtlichen Feuerzeuge oder an Stücken selbst in Museen sehen, wo trotz der kleinen zur Verfügung stehenden Fläche und des unvergleichlich viel häufigeren Gebrauchs es nur zur Bildung von wirr durcheinander laufenden Kritzern oder einer länglichrunden, ganz flachen und flächenhaften Vertiefung gekommen ist..
   Mit der Entstehung der Näpfchen durch Feuerbohren ist es aber schon ganz bestimmt nichts. Hockenberg begeht zwei grundsätzliche Fehler; er nimmt einmal eine wagrechte Lage für den Quirl zwischen Brust bzw. Feuerschoß und Wand an und weiter die Verwendung von Zunder, "der mit der Spitze (des Quirls) in die Kerbe des Holzstückes (Feuerschosses) gedrückt" wird und Letzteres ist überhaupt falsch, da das Bohren mit einem harten quirl auf einer weichen Unterlage in erster Linie auf die Erzeugung eines ganz feinen Holz-Bohrmehls gerichtet war. Dieses erhitzte sich dann durch die beim Bohren erzeugte Wärme und geriet schließlich ins Glimmen. Erst von diesem glimmenden Mehl wurde die Glut auf einen Schwamm übernommen oder die Flamme in anderer Weise angefacht. Zur Entzündung des Mehls gehört, wie bekannt, bei feinster Mahlung übergroße Wärme, wie z.B. die gefährlichen Selbstentzündungen von Mehlstaub oder anderen feinverteilten Stoffen (z.B. öliger Putzwolle) beweisen. Ein in die Bohrvertiefung, ob nun Loch oder Kerbe, mit dem Quirl "eingedrückten Zunder" würde nach den ersten Umdrehungen zerstückelt und durch weiteres Bohren beiseite geschleudert werden. Da nun aber ferner das entstehende Holzmehl Vorbedingung für die Entfachung des Feuers ist, so ist damit auch die senkrechte Haltung des Feuerschoßes als unmöglich erwiesen. Bei dieser Stellung wäre ein Zusammenhalten und Sammeln des sich doch erst allmählich bildenden und erhitzenden Bohrmehls ausgeschlossen; es würde im Entstehen schon herunterfallen. Alle bekannten Feuerbohrer weisen daher auch wagrechte Lage des Schoßes und senkrechte Stellung des Quirls auf, einzelne sogar noch verwickelte Einrichtungen zur sicheren Anhäufung des Bohrmehls, die sich gewiß erst in Jahrtausende fortgesetztem Gebrauche als nützlich herausgestellt haben.1)
   Auch sonst gibt es noch andere Widersprüche. Die Näpfchen sind meist im Sandstein oder in noch weicherem Gestein zu finden. Die Leibungen des Turmeinganges der katholischen Pfarrkirche in Beuthen a.O. (s. Abb. 2) weisen über 100 solcher Näpfchen von der Größe einer Mark bin zu der eines Fünfmarkstückes auf, – aber alle in mittelalterlichem, weichen Ziegel, nicht etwa Klinker, und alle niedriger als etwa 1m! Hier tritt zu der das Bohren sehr unbequem, zum Teil geradezu unmöglich machenden geringen Höhe über der Erde noch die Weichheit des Ziegels, die ihn als Widerlager völlig ungeeignet macht. Für diesen Zweck muß man einen Stein von großer Härte wählen, um möglichst wenig Reibungswiderstand zu haben. Die ganze Reibung muß nämlich möglichst nur an der Seite des Quirls entstehen, wo er auf dem Feuerschoß aufsteht, damit durch ihre Überwindung beim Drehen Wärme erzeugt wird. Oft wird sie beim ursprünglichen Feuerbohren durch Einstreuen von Sand noch künstlich vermehrt.
   Aus den angeführten werksmäßigen Gründen gelange ich also zu dem Schlusse, daß die Erklärung von der Entstehung der Striemen und Näpfchen bei Feuerzündungen sicherer falsch ist als jede andere und endgültig verlassen werden sollte.
   Dieses Ergebnis allein aber wäre unbefriedigend, wenn ich nicht glaubte, für die andere, oben bereits angedeutete Erklärung neue Beiträge bringen zu können.
   Vorausschicken muß ich dabei, daß die Striemen nicht nur an Gebäuden, kirchlichen wie weltlichen, vorkommen. Ich habe sie auch noch an einer ganzen Gruppe von Denkmälern aus älterer Zeit gefunden, an denen sie, wenn auch nicht gerade häufig, aber doch in beachtenswerter Zahl zu finden sind: das sind die alten Steinkreuze und Bildstöcke, die zur Sühne eines Totschlages im Mittelalter und auch noch später gesetzt werden mußten. So bezieht sich z.B. die erste Erwähnung der Striemen in den "Kunstdenkmälern der Provinz Schlesien" von Lutsch, 1, 126 auf einen Bildstock, die sogenannte Dompnig-Säule in Breslau. Namentlich an Bildstöcken kann man sie häufiger beobachten, und ich möchte gleich an dieser Stelle darauf hinweisen, daß m.E. ein seelischer und ein werksmäßiger Grund für diese Bevorzugung der Bildstöcke maßgebend waren; gefühlsmäßig nämlich erscheinen dem unbefangenen Beschauer die Bildstöcke verehrungswürdiger als die Kreuze, denen die dunkle Erinnerung an einen Mord etwas Unheimliches verleiht. Die Wahl richtete sich wohl nach den gerade zu befolgenden Zaubersprüchen, die der weißen oder der schwarzen Magie entnommen sein konnten. Die erstere hat aber dem Durchschnitt des Volkes, namentlich der neueren Zeit, doch wohl näher gestanden. Und vom Standpunkte der Bequemlichkeit genommen, bieten die Bildstöcke Angriffen weniger Widerstand, da sie meistens aus dem weicheren und gleichmäßigeren Sandstein hergestellt sind, während die Kreuze meist aus hartem und körnigem Granit bestehen.
Abb.3. Glatz, Böhmische Straße Nr.13
   Diese Erweiterung der Fundstellen ist bei einer Erklärung zu berücksichtigen. Wenn ich aber mit Herrn Prof. Eberstadt bezüglich seiner unter 1. und 2. aufgestellten Voraussetzungen und auch des ersten Satzes unter 3. übereinstimme, so kann ich mich dem Schlußsatze, daß der Zweck der Ausschleifungen von der Kirche gebilligt wurde, nicht anschließen, d.h. ihn nicht für zwingend beweiskräftig halten. Im Gegenteil, ich möchte vielmehr bis zum Auffinden von Nachrichten hierüber gerade aus dem vollständigen Fehlen jeder schriftlichen oder mündlichen Überlieferung schließen, daß die Übung des Ausschleifens heimlich betrieben wurde, wie es dem Wesen der damaligen – und auch der heutigen – mit Zaubermitteln arbeitenden Heilkunde namentlich der "klugen" Männer und Frauen aus dem Volke entsprach. In diesem Zusammenhange möchte ich einen glücklichen Fund erwähnen, den ich in neuester Zeit gemacht habe. In Glatz fand ich am Hause Böhmische Straße Nr.13 (s. Abb.3) ein Sandsteinportal schlichter Form aus dem Jahre 1618, dessen oberste Quadern unter den Kämpfern zu beiden Seiten des Einganges, also etwa in Gesichtshöhe, eine Reihe von Rillen aufwiesen. Nach dem Hufeisen im Wappenschilde des Schlußsteines hat ein Schmied das Haus erbaut. In diesem Falle also finden die Rillen am bürgerlichen Hause ihre unzweideutige Erklärung durch den Beruf des Erbauers, immer vorausgesetzt, daß mein Erklärungsversuch richtig ist. Denn die Schmiede galten von alters her als "Wissende", gerade so wie z.B. Schäfer und Henker.
   Zu der Ansicht, daß der erzeugte Steinstaub das Endziel der Ausschleifungen gewesen sei, kam ich, als ich mir in Schlesien vor Jahren beim Versuch, alte Steinbeile zu erwerben, wiederholt ein ablehnender Bescheid gegeben wurde. Mühsam erfuhr ich erst nach vielem Fragen, daß die Besitzer die Steinbeile neben anderen zauberischen Zwecken auch bei Erkrankungen ihres Viehs zur Kur benutzten, indem sie davon abgeschabten Staub in den Trank gaben. Ein solches Steinbeil mit Feilstellen befindet sich im Breslauer Altertums-Museum. Ich habe dann vor vielen Jahren in der Gegend von Neiße gehört, daß der Steinstaub gegen die Fallsucht angewendet wird, und schließlich, wie ich zur Ergänzung der Eberstadtschen Nachweise anführen möchte, gleichfalls bei Schulenburg in seinem "Wendischen Volkstum" S.100 den Gewitterstein (Steinbeil) geschabt und gefeilt gegen Seitenstechen und "kulka" (Mutterplage) und an den Hals gedrückt gegen Halsleiden als Heilmittel für Menschen, und ferner S.105 dem Vieh an einer Strippe umgehängt, gegen die "waka" empfohlen wurde. Der Gedanke, ähnlich wie das Geweihte – die Kirche – und das Unverstandene, der Überlieferung nach Übersinnliche (Donnerkeil) – das Steinbeil –, nun auch das Verehrte – den Bildstock – oder gar das Unheimliche – das Steinkreuz – bei der Heilung zu verwenden, scheint mir für jene Zeiten sehr nahe zu liegen, die viele Krankheiten durch Verhexen oder Verwünschungen entstanden ansahen. Bekanntlich schrecken die Zauberkuren weder vor dem Heiligsten noch vor dem Grausigsten zurück. Und wo einmal ein weltliches Gebäude bei der Gewinnung des begehrten Steinstaubs angegriffen wurde, erkennen wir vielleicht heute nur nicht mehr immer die tiefinnersten Gründe, die ihm zu Ansehen verholfen haben, wie ausnahmsweise einmal in dem oben erwähnten Falle des Schmiedehauses in Glatz. Schon eine bewußte Fälschung und das überraschende Gelingen der Kur kann dazu genügt haben.
   In neuerer Zeit ist es mir gelungen, einige zu diesem Gegenstande passende Beispiel solcher magischen Kurvorschriften aufzufinden, die ich hiermit in Zusammenhange hersetzen möchte, u.zw. zunächst eine für die Benutzung der Steinbeile bei Viehkuren aus H. Frischbier "Hexenspruch u. Zauberbann" (Prov. Preußen) S.19: "Nach Pisanski (Nr.23, § 8) melkt man Kühe mit verhexter Milch durch die Öffnung eines Donnerkeils." Dann aber zwei andere, die geradezu Steinbrocken oder Steinstaub gegen Verhexung und Fallsucht fordern, aus Veröffentlichungen des Kgl. Statistischen Landesamtes und Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben u.d.T. "Deutsche Segen, Heil- und Bannsprüche" von Dr. Friedrich Losch. Dort heißt es unter Nr. 27:
   So einer bezaubert wurde
der gehe zu einem Creuz auf dem Felde, da einer ist erschlagen worden, gehe 3mahl links herum in den drei höchsten Nahmen; dann schlag ein Stück vom Creuz, wirf dasselbe in ein flissend Wasser und sprich:
Ich wirff dich in diesen Fluß
damit mir alle Zauberey und Unglück inwegflisse
und müsse den bestahn
der mir solches angethan,
und ferner unter Nr.300:
   Man muß Nachts 12 Uhr, solange die Glocke schlägt, mit einem weißen Tischtuch an einen Markstein gehen, welcher drei Zehnten scheidet, drei kleine Bröcklein in den der drei höchsten Namen auf das Tischtuch wegschlagen und an einen Fluß gehen, der noch nie ausgegangen ist. Den Urin des Kranken muß man bei sich haben, die drei Bröcklein Stein zu Mehl verklopfen und Wasser von dem Fluß nehmen, alle drei Sachen in ein Glas thun und den Kranken dreimal trinken lassen. Dann sprich, solange er trinkt, dreimal:
   So gewiß Jesus Christus an dem heiligen Kreuz nicht gefallen worden ist, so gewiß fällst du, N.N., auch nicht mehr.
   Zu dem bloßen Hinweis, wie sich in der letzten Vorschrift Ekelhaftes mit Unheimlichem vereinigt, möchte ich nur erläuternd bemerken, das der Platz eines Dreiortsteines von alters her als Treffpunkt von Geistern und Schauplatz übersinnlicher Geschehnisse ebenso berufen ist, wie die Orte, an denen Sühnekreuze stehen. Wenn man dies berücksichtigt, so bietet gerade die letzte Vorschrift – und gerade gegen Fallsucht (s. oben die Nachricht aus Neiße) – einen vollständigen Beleg für meine Ausführung, daß die Anrufung der drei heiligen Namen und damit zwangsläufig verbunden die Beschaffung von zunächst drei Steinstückchen, die dann doch zu Staub "verklopft" werden müssen, wohl christliche zutat ist, nach deren Abzug die heimliche Beschaffung ("Nachts 12 Uhr, solange die Glocke schlägt") von Steinstaub und dessen weitere Verwendung als ursprüngliches Gerippe der Zaubervorschrift übrig bleiben. Ich werde von befreundeter Seite auch an die Näpfchensteine der vorgeschichtlichen Zeit erinnert. Sollten diese Näpfchen, für die eine ansprechende Erklärung bisher noch nicht gefunden ist, vielleicht gar den Beweis für den heidnischen Ursprung des Brauches erbringen, der ja wohl ohnehin zu vermuten ist? Sie würden dann etwa zu denen an unseren Kirchen oder an den Bildstöcken in Vergleich zu setzen sein!2)
   Ich will nicht anstehen zu bekennen, daß ich ohne Weiteres nicht imstande bin, das Vorkommen von Striemen an hochgelegenen Stellen, von Herrn Prof. Dr. Eberstadt erwähnt, zu erklären. Aber die Erklärung durch Feuerschlagen bei den Bauarbeiten erscheint mir, abgesehen von der eingangs bewiesenen Unausführbarkeit auch sonst nicht wahrscheinlich. Feuerarbeiter, wie Klempner (Spengler), Schlosser, Schmiede u.a. haben sicher, sie heute, so auch damals schon ein Feuerzeug bei sich geführt. Stahl, Stein, Schwamm und Zunder oder Schwefelfaden waren auch schon früh zu Bestecken vereinigt (schon zur Eisenzeit), so daß der damit Versehene nicht nötig hatte, einen wenig geeigneten und unhandlichen Stein zu benutzen, zu dem er außerdem noch Stahl und Schwamm doch mitbringen mußte. Vielleicht könnte man an Wiederverwendung ursprünglich an tieferen Stellen eingebaut gewesener Werkstücke denken oder an spätere Entnahme zu Heilzwecken bei gelegentlichen Ausbesserungen.
   Die Gewinnung des Steinstaubes erfolgte nach meiner Vorstellung durch Ausschaben oder Ausdrehen vermittels irgendeines gerade zur Hand liegenden Kiesels oder mit irgend einem Werkzeug und sicher unter allerhand abergläubischen Veranstaltungen, zu denen sehr wahrscheinlich Schweigen und Heimlichkeit gehörten. Dadurch würde das Fehlen jeder Überlieferung erklärt werden. – Wie übrigens "die Form und die senkrechte Lage unserer Rillen und Näpfchen die Annahme ausschließen, als ob bei dem Ausschleifen die Absicht auf die Gewinnung von Steinstaub gegangen wäre", kann ich nicht einsehen. Eine Probe mit einem darunter gehaltenen Blatt Papier oder einem Tuch dürfte gerade ergeben, daß die Anordnung für diesen Zweck recht gut geeignet war und am allermeisten besonders die ganz niedrig gelegenen Striemen und Näpfchen, bei denen ein Tuch oder Papier zum Auffangen auf der Erde ausgebreitet werden konnte. Hier ist die Erklärung mit dem Steinstaub durchschlagend, während gerade diese Marken der Deutung durch Feuerentzündung unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten.
   Gegen den Zusammenhang mit einem kirchlichen Brauch scheint mir auch folgende Beobachtung zu sprechen: Vor dem schlesischen Dorfe Gleinitz, dessen Kirche mitten im Ortsbering erbaut ist, befindet sich am Wege ein sehr alter Bildstock aus Sandstein mit verschiedenen Striemen. An ihn knüpft sich die Sage von einem großen Herzog – wahrscheinlich dem durch seine zahlreichen Kirchengründungen wohlberufenen Peter Wlast –, der dort von einem Wildeber tödlich verletzt worden sein soll. Es scheint unverständlich, warum man die vermutete Entfachung des heiligen Osterfeuers – angenommen, daß sie ausführbar war – nicht an der Kirche selbst vornahm, wie anderswo, sondern diese Handlung weit vor das Dorf verlegt haben sollte. Damit scheint, wenigstens für diesen Ort erwiesen, daß ein Zusammenhang zwischen den Striemen und dem Osterfeuer oder einem anderen kirchlichen Brauche nicht besteht.
   Vielleicht bringen die vorstehenden Bemerkungen noch weitere zweckdienliche Ansichten und Beobachtungen zur allgemeinen Kenntnis. Namentlich dürften ältere Zauberbücher und einzelne Formeln, die sich ja an scheinbar gar nicht in diesem Zusammenhang stehenden Stellen, wie z.B. in Gebet- und Predigtsammlungen verstecken, noch wertvolle Beiträge liefern können.
   Marken wie die vorstehend behandelten, habe ich übrigens vor zwei Jahren auch in Polen gefunden. An einer Kirche des Kreises Wielun, Gouvernement Kalisch, sah ich an den Leibungsquadern einer vermauerten alten mit Rundbogen abgeschlossene Pforte neben einzelnen Näpfchen die Außenkanten des marmorähnlichen Kalksteins (!) in Schulterhöhe rund abgeschliffen und wie poliert. Der Ortsgeistliche wollte das aus dem Anstützen der Handflächen beim Eintritt in die Kirche her leiten, was an sich möglich erscheint, die tieferstehenden Näpfchen aber nicht erklärt.


1) Vor der Drucklegung finde ich (Ztschr. f. Ehnol. 1916 S.349) einen Aufsatz über europäische Feuerbohrer von Loewenthal und Mattlatzki. Unter den dort aufgeführten Strick- und Bogenbohrern sind zwar Werkzeuge mit wagrechtem Quirl beschrieben, die sogar Zunder verwenden; sie haben aber besondere Vorrichtungen zum Zusammenhalten des Bohrmehls und der Zundermasse, die sich durch die von der Reibung erzeugte Hitze entzünden muß, sind als unter den hier gegebenen Verhältnissen nicht zum Vergleiche heranzuziehen.
2) Die in der Loewenthal-Mattkatzlischen Arbeit erwähnte, auch sonst bekannte Verwendung des Notfeuers zu Heilzwecken bei Menschen und Vieh erklärt vielleicht auch die Anwendung von Staub, zunächst vielleicht nur bei Notfeuerzündung gewonnen, zu dem gleichen Zweck. Nach freundlicher Mitteilung von Prof. Kühnau ist in dem „schwarzen Pulver“ gegen Fallsucht auch Lindenkohle enthalten!

(aus: Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der Deutschen Geschichts- und Altertumsvereine – Nr.3/4, 1918, S.71-79)

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Sühnekreuze & Mordsteine