Schäferein in Mittelschwaben
[...] Der Schäfer hatte das Recht, den Graswuchs des Brachfeldes und allenfalls vorhandener Oedungen, Raine und Straßengraben-Ränder
abzuweiden. Im Herbst hatte er das Recht auf das Stoppelfeld, d.h. sogleich nach dessen Aberntung und im Spätherbst, wenn das Hornvieh nicht mehr ausgetrieben
wurde, auch auf die Wiesen.
Nachdem zu gewissen Zeiten z.B. vor dem Getreideschnitt, wo das ganze Brachfeld umgeackert war, sich Weidemangel einstellte, bildete
sich ein gewisses Jägerrecht heraus, wonsch der Schäfer an den Kleeäckern den "Ortstrangen" nach der Länge des
Ackers, sowie den "Anwander", einen rund 2m breiten Streifen von der Quere des Ackers, abweidete. Dieses angebliche
"Recht" wurde stillschweigend geduldet; viele Bauern, besonders die "Söldner" mit dem Kleinbesitz, wehrten sich sehr dagegen, und so kam es öfter zu Klagen und
zur Bestrafung des Schäfers. Viele von den letzteren machten die Sache mitunter auch zu bunt.
Ueberhaupt gab es viele Differenzen zwischen Bauern und Schäfern; es waren erstere auf letztere
im allgemeinen nicht gut zu sprechen. "99 Schäfer geben 100 Lumpen", war den Bauern ihr Sprichwort. Besonders berechtigt waren die Vorwürfe den "Hammel"
-Schäfern gegenüber, weil diese, um die Tiere fett zu machen, den Kleeäckern sehr zusetzten. Einige, die den Hund und
die Hämmel gut dressiert hatten, ließen die Herde sogar Nachts mitten durch den jungen Klee. Natürlich geschah dies mitten in der Nacht mit großer Vorsicht. Die
Hämmel verhalten sich stille bei nächtlichem Austrieb, währenddem die Mutterschafe blöcken. Die bauern behaupteten wohl mit Recht, daß diese Prozedur am
schädlichsten sei, weil dadurch der Klee im Wachstum sehr zurückbliebe.
Wer den Pferchnutzen eingesteigert hatte, mußte außer der Geldleistung an die Gemeinde auch Schäfer und
Hund verpflegen; da durfte man aber nicht mit der gewöhnlichen Dienstbotenkost kommen, sondern man mußte extra und besser kochen. Mittags kam der
Schäfer zum Essen in's Haus, abends mußte man dasselbe auf's Feld in seine Behausung, den Schäferkarren, tragen. Dazu hatte man eigene Geschirre aus Ton oder
Blech, sogenannte "Schäferkachele" mit zwei Abteilungen und einem Henkel zum Tragen in der Mitte. Abends wurde meist sogen. "Eierhaber" gereicht; in dem andern
Abteil Suppe oder Gemüse, sowie eine Flasche Bier. [...]
[...] Neben dem Hund, der die Herde im Zaume halten mußte und wovon recht gut dressierte Exemplare jeden Wink des Hirten verstanden,
führte der letztere auch eine sogenannte "Schippe, ein Instrument aus Stahl, 8cm breit und mit der Oese zum Schafteinstecken,
ca. 20cm lang, einer gerundeten Kohlenschaufel in der Form ähnlich. Als Schaft diente ein Stecken, meist von Weiß- oder Schlehdorn, rund 1,40m lang. Mit dieser
Schippe pflegte der Schäfer durch einen Wurf Erde einzelne auf verbotene Jagdgründe sich stehlende Schafe zur Rückkehr zur Herde zu bewegen. [...]
[...] Die meisten trieben Kurpfuscherei, teils nur bei der eigenen Herde, vielfach aber auch sonst bei "Vieh und Leut'".
Sympathiekuren spielten eine große Rolle. Mit ihren angeblichen Kenntnissen von geheimen Naturkräften usw. wußten sich die meisten bei einem großen Teil des
Landvolks in Respekt zu setzen. [...]
(Deutsche Gaue, Band XV, 1914, S.68-71)
Hirtenstab
1. Seine Entwicklung aus dem Gehstock
Er bildet mit der Tasche die Hirtenausrüstung. Seine Stelle vertritt oft die Keule (Kolben), aber auch beide zusammen führt der Hirte, und es wird dann der Stab als
Amtszeichen, die Keule als Waffe aufgefaßt. Legt zwar die Form der Keule diese Auffassung für eine spätere Entwicklung nahe, so braucht diese doch nicht die
ursprüngliche gewesen zu sein; man kann in Stab und Keule die verschiedenen Formen des beiden zugrunde liegenden Gehstockes sehen, zumal da Reisestöcke auch
als Keulen erscheinen. Daß der Hirte im Notfall diesen keulenförmigen Gehstock zur Selbstverteidigung benützte und dieser mehr den Charakter einer Waffe ausbildete,
ist begreiflich. In ihrem Äußeren mögen sie sich nicht wesentlich unterschieden haben, da auch der Stab möglichst viele Krümmungen (mindestens 9) haben mußte,
somit recht knorrig war. Der Hirtenstab hat sich aus dem ursprünglichen Gehstock entwickelt, zu dessen vollkommenem Wesen die bestimmte Holzart (Hasel) und die
zauberische Gestaltung (Krümmungen) gehört. Durch den bestimmten Zweck erhielt er die Form (verlängert, Krümmung am oberen Ende zum Einfangen der Schafe) für
den besonderen Gebrauch durch den Hirten und wurde dadurch zu einem Abzeichen des Hirtenberufes. Mit dieser Entwicklung zum Berufsabzeichen vereinigt sich die,
wonach der Gehstock zum Wahrzeichen eines Amtsauftrages geworden ist, insofern die Gemeinde durch Überreichung des Hirtenstabes ihn zu ihrem Beamten macht.
In seiner äußeren Ausgestaltung mag der Hirtenstab durch andere Stabformen beeinflußt worden sein, so vielleicht durch den des Gemeindebüttels, zumal beide Ämter
und auch das des Nachtwächters in einer Person oft vereinigt waren. Ist mit Ringen versehen, heißt er Klingerstock (ringstaf in Schonen). In des gleichen
Entwicklungslinie zum Amts- und Würdezeichen liegt es, daß stap im metaphorischen Sprachgebrauch den Hirten (-stab) und seinen Bezirk bedeutet und der Hirtenstab
im Bischofsstab zum liturgischen Instrument wird.
2. Seine Zauberkraft
Er hält auf der Weide in den Boden gesteckt, das Vieh zusammen und die Hexen und Unholde fern. Durch diese ihm innewohnende Kraft (Orenda) wind er auf
dieselbe Stufe gestellt, wie die Werkzeuge der Tiefkulturvölker, an die dieselbe Kraftvorstellung geknüpft ist. Dabei wirkt auch noch die Vorstellung von der sympathetischen
Wirkung des Pfählens mit. Wegen seiner Kraft darf er nicht leichtsinnig weggeworfen werden: will sich der Hirte einen neuen machen, muß er den alten in drei Stücke
zerbrechn sonst könnte dem Vieh etwas Böses angetan werden. Vgl. im Wierland trugen die Hirten "Schutzstäbe", die voin "kundigen Leuten" angefertigt waren und
Zauberzeichen trugen.
Verwendet der Hirte eine Geißel, wird sie am Palmsonntag geweiht. Der Geißelstecken muß so wie der Stab behandelt werden. Vgl. daß bei
den lausitzischen Wenden (nach Thietmar von Merseburg 7 c. 50) die Vorstellung von der Kraft im Hirtenstab zu einem Spezialgott entwickelt war. Der Hirte des Ortes
ging mit einem Stab, an dessen oberen Ende eine Holzhand befestigt war, welche einen eisernen Ring umklammerte, von Haus zu Haus und sprach an jeder Tür einen
Spruch. Zu dieser Ausgestaltung des Hirtenstabes bei den Slaven sei kurz darauf verwiesen, daß der Büttelstab ebenfalls ähnliche Verzierungen zeigt, so auch den
Kugelknauf.
(Hoffmann-Krayer / Bächtold-Stäubli - Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, 1931/32, Band IV, Sp. 131-132)