Beiträge zur Geschichte der Steinkreuze |
Der Ostalbkreis bildet heute das Kerngebiet Ostwürttembergs. Natürliche und kulturhistorische Besonderheiten
prägen die Landschaft mit teilweise geringer Besiedlungsdichte, mit einfachen, überschaubaren Strukturen, den landwirtschaftlich
genutzten Ebenen, den steilen Hanglagen und den idyllischen, ökologisch wertvollen Flusstälern. Charakteristische Landschaftsformen
und von Menschenhand in Jahrtausenden Geschaffenes ließen eine regionale Ausprägung entstehen, die gekennzeichnet ist von
einer Vielfalt in Flora und Fauna ebenso wie an Formen, Strukturen und Nutzungen. Nahezu alle Erscheinungsformen zeugen von
politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnissen des Menschen.
Wegen des Reichtums an Naturdenkmalen sind flächenhaft Naturschutzgebiete ausgewiesen worden.
Unsere Region ist aber auch kulturhistorisch als interessante Landschaft zu bezeichnen. Exemplarisch und knapp wären die
Sehenswürdigkeiten wie folgt auf einen Nenner zu bringen: Burgen und Schlösser als steinerne Zeugen großer Vergangenheit,
Kirchen und Klöster. Kunsthistorisch und volkskundlich wertvolle Bauwerke und unverwechselbare Siedlungsbilder ergeben eine
Geschichtslandschaft von regionaler Eigenart.
Orientierungspunkte in der Landschaft, ja unverzichtbarer Bestandteil einer lebendigen, geschichtsträchtigen Gegend sind auch
die sogenannten Kleindenkmale: Feld- und Wegkreuze, Bildstöcke und Gedenksteine. Sie stehen in Wald und Flur, meist unbeachtet,
oftmals unscheinbar schlicht, verwittert oder von Gestrüpp überwuchert. Sie halten Andenken an Personen oder Ereignisse lebendig,
sie stehen für einst karge Arbeits- und Lebensformen, sie überliefern Glauben und Tradition, sie beziehen sich auf entschwundene
Rechtsnormen, sie sind Lesezeichen unserer Kulturlandschaft und ihrer Geschichte.
Kreuze sind steinerne, eiserne oder hölzerne Fürbitte für besondere Glücksmomente oder Unglückstage. Ihren Ursprung haben
sie in der mittelalterlichen Kirche; sie sollten vor Ort für das Seelenheil plötzlich Verstorbener sorgen. Am Kreuz sollen die Gläubigen
innehalten und beten.
Solche religiösen Kleindenkmale sind in Altwürttemberg seltener. Es stellt sich die Frage, ob die Menschen hier weniger religiös
waren? Mit Blick auf die religiösen Eiferer lässt sich diese Frage jedoch verneinen. Es gibt einen anderen Grund: Altwürttemberg ist
seit der Reformation über Jahrhunderte hinweg protestantisches Gebiet gewesen, das der Abbildung im Bereich des Glaubens
distanziert gegenüberstand.
Anders in katholischen Gebieten, wo besonders das Barock viele kunstvolle Skulpturen hinterlassen hat. Wo man in unserer
Gegend solche alten Zeugen des Glaubens in Feld oder Flur findet, gehört das Land seit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches
Deutscher Nation und der napoleonischen Neuordnung zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu Württemberg. Bis dahin war es
Herrschaftsgebiet der Herren von Thurn und Taxis, des Deutschritterordens, der Fürstpropstei Ellwangen oder der Klöster in unserem
Lande.
Der Anlass für die fromme Stiftung eines Kreuzes liegt oftmals im dunkeln. Auch dort, wo eine Inschrift erläutert: "Zu Ehre Gottes"
oder die Vorübergehenden zur stillen Einkehr und zum Gebet am Wegesrand auffordern, wird die Absicht des Stifters nicht klarer.
Wegkreuze und Bildstöcke sind einfache Zeichen der Volksfrömmigkeit vergangener Zeiten. Wie eng Glauben und Leben damals
miteinander verbunden waren, vermögen sich viele heute gar nicht mehr vorzustellen.
Im Ostalbkreis gehören die Wetter- und Gedenkkreuze zur Landschaft. Oftmals haben die Besitzer dieser Kreuze die Monumente
von den Vorfahren übernommen. Über den Grund der Erstellung werden dann allerlei Anekdoten berichtet. Weil der Gedenkstein unter
einer üppigen freistehenden Linde angebracht ist, soll dort jemand vom Blitz erschlagen worden sein. Erst gewissenhafte
Nachforschungen ergeben den wahren Grund der Kreuzerstellung. Heute ist es nicht mehr der Blitz, der die armen Seelen heimsucht,
sondern der Geschwindigkeitsrausch auf kurvenreichen Straßen. Auch daran erinnern heute viele kleine Monumente.
Das typische Kreuz unserer Region ist karg wie die Landschaft der Ostalb. Die Flurdenkmale sind aus Material, das unsere
Heimat hergibt: Holz, Stein und Gusseisen. Die teueren barocken Kreuze mit ihren Schnörkeln sind selten, man überlässt sie den
Nachbarn in Franken und Oberschwaben.
Zu den steinernen Zeugen am Wegesrand zählen auch die geheimnisumwitterten Sühnekreuze, um die sich im Volksmund allerlei
Sagen ranken. Für einen Totschlag vom Täter am Tatort als Sühne errichtet, legt ein Kreuz Zeugnis ab für einen friedensstiftenden
Sühnevertrag, den beide Parteien, Täter und Betroffene, miteinander ausgehandelt haben.
Seit mehr als fünfzehn Jahren widmen sich meine Frau und ich der Erforschung und Erhaltung der Sühne- und Gedenkkreuze
im Ostalbkreis. Manche der alten Kreuze sind heute dem Verfall preisgegeben, andere dagegen werden restauriert oder liebevoll von
Anwohnern, Vereinen oder den Gemeinden gepflegt. Gestützt auf das Inventar des Rechtshistorikers Bernhard Losch haben wir im
Ostalbkreis den gesamten Bestand von 45 Kreuzen vor Ort aufgesucht und professionell aufgenommen. Entstanden ist ein
Inventar,
das den interessanten Bestand an Sühne- und Gedenkkreuzen der Region anschaulich vorstellt, auch typische Zeichen und Inschriften
sowie die volkstümlichen wie archivarischen Überlieferungen knapp erläutert.
Als Zeugen längst vergangener Zeiten stehen die Steinkreuze unverrückt an ihrem Platz, oft versteckt im Wald oder in einer
Hecke, bisweilen aber auch mitten in der Ortschaft. Kaum jemand weiß noch um die genaue Herkunft und die Bedeutung dieser
Kreuze, die früher eine besondere Rolle in unserem Raum gespielt haben. Sie sind aus dem Material unserer Gegend gehauen, meist
aus Kalk- oder Tuffstein; aber auch der Sandstein wurde verarbeitet. Trotz der verwitterungsbedingten Schäden lässt sich in den
meisten Fällen erkennen, dass Laien diese Steine behauen haben. Unförmig und ungleichmäßig dick stehen sie oft eingesunken oder
schräg in der Landschaft und erinnern wohl in den meisten Fällen an Verbrechen, an Mord und Totschlag, die einmal geschehen sind.
Strafen, Strafverfolgung und Gesetze im heutigen Sinne waren in der Frühzeit gänzlich unbekannt. Schwerverbrecher wurden
aus dem Sippenverband ausgeschlossen und gegebenenfalls einer Gottheit an einem bestimmten Ort geopfert. Im Laufe der Zeit
änderten sich die Strafen und Bußen. Im frühen Mittelalter waren bereits Vertrag und Fehde Bestandteil der "Rechtsprechung". Der
Mörder (Vorsatztäter) oder Totschläger (Affekttäter) wurden nach der Tat, sofern er erkannt und überführt wurde, für vogelfrei erklärt,
d.h. jeder konnte diesen Menschen töten, ohne Gefahr zu laufen, selbst für die Bluttat sein Leben verwirkt zu haben.
Dem Geschädigten bzw. seiner Familie stand es jedoch frei, durch einen Vertrag mit dem Schädiger die Straftat zu bereinigen;
gegebenenfalls konnte er eine Wiedergutmachung anfordern. Eine wesentliche Grundlage eines solchen "Sühnevertrages" war die
Vereinbarung, dass das sogenannte Wergeld entrichtet werden müsse. "Wer" leitet sich vom lateinischen Wort "vir" ab und bedeutet
sinngemäß Mann, also Manngeld. Die Höhe der Geldsumme richtete sich in erster Linie nach Stand und Ansehen des Geschädigten.
Ein Freier wurde wesentlich höher bewertet als ein Unfreier, ein Adeliger höher als ein Bauer. Selbstverständlich spielte auch der
Reichtum des Täters eine große Rolle beim Festlegen des Wergeldes. Oft ist es vorgekommen, dass eine ganze Familie oder Sippe
ihr Hab und Gut zusammenlegen musste, um die geforderte Summe zu entrichten. Verweigerte der Schädiger das Wergeld oder war
er gar nicht in der Lage, die geforderte Summe zu entrichten, blieb noch die Möglichkeit der Fehde. Die gegnerische Sippe
verschaffte sich durch Tötung des Täters oder eines nahen Verwandten Genugtuung für die erlittene Schmach. Die Täterfamilie
musste das hinnehmen, ohne ihrerseits wieder als Vollstrecker für den Getöteten auftreten zu können. Mit der Ausbreitung des
Christentums änderten sich auch die Strafen, insbesondere für Mord und Totschlag. Sühneverträge blieben weiterhin bestehen, nur
wurden die Strafen, die im Vertrag genannt wurden, durch das Zentgericht ausgesprochen. Das Wergeld als "zivile" Buße verringerte
sich. Hinzu kamen als "kirchliche" Bußen weitere Auflagen. Die Beklagten mussten sich verpflichten, eine festgelegte Menge Wachs
der Kirche zu stiften, eine Wallfahrt zu unternehmen, Seelenmessen für den Toten lesen zu lassen, einen Bußgang durchzuführen
oder ein Steinkreuz zu errichten. Der Begriff "Sühnekreuz" erklärt sich aus seiner Geschichte. Das Setzen eines solchen Kreuzes
war Teil einer Sühneleistung nach einem Totschlag. Sie wurde im Mittelalter von Seiten der Kirche unter Beteiligung der weltlichen
Obrigkeit in einem Sühnevertrag festgesetzt, um endlose Familienfehden zu vermeiden. Der Sühnevertrag kann als eine Art Vergleich
angesehen werden.
Das verringerte Manngeld bekam die Familie des Toten. Da in jener Zeit die Kirchen ausschließlich von Spenden lebten, war die
Wachsstiftung immer willkommen, um den hohen Bedarf an Kerzen zur Feier der Liturgie zu decken. Die Wallfahrt selbst diente
zweierlei Zwecken. Zum einen sollte der Totschläger auf dieser Pilgerfahrt für den Verstorbenen beten. Nicht nur das Gebet für den
Geschädigten war es aber, was eine Pilgerfahrt ausmachte, sondern durch die entsprechenden Bußübungen sollte sich der Schädiger
läutern und seine Taten bereuen. Zum anderen waren oftmals sehr weit entfernte Pilgerziele vereinbart. Wichtig war aber zugleich der
Pilgerort. Er musste mit einem sogenannten Heiltum ausgestattet sein, d.h. die dort aufbewahrten Reliquien mussten gnadenbringende
Wirkung auf alle Beteiligte ausüben. Zu damaliger Zeit dauerte eine solche Bußfahrt Wochen, wenn nicht gar Monate. Verkehrswege
waren nicht so dicht, wie wir das aus unserer Zeit gewohnt sind. Wallfahrten wurden grundsätzlich zu Fuß unternommen. Bei all den
Gefahren, die auf den wenigen Straßen lauerten, war an ein schnelles Vorwärtskommen nicht zu denken. Dadurch war der Täter für
längere Zeit aus seiner gewohnten Umgebung herausgenommen, und die Tat konnte so langsam in Vergessenheit geraten. Dies war
auch durchaus beabsichtigt.
Die Steinkreuzsetzung am Tatort oder an einem stark begangenen Weg ist mehrdeutig. Da der Schuldige das Kreuz selber
fertigen musste, ist mit dieser körperlichen Arbeit eine Bußübung verbunden. Das Kreuz wurde in der Regel am Tatort aufgestellt.
Vorbeiziehende sollten an dieser Stelle ein Gebet für den plötzlich und ohne kirchlichen Beistand Verschiedenen sprechen, um so
seine Qualen im Fegefeuer zu mildern. Von einer Steinkreuzsetzung an sehr belebten Straßen und Wegen versprach man sich weitere
Fürbitte für den Toten.
Württembergisches Gebiet streift der aus der Hohenzollerngeschichte bekannte Schiedsvertrag, den der Burggraf Friedrich von
Nürnberg am 21. Dezember 1383 mit Konrad von Rechberg und anderen Schiedsleuten wegen des an Götz Schenk von Lochof
begangenen Totschlags zwischen Hans von Ellrichshausen und des Erschlagenen Familie zustande brachte. Neben "steinen Kreuz mit
Helm und Schild des Erschlagenen darauf, an der nächsten Wegscheide zu errichten, Geldbuße, 200 Wachskerzen, Wallfahrt nach
Rom und Aachen mussten der Täter 2 Pfründe den Töchtern des Erschlagenen im Kloster Kirchheim am Ries und Klosterzimmern
bei Nördlingen stiften".
Die reichste Sammlung solcher Rechtsdokumente aus der Zeit von 1465 - 1587 hat Otto Rieder im Sammelband des Historischen
Vereins Eichstätt bereits 1891 und 1892 veröffentlicht. Von den 76 Totschlagsühnen des bischöflichen Gerichts in der Zeit von 122
Jahren wird 63 mal die Aufstellung eines steinernen Kreuzes gefordert, also im Durchschnitt alle 2 Jahre eines. In der Zeit von
1530 - 1560 ereigneten sich allein 40 Totschläge, also in manchem Jahr mehr als eine solche Untat auf verhältnismäßig engem Gebiet
des bischöflichen Gerichts.
Im Fürstlichen Archiv Oettingen-Wallerstein befindet sich die Urkunde über eine Tat, die sich im Jahre 1548 ereignet hat. Der
Urfehde ist folgendes zu entnehmen:
"Wir die Nachbenannten Hannß Hirschberger Burger zu Nördling und Endriß Kemmerlin von Enßlingen wohnhaft daselbst,
Bekhennen und thun kundt mit dießem Brieve, dass wir eines Abends des Jahres 1548 auf dem Weg von Wallerstein nach Nördlingen
kurz vor Öring (Ehringen) einem Junggesellen in Begleitung seiner jungen Magd begegneten. Kemmerlin fing mit dem ledigen
Burschen 'einen Hader und Schlagen an' verwickelte auch noch seinen Freund in die Auseinandersetzung, der den Junggesellen
'entleibte und umbrachte'."
Sowohl der Totschläger Hirschberger als auch sein Freund Kemmerlin wurden alsbald in Haft genommen und ins Gefängnis nach
Wallerstein gebracht. Hirschberger hatte wegen seiner Tat eigentlich Leib und Leben verwirkt, doch auf innigsten Wunsch seiner Frau,
seiner unmündigen Kinder und guter Freunde wurde ihm die Todesstrafe unter folgenden Bedingungen erlassen:
- An die Mutter des Getöteten als Entschädigung und an den Grafen von Oettingen für die Erlaubnis, im Land bleiben zu dürfen,
zahlt Hirschberger je 60 Gulden.
- Der Täter muss in der Pfarrkirche zu Wallerstein Seelenmessen lesen lassen und Wachskerzen opfern.
- Dem Hirschberger wurde aufgelegt, an der Straße und dem Ort, "da der Totschlag geschehen", ein Kreuz setzen zu lassen.
Anfang des 16. Jahrhunderts entstanden die ersten staatlichen Strafgesetze. Am bedeutendsten war die im Jahre 1532 auf dem
Reichstag zu Regensburg von Kaiser Karl V. erlassene "Peinliche Gerichtsordnung". Peinliche Gerichtsordnung deshalb, weil die
Strafen auf Schmerzen und Pein ausgerichtet waren. Von dieser Zeit ab gehörte auch die Aufstellung der Sühnekreuze der
Vergangenheit an.
Das errichten von Kreuzen blieb jedoch weiterhin bei der Bevölkerung üblich, jedoch sind sie nur noch reine Erinnerungsmale.
Auffallend ist, dass ab der Mitte des 16. Jahrhunderts bei manchen Kreuzen Jahreszahlen eingemeißelt wurden. Man wollte damit
dokumentieren, dass ein entsprechendes Kreuz nach Einführung der "Carolina" gesetzt wurde. Die Kreuzformen wurden auch
wesentlich feiner gearbeitet. Die nun errichteten Gedenkkreuze unterschieden sich von den Sühnekreuzen dadurch, dass nicht der
Täter zur Buße aus Gestein ein Kreuz herausschlagen musste, sondern ein ausgebildeter Steinmetz die Arbeit erledigte. Auch wurde
diese Arbeit nicht vom Täter oder seiner Familie finanziert, sondern die Angehörigen des Opfers waren die Auftaggeber. So ist es
auch kaum verwunderlich, dass die Kreuze sorgfältiger bearbeitet wurden, denn man wollte ja auch ein würdiges Andenken an den
Verstorbenen schaffen.
Alle Sühnekreuze sollten den Vorbeikommenden aber weiterhin auffordern, für den Verstorbenen zu beten. Eine ganze Reihe
solcher Sühnekreuze überkam so in unser Jahrhundert.
Neben den Sühnekreuzen - vor Einführung der Carolina - und den Gedenkkreuzen - nach Einführung der Carolina - gibt es
noch einen weiteren Setzgrund. Im Jahre 1600 verlangte das Konzil von Trient das Setzen von Steinkreuzen an der Stelle einer
abgegangenen Kirche oder Kapelle. Im Ostalbkreis ist ein solcher Setzungsgrund nicht bekannt. Forschungen sollten jedoch auch in
diese Richtung geführt werden.
Fest steht aber, dass die Steinkreuze nie als Begräbnisstättenzeichen gedient haben. Als Erinnerung an gewaltsamen Tod, als
Denkzeichen außerordentlichen Todes oder eines Unglücksfalls und schließlich rein natürlichen Todes bzw. errichtet an der Stelle
einer abgegangenen Kirche oder Kapelle, das dürfte der Entwicklungsgang der Steinkreuze sein.
Die Kreuze kommen in verschiedenen Formen vor. Am häufigsten ist die "lateinische Kreuzform", bei der der Querbalken im
obersten Drittel angebracht ist. Das "griechische Kreuz" hat gleichmäßig lange Balken.
Auch heute ist es wieder Brauch, Kreuze zu setzen. Man denke nur an die vielen Unfallkreuze an unseren Straßen.
Es wird oft darüber geklagt, dass uns die Bedeutung der Steinkreuze nicht mehr bekannt sei, dass entweder gar keine
Deutungen oder die widersprechendsten Erklärungsversuche unternommen werden. Die Steinkreuze boten für Legenden schon
immer reiche Nahrung - durch überlieferte Anlässe, die einst zum Aufstellen der Denkmale führte, wie durch manch später erdichtete
Überlieferung. Die folgenden Deutungen bleiben daher ohne geschichtlichen Nachweis: Römerkreuz, Hunnenkreuz oder Pestkreuz.
Eine der beliebtesten Bezeichnungen ist Schweden- oder Franzosenkreuz. Es soll auf Gräueltaten im Dreißigjährigen Krieg hinweisen,
die unseren Vorfahren noch lange in frischem Gedächtnis blieben.
Man schätzt, dass sich im deutschsprachigen Raum etwa 5000 dieser Steinkreuze erhalten haben. Nach Bernhard Losch ist in
Baden-Württemberg eine Gesamtzahl von 1000 Kreuze feststellbar.
Die Gesamtzahlen der Kreuze änderten sich aber laufend, da ständig einzelne Kreuze verschwinden, gelegentlich aber auch ein
Kreuz wieder gefunden wird. Im Jahre 1992 konnten wir im Ostalbkreis 38 Steinkreuze ausfindig machen. Durch einen Hinweis von
Herrn Hermann Sorg aus Rosenberg-Hohenberg wurden 2 weitere Kreuze in das Inventar aufgenommen. Durch eine Mitteilung von
Frau E. Wamsler aus Waldstetten wurde das Inventar um weitere 5 Kreuze ergänzt. Die 5 Kreuze wurden im Sommer 1999 von uns
vermessen und im Bild festgehalten.
In der Zeitschrift "Ostalb Einhorn" vom 21.03.1979 hat Bernhard Losch über das verschwundene Rechberger Kreuz
von 1331 berichtet. Es lag viele Jahre bei Abtsgmünd, ca. 750 Meter ab Ortsmitte rechts an der Straße nach Laubach an der
Böschung. Der Stamm des Kreuzes war wenige Zentimeter unterhalb der Querbalkenunterseite schräg abgebrochen. Seit 1970/1971
war es als verschwunden gemeldet.
Im Jahre 1988 wurde das Kreuz auf einem Schotterhaufen gefunden. Im letzten Moment konnte man verhindern, dass das Kreuz
als Schotterunterlage zerschlagen wurde. Das Steinkreuz wurde sichergestellt, die Wiederherstellung bzw. Aufstellung veranlasst. Seit
Februar 1994 befindet sich das Kreuz an der katholischen Kirche in Abtsgmünd. Niemand hatte an ein Wiederauffinden jemals wieder
geglaubt.
Von der Inschrift dieses Kreuzes sind nur einzelne Buchstaben lesbar. Die Jahreszahl 1331 befindet sich im Kopf des Kreuzes.
Das Wappenrelief mit Helmzier zeigt das Wappen der Herren von Rechberg. Die Ausführung des Wappens stimmt genau mit der
Wappendarstellung auf einem steinernen Grabmal von 1348 in der Kirche von Donzdorf überein.
Das Rechberg-Kreuz ist nach Bernhard Losch das zweitälteste datierte Steinkreuz Baden- Württembergs und ist damit eines der
ältesten datierten Steinkreuze Deutschlands überhaupt. Das Kreuz könnte sich auf einen Vertreter der Gröninger oder Heuchlinger
Linie des Hauses Rechberg beziehen, der in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts bei einem Zweikampf gefallen sein soll. Laut
Pfarrer Menrad soll es sich um eine Blutrache gehandelt haben.
Ein weiteres Steinkreuz steht etwa 500 Meter rechts der Landstraße
1161 Mögglingen - Heubach an dem Wanderweg Lautern - Böbingen. Auf
der Vorderseite des Steinkreuzes, etwa in Kreuzmitte, befindet sich ein eingeritztes Kreuz sowie die kaum noch sichtbaren Initialen
R und P. Wenn man das eingeritzte Kreuz als den Buchstaben I wertet, kommt es zu der lateinischen Bezeichnung RIP (Requiescat in
pace = Ruhe in Frieden). Darunter befindet sich die Jahreszahl 1605 oder 1635. Es soll sich um ein sogenanntes Pestkreuz handeln,
das aus Dank an der Markgrenze Mögglingen / Böbingen aufgestellt wurde. Dies konnte jedenfalls Anton Schmid aus Böbingen in
Erfahrung bringen. Die ebenfalls in einem Rechteck angebrachte Jahreszahl 1876 wurde wahrscheinlich im 19. Jahrhundert eingeritzt.
An der Lindenfeld-Kapelle beim Lindenhof (Schwäbisch Gmünd
/ OT Unterbettringen) steht ein Kreuz aus dem 16./17. Jahrhundert. Das Steinkreuz zeichnet sich durch die Besonderheit aus,
dass es in den unteren Winkeln Winkelstützen trägt, die deutlich zwischen Schaft und Balkenunterseite zu sehen sind, obwohl sie
stark hinter die Kreuzoberfläche zurückgesetzt sind. Bernhard Losch schreibt hierzu: "Woher das Bettringer Kreuz stammt, könnte
nur einem Aktenstück oder einer volkstümlichen Überlieferung zu entnehmen sein. Eine diesbezügliche Urkunde ist bis jetzt aber nicht
bekannt geworden. So bliebe der Volksmund, der das Steinkreuz als 'Schwedenkreuz' kennt, und demzufolge es an den
Dreißigjährigen Krieg erinnern soll. Diese Überlieferung verbindet sich in der Gmünder Gegend noch mit mehreren anderen
Steinkreuzen und hält gleichzeitig mit der Erinnerung an einen düsteren Entstehungsgrund an den schrecklichen großen Krieg fest“.
Weiter schreibt Losch: "Das Bettringer Kreuz ergänzt den Gmünder Steinkreuzbestand besonders gut, weil es mit seiner Form
die Gmünder Steinkreuztradition hervorhebt und die regionale Verwandtschaft dieser Denkmale erkennen lässt. Dieser Zusammenhang
erlaubt es, auch ohne schriftliche Urkunde das Alter des Denkmals zu schätzen. Es dürfte jedenfalls mehr als 400 Jahre betragen.
Daher wundert es nicht, dass sich geschichtsbezogene Sagen mit dem altertümlichen Stein verknüpfen, die etwas von der Herkunft
ahnen lassen".
Als Sensation wurde in der Schwäbisch Gmünder Presse der Fund zweier historischer Steinkreuze dargestellt, die bei
Trockenlegungsarbeiten an der St. Leonhards Kapelle in Schwäbisch
Gmünd gefunden wurden. Die Kreuze befanden sich unmittelbar an der Außenmauer in Chorbereich der Kapelle. Von
Mitarbeitern der Münsterbauhütte, die zeitgleich an der Nordseite der Kapelle die Epitaphe hergerichtet haben, wurden die Kreuze von
Staub und Schmutz befreit. Eines der Kreuze ist gut erhalten. Zwischenzeitlich durchgeführte Untersuchungen dieses Kreuzes
ergaben, dass das Wappen auf dem Kreuz mit Sicherheit einem der ältesten Gmünder Geschlechter, dem der Vener zuzuordnen ist.
Dr. Axel Hans Nuber schrieb im April 1969 in der Zeitschrift "Einhorn 92" auf Seite 93: "Die Vener führten ferner ein Wappen, dessen
Schildbild eine schlichte altertümliche Teilung aufweist. Dieses Schildbild, ferner der Vorgang in der Zeugenliste von 1162, wo ein
Vener vor dem Vertreter des Schultheißengeschlechts von Rinderbach aufgeführt ist, sowie der Besitz der bedeutsamsten Markung
weisen die Vener als Abkömmlinge der Herren von Utinkofen aus".
Das Kreuz wurde im Spätsommer 1999 im Friedhof in unmittelbarer Nähe der St. Leonhards Kapelle aufgestellt.
Dort befindet sich in der Zwischenzeit auch das prächtige gotische
Steinkreuz aus dem Jahr 1541, das lange Jahre im Hof des Steinmetzmeisters Baldauf in Schwäbisch Gmünd zu sehen war.
Dr. Anton Nägele schreibt darüber bereits 1913: "Am Nordosten der Stadt Gmünd bei der Rinderbacher Mühle steht eines der
schönsten Steinkreuze, die uns im Original oder Abbildung bekannt geworden sind. Es ist 1,17m hoch über dem Boden, 0,86m breit,
0,25m dick, hat in den 4 Winkeln schön erhaltene gotische Verzierungen. In der Mitte des Querbalkens in ziemlichen Abständen
voneinander sind 4 Zahlen zu sehen; deutlich 1241 nicht wie Gradmann im Inventar des Jagstkreises angibt 1514. Die zweite Zahl ist
für jene Zeit kaum möglich". Über die Jahreszahl gab es in der Folgezeit Diskussionen. Bei Losch wurde die Datierung mit 1541
angegeben.
Ein weiteres Kreuz, das ebenfalls bei den Grabungsarbeiten an der St. Leonhards Kapelle in Schwäbisch Gmünd gefunden wurde
ist stark beschädigt. Es weist weder eine Jahreszahl noch sonstige Hinweise auf das Alter aus. Der linke Arm und der Schaft sind fast
ganz abgebrochen, bei dem Kopf und dem rechten Arm ist die Front abgesplittert. Mit Sicherheit ist das Kreuz als Sühne- oder
Gedenkkreuz aufgestellt gewesen, bevor es als Füllmaterial in den Gesteinsmassen bei der St. Leonhards Kapelle gelandet ist.
Das Kreuz wurde jedoch als nicht erhaltungswürdig
eingestuft. Es wurde in der Zwischenzeit entsorgt.
Von den heute noch vorhandenen Steinkreuzen im Ostalbkreis tragen nur wenige eine Inschrift. Die vorgefundenen Texte
reichen von zwei bis drei Buchstaben bis hin zu längeren Ausführungen über einen Tathergang. So ist auf dem Kreuz bei
Neuler-Ebnat folgende Bluttat dokumentiert:
DEN 6. Mayen IST DER JEREMIAS HEISLER VERSHLAGEN WORTEN SENES ALTERS UNGEFAR 47 JAR |
Für einen verunglückten oder erschlagenen Weber errichtet. Ursprünglicher Standort: Am Fußweg von Gmünd nach Ellwangen, dem sogenannten Fischerweg unterhalb des Galgenbergs." |
Es ist höchste Zeit, den Kleindenkmalen insgesamt eine gebührende Aufmerksamkeit durch ihre Einbeziehung in Erforschung
und Erhaltung zu widmen. Denn in der Gegenwart sind sie stark gefährdet, da sie unmittelbarer Bestandteil einer vom Menschen
gestalteten Landschaft sind, in der sie einst als zwar nüchtern zweckbestimmtes, aber andererseits ungemein belebend erscheinendes
Element aufgestellt worden waren.
Durch das Inventar der Steinkreuze sollte eine weiterführende Beschäftigung und zukunftssichernde Pflege dieser Kleindenkmale
gefördert werden. Dass dieser Wunsch in Erfüllung geht, ist man auf viele freundliche Helfer angewiesen.
Es sollte angestrebt werden, die Steinkreuze im vollen Umfang in der freien Landschaft zu erhalten. Dort haben die Denkmale
und jedes für sich an seiner Stelle ihren historisch angestammten und begründeten Platz, was sie an sich unverrückbar machen
sollte. Daher sind sie als unverrückbare Bodendenkmäler geschützt. Selbst die seriös erscheinende Unterbringung in Museen und
Lapidarien ist ohne zwingenden Grund somit widersinnig.
Mit der Erfassung der 45 Sühne- und Gedenkkreuze im Ostalbkreis möchten wir die Bedeutung heimatgeschichtlicher Zeugnisse
fördern und gleichzeitig das historische Bewusstsein insbesondere auch bei der Jugend wecken.