[...] Die Malstätten des Gerichts heißen auch Dingstätten, Gerichtsstätten, Schrannen u.ä. Diese
Gerichtsplätze waren meist durch besondere "Zeichen" kenntlich gemacht, z.B. durch aufgerichtete Steine (auch vorgeschichtliche Steinsetzungen), durch Steintische
oder durch den Gerichtsstuhl, durch hölzerne oder steinerne Schranken, meist aber waren dafür Bäume gepflanzt, vor allem aber Linden! Diese boten nämlich bei
schlechtem Wetter dem Richter und den Schöffen wenigstens einigen Schutz. Später errichtete man dafür offene Hallen, die sog. Gerichtslauben. Eine solche stand im
Burghof zu Rothenburg. In Norddeutschland sind diese Hallen als steinerne Gerichtslauben meist an die Rathäuser angebaut. Die Gerichte wurden dann auch in
geschlossene Räume verlegt. […]
(Funk, Wilhelm - Von Flurdenkmälern im allgemeinen und den Flurdenkmälern um Neustadt a.d. Aisch im besonderen, 1940, S.8)
Gerichte, Frei-, Ritter- und ähnliche Gutsanlagen.
Steigen wir auf der von den Häuslern, Gärtnern oder Wirtschaftsbesitzern und Bauern gebildeten Leiter der ländlichen Rangordnung höher, so
gelangen wir zu den als Gericht-, Erb- oder Lehngericht
bezeichneten Höfen. Stellung und Amt ihrer Besitzer in alter Zeit ist noch nicht vollkommen geklärt; sie scheinen je nach dem Erb- oder lehnsherrn verschieden gewesen
zu sein; da auch "Gärtner" und Häusler zu "Richtern" gemacht wurden, so war die Größe des Besitzes wohl kaum das ausschlaggebende Moment. Für unsere Zwecke
genügt es, festzustellen, daß die als „Gericht“ bezeichneten Güter zwar meist zu den ansehnlichsten im Dorfe gehören, daß
sie aber baulich keinerlei Eigenartigkeiten aufweisen. Insbesondere fehlt jeder ausschließlich der Rechtspflege bestimmte Raum, sei es nun eine Gerichtsstube, ein
Arrestlokal oder ähnliches. Die Verhandlungen mit den Ältesten oder Schöppen mögen wohl bis in spätere Zeit unter der Linde stattgefunden haben, als einstweiliges
Gefängnis (Pömmerle genannt) diente später und zum Teil heute noch meist das Spritzenhaus.
Weiter gelangen wir zu den Freigütern, die in
Sachsen den Rittergütern gleich geachtet werden, zumal auch die Entstehung der Rittergüter nur zum allerkleinsten Teile in
die Feudalzeit zurück reicht. Als Beweis führe ich das Dorf Ottenhausen an, wo i.J. 1708 neben zwei Freigütern noch drei Rittergüter vorhanden waren; ferner sei an die
Entstehung des "freien Erbrittergutes" Naundorf (bei Grillenburg) erinnert, die i.J. 1651 durch Vereinigung von 5½ wüsten Hufen erfolgte. Auch die
Klostergüter sind dieser Klasse zuzuzählen. In baulicher Hinsicht liegt somit keine Ursache vor, daß Frei- oder Rittergüter,
abgesehen vom größeren Umfange oder von besseren Wohnhäusern, sich von stattlichen Bauernhöfen wesentlich unterscheiden müssten. […]
(Wuttke, Dr. Robert - Sächsische Volkskunde, 2.Aufl., Dresden 1901, S.456)
Mal- oder Gerichtsstätten.
A. Gerichtsstätte zu Kaichen in der Wetterau (bei Friedberg, Oberhessen); nach Photo von Sanitätsrat Dr. Lotetz-Frankfurt a.M. durch
Vermittlung von K. Bauamtmann Linde-München.
Viereckiger Grundriß; Gerichtstisch; vor ihm Steinblock, dessen Bestimmung uns unbekannt.
B. Grundriß der Gerichtsstätte al banco de la reson zu Cavelese (Fleimsertal, Tirol). Weinhold, Zeitschr. für Volkskunde IX 68.
In der Mitte erhöhter Gerichtstisch; zwei Stein-Bankreihen in Kreisform; steht neben der Kirche im Tal. Tisch und Bänke: Porphyr. Die Gemeinde
Fleims, eine Markgenossenschaft, hatte sich 1110 bei der Gerichtsbarkeit, die dem Bischof von Trient als Grafen zustand, ein Aufsichts- und Mitwirkungsrecht vorbehalten
C. Der "Stein", 350m östl. von Grünenbach (Kirche. Lindau) 1:1000. Nach Allgäuer Gerichtsfreund IV, Nr.7 und eigenen Aufnahmen. Ein Plateau,
20:20m mit einem Nagelfluhblock 1,80m hoch, z.T. bearbeitet. Um das Plateau Graben und auf 3 Seiten Aushub. Funde: Rindschädel, unglasierte Scherben. In der Nähe
Quelle. Aug. Ullrich, der im Allgäuer Gerichtsfreund IV 89 den "Stein" treffend beschreibt, vermutet Kultstätte und mittelalterliche Gerichtsstätte.
Bei einer Gerichtsstätte unterscheiden wir den "Gerichtstisch", Block (Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer 1899 II 436), auf dem z.B. bei
Totschlagsverhandlungen die Leibzeichen, also Beweise, wie die abgeschnittene Hand, das blutige Kleid, lagen; um den Tisch den Sitz des Richters und der Schöffen.
Tisch und Bänke sind gerne von Stein gewesen, manchmal nur der eine oder die anderen. Daher die Bezeichnung Freistein
(sie und der Platz um sie waren "gefreit"), Freibank, Freistuhl.
Dieser Platz war mit Schnüren, Zäunen, Gräben, Schranken abgesperrt, daher der Gerichtsplatz auch die Schranne. Außerhalb dieser Hegung
waren die Zuhörer. Der Platz innerhalb aber war gefreit, daß heißt, der Raum war ausgenommen von jeder Betätigung der
Privatrache, die ja einst das Uebliche war; es durfte das Gericht durch eigenmächtiges Eingreifen der Zuhörer nicht gestört werden: Freistein,
Freibank, Freistuhl. Es war also der Gerichtsfriede mit dem Platz verbunden.
Es ist nun nicht ausgeschlossen, daß man einen solchen Steintisch auch mit den Bänken noch entdeckt und daraus auf eine Gerichtsstätte,
nicht aber gleich auf einen germanischen Opferstein schließen kann. Es gab ja solcher mittelalterlichen Gerichtsstätten viele, manche mögen auch aus heidnischen
Kultstätten entstanden sein.
Auf einem Ackerfelde beim Dorfe Ellenberg bei Guxhagen (Kassel) wurde 1907 eine kreisförmige Gerichtsstätte festgestellt; Durchmesser 9½m.
Antiquitätenzeitung XV 449.
Ein weiterer Gerichtsplatz (Ding- oder Malstätte) an der Kirche St. Valentin bei
Rupolding (Traunstein), siehe Deutsche Gaue IX 172. Dort 173 noch weitere Beiträge.
Auch Flurnamen und Flurstücke, die eine eigenartige Form haben, könnten auf solche Stätten raten lassen; so ist 750m nördlich von
Hirschzell (Kaufbeuren) eine Wiese mit Gräbern, der Tadelanger; er hat eine ganz unregelmäßige Figur im Gegensatz zu den regelrechten Streifen aller Aecker, die ihn
begrenzen. Von ihm führt die "Grafensteig" die Halde östlich hinauf. Freilich ist und Geschichte des Grundstückes und ältere Fassung der Flurnamen nicht bekannt. [...]
[...] Wir müssen hier streng auseinanderhalten: Jede Gerichtsstätte war eine Freistatt, insoferne als hier die Privatrache aufhörte; allein es gab
außerdem noch eine Menge Freistätten, die durchaus nicht alle Gerichtsstätten waren: Kirchen, Klöster, Freihöfe usw. [...]
(Deutsche Gaue, Band XI, 1910, 5.Lieferung, Doppelheft 209 u. 210, S.169-171)
Dingstätten.
Ding (germanisch thing). Grundbedeutung scheint: Das Gesprochene, das Wort; daraus entwickelt sich: die
Besprechung, Verabredung; dann: die Zusammenkunft zur Besprechung eines Gegenstandes von allgemeinem Interesse. Der Ort heißt Dingstätte.
Das Mahl, althochdeutsch mahal = Versammlung, woraus die Bedeutung Gericht, Ort des Gerichts (Mahlstatt).
Wer im Kanton Uri, der Heimat Tells, einmal einer landsgemeinde (jährlich am 1. Maisonntag) beigewohnt hat, dem wird dies unvergeßlich bleiben. Es ist die
Versammlung aller stimmfähiger Urner, welche sich da Gesetze gibt, Steuern bewilligt und die Obrigkeit ein- oder absetzt. Im stillen Tal unter freiem Himmel kommen sie
zusammen und bilden einen weiten Ring um die paar Versammlungsleiter, die in der Mitte sind, jedoch durch freien Raum von dem "Umstand", also diesen Ring getrennt:
So müssen wir uns auch unsere einstigen Dingstätten vorstellen (Ding, germanisch Thing = Volksversammlung, siehe oben).
Der "Stein" nö. dem Dorfe Grünenbach (Gb. Weiler bei Lindau Schw. Rk661 unter b von Grünenbach) war wohl eine
solche Dingstätte; das heißt nur der Platz für Richter, Schultheiß, während der Ring der Umstehenden auf der Wiese diesen Platz umgab; so ist das auch bei den folgenden Beispielen gemeint.
Der "Stein" ein zugerichteter Nagelfluhblock auf einer 18,5:20m großen Plattform, die von einem Graben umfaßt ist. Schon H. August Ullrich hat darauf im Allgäuer
Gerichtsfreund 4, 89 die Vermutung einer Dingstätte ausgesprochen, ebenso die Frage angeregt, ob wir weiter zurückgehend die Anlage nicht als Kultstätte ansehen dürfen. Eine Quelle entspringt wenige Schritte davon.
1600m südwestlich von Baisweil (Kaufbeuren, Schw.) (Rk.649 über dem zweiten r von Römerstraße) ist im ebenen Feldtal ein
künstlicher Hügel, welcher Leh-Bichl heißt, jetzt noch 1,90m hoch. Karten nennen ihn "altdeutschen Grabhügel"; er ist jedoch keiner; denn die Durchschneidung 1900
(Deutsche Gaue 2, 117) zeigte keine Grabstätte; sie erwies, daß der Hügel künstlich errichtet, einst niedriger war und erhöht wurde; keine Funde. Er kann deshalb auch nicht als "Römerhügel"
bezeichnet werden; die Römerstraße Augsburg - Kempten zieht zwar 150m an ihm vorbei; diese Straße war aber wohl bis 1200 noch im Gebrauch.
Es liegt nahe, daß wir hier ebenfalls einen Ding-Hügel vor uns haben. [...]
Großdingharting (Wolfratshausen Obb.) als Gerichtsstätte
im 12. Jahrhdt. genannt; 5 Minuten westlich ein Hügel mit Kapelle (rund 1800 erbaut), heißt Kirchberg, im Volk aber Galgenberg; unweit der Straßenkreuzung München-Tölz und Deisenhofen-Schäftlarn. Pf. Winsauer, München-Forstenried.
(Deutsche Gaue, Band XXII, 1921, 1.-4..Lieferung, Heft 421-426, S.18)
[...] Die Gerichtsverhandlung beginnt mit einem Gebot des Schweigens und Zuhörens, welches der
Gerichtshalter, in der heidnischen Landsgemeinde auf deutschem Boden der Kultbeamte, an die Dingleute erläßt und wodurch er das Ding "befriedet" oder "bannt" oder
im w.S. "hegt". In älterer Zeit scheinen alle Dingleute bewaffnet im Kreise ("Ring") zu sitzen. War zur Urteilfindung ein Ausschuß berufen, so saß nur dieser nebst dem
Gerichtshalter, und zwar innerhalb eines kreisförmigen oder viereckigen und insgemein eingehegten Raumes (mhd. rinc), die Urteilfinder auf Steinen oder Bänken (bayr.
schrannen, nl. dingbancken, vierschare), der Gerichtshalter nach deut. RR. auf einer besonderen Bank mit gekreuzten Beinen, das Antlitz nach Osten gekehrt, den
"gewaltigen" Stab, d.h. den weißen Stab des Gewaltboten, (doch im Hochgericht wohl auch statt dessen das Schwert) in der Hand, den Richterhut auf dem Haupt. Auch
die Urteilfinder tragen im MA. besonderes Gewand. Am Ende des Verhandeins oder der Dingzeit erfolgte meist eine förmliche Auflösung des Dings (an. pinglausn),
in Deutschland z.B. unter Umstürzen der Schrannen. Während der Dingzeit kündete ein Schild, aufgehängt an Speer oder Baum, oder ein Schwert, eine Fahne,
aufgesteckt, den Dingfrieden an. Überdies aber stand im Heidentum das Ding, wenigstens die Landsgemeinde, unter göttlichem Schutz. "Weihebande" (an.
vébǫnd), an Haselstangen umhergezogen, "hegten" den Platz der Urteilfinder ein: das Ding wurde "gespannt". Auch die Dinghegung scheint ein
sakrales Element enthalten zu haben. Daß mit Vorliebe der Dienstag oder Donnerstag zum Gerichtstag gewählt wurde, deutet nach derselben Richtung.
(Amira, Karl von - Grundriss des Germanischen Rechts, 3.Aufl., Strassburg 1913, S.256-257)
Allein nicht bloss für unsere Mythologie ist der Rentrischer Stein von Wichtigkeit, auch
für deutsches Rechtsalterthum ist er der vollsten Beachtung werth. Das Wort "Spil" wird nämlich im Mittelalter für Gericht gebraucht, und es wäre also unter
einem Spilstein ein Gerichtsstein zu verstehen. In einem offenen Briefe, geschrieben 1592 des 20. dags Mart. zu Pommern an der Mosel heisst es: "Sie alle
Gerichtsscheffen mit gelauter Glocken off de hiesig Rhatt- oder Spielhus in der grossen Stuben hinfordern und beschieden." Bei Asbach, im kölnischen Amte
Altenwied, ragten ehemals aus dem flachen Lande 16 Fuss hohe, senkrechte, und etwas nach Ost geneigte Säulen hervor. Die Stelle hiess Spillhüll. - Minola,
dessen Beiträgen zur Uebersicht der Römisch-Deutschen Geschichte, 2.Aufl. S.71 ich dieses entnehme, bemerkt dazu, in älteren Zeiten sei hier eine Ding- oder
Malstätte gewesen, denn noch später hätten sich die drei Aemter Wiedhagen, Asbach und Neustatt dort versammelt, um einen Amtmann zu wählen oder sonst
etwas Wichtiges auszumachen. In mehreren Gemeinden an der Mosel wurde, einer Mittheilung des Herrn Oberförsters Mohr zufolge, ein öffentlicher Platz "uff
dem Spilles" genannt, und endlich mahnt das Wort Kirchspiel noch an die alte geistliche Gerichtsbarkeit, und der heilige Send wurde nach uralten Weisthümern
auf dem Kirchhofe oder vor der Kirche unter der Linde gehalten, die als Gerichtsbaum am häufigsten diente (Grimm, Rechtsalterthümer S.796), zugleich aber auch
ein Baum der Holda ist (Wolf, Beiträge S.169). Um die Reihe meiner Anführungen zu schliessen, sagt endlich J. Grimm (a.a.O. S.806) selbst: "zur Zeit des
Mittelalters hatten wenigstens die aufgeblühten wohlhabenden Städte ihre Richthäuser oder Dinghöfe; man findet sie unter der Benennung Spilhus, Spelhus."
Wir hätten also hier abermals einen Beweis für die Richtigkeit der Behauptung Grimms, dass Gerichtsplätze auch zugleich heilige Stätten waren, denn der
Name "Chrimhildespil" rollt den tausendjährigen Vorhang vor; unsem Blicken auf und zeigt uns das religiöse und politische Leben unserer Vorfahren im hellsten
Lichte, Dass wir dieses vermocht, danken wir nächst jenem grossen Römer dem Schöpfer der deutschen Mythologie J. Grimm, dessen Bemühungen um
Erforschung des vaterländischen Alterthums von Jahr zu Jahr mehr Anerkennung und Würdigung finden.
(Hocker, Nikolaus - Die Stammsagen der Hohenzollern und Welfen. Ein Beitrag zur Deutschen Mythologie und Heldensage, Düsseldorf 1857, S117-118)