[...] Verwandt mit der eben behandelten ist die Deutung der Steinkreuze in juristischem Sinn als
Rechtsgrenzen: Asylsteine, Freisteine, Ding-und
Malstättensteine, Blutsteine, Weichbild-, Zehentsteine, Bannkreuze, Malefizkreuze und wie die Bezeichnungen alle lauten. So sollen selbst nach einem Werk wie
den 'Denkmälern des Grossherzogtums Baden' die Steinkreuze bei Riedern am Sand, auf dem Kuppelberg bei Bühl und am Weg nach Bergöschingen
mit den Jahreszahlen 1601, 1551 und 1572, beim Oberhof bei Bühl vom Jahre 1551, die sieben Steinkreuze bei Waldshut mit den Jahreszahlen 1613,
1579 und 1613 entweder die Gemarkung begrenzen oder den Blutbannbezirk bezeichnen. Solche Grenzzeichen städtischer, klösterlicher oder herrschaftlicher
Gerichtsbarkeit finden sich da und dort heute noch, z.B. in der Umgebung der Stadt Mengen a.D., haben aber durchaus nicht die Steinkreuzform. Der sogenannte
Freistein bei Kemnatzried (Markt Oberdorf), der wohl eine Gerichtsgrenze bezeichnet haben kann, hat ebenfalls nicht die Form eines Kreuzes, sondern nur oben
eine Nische mit einem Kreuzchen. Die Rechtsmarken um Kaufbeuren, die später Friedsäulen hiessen und die Grenzen des Stadtrechts von 1377 bezeichneten, wurden
nicht durch Kreuzsteine, sondern durch Steinsäulen angegeben. Es ist wohl möglich, dass nachträglich schon vorhandene Steinkreuze wie zu anderen Zwecken so auch
zur Bezeichnung von Rechtsgrenzen verwendet, wurden. So werden in einer Neuburger Urkunde von 1417 'alle Frevel, die zu Eichstädt geschehen oder in den vier
Kreuzen' erwähnt, und in der Schweizer Rechtssprache vertritt die Ausdruckweise: 'Inner den Kreuzen, ausser den Kreuzen', die Bezeichnung des Stadtbannes. Wohl
beeinfiusst von Zillners 'Geschichte der Stadt Salzburg' (1, 11) glaubt auch Marie Andree-Eysn einige
Salzburger Steinkreuze als Weichbildkreuze an der Grenze des Burgfriedens erklären zu müssen. Aus der schwäbischen Volkssage weiss Birlinger (Aus
Schwaben 1, 287) von zwei sogenannten Malefizkreuzen im Ellwangischen zu erzählen.
Der Meinung, unsere Steinkreuze bezeichneten eine Gerichts-, Maloder Dingstätte, steht erstlich die Tatsache entgegen, dass diese
Denkmäler sich in zu grosser Anzahl und viel zu nahe beieinander finden, als dass jedes einzelne Steinkreuz für eine Gerichtsstätte sprechen könnte, zumal da bei den
beschränkten städtischen und ländlichen Verhältnissen des Mittelalters nur eine Gerichtsstätte, ein Hochacker oder Galgenberg, genügen mochte; auch kommen diese
angeblichen Blutbannkreuze weit ausserhalb der Blutbannbezirke einzelner Standesherrn vor, weshalb mit Recht Steinkreuzforscher wie Alberti und Urban für Böhmen
jener Auffassung entgegentraten. - Ganz andere Steinmale bezeichnen ferner die Gerichtsgrenzen oder Malefizmarken. So waren nach Eggmann (Waldsee S.183) im
Waldseer Gebiet die Jurisdiktionsmarken noch um 1860 teilweise vorhanden. Die Marken für die Banngrenze der Mengener hohen Gerichtsbarkeit sind ebenfalls nach
Laub (Donaustädte S.132) noch heute zum Teil erhalten; die 17 Marken, gewöhnlich 1km Wegs von den Umfassungsmauern der Altstadt entfernt, bestanden aus
erratischen Blöcken. Das Archiv in Mengen besitzt noch eine alte Karte mit Gerichtsbezirkmarkierung von 1707.
In Urkunden scheint bis jetzt kein Nachweis dafür gefunden zu sein, dass man eine Gerichtsstätte
durch Steinkreuze bezeichnete. Und wenn solche bisweilen an sicher nachweisbaren Dingstätten, vor allem Dorfgerichtsplätzen, heute zu sehen sind, z.B. in der Nähe
der Kirche St. Valentin-Ruhpolding (Traunstein) mit den drei Linden und zwei Steinkreuzen an der
Friedhofmauer und marmornen Sitzen unter den Linden, oder in Ingen bei Kaufbeuren, wo schon 1150 eine Malstätte des Augstgaues erwähnt wird, so ist nach
unseren urkundlichen Aufschlüssen über Sühnekreuze zweifellos anzunehmen, dass man sie gern in die Nähe von Linden, wo das Dorfgericht abgehalten wurde, zu
setzen pflegte; es geschah also nicht, um den Platz als Gerichtsstätte zu bezeichnen, sondern um an so vielbesuchten Orten den Zweck der öffentlichen Sühne, der
Fürbitte und des Gedächtnisses am besten zu erreichen. Vielfach mögen auch manche Zeichen auf den Steinkreuzen, wie Hand,
Dolch, Beil, Schwert
und andere, als Richtbeil, Richtschwert, Rad, Galgen gedeutete, halbrichtig oder falsch gesehene
Zeichen der Volksphantasie Anlass zu so irrtümlicher Auffassung
gegeben haben; sie werden meist auf die Todesart der Verunglückten oder derep Handwerk zu deuten sein.
Mit dem Asylrecht in Verbindung gebracht, sollen unsere Steinkreuze auch eine 'Freiung', d.h. Zufluchtsstätte für die auf Leib und Leben
Angeklagten oder Verfolgten darstellen. Solche Friedstatt, Lotstatt, Freistatt war im Christentum nach Anerkennung der deutschen Volksrechte und kaiserlichen
Kapitularien vor allem der Altar oder der Platz um die Kirche, bis heute noch hier und da 'Freiheit' genannt. An solchen Plätzen wurden ja aus den mehrfach angeführten
Gründen mit Vorliebe Steinkreuze errichtet; solche konnten also nicht wegen ihrer ursprünglichen Bedeutung, sondern durch ihren zufälligen Standort rechtliche
Wirkung als 'Friedsteine' erhalten. Dieser Annahme widerspricht nicht, was das Konzil zu Clermont 1085 bestimmt: es dehnte das Asylrecht auch auf die Kreuze an
öffentlichen Strassen aus. Eine Entsprechung bietet die öfters berichtete Bezeichnung des Markfriedens durch Holz- oder Steinkreuze, an die der Handschuh als
Sinnbild der vom König bewilligten Markfreiung aufgehängt wurde, also ein Gegenstück der Rolande. Die Ansicht weiter Volkskreise im Allgäu, wo sich so viele
Steinkreuze finden und vielfach als Freisteine gedeutet werden, hat der gelehrte Historiker des Allgäus, der jetzige Direktor des Reichsarchivs in München, Ludwig
Baumaun, durchaus nicht, wie es manchen schien, sich zu eigen gemacht, sondern nur mitgeteilt. Vollends werden die Stätten der Hinrichtung und Bestattung armer
Sünder nicht eine so monumentale Auszeichnung erhalten haben, wie die Volkssage, besonders in Oberschwaben, überliefert. Vielleicht haben die Steinkreuze an der
Landstrasse Ehingen-Oberdischingen ihre Deutung als 'Malefizkreuze' der Erinnerung an den in der Nähe der Stadt seines blutigen Amtes waltenden
'Malefizschenken' zu verdanken; es ist Graf Franz Ludwig, Schenk von Castell, in Oberdischingen 1737 geboren und ebenda gestorben, beim oberschwäbischen Volk
unvergessen durch sein gemeinnütziges Wirken bei der Einfangimg, Untersuchung, Aburteilung und Exekution der 'Jauner', wie dies die Oberdischinger Diebsliste über
die '...Jauner, Mörder, Strassenräuber...nebst einem Anhang der hingerichteten Erzdiebe' (Tübingen 1799) bezeugt.
(Nägele, Anton - Fragen und Ergebnisse der Kreuzsteinforschung, in: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, Nr.22, 1912, S.377-380)
[...] Die Siebenzahl ist die Zahl des Gerichtsplatzes, der Sitz des Gerichtsherrn und seiner sechs
Schöffen. Oft waren es nur drei Sitze und mitunter dreizehn. Drei und sieben Steine bzw. Bäume sind uns in Steinkreuzen und Ortsnamen erhalten, einmal die drei Kreuze
von Breitenau beim Gasthof zum Erbgericht, die Steine in Stürza
bei Stolpe, Weifa, Woltersdorf, sämtlich mit der Überlieferung eines Erbgerichtes. Diese Sage
ist bei den sieben verschwundenen Kreuzen von Liebstadt anscheinend nicht bekannt, doch ist deren
Bestimmung wohl zweifellos. An Namen sind unter anderem Schloß Siebeneichen bei Meißen zu erwähnen mit dem besonderen Hinweis, daß es einst ein Vorwerk des
Klosters Heiligkreuz war. Schließlich seien noch die drei Linden am Wege von Schmölln nach Oberputzkau erwähnt als Gerichtsstätte auf dem Putzkauer Rabenstein.
(Kalliefe, Hilmar - Rad, Hammer und Schwert auf Sachsens Steinkreuzen, in: Zeitschrift für Ethnologie 52/53, 1920/21, S.64-67)
[...] In allen diesen Gegenständen hat man nun zweifellos nur Kampf- oder Jagdwaffen zu verstehen,
so daß das Richtschwert des mittelalterlichen Henkers ausschaltet. Das Volk erzählt sich zwar an mancher Stelle, daß mit
dem Steinkreuz eine alte Richt- oder Gerichtstätte bezeichnet sei und sucht das eingezeichnete Schwert darauf zurückzuführen, mit anderen besserbegründeten Erklärungen verträgt sich
dieser Gedanke aber nicht, denn beispielsweise kaufte sich der Stifter eines Sühnekreuzes ja gerade durch privates Abkommen von peinlicher Strafe und Blutrache los, so daß das
Schwert als das Symbol der Rechtsverfolgung oder Rechtsvollstreckung völlig unangebracht wäre. Aus
gleichen Gründen ist die Volksanschauung, die im viergeteilten Kreis das Andenken an die Todesstrafe
des Räderns erblickt, sicherlich im Irrtum; weit eher dürfte dies geometrische Bild auf das
altheidnische Sonnenrad zurückgehen. [...]
(Kuhfahl, Dr. G.A. - Die alten Steinkreuze in Sachsen, 1928, S.115)
[...] Kreuze an alten Gerichtsstätten oder an Hinrichtungsstätten sind in unserm Bezirk nicht zu
erweisen, wenn auch nach der Sage bei den Kreuzen in Scharenstetten, Bissingen und
Dürmentingen eine Gerichtsstätte gewesen sein soll. Gelegentlich hat man auch einem Hingerichteten an der Hinrichtungsstelle und ebenso Selbstmördern
ein Kreuz errichtet. So ist z.B. einem Verräter ein Kreuz gesetzt worden, da wo man ihn lebendig begraben hat, ebenso einem als Kindsmörderin hingerichteten Mädchen.
Ein Frnkfurter Beschluß vom Jahre 1492 hat über das Steinkreuzsetzen am Rabenstein bestimmt, daß
man "die Kreuz an die Galgenporten setzen soll an den Hubel, da man den lüden die oren abschnyd". Es ist zweifellos der Volksanschauung entnommen, wenn der Maler
Wilhelm Kaulbach in seiner Illustration zu Reinecke Fuchs von Goethe in der Rabenszene beim Hochgericht ein Steinkreuz als Dekorationsschmuck der Landschaft angebracht hat. [...]
(Ernst, Max - Alte Steinkreuze in der Umgebung Ulms, in: Mitteilungen des Vereins für
Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben, Heft 29, 1934, S.5-6)
[...] Ähnlich haben einzelne Standorte an Gerichtsplätzen zum Beispiel die Theorie der "Gerichtskreuze" entstehen lassen.
Doch lassen sich die Steinkreuze nicht in ein Schema pressen, das aus einzelnen Beobachtungen postuliert wird; sie sind über das ganze Land verstreut, finden sich überall in
Feld und Flur und damit auch an Kreuzwegen, auf Anhöhen, bei alten Bäumen, ehemaligen Gerichtsplätzen und so fort. [...]
(Losch, Bernhard - Steinkreuze in Südwestdeutschland, 1968, S.22-23)
Es war schon früher eine bekannte Tatsache, daß die ältesten Gerichte einen stark sakralen
Charakter trugen und häufig mit heidnischen Opferfeiern verbunden waren. Nach der Ansicht Meyers fielen ursprünglich Opferplatz, Dingort und Richtstätte zusammen.
Den Mittelpunkt des dafür vorgesehenen kreisförmigen Raumes bildete in frühester Zeit ein lebender Baum, später ein in eine Steinaufschüttung gerammter Holzpfahl,
der in der Weiterentwicklung durch eine Steinsäule ersetzt wurde.
Diese älteste Art der Gerichtsstätten ist nun nach der Lehre Meyers auf dem Ahnengrabe zu suchen, das auf dem Stammgut der Edelfreien -
dem Handgemal - lag. Auf ihm sollte der lebende Baum, der Pfahl und die Steinsäule, an denen die Dingsymbole - Schwert, Dingfahne und Dingschild - befestigt waren,
die kultische Erinnerung an den Ahnherrn darstellen, in dessen Beisein Recht gesprochen wurde.
(Höfel, Dr. Otto - Rechtsaltertümer Rheinhessens, 1940, S.1)
Frölich, von Künßberg, J. Meier und andere Rechtshistoriker bzw. einschlägig rechtsarchäolagisch orientierte
Wissenschaftler stellten in ihren Schriften deutlich heraus, daß Steinkreuze unter Umständen Gerichtswahrzeichen sein konnten. Es wäre verfehlt, eine kontinuierliche
Fortentwicklung vom hölzernen bzw. steinernen Gerichtspfahl der Thingstätte bis zum Galgen in T-Form hier abfolgen zu lassen, auf die - zumindest naheliegende -
Verwandtschaft zum Marktkreuz muß verzichtet werden, da beide für die Oberpfalz in keiner Weise relevant sind.
Soviel darf jedoch gesagt werden: aus dem niedersächsischen wie aus dem westfälischen Raum sind Beispiele bekannt, die auf eine Deutung Steinkreuz =
Gerichtskreuz Bezug nehmen. Hier sei das häufig zitierte Coesfelder Marktkreuz genannt, das jedoch durch sein tatsächlich nachgewiesenes Rechtsbrauchtum völlig
aus dem Rahmen fällt. Auch ist der Typus des Marktkreuzes nicht in direkte Verbindung mit unserer wohlbekannten und allerorts vorkommenden niederen Steinkreuzform
zu bringen. Daß derartige Steine, d.h. "niedere" Kreuze, Gerichtsplätze markierten oder am Wege zu solchen standen, wurde schon in den "Deutschen Gauen" des
Kuraten Frank aus Kaufbeuren postuliert. Die Verbindung
mit einem Richtplatz nahm in der Forschung eine zwar nicht sonderlich beachtete, aber dennoch nicht zu unterschätzende Stellung ein. Wie schnell alles auf
einen Nenner gebracht wurde, zeigen folgende Zeilen: "Sehen wir in der Nähe eines Ortes auf einer Bergkuppe eine Baumgruppe, so ist mit großer Sicherheit
anzunehmen, daß in dieser Baumgruppe sich auch ein Kreuz befindet. Meist handelt es sich bei derartigen Kreuzen um Galgenkreuze oder Gerichtskreuze. Die Berge
heißen auch zumeist Galgen- oder Gerichtsberge." (G.J. Meyer - Steinkreuze in der Eifel)
Gerichtslinde und Steinkreuz als zusammengehörige Gruppe nährten weiter den Gedanken an eine diesbezügliche Verwandtschaft, und tatsächlich kennen wir aus
dem westlichen Deutschland, aber auch aus anderen deutschsprechenden Gegenden Beispiele, wie etwa das "Heidenkreuz"
von Laer, oder die Kreuze von Horn (Lippe) und Versmold
(Halle).
Mit Mößinger, Nägele,
Frölich und Brockpähler darf daher die Meinung vertreten werden, daß wohl vereinzelt
Steinkreuze den Charakter eines Gerichtswahrzeichens, gleich welcher Form auch immer, angenommen haben könnten. Daß auch vereinzelt Kreuze am
Wege zu Richtstätten gestanden haben, dürfte ebenfalls unbestritten sein, ihre Zahl scheint jedoch prozentual nicht ins Gewicht zu fallen. Der Rechtshistoriker
K. Frölich meinte hierzu: "Bei den Kreuzen am Weg zum Richtplatz könnte ... an eine sogenannte Armesünderbetstelle gedacht werden, bei der dem Verbrecher auf
seinem letzten Gange nochmals Gelegenheit zum Beten oder Beichten gegeben wurde."
Aus der Oberpfalz sind Gerichtskreuze, wie sie eben beschrieben wurden, nicht bekannt. Am ehesten könnte das Mangoldinger Steinkreuz (Lkrs.
Regensburg), das sich jetzt im Kirchenportal des gleichnamigen Ortes befindet, in dieses Schema gepreßt werden, denn es soll ehedem am Weg nach Haidau, einer
von alters her bekannten Gerichtsstätte, gestanden haben. Ob jedoch hierzu eine Beziehung besteht, bleibt dahingestellt.
(Schmeissner, Rainer, H. - Steinkreuze in der Oberpfalz, 1977, S.115-117)