Deutschland Baden-Württemberg Alb-Donau-Kreis

Scharenstetten / OT von Dornstadt


Detail Durchbruch

Abbildung bei
Losch (1981)

Abbildung bei
Ernst (1934)

PLZ: 89160

GPS: N 48° 30.626', O 9° 51.204'

Standort: An der Straße nach Temmenhausen, unter einer alten Linde (Naturdenkmal).

Größe / Material: 130:90:38 / Kalktuff

Geschichte: Malteser Kreuz. Schaft 62 cm. Kopfstück 71 cm. Recht gut erhalten. Unterhalb des Kreuzungsfelds durchgehende Öffnung (siehe Bild). Nach der Beschreibung von Ernst (1934), war diese damals noch nicht durchgängig. Auf dem Kopfstück sind vier Eisennäglel eingeschlagen. Auf der Vorderseite Kopfstück rillenartige Vertiefung nicht natürlichen Ursprungs (vgl. Sage).

Der Standort ist die ehemalige Gerichtsstätte. Benennung: "Franzosenkreuz", "Römerkreuz". Flurname: "Kreuzstein". Tatzenkreuz im Umfang oberschwäbischer Riesenformen. Übermäßige Verbreiterung am Kopf, auch am Schaft stark betont, dagegen gering am schmal wirkenden Querbalken, der leicht nach rechts geneigt ist. Datierung: ca. 15./Anfang 16.Jh. (Losch 1981)

   In Scharenstetten am Südausgang an der Straße Scharenstetten nach Tremmenhausen an einer Wegegabelung unter einem großen Lindenbaum ein Kreuz, in der Form des eisernen Kreuzes, 1,25m hoch, 0,95m breit, 0,40m stark, Kalkstein, im oberen Balken des Kreuzes eine ziemlich tiefe Rille, im unteren Teil eine starke Vertiefung, so daß es den Anschein hat, als ob Steinmehl ausgeschabt worden wäre. Unmittelbar bei der Linde stand früher eine Kapelle. Sage: germanische Opferstätte oder auch Richtstätte. (Ernst 1934)

Sage: 1. Grab eines französischen Offiziers.
2. Ausgeschabtes Steinmehl soll als Heilmittel gedient haben.
3. Soll eine germanische Opferstätte oder auch Richtstätte bezeichnen.

Quellen und Literatur:
Nägele, Anton - Über Kreuzsteine in Württemberg und ihre Bedeutung, in: Württemberisches Jahrbuch für Statistik 1913, S.384 / 415
Ernst, Max - Alte Steinkreuze in der Umgebung Ulms, in: Mitteilungen des Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben, Heft 29, 1934, S.37
Losch, Bernhard - Sühne und Gedenken. Steinkreuze in Baden-Württemberg, Stuttgart 1981
Mall, Siegfried - Dämonen machten die Pferde scheu, in: Süddeutsche Heimat, Nr.11 vom 14.01.1995, S.34
recherchiert und bebildert von Bernd Eichenauer, Stuttgart
Ergänzungen von Herbert und Ute Grabowski, Bietigheim-Bissingen



Dämonen machten die Pferde scheu
Sühnekreuze wurden früher am Schauplatz einer Bluttat errichtet - Sinnbilder von Not und Bedrängnis
von Siegfried Mall

Verläßt man das Albdorf Scharenstetten, das zur Gemeinde Dornstadt gehört, in südöstlicher Richtung, stößt man an der Straße nach Temmenhausen auf ein altes Steinkreuz, das unter einem Lindenbaum steht. Dieses und ähnliche Steinkreuze wurden vorwiegend im 15. und 16.Jahrhundert zur Sühne frevlerischer Mordtaten errichtet und wurzeln damit noch im mittelalterlichen Rechtsdenken, das von einem Täter eine Sühneleistung verlangte. An dem einen Ort erschlugen sich vielleicht zwei Bauern wegen Grenzstreitigkeiten und an einem anderen brachten sich Brüder im Streit um das Erbe um.

Unter einem Lindenbaum bei Scharenstetten steht das Sühnekreuz.

Am Kreuz bei Scharenstetten ist unterhalb der Vierung eine Durchbohrung erkennbar, durch die ausziehende Soldaten ihre Säbel steckten, um Gefahren zu "bannen".

Fotos: Ulrich Köpf
   Am abgelegenen Waldrand erstach ein rabiater Knecht nach reichlichem Trunk einen Handwerksburschen, um ihn ausrauben zu können, und oft kam es unter Schäfern wegen Weidestreitigkeiten zu blutigen Auseinandersetzungen. In einem Sühnevertrag mußte sich der Mörder verpflichten, Messen zum Heil des Getöteten zu entrichten und oft am Ort der Tat ein "steinen Kreuz", fünf Schuh hoch und drei Schuh breit aufzustellen. Im mittelalterlichen Denken war diese Sühneleistung ein unverzichtbarer Bestandteil der Strafe.
   Warum das Sühnekreuz bei Scharenstetten aufgestellt wurde, ist nicht überliefert und wird wohl im Dunkel der Geschichte verborgen bleiben. Sicher wurde auch dieses Kreuz vor rund 500 Jahren in Zusammenhang mit einer blutigen Tat errichtet. Bis in die Gegenwart haftet deshalb den Kreuzen die Erinnerung an schreckliche Ereignisse unauslöschlich an.
   Bei Sühnekreuzen ist häufig überliefert, daß in der Nacht heimkehrende Bauern im "Banngebiet" der Kreuze von "Kreuzgeistern" und Dämonen, die. hier ihr Unwesen trieben, erschreckt und irritiert wurden. Einmal ging zu mitternächtlicher Stunde der Kreuzgeist in Gestalt eines Reisigbüschels um und löste bei Vorübergehenden Angst und Furcht aus. Kreuzgeister lenkten Bauern vom rechten Weg, führten sie in die Irre, sprangen neckisch auf die Fuhrwerke auf und machten die Pferde scheu. Ein andermal erschien der Kreuzgeist als Hund, der neben verängstigten Bauern einherging und sich durch nichts abhängen ließ. Wann immer es ging, mieden deshalb die Bauern zu nächtlicher Stunde das "Banngebiet" der Kreuze. Zahlreiche Sühnekreuze haben Auswitterungen und Auswaschungen durch einsickerndes Regenwasser, vor allem, wenn die Kreuze aus wenig widerstandsfähigen Kalktuffen gefertigt wurden. Zu entdecken sind aber auch Spuren von Menschen: Bohrungen und Vertiefungen, die ausgeschabt wurden, um das begehrte Steinmehl zu gewinnen, dem man heilende Wirkung zuschrieb und das man Kranken zur Linderung verabreichte. Das unterstreicht den alten, magischen Volksglauben, daß sich ursprünglich böse Kräfte zu guten wandeln können.
   Dem Bösen, das untrennbar mit der Erinnerung an eine Bluttat verbunden bleibt, wachsen jetzt heilende, übernatürliche Kräfte zu, die Krankheit und Not bei Menschen besiegen helfen. Es war sogar üblich, daß Kranke versuchten, in ihrer Verzweiflung ihr Leiden in die Löcher und Vertiefungen der Steinkreuze "hineinzuhusten", um es auf diesem Wege loszuwerden und zu "bannen". Das in den Vertiefungen und Kerben angesammelte Regenwasser galt ebenfalls als heilwirksam und wurde gerne zur Wundbehandlung eingesetzt.
   Oft sind auch sogenannte "Wetzrillen" an den Kreuzen, weil Bauern bei der Feldarbeit ihre Schnittwerkzeuge an den Kreuzen wetzten und schärften. Häufig wurden durch die Jahrhunderte neue, zusätzliche Markierungen eingemeißelt, die den Verlauf von Markungs- und Herrschaftsgrenzen anzeigen. Ferner kommen regelmäßig bäuerliche Hauszeichen wie Pflugscharen vor, aber auch wappenähnliche Zeichen, die auf klösterliche Herrschaften oder Adelsfamilien verwiesen und besitzrechtlichen Charakter haben. Manchmal wurden in die Kreuzvierung weitere Kreuzzeichen eingehauen, um die magische Wirkung des Kreuzes gewissermaßen zu "vervielfachen".
   Im Gegensatz zu den Mächten der Bedrohung stehen die Scherzmotive, die auch zu den im Volksmund lebendig gebliebenen Kreuzsagen gehören. So wird in Oberstadion erzählt, daß sich ein dortiges Kreuz karfreitags beim Elfuhrläuten "drehte". Da in katholischen Gegenden die Glocken bekanntlich am Karfreitag schweigen, entpuppt sich diese Geschichte als Scherz, der dem Sühnekreuz eine ungewöhnlich heitere und unerwartete Komponente abgewinnt. Die Kreuzgeister trieben also auch Schabernack mit den Menschen.
   Im Lauf vieler Jahrhunderte haben sich bei den Sühnekreuzen viele Namen angesammelt, die auf Notzeiten und Kriege hinweisen. Den eigentlichen Errichtungsanlaß hatten die Menschen längst vergessen, daß die Kreuze mit einer grausamen Bluttat in Verbindung stehen aber nicht.
   Waren während des 30jährigen Krieges die Schweden zum Inbegriff des Schreckens geworden, standen die Franzosen später für die Angst vor Tod und Brandschatzung. In anderen Zeiten war es die Pest. So sind die ursprünglich als Sühnekreuze gedachten Steine mit der Zeit zu austauschbaren Symbolen für viele Ängste und Schrecken der Menschen geworden. Damit wird auch verständlich, warum in der Überlieferung oft ein und dasselbe Kreuz als Pestkreuz und Schwedenkreuz beschrieben wird.
   Häufig wurden in späteren Epochen bei längst vorhandenen Sühnekreuzen fremde Soldaten begraben, die man auf dem eigenen Gottesacker nicht haben wollte. Was lag näher, als sie in einem Bereich zu bestatten, der ursprünglich eng mit Gewalt und Tod verbunden war. Deshalb kommt es vor, daß bis heute immer wieder Skelette und Uniformteile von Schweden, Russen und Franzosen im Umfeld der Kreuze gefunden werden. Dies hat früher zu der falschen Vermutung verleitet, die Steinkreuze seien Grabkreuze für Kriegergräber.
   "Germanenstein" und "Römerkreuz" haben weder mit den Germanen noch mit den Römern etwas zu tun, sondern machen einfach sichtbar, daß es sich um sehr alte Standorte handelt, die schon in vorchristlicher Zeit kultische Bedeutung hatten. Häufig waren Steinkreuze auch bei Flurnamen namensstiftend: "Beim Kreuzstein", "Unter den Kreuzäckern" oder "Am Kreuzbuckel".

Beschrieben werden Sühnekreuze im Buch "Alte Steinkreuze im Raum Ulm" (Ehingen 1981) von Kurt Kneer und Siegfried Mall.
(Süddeutsche Heimat, Nr.11 vom 14.01.1995, S.34)


Sühnekreuze & Mordsteine