Beiträge zur Geschichte der Steinkreuze


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Sühnestein und Erinnerungsmal
aus: Alte deutsche Rechtsmale, 1940
von Wilhelm Funk

   Zu der altgermanischen Einrichtung des Wergeldes kam mit der Einführung des Christentums für einen Totschlag noch eine Reihe kirchlicher Bußen, mit denen die Untat auch nach kirchlicher Ansicht gesühnt werden sollte. Solche Auflagen bestanden u.a. in Seelenmessen, Wallfahrten nach Rom und Aachen, gemeinsamen Bußzügen des Täters mit einer bestimmten Anzahl von Begleitern. Die meisten dieser Auflagen dienten dem Seelenheil des Getöteten, der ja ohne geistliche Absolution aus dem Leben geschieden war.
   Aus der immerhin großen Zahl der erhaltenen Sühneverträge kennen wir diese Begleitumstände hinreichend genau. An diesen Verträgen erscheint häufig auch die Verpflichtung, ein steinernes Kreuz setzen zu lassen, und zwar entweder am Tatort oder an einem anderen Ort, wo es die Hinterbliebenen haben wollten.
   Diese steinernen Kreuze der Sühneverträge sind die Sühnekreuze1) und Kreuzsteine, die man allenthalben in Feld und Flur antrifft, in einigen Gegenden häufiger, in anderen seltener. Um fast jedes dieser Kreuze rankt sich eine Sage, die im Kern fast immer an eine Bluttat erinnert, und die Mehrzahl dieser Male verdankt auch einer Blutsühne ihr Entstehen, doch bei weitem nicht alle; denn ein großer Teil war nur Andachtsbild oder Grenzzeichen und nur selten können wir entscheiden, aus welchem Grund ein derartiges Kreuz aufgestellt worden ist.
   Aus dem Ort der Aufstellung kann man wenig auf die Art des Males schließen. Die Kreuze abseits der Straße oder an einer Grenze geben im allgemeinen wohl den Ort der Tat an. Die an Straßen oder an Kreuzwegen dagegen können Andachtsbilder sein, aber auch solche Sühnemale, die da auf Wunsch der Hinterbliebenen aufgestellt worden sind. Es war ehedem Sitte, daß die Vorübergehenden an Kreuzen ein kurzes Gebet sprachen. Diese Gebete sollten den Verstorbenen eher aus dem Fegefeuer befreien und je mehr Gebete für ihn gesprochen wurden, desto eher wurde er erlöst. Deshalb setzte man die Kreuze an die belebten Verkehrswege.
   Die Ansichten über das Alter des Brauches der Sühnekreuze gehen sehr auseinander. Einige bezeichnen ihn als uralt und vorchristlich. Dafür wären die Beweise noch zu liefern. Andere halten ihn für mittelalterlich und führen dafür die Urkunden und auch technische Gründe an.
   Die ältesten Sühneverträge, in denen steinerne Kreuze genannt sind, stammen erst aus der Zeit nach 1350. Das älteste datierte Steinkreuz ist das Markuskreuz vom Göttinger Leinebusch (jetzt im Städtischen Museum). Die Inschrift darauf gibt wohl die Zeit, den 25. April 1260, an, jedoch nicht den Grund. Es war vermutlich eines jener Kreuze, die nach einer Vorschrift des Papstes Leo III. vom Jahre 779 an Straßen und Wegkreuzen aufgestellt werden sollten.
   Das Erlöschen des Brauches fällt in das frühe 16. Jahrhundert. Der Ewige Reichslandfrieden und die Halsgerichtsordnungen schafften die Bußen ab und setzten dafür Strafen fest. Wergeld, christliche Sühnen und das Setzen der Kreuze hatten damit keinen Sinn mehr. Dafür trat das Steinkreuz als Erinnerungsmal auf.
   Das Erinnerungsmal hält allgemein die Erinnerung an einen Unglücksfall fest. Als solches wurde es schon gleichzeitig mit den Sühnesteinen errichtet und wird es noch in der Gegenwart gesetzt. Eine Abart dieser Erinnerungsmale sind die "Mordsteine“, die entweder an der Stelle der Tat oder dort, wo der Ermordete gefunden wurde, errichtet wurden und noch errichtet werden.
   Der Unterschied zwischen Sühnestein und Erinnerungsmal ist der: das Sühnemal mußte der Täter setzen, das Erinnerungsmal lassen die Hinterbliebenen aufrichten.
   Die Hauptformen des Sühnemals sind das Steinkreuz und der Kreuzstein, dieser eine rechteckige oder runde Platte mit einem vertieft oder erhaben eingemeißelten Kreuz darauf, jenes ein meist kunstlos aus Stein gehauenes Kreuz, bis zu 2 Meter hoch. Übergangsformen vom Steinkreuz zum Kreuzstein bilden die Steinkreuze mit Armstützen. Für diese Formen braucht man keine Ableitung vom germanischen Sonnenrad, da sie sich als technische Notwendigkeit erklären lassen.
   Es ist nicht nachweisbar, ob für bestimmte Fälle Steinkreuze, für andere Kreuzsteine gesetzt wurden. Vermutlich wurde kein Unterschied gemacht, wohl aber scheint man in einigen Gegenden die eine oder die andere Form bevorzugt zu haben.
   Welche Form die ältere ist, läßt sich ebenfalls nicht entscheiden.

Tafel II: Sühnestein und Erinnerungsmal
a-e) Steinkreuzformen: a) gleichschenklig; b) lateinisches Kreuz; c) wie Eisernes Kreuz; d und e) mit Steinstützen; a-e) die geläufigsten Zeichen: a) Pflugschar; b) Pflugschar und Reute; c) Schnitthäppchen; d) Pflugsäge; e und g) Reute;
f-i) Kreuzsteinformen: f) radförmig; g) mit eingeritztem Kreuze; h) mit erhabenem Kreuz und Rand; i) Sonderform des Kreuzes, k) Mordstein in Form einer Martersäule (Heidingsfeld); l) Verwitterungsform eines Steinkreuzes;
m-o) figürliche Steinkreuze und Kreuzsteine: m und o) bei Neunhof (Nürnberg); n) der Egidiusstein von Eltersdorf (Erlangen); p und q) Erinnerungsmale, sog. Mordsteine: p) Weinrichskreuz bei Unterobsang 1806 (Kulmbach); q) der Schwedenstein bei Belmicke (Drolshagen) für den 1639 erschossenen Kämmerer Peter Butz von Drolshagen.


   Die Keuzsteine sind vielleicht von Grabplatten abgeleitet, die Steinkreuze vielleicht von hölzernen Kreuzen. Wolfram von Eschenbach läßt Parzival neben dem toten Iwanet2), der allerdings im Zweikampf gefallen ist, ein Holzkreuz aus Spieß und Querholz aufrichten.
   Das Erinnerungsmal kommt ebenfalls als Steinkreuz und als Kreuzstein vor, besonders bei Mordsteinen. Daneben erscheint es aber auch als als Martersäule, in der Gegenwart zumeist in der Form der Grabsteine.
   Zum besseren Halt stehen die Steinkreuze und Bildstöcke häufig in runden oder eckigen Sockelsteinen, die hie und da als einziger Rest von einem ehemaligen Denkstein übriggeblieben sind. Man sah in diesen Kreuzen mit Sockeln sogar schon die Weiterwirkung des alten Gerichtspfahles auf einer Stufenpyramide3), eine Deutung, die schon recht weit hergeholt ist. Der Sockel ist eine technische Vorbedingung, vor allem bei größeren Steinen, erst recht bei solchen an Kreuzwegen oder Böschungen.
   Die Sühnesteine tragen höchst selten einmal einen Namen oder eine Inschrift oder eine Jahreszahl, und das ist begreiflich: der Täter wollte seine Untat nicht der Nachwelt überliefern. Häufiger findet sich ein Zeichen darauf, das auf den Stand oder Beruf des Erschlagenen hinweist, ein Wappen etwa auf einen Adeligen oder Handwerksgeräte auf Handwerker. Am häufigsten sind Zeichen aus dem bäuerlichen Lebenskreis angebracht, also Pflugschar, Pflugsäge, Reute (ein Gerät zum Reinigen der Pflugschar), Hacke, Winzermesser, Sichel. Diese "Bauernwappen“ beweisen, daß die Mehrzahl der Sühnesteine mit Zeichen für erschlagenen Bauern Bauern errichtet worden ist. Ob man in den abgebildeten Geräten die Mordwaffen sehen darf, ist sehr fraglich, ja unwahrscheinlich.
   Eine eigentliche Kunstform tritt an Sühnesteinen selten auf, so daß sie zeitlich schwer zu datieren sind. Immerhin verlangt auch ein einfacher Stein dieser Art eine gewisse technische Fertigkeit, die man erst mit dem Aufkommen des Setinmetzenhandwerks erwarten darf, und das ist bei und frühestens in der fränkischen Zeit entstanden. So gibt auch die technische Seite einen gewissen Anhalt zur Entstehung dieser Male.
   Die Erinnerungsmale und die Mordsteine sind wesentlich mitteilsamer als die Sühnesteine. Sie vergessen selten den Namen des Ermordeten und die Zeit der Tat, ja häufig berichten sie ausführlich die Tatumstände. Die Bildstöcke schildern oft bildlich den Hergang, wie etwa die drei Säulen für den 1538 ermordeten Bischof Melchior Zobel von Guttenberg in Würzburg.
   Eine besondere Erscheinung stellen die vor allem in Franken häufigen Steinkreuznester dar, die bei Neunstetten an der Altmühl, bei Wolframseschenbach, in Bruck bei Erlangen und Neunhof bei Nürnberg. Bei Reicholsheim an der Tauber sind nicht weniger als 14 Kreuze in eine Weinbergsmauer eingelassen, die außerdem noch eine Barockmarter von 1722 trägt. Vier Kreuzsteine stehen bei Motschenbach (Kulmbach). Ein Teil dieser Nester mag aus einzelnen in der Flur stehenden Steinen zusammengetragen worden sein. Alte Abbildungen und Beschreibungen beweisen aber, daß man schon früher Steinkreuze gruppenweise zusammengestellt hat.
   Steinkreuze mit figürlichen Darstellungen haben wir in der Regel wohl als Andachtsbilder aufzufassen, wenn sie Christus am Kreuz darstellen, wie das zu Neunhof bei Nürnberg.
   Das Konzil von Trient (1600) hatte bestimmt, an den Stätten abgegangener Kirchen und Kapellen Steinkreuze zu errichten. Ein solches steht bei Thierberg (Scheinfeld).
   Das Konzil zu Clermont (1085) hatte die Errichtung steinerner Asylsteine an öffentlichen Straßen, vor Kirchen und auf Friedhöfen verlangt. Es ist aber bisher kein sicher bezeugtes Asylkreuz bekannt geworden. Manches Kreuz mag auch zur Erinnerung an Pestzeiten gesetzt sein.
   Das Protokoll4) eines Grenzberitts von 1522 der Nürnberger Pfleger zu Altdorf und Heimburg beweist, daß Steinkreuze, Kreuzsteine und Bildstöcke auch als Grenzzeichen, und zwar als Untermarken gesetzt wurden: "...Gut möchte wohl sein zwischen den Vockenhöfen und dem Wetzelsberg ein Untermark oder Zeichen zu setzen ... und ist begutachtet worden ... ein Kreuz oder Marterpild ... oder ander Gemerk zu setzen...“
   Schließlich müssen wir auch noch die Kreuze mit Händen darauf anführen, wie die im Elmwald bei Leuchtenberg in der Oberpfalz oder im Prüllswald bei Pottenstein (Pegnitz). Diese Zeichen gehören als Bannwaldmale zu den Muntatzeichen.

Literatur:
1) Aus dem großen Sonderschrifttum: E. Mogk, Der Ursprung d. mittelalt. Sühnekreuze, Berichte u. Verhandl. d. Sächs. Akad. d. Wiss., 81 (1929) Heft 1; ferner Deutsche Gaue, Kulturkunde, außerdem die Veröffentlichungen des Vereins z. Erforsch. d. Steinkreuze Nürnberg.
2) III. Buch, 1300/5
3) Karl Frölich: Arbeiten zur rechtlichen Volkskunde, Heft 1: Stätten mittelalterlicher Rechtspflege auf südwestdeutschem Boden, besonders in Hessen und den Nachbargebieten, Tübingen 1938, mit vielen Abbildungen
4) Steinkreuz 1936: Die Flurdenkmäler d. ehem. Reichsstadtgebietes

(Funk, Wilhelm - Alte deutsche Rechtsmale. Sinnbilder und Zeugen deutscher Geschichte. Berlin-Bremen 1940, 80-86)

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