Ikonographie |
In den Erfassungen der Kreuzsteine ist es bislang üblich gewesen, unter den Attributen, die dem bäuerlichen Arbeitsbereich
zugerechnet werden, das kurzstielige Gerät, das in einem drei- oder viereckigen etwa 8 x 6cm großen Blatt endet, als Reute zu bezeichnen. - So geschah
es auch in der Erfassung der niedersächsischen Kreuzsteine von 1988.1) - Mit dieser Reute konnte der Bauer während des
Pflügens die Pflugschar von nasser oder lehmiger Erde befreien. (Abb.1)
Sven Gerth, Pfaffroda, der im Internet das Forum "suehnekreuze.de" aufgebaut hat und leitet, hat im Herbst des Jahres 2007 als erster darauf
hingewiesen, dass die Darstellung dieses Attributes differenzierter zu betrachten sei und dass Stilmerkmale der Darstellungen erkennen lassen, dass zwei unterschiedliche
Geräte, nämlich die Pflugreute und der Rindenschläler, gelegentlich dargestellt worden sind. Diese Unterschiede seien aber bei den Interpretationen nicht beachtet
worden.2)
Beide ländlichen Arbeitsgeräte dienten derselben Grundfunktion. Mit ihnen wurde von einer Grundfläche, hier von der Pflugschar oder vom
Baumstamm etwas abgestoßen, bzw. abgeschoben. Deshalb gleichen sie sich oft in ihrer Grundgestalt. Entsprechend ähneln sich auch die oft stark vereinfachten
Darstellungen beider Geräte auf den Kreuzsteinen und Steinkreuzen. Ein drittes bäuerliches Werkzeug, der Diestelstecher, kann dieser Werkzeuggruppe ebenfalls
zugeordnet werden. Da er aber auf den Kleindenkmalen nicht dargestellt ist, wird auf die Behandlung dieses Gerätes verzichtet.
Die gemeinsam mit Sven Gerth durchgeführten Untersuchungen ergaben, dass eine exakte Unterscheidung von Reute und Rindenschäler in
der Praxis zunächst einmal eindeutig nur durch ihre unterschiedliche Größe erfolgen kann. Der Rindenschäler hat etwa Mannesgröße. Der Mittelwert liegt bei ca. 1,70m.
Die Pflugreute ist dagegen nur 1m bis 110m lang. Die bei den Beschreibungen der Geräte angegebenen Maße können nur Mittelwerte sein. Da die Werkzeuge in der
Regel vor Ort vom dörflichen Schmied hergestellt worden waren, spiegeln sich in den Größen der Geräte und auch in der Größe und Form des geschmiedeten Blattes
die eigenen Arbeitserfahrungen und Formvorstellungen sowohl des auftraggebenden Bauern als auch die des Schmiedes wieder.
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist in verschiedenen Regionen, vor allem in Süddeutschland, das Stielende der beiden Werkzeuge.
Während der Stiel beim Rindenschäler lang ist und gerade endet, kann er bei der Reute in einem etwa 10cm langen abgewinkeltem Astrest enden, der als Griff dient.
Diese Form des Stieles finden wir vor allem in Bayern. Nach Norden hin reicht dieser abknickende Reutenstiel bis in das südliche Niedersachsen hinein. So finden wir
Belegexemplare in Museen oder bei Privatleuten zum Beispiel noch im heutigen Landkreis Hildesheim in Elze, Heinum und im heutigen Landkreis Goslar in
Langeisheim. (Abb.2) Im Weserraum (Landwirtschaftsmuseum Börry) und nördlich von Hannover (Bücken oder Celle) und im westlichen benachbarten Bundesland
Westfalen lässt sich die Reute mit dem geraden Stielende nachweisen. (Abb.3)
Zur Funktion von Pflugreute und Rindenschäler
Die Pflugreute war ein Hilfsgerät des Bauern beim Pflügen, mit dem er von dem Streichbrett des Pfluges oder von der Pflugschar den nassen
Erdboden oder anhaftendes Kraut abstreifen konnte. Sie hing griffbereit am Pflugsterz, so dass der Bauer sie leicht mit der rechten Hand ergreifen konnte, wenn sich
die Schar vollgesetzt hatte. Das abgewinkelte Stielende lag besser in der Hand, und der Bauer konnte so leichter den Druck verstärken. Das ausgeschmiedete Blatt
konnte rechteckig oder dreieckig sein. Die Länge der Reute wurde bestimmt durch den Abstand des Pflügenden zur Pflugschar. Gelegentlich hatten die Reuten auch
einen Haken. Mit ihm konnte der Bauer auch die Egge anheben, anlüften, wenn sie sich beim Eggen mit Kraut vollgesetzt hatte. (Abb.1)
Größer als die Pflugreute ist der Rindenschäler. Mit seinen kräftigeren Eisen und seinem langen geraden Stiel konnte er durchaus 1,60 Meter
lang sein. (Abb.4). Das Schäleislen selbst konnte einschließlich der Tülle eine Länge von 15 bis 18cm haben. Seine Form variiert auch immer wieder von einer dreieckigen
bis zur rechteckigen Form. Auch hier bestimmte die lokale Erfahrung des Arbeitenden die Form. Gelegentlich war die Schneide auch konkav einzogen und somit der
Baumrundung angepasst (Abb.5)
Eine Sonderform eines Schäleisens zeigt das Kaufunger Museum (Nordhessen). Das geschärfte Blatt besteht aus einem schmalen 2 bis 3cm
breiten Eisen, das an die Führungsleisten angeschraubt wird. Neben diesem großen Rindenschäler, der zur Bearbeitung des Langholzes für den Hausbau und für die
Flößerei gebraucht wurde, gab es zur Gewinnung der Eichenlohe für den Lohgerber den kleineren Lohlöffel, mit dem von jungen Eichen im Niederwald, der Lohhecke,3)
die Rinde abgeschält wurde.4)
Beide Geräte, die Reute und der Rindenschäler, wurden bis an den Anfang des 20.Jahrhunderts gebraucht, die Reute auch noch als schon
mehrscharige Pflüge im Einsatz waren. Der Rindenschäler wurde durch die großen Maschinen, den Erntemaschinen des Waldes, abgelöst, die, von einem Mann geführt,
Bäume fällen, entrinden und zuschneiden. Gelegentlich nutzen Landwirte auch heute noch den Rindenschäler, wenn sie einzelne Bäume aus ihrem Waldbestand benötigen.
Rindenschäler oder Pflugreute? Überlegungen zur Darstellung auf Kreuzsteinen in Niedersachsen
Wir haben in Niedersachsen fünf Kreuzsteine mit dem bäuerlichen Gerät, das bislang gemeinhin als Reute bezeichnet wurde. Alle fünf Steine
befinden sich in Südniedersachen. Es sind die Kreuzsteine in Hessisch Oldendorf im Lkr.
Hameln-Pyrmont, Wöhle im Lkr. Hildesheim, Eilensen
im Lkr. Northeim und die beiden in Stöckheim
im Lkr. Northeim. (Abb.6-10). Hier soll nun versucht werden, die Darstellungen auf den fünf niedersächsischen Kreuzsteinen neu einzuordnen.
Abb.1 Bauer Wilfried Wente, Elze, mit Pflug und Reute (Foto: Werner Müller) |
Abb.2 Zwei Pflugreuten aus Heinum (Foto: Werner Müller) |
Abb.3 Pflugreute, Landwirtschaftsmuseum Börry (Foto: Werner Müller) |
Abb.4 (links) Christa Esse, Capellenhagen, mit einem Rindenschäler. Abb.5 (rechts) Zwei Rindenschäler vom Hof Esse, Capellenhagen. (Fotos: Werner Müller) |
Abb.6 (links oben) Scheibenkreuzstein von Wöhle, Lkr. Hildesheim. Abb.7 (rechts oben) Kreuzstein von Hessisch Oldendorf, Lkr. Hameln-Pyrmont. Abb.8 (links unten) Kreuzstein von Eilensen, Lkr. Northeim. Abb.9 (rechts unten) Scheibenkreuzstein Stöckheim, Lkr. Northeim (Fotos: Werner Müller) |
Auf vier Steinen endet der Stiel der so genannten Reuten gerade. Der Scheibenkreuzstein von Wöhle
ist gerade im Bereich, wo der Stiel endet, abgebrochen und der Rest des Stieles mit Beton verschmiert. So dass hier die Aussage zunächst offen bleiben muss. Da bei
allen fünf Steinen archivalische Unterlagen fehlen, müssen alle Aussagen im spekulativen Bereich bleiben.
In Wöhle und Stöckheim II,
dem kleineren der beiden Kreuzsteine, haben wir auf der Vorderseite nur dieses eine landwirtschaftliche Arbeitsgerät, wobei die Rückseite des Kreuzsteines von
Stöckheim zusätzlich noch ein großes Sech trägt. Die Kreuzsteine von Hessisch Oldendorf
und Eilensen zeigen auf der Vorderseite sowohl ein Sech als auch eine Reute bzw. Schäleisen.
Lediglich der Scheibenkreuzstein von Stöckheim zeigt drei Arbeitsgeräte, auf der Vorderseite
Pflugschar und Reute/Schäler und auf der Rückseite ein Sech.
Es erscheint folgerichtig, dass ein Berufsstand, hier der Bauer, in erster Linie durch ein aufwändig gearbeitetes, finanziell und ideell wertvolles
Symbol charakterisiert wird. Hier wären die aus Schmiedeeisen gefertigten Pflugschar und Sech
als Standeszeichen des Bauern anzusehen. Wenn nun allein oder zusätzlich ein Arbeitsgerät zu sehen ist, das einen wesentlich geringeren Materialwert hat, dann
muss es einen neuen, zusätzlichen Aussagewert besitzen, vor allem dann, wenn es die innovative Schauseite eines Erinnerungsmales ziert. Zu dem Arbeitsvorgang, bei
dem es eingesetzt wurde, wird kein aufwändigeres Werkzeug notwendig bzw. vorhanden gewesen sein, das an seine Stelle hätte treten können. Aus diesem Grunde
müssen auf allen fünf Kreuzsteinen im südlichen Niedersachsen diese Darstellungen als Schäleisen angesehen werden.
Rindenschäler sind durchaus auch in anderen Regionen auf Kreuzsteinen dargestellt
worden. So zeigt der Kreuzstein im nordhessischen Hermannrode nahe Witzenhausen gleich
vier Rindenschäler unterhalb der Kreuzarme, zwei auf der Vorderseite und zwei auf der Rückseite. Auf der
Rückseite ist die vom Beschauer aus gesehene linke Kante des Steines so stark beschädigt, dass auch der Stiel des linken Schäleisens darunter gelitten hat. Die
geringen Reste des oberen Teiles sind nur schwer auszumachen. Die Stiele aller vier Geräte haben am oberen Ende ein Querholz, wie man es vom Spaten her kennt.
Es ist als eine regionale Variante anzusehen. In Museen dieser Region konnte ein Belegstück bislang nicht gefunden werden. (Abb.11)
Von besonderer Bedeutung für die Festlegung des Rindenschälers auf Kreuzsteinen ist zweifellos der Kreuzstein von Eggolsheim,
Lkr. Forchheim. Der Stein zeigt auf seiner Vorderseite unterhalb der Kreuzbalken eine Zimmermannsaxt, eine
sogenannte Bundaxt5) und ein Schäleisen. Hiermit wird der handwerkliche Tätigkeitsbereich des Schälens natürlicherweise
auch dem Zimmermann zugeordnet, wie er zum Beispiel bei den niedersächsischen Steinen dem bäuerlichen Bereich zugeordnet worden war. (Abb.12) Es sind die
beiden Berufsgruppen, die die Schäler stellten. Von einem eigenen Berufsstand wird man bei den Schälern nicht sprechen können. Es finden sich auch keine Hinweise
dafür.
Abb.10 (oben) Kreuzstein von Stöckheim, Lkr. Northeim (Foto: W. Müller). Abb.11 (links unten) Kreuzstein von Hermannrode, Werra-Meißner-Kreis (Foto: W. Müller). Abb.12 (rechts unten) Kreuzstein von Eggolsheim, Lkr. Forchheim (Foto: Erich Sauer). |
Wie anfangs schon betont, liegt man bei diesen neuen Zuordnungen durchaus noch im spekulativen Bereich. Zur Sicherung des Gesagten sind archivalische Unterlagen
nötig, die erst gefunden werden müssen, falls es sie überhaupt gibt. Weiterhelfen können auch lokale und regionale Untersuchungen in Museen, heimatkundlichen
Sammlungen und auf Bauernhöfen, um zumindest eine Übereinstimmung der Darstellung der Attribute auf den Kleindenkmalen mit den realen Handwerkszeugen vor Ort
zu erreichen.
Der Baumschäler im mittelalterlichen Rechtsbrauch
Seit dem Hohen Mittelalter ist die Pflugreute als Hilfsmittel des pflügenden Bauern bekannt und nachzuweisen. Auf der Miniatur des
Luttrell-Psalters, London aus der 1.Hälfte des 14.Jahrhunderts ist die Reute beispielsweise zwischen den Händen des Bauern auf einem Quersteg zu sehen. Leider ist
das metallene Arbeitsblatt durch das Streichbrett des Pfluges verdeckt. (Abb.13) Im Verlauf der Jahrhunderte finden wir in der Hohen Kunst, in der Buchmalerei oder in
Dokumentationen die Reute immer wieder abgebildet.
Anders ist das mit dem Rindenschäler. So lange der Mensch Holz zum Hausbau oder Schiffsbau benötigte und der Gerber auf die Eichenlohe
zum Gerben des Leders angewiesen war, hat es Menschen gegeben, die Bäume schälten. Es war eine alltägliche Tätigkeit.
In der Kunst oder in den Beschreibungen des menschlichen Alltags und der Handwerker im Mittelalter oder der frühen Neuzeit konnten
Abbildungen, die das Rindenschälen zeigen, bislang nicht gefunden werden, obwohl Szenen, die die alltäglichen Arbeitsvorgänge zeigen, in Fülle zu finden sind. Selbst
wenn man berücksichtigt, dass man noch nicht den Zugriff zu den entsprechenden Büchern gefunden hat, fällt doch auf, dass das Rindenschälen in den Werken, die zur
Verfügung standen, keine Berücksichtigung gefunden hatte. Es stellt sich dadurch die hypothetische Frage nach den Gründen. Das Baumschälen war keine Tätigkeit,
die die Schäler von der Gesellschaft ausschloss, sonst hätten Bauern und Zimmerleute diese Tätigkeit nicht ausgeübt, nicht ausüben dürfen.
Die aus dem Altertum tradierte Baumverehrung, wie sie uns noch durch Begriffe wie heiliger Hain, Grenzbaum oder Weltenesche bewusst ist,
wirkte mindestens bis in die Zeit der frühen Neuzeit hinein. Das zeigen die unmenschlichen Strafandrohungen in einzelnen Weistümern. So führt Jacob Grimm in seiner
Sammlung "Deutsche Rechtsalterthümer" aus dem Oberurseler Weistum an "item, es soll niemand bäume ... schelen, wer das thäte, dem soll man sein nabel aus
seinem Bauch schneiden u. ihn mit dem selben an den bäum nageln u. denselben baumscheler um den bäum führen, so lang bis ihm sein gedärm alle aus dem bauch
um den bäum gewunden seien".6) Dass diese furchtbare Strafe zur Anwendung gekommen ist, konnte bislang nicht
nachgewiesen werden, da der Schuldige sich von dieser Strafe durch eine Geldsumme hatte lösen können. Sinn der Strafandrohung war es, dem Baum und damit auch
dem in ihm wohnenden Baumgeist einen Ersatz für den erlittenen Schaden zu leisten.7)
Kommt hier eine Grundhaltung zum Tragen, der eine große Ehrfurcht zum Baum, zum Wald zugrunde liegt und die deshalb die bildhafte
Darstellung des Schädigen, des Verletzen eines Baumes tabuisiert hat?
Anmerkungen:
1) Werner Müller, Günther E.H. Baumann.
2) Sven Gerth, Über Pflug- oder Ackerreuten und Rindenschäler auf Steinkreuzen und Kreuzsteinen, in: Pomniki Dawnego Prawa, zeszyt 1, Mai 2008, S.36-40.
3) Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd.12, Leipzig 1885, Spalte 1131.
4) Wikipedia
5) Ulrich Fließ, Arbeitsgeschirr deutscher Zimmerleute - Werkzeuge und Bilder - Begleitheft zur Ausstellung im Historischen Museum Hannover, 1984.
6) Jacob Grimm, Deutsche Rechtsalterthümer, 2.Ausgabe, Göttingen 1854, S.519.
7) Wilhelm Mannhardt, Wald- und Feldkulte, Berlin 1875, S.26-27, 603.
Abb.13 Pflügender Bauer, aus: Luttrell-Psalter, 1341 (Repro: Werner Müller) |