Rechtsbräuche |
I. Zur Entstehung der mittelalterlichen Asyle
Das Asylrecht ist keine Errungenschaft der christlichen Kultur, wird aber für den europäischen Raum in mittelalterlicher Zeit überwiegend mit der
Kirche als Schutzzone für Flüchtige in Verbindung gebracht.
Es war schon in vorchristlicher Zeit ein Bestandteil der Rechtsbräuche und auch in anderen Kulturen in Anwendung. Das Asylrecht lässt sich bei den Israeliten,
Griechen, Römern und auch bei nordischen Stämmen nachweisen. Schon in der Bibel finden wir Hinweise auf Asyle:
4. Buch Moses 35.6:
Und unter den Städten, die ihr den Leviten geben werdet, sollt ihr sechs Freistädte geben, dass dahinein fliehe, wer einen Totschlag getan hat. Über dieselben sollt ihr noch zweiundvierzig Städte geben.
4. Buch Moses 35.11:
sollt ihr Städte auswählen, dass sie Freistädte seien, wohin fliehe, wer einen Totschlag unversehens tut.
4. Buch Moses 35.12:
Und sollen unter euch solche Freistädte sein vor dem Bluträcher, dass der nicht sterben müsse, der einen Totschlag getan hat, bis dass er vor der Gemeinde vor Gericht gestanden sei.
Zur Ableitung des Begriffes Asyl gibt es verschiedene Thesen:
"Der König Assyrophernes habe seinem Sohn eine Bildsäule errichtet, die den zu ihr fliehenden Verbrechern Schutz gewährt". Der ägyptische König Assyrophernes
wurde auf Grund dieser Erzählung von mehreren späteren Schriftstellern als Begründer des Asylrechts angesehen.1) Die
jüngere Forschung geht davon aus, dass sich das Wort Asyl aus dem griechischen Wort asúlos, dass aus a=’nicht’ und súlos=’Zugriff’ besteht, gebildet hat. Es kann
sinngemäß als "Un-verletzliches" übersetz werden.
Schon bei den germanischen Stämmen war ein Sonderfrieden ausgebildet für Orte, die einem Gott geweiht waren. Es lag nahe, diese besondere Befriedung der
heidnischen Tempel auf die christlichen Kirchen zu übertragen. Das konnte aber erst zu einer Zeit geschehen, in der die Kirche das Heidentum überwunden hatte, mächtig
wurde und mit seiner Macht auch Schutz gewähren konnte.
Das Reich, welches sich öffentlich zur christlichen Lehre bekannte, musste mit der Anerkennung dieser, auch der Trägerin derselben, der Kirche, Rechte verleihen.
Die Verleihung von Rechten genügte aber nicht. Die weltliche Herrschaft wollte die Kirche sichtbar als etwas in ihrem Reich Hervorragendes hinstellen, und verlieh ihr
daher über die Rechte hinaus noch Privilegien. Zu diesen gehörte auch das Asylrecht.
Für die Kirche war das Asylrecht auch ein Mittel um das Heidentum zu bekämpfen. Denn bei den Germanen war die Todesstrafe zugleich eine Opferhandlung.
Diese zu unterbinden war somit auch ein Kampf gegen das Unchristliche.
Es kam aber trotz der offen gezeigten Ablehnung der Todesstrafe immer wieder zum Verschmelzen kirchlicher Interessen mit weltlicher Rechtspflege. So wurden
kirchliche Vergehen wie z.B. die Verschmähung der Taufe, Leichenverbrennung, Verletzen des Fastengebotes mit der Todesstrafe geahndet, andererseits stellte die
Kirche ihre Machtmittel, wie Exkommunikation, gegen weltliche Verbrechen zur Verfügung. So wurde unter Karl II. Münzfälschung mit Kirchenbuße belegt.2)
Kirchliche Asyle wurden vom Landesherrn anfänglich ausdrücklich garantiert. So erhielt der Johanniterorden von Kaiser Karl IV. 1378 das Privileg des Asyls für alle
seine Ordenshäuser in allen deutschen Landen. Alle, die mit Hab und Gut da einfliehen würden, sollten frei und sicher sein.
Wie die Städte um die Erhaltung der kirchlichen Asyle, gegen Einschränkungen und Missachtung derselben stritten, und sich dabei mit Kirche und Staat gleichsam
auseinandersetzten, sollen die folgenden zwei Beispiele belegen.
Die Stadt Isny im Allgäu: Im Jahre 1505 wollte Abt Philipp das Kloster durch eine Mauer von der Außenwelt absondern. Die Stadt Isny setzte dem hartnäckigen
Widerstand entgegen und behauptete, dadurch werde das Asylrecht des Klosters hinfällig. Die Sache kam schließlich vor den Kaiser und endete 1516 damit, dass
bestimmt wurde, dass das Kloster nur durch einen Zaun von der Stadt abgetrennt werden dürfe und dass in diesem Zaun wegen des Asylrechts eine Türe stets offen
stehen solle.3)
Paul Frauenstädt berichtet von einer Verletzung des Asylrechts im Jahre 1619 in Neuenburg (Württ.) und den rechtlichen Folgen: Die württembergische
Abtei Hirschau besaß von Alters her das im Jahre 1495 durch K. Maximilian I. erneuerte Asylrecht für ihre beiden Klostergebäude und ein dazwischen gelegenes, zum
Stifte gehöriges, Wirtshaus. Als nun die weltliche Gewalt im Jahre 1619 einen Reitersmann in dieser öffentlichen Herberge festnehmen ließ, der wegen eines an einem
Kameraden verübten Totschlags hier Zuflucht gesucht hatte, machte dieser den Einwand und bewies aus Dokumenten, dass daselbst seit langer Zeit eine Freistätte
sei, die schon manchem Verbrecher als Zuflucht gedient habe. Auch die Stadt führte deshalb Beschwerde wegen der Verletzung ihres Altverbrieften Asylrechts bei
dem Regimentsobristen Markgraf Carl von Baden-Durlach. In Folge dieser Beweis- und Beschwerdegründe wurde der Mann vom Gericht in die Freistätte zurückversetzt.4)
Aus der kirchlichen Rechtspflege übernahmen später die weltlichen Herrscher das Asylrecht. Die Auslegung dieses Rechts entwickelte sich im kirchlichen Bereich
anders als im weltlichen. Als die Kirche Privilegien zur Hebung ihres Ansehens nicht mehr bedurfte verkam das kirchliche Asylrecht scheinbar zur privilegierten
Straflosigkeit. Der Staat versuchte in der Folge immer wieder das Asylrecht der Kirche aufzuheben. Diese argumentierte dagegen, dass sie ihre Berechtigung zum Asyl
aus der Sanftmut Christi, der selbst der Ehebrecherin Straflosigkeit zuerkannte, bezöge. Weiterhin aus ihrer Verpflichtung, selbst Übeltätern Gnade zu erweisen und die
Sakramente auch den Unwürdigsten zu reichen. In diesem Asylrecht der Kirchen und Klöster selber äußert sich aber schon ein tiefes sittliches Gefühl, ein mit der rauen
Zeit seltsam in Widerspruch stehendes Gefühl der Barmherzigkeit und Milde mit dem Verbrecher. Dasselbe Gefühl kommt auch in der Sitte zum Ausdruck, dem
Verbrecher, der sich selbst vor Gericht gestellt hat und überführt wurde, Zeit zur Flucht zu gönnen. Denn er sollte es nicht schlechter haben als derjenige, der sich nicht
vor Gericht gestellt hat.
Mann muss sich also nicht wundern, dass Asyle im Mittelalter regen Zuspruch fanden.
Trotz späterer Aufhebung des kirchlichen Asylrechts durch die weltliche Macht, wurde es von der Kirche als weiter bestehend betrachtet, denn sie allein hielt sich für
berechtigt eine solche Aufhebung zu vollziehen.
Die Reformation ließ das praktizierte Asylrecht endgültig eingehen, und es wurde allmählich auch in den katholischen Gebieten aufgehoben. Nur in der
protestantischen Stadt Reutlingen, inmitten einer Umgebung mit protestantischer Bevölkerung blieb das praktizierte Asylrecht noch bis in das 18.Jahrhundert hinein
bestehen.
Die Kirche hat das Asylrecht auch später immer verteidigt. In einem 1927 erschienenen Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaften wird zum Asyl
festgestellt: "Asyl besteht nach heutigem kirchlichen Recht in dem Sinne, dass heilige Orte, (Kirchen, Kapellen, Friedhöfe) insgemein weltlicher Jurisdiktion nicht
unterworfen sind und insbesondere Kirchen und öffentliche Kapellen für dorthin geflüchtete Verbrecher eine Freistätte darbieten, von der diese, außer in dringenden
Fällen, ohne Zustimmung des Ordinarius oder wenigstens des Kirchenvorstandes nicht entfernt werden dürfen. Das moderne staatliche Recht erkennt ein kirchliches
Asyl meist nicht an."5)
Heute erinnern noch Flurnamen wie "Freiheit" oder "Freiheitsplatz" an alte Plätze die zu einer Kirche gehörten und als Asyl dienten.
II. Aufgaben der Asyle und des Asylrechts
Der Zweck des Asylrechts war es nicht, die Rechtsverfolgung zu behindern. Die Aufgabe von Asylen und dem Asylrecht war es, den Tätern und Beklagten einen
sofortigen Schutz zu gewähren. Gerade in Totschlags-Angelegenheiten wie wir sie aus den Sühneverträgen kennen, war es wichtig den Totschläger gegen die erste
Wut der Bluträcher zu schützten, um so Vergleich und Versöhnung mit denselben zu ermöglichen. In Betracht der damals herrschenden Ansicht von der Pflicht der
Blutrache, der Mangelhaftigkeit der staatlichen Ordnung, der Willkür der Richter und der blutigen Strenge der Gerichte, zumal gegen den auf frischer Tat Ergriffenen,
wird man dem Asylrecht eine wohltätige Wirkung und eine sittliche Berechtigung nicht absprechen können.
In der Zeit der Inanspruchnahme des Asyls konnten sich die Gemüter beruhigen und Verhandlungen aufgenommen werden. Das Asylrecht verhinderte somit die
Ausübung der Blutrache und der Selbstjustiz.
Asylrecht wurde bei "ehrlichen" Verbrechen gewährt. Bei "unehrlichen" Verbrechen konnte es verweigert werden. Die mittelalterlichen Rechtsanschauungen waren
noch stark vom germanischen Recht geprägt. Dieses unterschied in der Strafbewertung zwischen heimlichen und offenen Tun. Heimliches Tun war den Germanen zu
wider, es war Neidingswerk (Unehrenhaft). Heimlichkeit war sittlich viel verwerflicher als die offene Tat. Das unterschied auch den Mord vom Totschlag. Ein Mord wurde
heimlich verübt oder später verheimlicht, etwa durch Verbergung des Leichnams. Wo hingegen dem Totschlag die Merkmale der Heimlichkeit fehlen.
In gleicher Weise wurde z.B. auch die heimliche Brandstiftung als Mordbrand dem gewaltsamen offenen Waldbrand noch im Sachsenspiegel (1225-1235)
gegenübergestellt. Derselbe Unterschied findet sich bei Diebstahl und Raub. Die schimpfliche und eines freien Mannes unwürdige Tat war der Diebstahl. Überall, wo die
Heimlichkeit der Aneignung fehlt, liegt kein Diebstahl vor. Der Raub dagegen war ursprünglich jede offene Wegnahme fremden Eigentums. Deshalb heißt es: "Des
Nachts ist es Diebstahl, des Tags ist es Raub." Der Unterschied zwischen "ehrlichen" und "unehrlichen" Verbrechen setzte sich auch in der Bestrafung fort, so waren
Galgen und Pranger unehrliche Strafen, wohingegen die Enthauptung eine ehrliche Strafe war.
Die Asyle standen Männern und Frauen gleichsam offen, sie wurden aber überwiegend von der männlichen Bevölkerung in Anspruch genommen.
Viele Asyle machten eine Aufnahme des Asylsuchenden auch von seinem Vergehen abhängig. Das allgemeine Schutzrecht erhielten "Missetäter", "Verbrecher
und Bedrängte". "Mörder und sonstige Verbrecher" fanden nur einige Tage lang Sicherheit vor gerichtlicher Verfolgung. In kirchliche Asyle wurde nicht aufgenommen,
wer "eine geweiht Person geschlagen" oder "Kürchen Bruch" begangen hatte. Viele Asyle beschränkten sich auch auf bestimmte Tätergruppen.
Deutlich macht das eine Urkunde zum Reutlinger Asylrecht, welches ein allgemeines Reichsasyl (universale imperii asylum) war, also das Asylrecht vom Kaiser
bewilligt wurde und die Benutzung allen Angehörigen des Reichs freistand.
Das Asylrecht haftet an der Stadt Reutlingen und dem dazu gehörigen "Zehnten und Ettern".
Straflosigkeit gewährt daselbe allen Personen, die außerhalb der Stadt Reutlingen und ihres "Zehnten und Ettern" einen Totschlag begangen haben, sofern dies
in der Hitze des Zorns oder in der Notwehr geschehen; diejenigen dagegen, welche einen "vorbedächtlich gefährlichen Totschlag" verübt, sind der Asylfreiheit nicht teilhaft und sollen auf Ansuchen der Kläger ihrer gebührenden Strafe nicht entgehen.
Der Schutz vor Verfolgung, den das Reutlinger Asyl den Totschlägern gewährt, ist ein vollkommener sowohl hinsichtlich ihrer Person wie ihres Vermögens.
Die Asylfreiheit wird solange gewährt, als der Totschläger in der Stadt Reutlingen oder deren "Zehenden und Ettern" verweilt und "der Freiheit gebrauchen" will.
Als Buße für die wissentliche Verletzung des Asylrechts seitens Angehöriger des Reichs werden außer des Kaisers und des Reichs "schwerer Ungnad und Strafe" 40 Mark löthigen Goldes bestimmt, zur Hälfte an des "Kaisers und des Reichs Kammer", zur Hälfte an die Stadt Reutlingen zu bezahlen.
Gegenüber dem früheren Zustand der Unsicherheit bedeuten diese Bestimmungen der kaiserlichen Urkunde insofern einen Fortschritt in der
Rechtspflege, weil dadurch unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung der Asylfreiheit einerseits für die Beurteilung der Asylfähigkeit der Totschläger sichere Grenzen
gezogen wurden, andererseits hinsichtlich der des Asyls Unwürdigen die Rechtsverfolgung ermöglicht werden sollte.6)
Je nach Größe des Asyls schwankte die Zeit, auf welche Asyl gewährt wurde. Beim Betzinger Asylstein waren es 24 Stunden, die Stadt Reutlingen
versprach ein Asylrecht auf Lebenszeit ("100 Jahre und 1 Tag"). Auf Freihöfen konnte man mit 4 bis 6 Wochen Asyl rechnen, das entsprach 2-3 Ding- oder Gerichtstagen.
Für die Zeit im Asyl musste der Asylant sich selbst versorgen. In Armutsfällen geschah zwar die Verpflegung unentgeltlich auf Kosten des Grundherrn, bestand aber
dann nur aus den "notdürftigsten Reichungen". Wurde ein Asyl in einer Stadt aufgesucht, mussten weitreichende Regeln beachtet werden. So wurde dem Asylanten die
Wehr abgenommen, ihm war lediglich erlaubt ein Brotmesser oder "ein Messer mit abgebrochener Spitze" zu tragen. Auch durfte der Asylant nicht in Winkelwirtschaften
(Hurenhäusern) logieren, sondern nur in einem "offenen Wirtshaus", wo ihn jederzeit die Behörde finden konnte. Die Asylanten unterlagen einer Art Meldepflicht und
Aufsicht.
Es kam nicht selten vor, dass die Familie des Asylanten nachzog oder dieser bis zu seinem Tod im Asyl blieb.
III. Standorte von Asylen
III.a. Kirchliche Asyle
Schon die germanischen Stämme sprachen an ihren heiligen Orten Recht. Als das Christentum über diesen Orten Kirchen errichtete, wurden auch diese, der
Tradition folgend, zu Gerichtsstätten. Deshalb waren Kirchen von Anfang an befriedete Stätten und Asyle. Und es war ihre Aufgabe an diesen Orte Frieden zu wahren.
Das unterstreicht auch eine Verordnung des Papstes Nicolaus (1059), der den Bereich, innerhalb dessen ein Asylflüchtling Schutz genießen sollte, für eine größere
Kirche auf vierzig, für Kapellen und kleinere Kirchen auf dreißig Schritte festsetzte. Und sie bedrohte Denjenigen, der innerhalb dieser Grenze einen Flüchtling angriff,
mit der Exkommunikation.7) Überdies schütze den Asylanten die Ehrfurcht, vor dem Hause Gottes, vor jeder Gewalt. Auf
Karl den Großen geht die Verordnung zurück, dass Zufluchtsuchende nicht mit Gewalt aus der Kirche geholt werden dürfen.
Papst Lucius III. (1181-1185) verordnete, dass die Kirche keine Gerichtsstätte für Kapitalverbrechen sein sollte, da sie eine Zufluchtsstätte sei. Später begann man
Kirche und Gerichtsstätte zu trennen.
Weitere kirchliche Asyle konnten sein: Kapellen, Altäre, Kirchhöfe, Klöster, Ordenshäuser der Johanniter und des Deutschordens sowie Freisteine innerhalb
kirchlichen Besitzes.
III.b. Weltliche Asyle
Der Staat sprach sein Recht anfänglich in den Vorhöfen der Kirchen oder an geheiligten Orten, um diesen Gerichtsstätten den Frieden zu wahren. Später wurde das
Asylrecht auf Gerichtsstätten im Allgemeinen ausgedehnt um einen ungestörten Fortgang der Gerichtsverhandlungen zu gewährleisten.
Als Erscheinungsformen des weltlichen Asylrechts müssen diejenigen gelten, wo das Asylrecht entweder an einer weltlichen Person oder einem weltlichen
Gegenstand haftete.
So wie sich das Asylrecht des Gebäudes der Kirche auch auf die Behausung der Bischöfe und Priester übertrug, so übertrug sich das Asylrecht der Gerichtsstätten
auch auf die Wohnstätten der Richter. Die Bischweiler Weisthümer (1499) verordnen:
"Item der Schoeffen heuser und höfe sollen auch frei sein als das herkommen ist - und der todtschläger ist sicher in eines jeden schoeffen hus oder hove, vier wochen und zween tage und kompt er vier schritt über die strass und wieder in das schöffenhüs, so hat er aber vier wochen und zween tage freiheit".
Asyle solcher Gattung kommen hauptsächlich in den so genannten Freigerichten, die von keiner fürstlichen Gewalt abhängig waren, vor.8)
Aber auch das gemeine Hausrecht war ein Asylrecht, dass es erlaubte, auf den Hof geflüchteten Verbrechern oder Verfolgten Schutz zu gewähren. Ausdrücklich
besagt das z.B. ein Weistum von Grussenheim aus dem Jahre 1320:9)
…Dirre hof ist also gelegen und gefriet von kungen und von keysern, waz ein man het geton ussewendig des hofes, kumet er in den hof, er sol friden han, und sol ime nieman noch volgen in ubeles wise in den hof. Wer aber so frevel wurde und ime nachvolgete in den hof, der hette verbrochen eime keyser viertzig pfund goldes in sine kamer, und mime herren dem appete sine smocheit und sinen schaden abe zerihtende an sine gnade…
Das Asylrecht bezog sich aber nicht nur auf eine neutrale Zufluchtsstätte. Nach Rechtsbestimmungen von 1264 und 1482 sollte ein Mörder nicht
bloß in seinem, sondern auch seines Nachbarn Haus vier Wochen Frist haben. Dieses erklärt sich nicht bloß aus der allgemeinen Verpflichtung der Glieder, sich
gegenseitig zu schützen, sondern auch aus der, schon bei den alten Germanen herrschenden Sitte, dass die Blutsfreunde nahe beieinander wohnten, der Nachbar also
in der Regel auch ein Blutsfreund war.
Es erlaubte jedem freien Grundbesitzer, dem öffentlichen Richter den Eintritt in sein Gehöft und die Ausübung seiner Gewalt auf seinem Grund und Boden zu
verweigern. Um dem entgegenzuwirken wurde den Richtern schon sehr früh die Befugnis der Haussuchung gegeben. So räumte man ihnen die Möglichkeit ein, dem
unter Asylrecht stehenden Beklagten auf fremden Boden die Gerichtsladung zu überreichen.
Diese Freiheit des Hauses erhielt sich lediglich als ein Vorrecht der Schlösser und Burgen des Adels und der Häuser der Städtebürger bis in das 16.Jahrhundert.10)
Die Verletzung dieser Immunität wurde streng, sogar mit dem Tode, gerügt.
Wurde das Asylrecht auf ganze Städte ausgeweitet, so wie wir es zum Beispiel von Reutlingen, Tübingen, Asperg, Rottweil und anderen bezeugt wissen, so brachte
es diesen Städten nicht nur den Beinamen "Heimat der Totschläger" ein, sondern auch erhebliche Vorteile. Viele Einnahmen knüpften sich an die Beherbergung von
Asylsuchenden. Zunächst erhob man eine Aufnahmetaxe für jeden Asylanten, es gab Einmalzahlungen aber auch monatliche Taxen. Schloss sich an die Aufnahme
eines Totschlägers ins Asyl ein Prozess an, so erforderte dessen Durchführung eine bedeutende Geldsumme, die zum größten Teil in der Stadt blieb welche das Asyl
gewährte. Außerdem war es möglich, dass sich die Asylanten ihr Vermögen oder den Zinsertrag ihrer Güter ins Asyl nachsenden ließen. Zudem forderte man bei
Verletzungen des Asylrechts weitere erhebliche Geldbusen ein. Der wirtschaftliche Faktor einer Asylgebenden Stadt waren im Mittelalter nicht zu unterschätzen.
Neben Städten, Gerichtsstätten, des Richters Haus und Privathäusern konnten weitere weltliche Asyle sein: Marktflecken und Dörfer, Mühlen, Fronhöfe und Freihöfe.
IV. Asylstätten anzeigende Denkmale
IV.a. Allgemeine Betrachtung / Thesen
Nachdem wir Kirchen, Gerichtsplätze und Privatgrund als Asyle gewährende Orte kennen gelernt haben, wollen wir uns nun den Asylkreuzen und Asylsteinen
widmen, welche nach dem Volksglauben auf Asyle hinweisen und deshalb diese Bezeichnung tragen.
Nach den bisherigen Erkenntnissen lassen sich diese Denkmale verstärkt in Süddeutschland nachweisen. Hier treten sie auch oft unter der Bezeichnung Freistein
auf.
Hans Schnetzer gibt uns einen ersten Hinweis auf den Bezug von (Stein-)Kreuz und Asyl. Er schreibt: "Das Konziel zu Clermont 1085 dehnte das Asylrecht
dahin aus, daß auch jene Übeltäter gesichert seien, die ein Kreuz an öffentlichen Straßen erreichten". Christian Frank
meldete schon 1908 seine Bedenken an dieser Aussage an: "Freilich ist es die Frage, ob 1085 schon Sitte war, solche Steinkreuze zu setzen und wenn ja, dann ist
damit nicht der Ursprung solcher Steinkreuze erklärt."11)
Schon bei dieser frühen Behandlung des Themas aus der Sicht der Steinkreuzforschung wird klar, dass es schwer sein wird nachzuweisen, dass ein Steinkreuz
zum Zwecke der Bezeichnung eines Asyls gesetzt wurde. Vielmehr ist bei Kreuzsteinen und Steinkreuzen mit der Bezeichnung Asylkreuz an eine sekundäre
Verwendung zu denken, die vermutlich nicht einmal offiziellen Charakter hatte und nur den Auslegungen des Volkes zuzuschreiben ist. Nach Wilhelm Funk (1940)
"ist aber bisher kein sicher bezeugtes Asylkreuz bekannt geworden."12)
Vermutlich gab es in Frankreich zwischen 1200 und 1300 derartige, eigens durch Kreuze gekennzeichnete Asylstätten, die einen Freibezirk darstellten.13)
Nachweise fehlen und eine Übertragung dieser Sitte auf den deutschen Sprachraum wäre nur denkbar, wenn man diese Asylkreuze mit Weichbildzeichen in Verbindung
bringt. Das würde wiederum den Ausdruck "inner den Kreuzen" erklären, welcher uns in historischen Aufzeichnungen als Bezeichnung für ein mit Sonderrechten
privilegiertes Gebiete begegnet. Denn auch das Asyl war ein Gebiet mit Sonderrechten und wurde, wie bekannt, mancherorts auf ganze Städte ausgedehnt. Bei
Asylsteinen, welche keine Kreuzform haben und sich im Inneren von Klöstern oder Freihöfen befinden, liegt die Sache anders. Auf sie wird später noch einzugehen sein.
IV.b. Asylkreuze und Asylsteine
Großdingharting (Lkr. München): Das an der Ostseite des Turmes vermauerte Kreuz gilt
als Hinweis auf eine alte Gerichtsstätte. Nach der Überlieferung konnte ein zum Tode verurteilter Verbrecher versuchen, sich vom zwischen Großdingharting und Beigarten
gelegenen Galgenberg bis zur Kirche durchzuschlagen. Entging er seinen Verfolgern und gelang es ihm, das nahe dem Eingang der Kirche angebrachte Kreuz zu
berühren, war er frei. Die Stadt Großdingharting übernahm das Asylkreuz in ihr Wappen.
Bremelau (Lkr. Reutlingen): Das Steinkreuz wird als Asylkreuz bezeichnet.
Zwiefalten (Lkr. Reutlingen): Ursprünglich zwei gleichartige Steinkreuze am Westportal des
Münsters und an der Pfarrwohnung im ehemaligen Kloster. Eines der Steinkreuze ist 1968 bei Bauarbeiten
verschwunden. Max Ernst14) schreibt 1934:
"Die beiden Kreuze im Klosterhof gelten als Asylsteine." Weiteres erfahren wir bei Anton Nägele
191315): "Der Standort ist, da jedenfalls noch unverändert, sehr bezeichnend für die rechtsgeschichtliche Deutung des
Denkmals … Im Volksmunde heißen die Kreuzsteine meist Schwedenkreuze, manchmal, wenn auch seltener, hört man sie als Asylsteine bezeichnet. Von den beiden
an der Kirche geht im Volksmunde die Sage, wenn ein von den weltlichen Gerichten Verfolgter in die Kirche oder in das Klostergerichtsgebäude, wo man demselben
nichts mehr anhaben konnte, flüchten wollte, und der Flüchtige oder Verfolgte die Türen genannter Gebäude verschlossen fand, so suchte er einen dieser beiden Steine
zu erreichen. Hatte er einen solchen Stein erreicht, so galt er als immun."
Asylstein von Großdingharting
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Asylkreuz von Bremelau
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Asylstein im Kloster Zwiefalten
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Ebenhofen (Lkr. Ostallgäu); am Museum "Bastlehaus". Der ursprüngliche
Standort des Steinkreuzes war etwa 600 Meter nördlich des Ortes. Die Überlieferung berichtet von diesem Freistein, dass einer, der ihn erreichte, nicht verhaftet werden
durfte. Der ehemalige Standort war keine Gerichtsstätte oder ähnliches.
Schnaid (Lkr. Forchheim): Beide Kreuzsteine werden als Asylkreuz bezeichnet, aber auch als
Zent- oder Bannmeilenstein, was auf eine Verwendung als Weichbildzeichen und Abgrenzungsmal eines Gerichtsbezirkes hinweist. Unterstrichen wird die Vermutung
von der volkstümlichen Überlieferung, die berichtet, dass an den Kreuzsteinen die "Maleficanten" übergeben wurden. Das heißt, hier wurden Verbrecher von der einen
Gerichtsbarkeit in die Hände der anderen übergeben.
Freistein von Ebenhofen
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Asylstein von Schnaid (I)
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Asylstein von Schnaid (II)
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Speyer (Kreisfreie Stadt Speyer): Der Domnapf galt als Asylstein. Die Überlieferung berichtet, dass der, welcher sich in der Stadt eines
Frevels schuldig gemacht hatte und in den Domnapf flüchten konnte, nicht mehr richterlich belangt werden durfte.
Blaubeuren (Alb-Donau-Kreis): Der Asylstein ist im Klosterhof zu finden. Das Kloster Blaubeuren
war eine historisch belegte Zufluchtsstätte. Das Kloster nahm nicht in Asyl, wer einen Mord, Kirchenraub oder eine Tätlichkeit an einem Kirchendiener begangen hatte.
Betzingen (Lkr. Reutlingen): Der stuhlförmige Asylstein stand Jahrhunderte lang im Pfarrhof, dann Jahrzehnte lang an der Nordseite der Mauritiuskirche,
jetzt ist er in der Kirche untergebracht um ihn vor weiterer Verwitterung zu schützen. Es ist möglich, dass der Betzinger Asylstuhl als erste Anlaufstelle für Asylsuchende
aus dem Tübinger und Hechinger Raum dienen konnte, ehe diese Reutlingen erreichten, wo die eigentliche Aufnahme ins Asyl stattfand. Nach der Überlieferung gewährte
der Betzinger Stein 24 Stunden Asyl. Allerdings musste 1693, als die kirchlichen Rechte in Betzingen an Württemberg verkauft wurden, auch eine solche letzte Funktion
des Asylstuhls zum Erliegen kommen.16)
Domnapf zu Speyer
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Asylstein in Blaubeuren
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Asylstein in Betzingen
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Altenrode (Lkr. Harz): Der aus Feldsteinen gesetzte Steinkreis besteht noch heute in seiner ursprünglichen Form. 1832 wurde er zu
seinem Schutz mit Kastanienbäumen umpflanzt. Der Steinkreis trägt die volkstümliche Bezeichnung "Kaiserplatz", die Steine werden "Kaisersteine" genannt. Der
Sage nach soll hier Kaiser Otto III. Recht gesprochen haben. Weiter berichtet die Sage: "…wenn in Goßlar ein Mord begangen sei, und der Täter in diesen Kreis sich
habe flüchten können, er dann die Rechte der Unverletzlichkeit (des Asyls) gewonnen und genossen habe."17)
Rieder (Lkr. Harz): Der heute nicht mehr vorhandene und als "Butterjungfer" bezeichnete Stein befand sich auf einem Flurstück zwischen Quedlinburg
und Rieder, in der Nähe der Wüstung Bicklingen. Er war lange vor seiner Verwendung als Bezeichnung eines Asyls, ein regionales Kultmal. E. Keil berichtete
1929 dazu:18) "Es war dies nach Brecht (Urkundenbuch II, S.XCIV) eine etwas über den angrenzenden Weg erhöhte, langgezogene Grasfläche von etwa 1 Hektar
(4 Morgen) Größe, die ehemals als Freistätte für entsprungene Soldaten galt. Die 'entsprungenen Soldaten' können wohl erst einer späten Zeit angehören. Ehemals
dürfte es sich um eine Freistatt für allerlei Verfolgte gehandelt haben, die nicht geradezu Verbrecher waren. Um solchen die Nähe des schirmenden Asyls anzuzeigen,
war auf dem vielbegangenen 'Kohlweg' an der Wunne, die nach der Schutzstelle führte, der mächtige Stein errichtet. Mancher auf der alten Kohlenabfuhrstraße nach
den Harzbergen haftende Unglückliche mag bange nach dem Rettung verheißenden Steine gespäht haben!"
Die Kaisersteine bei Altenrode im Harz
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Die "Butterjungfer" bei Rieden
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V. Ergebnisse
Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem als Asylkreuz oder Asylstein bezeichnetem Denkmal und einem mittelalterlichem Asyl kann mehrfach
nachgewiesen werden. Das bedeutet aber nicht, dass alle mit Asylkreuz und -stein benannten Denkmale zum Zweck der Bezeichnung eines Asyls geschaffen und
gesetzt wurden. Für einige kann man es nicht ausschließen, die meisten fanden aber sekundär als Asylstein Verwendung.
Es ist beim äußerlichen Vergleichen der vorgestellten Denkmale miteinander keinerlei Gleichheit oder etwas Verbindendes in Form oder Einzeichnung erkennbar.
Das wäre aber, so will man meinen, zur überregionalen Verwendung eines Males und zur eindeutigen, unverwechselbaren Funktion unbedingt erforderlich. Die
verbindenden Merkmale finden wir auf andere Weise.
Man kann die Asylsteine, ihren Standort betreffend, in verschiedene Gruppen unterteilen. Die eine Gruppe steht zentral, gut sichtbar und für jeden zugänglich im
Freien an oder in einem Asyl. Einzelne Asylsteine treffen wir in territorial eng begrenzten Asylen, wie Klöstern, Kirchhöfen und Freihöfen. Mehrere Asylsteine in Form
eines Steinkreises angeordnet finden wir an alten Freistätten und Gerichten, die sich wiederum auf frühzeitlichen Kultplätzen befanden.
Wenn das Asyl eine Stadt, einen Marktflecken oder eine ganze Gemarkung betraf, dann haben die Weichbildzeichen die Funktion der Asylbezeichnenden Steine
übernommen und es bedurfte mehrerer Denkmale um das ganze Gebiet zu kennzeichnen.
Ein einzelner Asylstein, freistehend inmitten eines Freihofes oder Klosters, welches Asyl gewährte, machte durchaus Sinn. Und auch die Ausformung als Hocker
(Blaubeuren) oder Stuhl (Betzingen) scheint nicht zufällig. Schon in Griechenland ging
der "Hiketes" (Schutzsuchende) zum Altar, berührte ihn oder setzte sich mit einem Zweig in der Hand am Altar nieder. Er konnte sich aber auch an einem Hausherd
niedersetzen und kam dann in den Schutz der Hausgöttin.19)
Das Sitzen auf oder berühren des Asylsteines war eine symbolische Handlung. Welchen Sinn würde sonst ein 24stündiges Asyl am Stein von Betzingen machen
oder welchen Sinn hatte das Berühren des Asylsteines in Großdingharting? Das Berühren oder darauf sitzen, welches den Asylanten von da an schützte und worüber
die Überlieferungen immer wieder berichten, war eine symbolische Handlung, ein Ritus, ein öffentliches Bekenntnis. Diese Handlung zu vollziehen war absolut notwendig,
um den Verfolgern unmissverständlich zu bekunden, dass ein weiteres Nachstellen oder Bedrohen vergebens war, ja sogar unter Strafe stand. Dem Asylgeber drückte
es die Bitte um Aufnahme aus.
Dieselbe symbolische Wirkung hatte im mittelalterlichen Asylrecht das Betreten eines Steinkreises (z.B. Altenrode), welcher ein Asyl bezeichnete.
Es scheint sicher, dass dieser Rechtsbrauch und seine symbolische Handlung noch heute im Versteckspiel der Kinder weiterlebt. Wir alle kennen den Ablauf
dieses Spiels aus unserer eigenen Kindheit: Ein Kind steht am Mal und zählt, während sich die anderen verstecken. Dann geht es auf die Suche; sobald es eines der
anderen Kinder entdeckt, läuft es rasch zum Anschlag (Mal) zurück und schlägt mit Namensnennung an. Wenn aber ein anderes Kind vor dem Suchenden am Mal ist,
schlägt es ebenfalls an und ist dann "frei". Dafür gibt es verschiedene Ausrufe. Nicht selten ist der Ruf "Frei", aber ebenso gibt es "1-2-3, ich bin frei" und andere.20)
Symbolische Handlungen waren im Mittelalter alltäglich, im privaten Leben ebenso wie in den Rechtshandlungen. Denken wir an den Handschlag nach einem getanen Geschäft oder das Zerbrechen des Stabes durch den Richter bei einem unvorteilhaften Urteilsspruch. Der Sachsenspiegel und andere frühe Rechtsbücher sind voll von symbolischen Handlungen. Besonders im Mittelalter galt: die Wiederholung ist Grundlage allen Lernens. Gefestigte Riten waren für die Religion ebenso wichtig wie für das Recht. Die Festlegung einer Handlung durch die Wiederholung gab Sicherheit hinsichtlich ihrer Wirkung.21 Den Ritus des Berührens eines Asylsteines oder das Sitzen auf demselben erkannte jeder in unmittelbarer Nähe als Asylersuchen. Weitere Einlassungen waren nicht nötig.
Bestand der Asylschutz für eine ganze Stadt, so war ein einzelner Stein nicht notwendig, die Weichbildzeichen übernahmen diese Funktion und wurden für den
Fliehenden zum sichtbaren Zeichen, das Asyl erreicht zu haben. Waren nur bestimmte Gebiete in einer Stadt als Asyl verfügbar, dann war der Asylstein dort öffentlich
zugänglich und für jeden erreichbar. Der Domnapf von Speyer wäre dafür ein Beispiel.
Wie wir sehen, haben die Asylkreuze und -steine, trotz unterschiedlichstem Aussehen, etwas Gemeinsames. Bei einzelnen Asylsteinen, die kleine Asyle
bezeichnen, war es notwendig diese zu berühren oder darauf zu sitzen, um Freund und Feind die eigene Absicht kundzutun. Umschlossen die Asylsteine einen
Gerichtsplatz oder eine Freiung, dann musste man das Territorium innerhalb dieses „Steinkreises“ erreichen. Bei Asylen, welche größere Gebiete einnahmen, war es
notwendig, das Gebiet innerhalb dieser Asylsteine (Weichbildzeichen) zu erreichen um vor Verfolgung sicher zu sein.
Ungeklärt ist bei den unbewohnten Asylen, wie z.B. dem Steinkreis von Altenrode, welche Abläufe die Rechtspflege nach Betreten des Asyls vorsah. Der Asylant
konnte ja nicht immer dort bleiben, er musste versorgt werden bzw. sich selbst versorgen. Gegenüber den Asylen in Städten, Klostern oder Freihöfen waren hier die
Umstände bedeutend schlechter. Und ob seine Verfolger immer das Asyl respektierten, wenn keine Zeugen in der Nähe waren, ist fraglich.
Ist auch nicht jeder Stein, der im Volksmund mit Asyl- oder Freistein oder -kreuz bezeichnet wird, als unwiderlegbaren Beweis für ein Asyl zu betrachten, so kann
er doch der Ausgangspunkt für weitere Forschungen in diese Richtung sein. Die große Vielfalt an Formen und regionalen Eigenheiten in Bezug auf Asyle und die Steine
welche das Asyl anzeigten, lässt hier keine Vereinheitlichung zu. Jedes Denkmal und jeder Standort muss separat betrachtet, seine Entwicklung und rechtsgeschichtliche
Bedeutung erforscht werden.
Vielleicht gab es im Mittelalter noch viele mehr von diesen Steinen vor oder inmitten von Pfarrhöfen, Freihöfen, Klöstern und anderen als Asyl genutzten Flecken.
Dass sie uns nicht öfter begegnen muss nicht daran liegen, dass es sie nicht in größerer Zahl gab, vielleicht wurde nur noch nicht gezielt nach ihnen gesucht.
(Pomniki dawnego prawa, Band 2, Juli 2008, S.44-61)Literatur und Anmerkungen:
1) Bulmerincq, August: Das Asylrecht und die Auslieferung flüchtiger Verbrecher, Dorpat 1853, S.12
2) Lobe, Adolf: Das deutsche Recht, in: Meyer, Prof. Dr. Hans (Hg.): Das Deutsche Volkstum, 2.Aufl. Leipzig und Wien 1903, 2.Teil, S.47.
3) Baumann, Ludwig: Geschichte des Allgäus, II. Band, Das späte Mittelalter, Kempten 1890, S.419.
4) Frauenstädt, Paul: Blutrache und Todschlagsühne im Deutschen Mittelalter, Leipzig 1881, S.56 und Anm.11.
5) Hentschel, Karl-Heinz: Zweitausend Jahre Asyl und Freistätten, in: Hierzuland - Badisches und anderes von Rhein, Neckar und Main, Heft 8/16, 1993, S.63.
6) Drück, Dr. Th.: Das Reutlinger Asylrecht, in: Württembergische Vierteljahreshefte für Landesgeschichte, IV. Jahrgang, 1895, S.1-58 [S.8-9].
7) Bulmerincq, August:: Das Asylrecht und die Auslieferung flüchtiger Verbrecher, Dorpat 1853, S.91.
8) Grimm, Jacob: Deutsche Rechtsaltertümer, Göttingen 1828, S.891.
9) Grimm, Jacob: Weistümer, Erster Theil, Göttingen 1840, S.673.
10) Zoepfl, Dr. Heinrich: Geschichte der deutschen Rechtsinstitute, 2.Bd., 2.Abt. der Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Stuttgart 1847, S.118.
11) Frank, Christian (Hg.): Deutsche Gaue, Band IX von 1908, S.175.
12) Funk, Wilhelm: Alte deutsche Rechtsmale. Sinnbilder und Zeugen deutscher Geschichte. Berlin-Bremen 1940.
13) Le Bras, G.: Sur l’historie des croix rurales, in: Miscellanea Historica in honorem Alberti de Meyer, 1946, S.323.
14) Ernst, Max: Alte Steinkreuze in der Umgebung Ulms, in: Mitteilungen des Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben, Heft 29, 1934, S.48, Nr.128 und 129.
15) Nägele, Anton: Über Kreuzsteine in Württemberg und ihre Bedeutung, in: Württembergisches Jahrbuch für Statistik 1913, S.411b.
16) Hirt, Anatol / Tempel, Michael / Viering, Bjoern: Kirchenführer der Gemeinde Betzingen, o.J.
17) Grosse, Walther: Die Kaisersteine bei Altenrode im Harzgau, in: Der Harz. Heimatzeitschrift für Harzer Volkstum, Geschichte und Landschaft, November 1934, Heft 11, S.178.
18) Keil, E.: Die "Butterjungfer", ein altheiliger Nagelstein bei Quedlinburg, in: Am Heimatborn, Beilage zum "Quedlinburger Kreisblatt", 28. Mai 1929, Nr.225, S.918.
19) Hentschel, Karl-Heinz: Zweitausend Jahre Asyl und Freistätten, in: Hierzuland - Badisches und anderes von Rhein, Neckar und Main, Heft 8/16, 1993, S.52.
20) ebenda S.53.
21) Steinruck, Josef: Religiöse Symbole und Riten in ihrer Bedeutung für die Identitätsfindung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Gehl, Günter / Meyer, Rudolf (Hg.): Leben in Mittelalter und Moderne, Weimar 2003, S.27.