Die Waidgesellen Wȏdans in der wilden Jagd und seine Begleiter im wütenden Heer sind der
ursprünglichen Anschauung nach die Seelen der Verstorbenen schlechthin; deshalb ziehen in letzterem auch Frauen und Kinder mit. Da alle Toten in dieser Schar
Aufnahme finden, so freut sie sich, wenn ihr irgendwie Zuwachs in Aussicht steht, ihr Erscheinen ist für grosze Unglücksfälle vorbedeutend. So zeigt das
Mȏdisheer im schwäbischen Remstale durch seine Gegenwart das demnächstige Eintreffen eines allgemeinen
Sterbens, der Pest an. Die Chasse de Caĩn in der Normandie hat
daher ihren Namen erhalten, weil sie einen baldigen Totschlag anzeigt; und der "Grand veneur de Fontainebleau" liesz bei
hellem Tage, dicht am königlichen Schlosse, das unheilvolle Geheul seiner unsichtbaren Hunde ertönen, um Heinrich IV. von dem schrecklichen Geschick durch
Ravaillacs Mörderhand zu benachrichtigen. Erst christliche Auffassung hat die Genossen der wilden Jagd auf die Seelen groszer Verbrecher eingeschränkt. Besonders
häufig erzählt man, die wilden Jäger seien die ruhelos umgehenden Geister von Leuten, welche Sonntags, wie Werkeltags gejagt, das Landvolk durch Frohnknechte zur
Treibhatz getrieben und in ihrer wilden Lust selbst der Saaten und des Schweiszes der Bauern nicht geschont hätten. Darum trügen sie auch zur Strafe die
Köpfe unter dem Arm und ritten auf kopflosen Rossen.
Andere erklären die wilde Jagd für den bösen Feind, den seine Teufel begleiten, um die armen Seelen zu jagen. Glimpflicher
denkt man in der Oberpfalz von den Holzhetzern, d.i. bellenden Geistern in Hundegestalt, welche die wilde Jagd begleiten, um
die armen Holzfräulein zu zerreiszen. Sie sollen gefallene Engel sein, welche sich aber im Falle noch bekehrten.
Gegenüber diesen christlichen Umdeutungen in der wilden Jagd, hat das wütende Heer schon im Heidentum selbst eine Fortbildung erfahren.
Im Verlauf der kriegerischen Entwickelung unserer Mythologie, schränkte man dasselbe auf die im Kampf gefallenen Helden ein.
Nun wurde es zu einem Heere von Bewaffneten, welche in der Luft die Kämpfe des Lebens fortsetzen, und nur die Seelen ebenbürtiger Männer zu sich hinaufziehen. Mit
glänzenden Harnischen und leuchtenden Schwertern fahrt nun das Wuettenheer, zu Ross und zu Fusz durch Wälder und
Berge, bald wie zum Krieg ausziehend daher, bald ist es hoch in der Luft in wildem Streite begriffen. Eine Frau im Elsass sah ihren im Krieg umgekommenen Mann im
Haufen laufen, ihm war der Kopf auseinandergespalten. Sie lief zu ihm und band ihm das Haupt mit ihrem Schleier zusammen. Oft gewahrt man in ihrer Mitte ein leeres
Ross von riesiger Grösze und vernimmt auf Befragen, es sei bestimmt diesen, oder jenen groszen Kriegshelden abzuholen. [...]
(Mannhardt, Wilhelm - Die Götterwelt der deutschen und nordischen Völker, Berlin 1860, S.125-126)
Seitdem durch Grimm und die neuern Forschungen über germanische Mythologie der innige
Zusammenhang zwischen Wuotan und dem wüthenden Heere festgestellt ist und es keinem Zweifel mehr unterliegt, dass die Neubekehrten und ihre Bekehrer den früher
sieg und segenbringenden Umzug des obersten Gottes in die wilde Fahrt des bösen Feindes und seiner höllischen Genossen verwandelten, gewinnen die Sagern vom
wüthenden Heere und wilden Jäger für die Erforschung der Ausdehnung des Wuotancultes eine grosse Bedeutung. Ich will sie daher des Zusammenhanges wegen hier in
Betracht ziehen und nicht wie Grimm bei den Gespenstersagen, obwohl sie mannigfach in diese letztem hinüberspielen.
Die innige Beziehung zwischen Wuotan und dem wüthenden Heere wird auch durch unsre einheimischen Ueberlieferungen bestätigt. Der
Bergmann, welcher mit Frau Holke durch die Lüfte jagt, heisst in Oestreich Wetn, welcher Name sichtlich durch Zusammenziehung ans Wuotan entstand. Der wilde
Mann und Riese, der in den bairischen und tiroler Bergen die seligen Fräulein verfolgt und zerreisst, wird nach derselben Ableitung Wutan, Wut, Wode genannt. Der
wilde Jäger, der auf der Jägerwiese am Hermaanskogel bei Wien geistert, heisst in der Volkssage Karl = Herr, und wir haben in demselben durch seinen breitrandigen
Hut und sein weisses Pferd bereits oben Odhins Abbild erkannt.
Während in diesen Sagen der Führer der wilden Jagd eine rein mythische Persönlichkeit ist, so fehlt es auch bei uns nicht an
halbhistorischen Personen, welche die Volksüberlieferung in den Zauberkreis des wüthenden Heeres versetzt. So zieht der
im 10.Jahrhundert gemordete Welfe Heinrich in heiligen Zeiten als wilder Jäger auf schnaubendem Rosse, umgeben von bellenden Hunden und gefolgt von seinem
Mörder Kunz durch das Land. In der Oberpfalz reitet der Burgherr Schiedermantel, dessen Name schon auf den Mantel tragenden Hakelberend zurückweist, mit der
wilden Jagd. Dietrich von Bern, den die Böhmen Banadietrich heissen, jagt von ungezähmter Waidlust getrieben bis an den jüngsten Tag.
Ausser diesen mythischen und halbmythischen Persönlichkeiten versteht man freilich unter dem wilden Jäger nur den Teufel, welcher den
Zug des wüthenden Heeres führt. Dennoch hat sich die ursprüngliche Göttlichkeit dieser Fahrt im Volksbewusstsein nicht
gänzlich verwischen lassen und ist wohl noch in der lieblichen Musik zu erkennen, von welcher sie, wenn auch sonst als ungeheuerlich gefürchtet, nach mehreren
bairischen Sagen begleitet wird. Dieser Zug hat in unsern Sagen, die sich über alle bairischen umd Östereichischen Lande erstrecken, verschiedene Namen erhalten.
In Baiern kennt man ausser dem wüthenden Heere, der wilden Jagd und wilden Fahrt das wilde Nadglaid, Nachtg'joad oder das wilde Gejaig, dessen Sagen sich über
alle Provinzen bis an das Fichtelgebirge verbreiten. Ihr Zug geht in der Adventszeit alle Nacht, insbesondere aber in den Rauhnächten am ärgsten über unheimliche,
sogenannte enterische Stätten, Kreuzwege, Schluchten, die dem Teufel verschrieben sind. Besonderer Forschung hat Schönwerth diese Sagen in der Oberpfalz
unterworfen. Dort nennt man die wilde Jagd das Wildbeer, Nachtgjoid, Nachtatg'schrei, Nachtgloid, das wilde Goj oder Goig, und es ist gewiss von charakterisirender
Bedeutung, dass sich im benachbarten Deutschböhmen der für dies Erscheinung bräuchliche Namen Nachtgoid in einen Schimpfnamen für verhaftete Personen
umgewandelt hat, wie Rauhnacht im bairischen Walde. Man hört ihren Lärm im Frühjahr und Herbst an heiligen Zeiten, insbesondere an Samstagen nach Gebetläuten.
Ihr Zug gebt stets von Osten oder Nordost gegen Südwest "Italien zu", wie man noch sagt, und kehrt nie auf derselben Strasse zurück. Diese Eigenthümlichkeit deutet
Schönwerth als eine Erinnerung an den Zug der einwandernden - Germanen, an deren Spitze Wuotan einherfährt. So geht hinter dem Hoymann, den Scheibenhut und
Mantel als Wuotan charakterisiren, die wilde Jagd einher. Nicht minder verbreitet ist der Glaube an die wilde Jagd in Oestreich und namentlich verbinden sich hier damit
die Sagen vom schweren Wagen, indem ausdrücklich versichert wird, dass entweder der wilde Jäger auf demselben sass, oder
das Letzterer der wilden Jagd vorausfährt. In Tirol hat die wilde Jagd mehrere Namen. Gewöhnlich heisst man sie die wilde Fahrt, das wilde G'fahr oder 's wild Gschroa;
weil aber dieser Geisterzug sich besonders an Quatemberzeiten hören lässt, so führt er auch den Namen die Temper. Dass das Martingestämpfe gleichfalls in diesen
Kreis gehört, habe ich bereits weiter oben nachgewiesen. Eine besondere Abart der wilden Fahrt in Tirol ist die wilde Füa. Sie besteht darin, dass um Weihnachten eine
Schaar böser Geister alles Verwünschte, Verfluchte, Ungesegnete, Lebloses wie Lebendiges, Keuschen wie Thiere in wildem Sturm und brausendem Lärm mit sich führt,
bis es wieder erlöst wird. Auch mit der wilden Füa, wie mit der wilden Jagd geht der Zug der ungetauften Kinder, auf den ich bei Perahta zurückkommen werde. In
Steiermark geht das wilde G'jaid und ist durch ein besonderes Fuhrwerk, einen Schiffsschlitten, der unten in eine scharfe Pflugschaar ausläuft, ausgezeichnet, dessen
Bedeutung, bei der Untersuchung über die weiblichen Gottheiten festgestellt werden wird. In Kärnten endlich erzählt man von der wilden Fare.
Gleichen sich in der Hauptsache alle diese Namen - denn das bairische Nachtg'joad stimmt zum steirischen wilden Gejaid, wie zum
oberpfälzischen Nachtg'joid und zum böhmischen Nachtgoid, indem es, obwohl von der Jagd, Gejaid, herstammend, nichts anders bedeutet als das tirolische wild
G'schroa, Geschrei, nämlich ein lärmendes Hinund Wiederjagen - so finden wir auch in den einzelnen Zügen der Geistererscheinung eine durchgehende
Uebereinstimmung. In der Regel führt der wilde Jäger das - Wüthende Heer mit Hundegebell Peitschenknallen und Höllenlärm durch die Luft, gewöhnlich nur an diesem
Lärmen erkennbar, nicht aber sichtbar, weil sich der Begegnende auf das Angesicht werfen muss. Dagegen soll das Hinwegsetzen der Geisterthiere über den Liegenden
deutlich fühlbar sein. Bisweilen ist aber die Jagd auf eine Beute gerichtet. So verfolgen der Riese Wode und der wilde Mann in. Tirol die seligen Fräulein; in Steiermark
hetzen die wilden Jäger die Wildfrauen und das Gleiche muss von der wilden Fahre in Kärnten gelten, da die vorausreitenden Männer auf ihren Stangen Leichen tragen.
Ganz in derselben Weise lassen die Sagen in der Oberpfalz den wilden Jäger und die Holzhetzer auf die Moosweiblein und Holzweiblein Jagd machen, und hier, wie in
den Alpen, gewährt es den Letztern Schutz und Schirm, wenn sie einen beim Baumfällen mit 3 Kreuzen bezeichneteten Stock erreichen können. Ist diess aber nicht der
Fall, so zerreisst der wilde Jäger seine Beute und wirft denjenigen nicht selten die Hälfte oder ein Viertel einer Leiche, oder auch einen Pferdefuss, welcher verwegner
Weise beim Vorbeisausen der wilden Jagd seinen Antheil an der Beute fordert. Auch der Zug fehlt nicht, dass irdische Hunde mit fortgerissen den Zug der wilden Jagd
mitmachen, sowie dass umgekehrt Hunde des wüthenden Heeres sich eine Zeit lang bei Menschen aufhalten.
Allgemein, von Böhmen bis nach Kärnten, verbreitet ist der Glaube, dass Menschen, welche in freventlichem Uebermuth der wilden Jagd trotzen
wollen, oder ihr zufällig begegnen und sich nicht zu schützen wissen, wie durch Niederfallen, kreuzweises Legen der Arme, Festhalten des Wagengeleises u.s.w., von
dem Geisterzug gehoben und oft in bedeutende Fernen entführt worden seien. Wer aber aus Vorwitz die wilde Jagd zu sehen trachtet, dem schwillt der Kopf an, wie oben
bei dem Belauschen des schweren Wagens. Nicht selten kommt ein Begegnender mit einem der Geister in Berührung und erleidet dadurch einen Schmerz, den er nur
wieder verliert, wenn er sich in bestimmter Zeit wieder auf den Weg der wilden Fahrt begibt. Gewöhnlich sagt dann der Geist: Hier hab ich ein Hackl eingeschlagen, ich
will es wieder ausziehen und damit sind auch die Schmerzen wie weggezaubert. In einigen Gegenden des Böhmerwaldes wird kein Baum gefällt, ohne dass früher ein
Kreuz darein gehauen wurde; auf solchen gefällten Bäumen muss die wilde Jagd, welche Wandrer, die bei deren Herannahen nicht auf das Angesicht stürzten, weit mit
sich fortführt, rasten und frei lassen. Auch hier ist wohl eigentlich das Schlagen des Zeichens in den Stock des gefällten Baumes gemeint, wie oben zur Hülfe der Saligen
und Holzweiblein,
In den Zug der wilden Jagd kommen aber auch Verstorbene zur Strafe für begangene Sünden. Dahin gehören liederliche Bursche, übelberüchtigte
Dirnen, böse, unnütze Dienstmägde; insbesondere hat es aber der Volkswitz auf die Pfarrköchinnen abgesehen. Diese armen Seelen
werden gleich Rossen beschlagen, wie auch beim Hexenritt in der Öberpfalz die Weiber mit Hufeisen versehen werden, um den Männern als Rosse zu dienen. Jeder 7.
oder 9. Stamm einer Schmidefamilie hat die Obliegenheit, solche Teufelspferde zu beschlagen. Findet man nun hoch in den Bergen, wo sonst keine Pferde hinkommen,
Hufeisen, so hält man sie für solche, welche das wilde G' fahr verloren hat, und nach ihren hauptsächlichen Trägerinnen, den Pfaffenhäuserinnen, heissen sie
Pfäffeneisen. Sie sind von grossem Werthe; denn an einem Faden aufgehangen dienen, sie, gleich der Zeigruthe, zur
Auffindung verborgener Schätze. Lässt man sich aber einen Schlagring daraus machen, der freilich nur an einem Samstag-Feierabend geschmidet werden kann, so reicht
die leiseste Berührung des Gegners mit demselben hin, jenen zu Boden zu strecken. Die Eigenschaft, unüberwindlich im Ringkampf zu machen und Reichthümer zu
verleihen, kann ihnen aber unzweifelhaft nur dadurch zukommen, weil sie mit Wuotan, dem Führer der wilden Jagd, der zugleich der Geber der Siegeswaffen und aller
Wünscheldinge ist, in Berührung gebracht und durch seinen Dienst gleichsam bezaubert wurden, und so hat die Volksüberlieferung in sonst unverständlichen Zügen die
Erinnerung an den alten Gott festgehalten.
(Quitzmann, Anton - Die heidnische Religion der Baiwaren. Erster faktischer Beweis für die Abstammung dieses Volkes, Leipzig & Heidelberg, 1860, S.40-45)