Geschichte & Forschung Aberglaube & Brauchtum Aberglaube & Spuk
Sammlungen Flurdenkmal-Sagen Aberglaube & Spuk

Aberglaube - W


 Die weiße Frau als Göttergestalt 

   Von den weiblichen Göttergestalten kehrt vor allem die frühere Hauptgöttin, die Frau Holle und Holda in Nord-, Frau Berta in Süddeutschland, die weiße Frau in Gesamtdeutschland in der Sage wieder und heißt Oster-, Bergjungfrau, Fru Freen, Frien, Freke, Harke, Harre, Gode, Wand, im Süden Fru Fasten, Fronfastenweib. Von diesen Figuren ist Frau Holle besonders auch dem Märchen bekannt. Sie kann schön sein, weiß glänzend mit üppig wallendem Lockenhaar und herrlich bis zum Ideal weiblicher Schönheit, der Venus. Sie kann auch häßlich sein, alt, langnasig, groß- und lückenzahnig, strupphaarig; nach einigen ist sie vorne schön, hinten häßlich. Angetan ist sie mit weißem Schleier, blauem, grauem oder weißem Gewande. Sie ist oft traurig, oft glücklich und froh mit den Menschen bei Tanz und Spiel, erscheint aber auch als strafendes Wesen, besonders bei faulen Spinnerinnen und Wäscherinnen. Überhaupt liebt sie Flachs und Hanf und Arbeit; darum schenkt sie fleißigen Dirnen Spindeln und spinnt ihnen nachts die Spule voll, während sie den faulen den Rocken anbrennt oder beschmutzt. Wenn Fastnacht gesponnen wird, mißrät der Flachs; dann muß alles abgesponnen sein, sonst segnet sie nicht. Man schreckt Kinder mit ihr, sie wirft Kinder ins Feuer, holt vor allem ungetaufte Kinder; aber sie hat auch ein Kinderparadies in einem Berge, wo sie auch andern Toten lieblichen Aufenthalt gewährt, wohin sie aber auch manchen lebenden Menschen lockt, der dann meistens in ihrer Gewalt bleibt. [...] Oft zieht sie mit dem wilden Jäger umher, oft wird sie von ihm gejagt; sie jagt auch selber, und der getreue Eckart zieht vorauf. Sie verwirrt den Menschen Haare und Verstand; ein Ungekämmter, Unordentlicher "ist mit der Holle gefahren"; ihr Schlag bringt Schwellung, ihr Griff Entzündung hervor; sie schleudert ihr Beil auf Menschen, schneidet Menschen den Bauch auf und füllt ihn mit Haar- und Flachswickeln. [...]
(Wehrhan, Karl - Die Sage, Handbücher zur Volkskunde, Band 1, 1908, S.85-86)

Denkmale mit allg. Bezug:
Rothenstein III (TH)
Quedlinburg (SA)
Bermsgrün (SN)

Berggießhübel (SN)
Droben II (SN)




 Die Kindsmörderin als spukende weiße Frau 

   Wie die Lurlei, die schöne goldlockige Jungfrau oder Elfe des Rheines, und wahrscheinlich auch die scheintote, von einem Diebe aufgeweckte und zu ihrem Gemahl zurückkehrende weiße Frau hierher gehört, so auch die aus den meisten alten Schlössern der Fürstengeschlechter bekannte weiße Frau, die Ahnfrau vieler edlen Familien. Die bekannteste ist wohl Agnes, Gräfin zu Orlamünde, die zur Strafe für freventlichen Kindermord wiederkehren muß; aber, wie gesagt, auch sonst erscheint sie, sowohl in süddeutschen, böhmischen und norddeutschen Schlössern, z.B. in Berlin und Detmold.
(Wehrhan, Karl - Die Sage, Handbücher zur Volkskunde, Band 1, 1908, S.86)

Kindesmörderin
   Bei vielen Völkern ist Kindesmord, d.h. Mord Neugeborener, welche noch nicht in die soziale Gemeinschaft aufgenommen waren ein vielgebrauchtes und wahrscheinlich notwendiges Mittel, um einem unerwünschten Wachsen der Volkszahl oder einer relativen Übervölkerung zu Zeiten plötzlich einbrechender Hungersnot, wie sie in früheren Zeiten öfter eintrat, vorzubeugen. Besonders häufig fallen Mädchen diesen Beschränkungstendenzen zum Opfer. In China sollen an öffentlichen Kanälen in größeren Städten Steine mit der Aufschrift stehen: "Hier dürfen keine Mädchen ertränkt werden". [...]
   [...] Als die Germanen in die Geschichte eintraten, waren sie in einem Stadium starker Expansion; es gab also kaum einen Grund zum Kindermord wegen etwaiger Enge des Nahrungsspielraumes. Gleichzeitig begann sich die streng patriarchale Familienverfassung voll auszuwirken, welche es der Frau möglichst versagte, rechtlich relevante Handlungen zu setzen. So kam es, daß zwar noch die lex Frisionum der Mutter das Recht zugestand, ihre Kinder gleich nach der Geburt zu töten, daß aber späterhin und zwar bis in das 17.Jh. zwar der Vater die Tötung eines neugeborenen Kindes (s. Aussetzung) verfügen konnte, diese aber von Seiten der Mutter als todeswürdiges Verbrechen galt. Vergriff sich die Mutter an dem Kinde, so vergriff sie sich eben an dem Eigentume ihres Gatten und seiner Sippe. Auch bei anderen Völkern, z.B. bei den streng patriarchal organisierten Dschaggas, bildete es einen Teil des Unterrichtes bei den Jünglingsweihen, die künftigen Ehemänner über die möglichen geheimen Mordpraktiken der Frauen gegen ihre Kinder aufzuklären.
   Bei den Germanen erlitt die Kindesmörderin die Todesstrafe häufig in der Art, daß sie zwischen zwei Dornenbündeln oder auf einer Unterlage von Dornen, Brennnesseln und glühenden Kohlen begraben wurde. Bisweilen wurde die lebendig Begrabene mit einem Pfahl durchstoßen, bisweilen wurden ihre Leiden dadurch verlängert, daß man ihr künstlich Luft zuführte. Eine tiefe Grube sollte gemacht werden und man sie "allda lassen sterben und verderben, damit weder Kind noch gewachsene Lüten von ihr kein Schaden empfangen", da man auch noch von dem toten Leibe der Kindesmörderin wie dem der Ehebrecherin und anderer Hexen Schaden erwartete.
   Später wurden Kindesmörderinnen häufig ertränkt (auch im Sack) - es wurde dabei aber nicht immer jede Möglichkeit der Rettung ausgeschlossen. Ebenfalls mit der Absicht, das Los der Kindesmörderin zu mildern, wurde sie später geköpft. Bei einer solchen Gelegenheit sah der Scharfrichter bei der Hinrichtung drei Köpfe vor sich. Man schloß daraus, daß die Frau eine Doppelmörderin sein müsse. Als eine Kindesmörderin unschuldig hingerichtet wurde, war ihr Blut nicht zu stillen.
   Außer der zeitlichen harrte ihrer auch ewige Strafe. Die Kindesmörderin spukt, geht um, häufig an der Stelle, wo sie ihr Kind ermordete oder es vergraben hat. Der wilde Jäger jagt sie. Sie erscheinen dabei vielfach als schöne weiße Jungfrauen, manchmal in Gestalt weißer Tauben. Keine Reue, kein noch so triftiger Milderungsgrund bewahrt sie vor diesem Schicksal.
   Allerdings die kirchliche Praxis, so strenge sie gegen Kindesmörderinnen einschritt, sie erklärte auch Kindesmord von Seiten des Vaters unter allen Umständen für ein homicidium - machte einen großen Unterschied, "ob sie es in ihrer Armut wegen Schwierigkeit der Ernährung getan, oder ob sie eine Metze war, oder um ihr Vergehen zu verheimlichen". Die Kirche mußte um so strenger den Kindesmord verdammen, als diese Kinder ja der Taufe verlustig gingen. Deshalb wird auch durch die Gebeine der getöteten Kinder mancherlei Spuk veranlaßt. Aber diese psychologische Differenzierung blieb dem Volksbewußtsein lange fremd.
   Als Kindesmord in uneigentlichem Sinne stellen sich jene Bau- und Sühnopfer dar, bei welchen Kinder, meist lebendig, an den Dämon hingegeben werden. Nicht der Mord, das Hinwegräumen des Kindes ist hier Zweck der Handlung, sondern die Abwehr feindlicher Einflüsse oder die Gewinnung eines Schutzgeistes. Wenn vorzugsweise Kinder zu solchem Opfer gewählt werden, so geschieht das, weil es für die Gemeinschaft leichter ist, ein Kind als einen Erwachsenen zu entbehren, sie dem Dämon aber wegen ihrer größeren Geisteskraft willkommener sind.
   Das "Kindlimordrätsel-Motiv" tritt meist in der Form auf, daß folgende drei Fragen gestellt werden: Was ist weicher als Vogelflaum? (Der Mutterschoß.) Was ist süßer als Honigseim? (Die Mutterbrust.) Was ist härter als Kieselstein? (Das Vaterherz). Die Lösung der Rätselfragen lehrt die Muttergottes selbst einem von seinem Vater an den Teufel verkauften Kind, das durch Beantwortung der Fragen gerettet wird. Ein hartherziger Vater legt die Frage seinem Kinde selbst vor, bevor er die Tat vollführt. Eine andere Variante berichtet, daß eine Mutter ihr Kind als Bauopfer verkauft habe, welches dann ins Wasser geworfen wurde, weil ein großes Loch beim Stördeich bei Heiligensteden sich nicht ausfüllen lassen wollte. Dreimal auftauchend rief es das erstemal: "Ist nichts so weich als Mutterschoß"? Das zweitemal: "Ist nichts so süß als Mutters Lieb"? Das drittemal: "Ist nichts so fest als Mutters Treu"?
   Diese Rätselfragen zeigen schon die Verurteilung des Kindesmordes, zu welchem Zweck auch immer. Unter dem Einfluß der katholischen Kirche wurde der Schutz des Lebens des Kindes auch auf den Embryo ausgedehnt. Fast alle modernen Gesetzgebungen stehen auch heute noch auf diesem Standpunkt.
(Hoffmann-Krayer / Bächtold-Stäubli - Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, 1931/32, Band IV, Sp.1388-1393)

Denkmale mit Bezug darauf:
Unterneudorf (BW)

Fürth II (HE)




 Die weiße Frau als Pestjungfrau 

   Schön ist das bretagnische Lied über die Pest von Elliant. Ein Müller, geht die Sage, sah am Furt des Flusses eine weißgekleidete Frau, mit dem Stab in der Hand, sitzen, die übergefahren sein wollte. Er nahm sie aufs Pferd und brachte sie hinüber. Da sagte sie: "Junger Mann, weißt du auch, wen du überführtest? Ich bin die Pest; schon habe ich meinen Umgang durch die Bretagne geendet, jetzt will ich in die Kirche von Elliant zur Messe, und wen mein Stab berührt, der wird schnell sterben, dir aber und deiner Mutter soll kein Leid geschehn." So geschah es, alle Leute in der Burg starben, zwei ausgenommen, die arme Witwe und ihr Sohn. Nach einem Volkslied trägt er die Pest auf den Schultern. [...] Das Begehren überzufahren ist ganz wie bei der Göttin Bertha oder bei elbischen Wesen.
   Wenn eine Seuche Littauen trifft, so steht (man darf den Waideloten Glauben beimessen) sichtbar auf einsamen Gottesäckern und Feldern die Pestjungfrau in weißem Kleid, einen feurigen Kranz um die Schäfe. An der Stirn trägt sie Zauberstäbe, mit der Hand schwingt sie ein blutiges Tuch. Langsamen Schrittes geht sie in Dörfer, Schlösser und reiche Städte; so oft sie mit dem Tuche winkt, wandeln sich Paläste in Wüsten. Wohin ihr Fuß tritt, öffnet sich ein frisches Grab.
   Polnische Sagen erzählen von der Pest: In weißem Gewand auf Stelzen schreitet sie einher, nennt sich einem Manne, dem sie begegnet, und will auf seinen Schultern durch ganz Reußen getragen sein; er selbst mitten unter den Toten solle gesund bleiben. Der Mann trägt sie nun durch Städte und Dörfer, wo sie mit dem Tuche weht, stirbt alles dahin und vor ihnen fliehen alle Menschen. Am Pruth dachte er sie zu ertränken und sprang in den Strom, sie aber hob sich federleicht in die Höhe und eilte in die Waldgebirge, während der Mann unterging.
   In einer anderen Erzählung heißt sie Dzuma (russisch, serbisch Tschuma); solange sie herrscht, stehen die Dörfer öde, die Hähne sind heiser und können nicht mehr krähen, die Hunde bellen nicht mehr, doch wittern sie die Pest von weitem und knurren. Ein Bauer sah sie in weißem Gewande mit flatterndem Haar über einen hohen Zaun setzen und die Leiter hinaufklimmen, um den heulenden Hunden zu entgehen. Rasch nähert er sich der Leiter und stößt sie um, daß die Pest hinab unter die Hunde fällt; da droht sie noch mit Rache und verschwindet. [...]
   Die Serben sagen, Kuga sei eine leibhaftige Frau, die in weißen Schleier gehüllt gehe. Viele haben sie so gesehen, einige getragen. Sie kam zu einem Menschen aufs Feld oder begegnete ihm unterwegs und sagte: "Ich bin die Kuga, trag mich dorthin!" Der Mann nahm sie Huckepack und trug sie ohne Mühe dahin, wo sie wollte. Die Kugen haben ihr Land beim Meer, aber Gott schickt sie, wenn die Leute übel tun und viel sündigen. Zur Zeit, wo die Pest würgt, nennt man sie nicht Kuga, sondern Kuma (Gevatterin), um sie geneigt zu machen. Dann wagt man auch nicht, ungewaschene Gefäße stehen zu lassen, denn nachts geht sie durch die Küche, und wo sie dergleichen erblickt, scheuert und fegt sie alle Löffel und Schüsseln (und wird dadurch im Haus aufgehalten), zuweilen trägt sie auch den Speck aus dem Boden weg.
   Hier erscheint sie wiederum nach Art der alten Göttinnen, unserer Holda und Bertha, die keine Unordnung im Haushalt leiden. [...]
   In der Lausitz schleicht Smertnitza weißgestaltet in den Dörfern um: in dem haus, zu dem sie ihren Schritt kehrt, gibt es bald eine Leiche. Im Hause selbst tut sie ihre Gegenwart kund durch Pochen und Brettwerfen. Zuckungen Sterbender sind Kennzeichen, daß sich Smertnitza ihrer bemächtige.
   Es kann nicht im mindesten zweifelhaft bleiben, daß alle diese verschiedenartigen Personifikationen der Pest als Ausflüsse höherer Gottheiten des Altertums zu betrachten sind, deren mitleidige und furchtbare Gewalt dabei wechselweise vortritt. Weißgeschleiert schreiten sie einher gleich Bertha und der zu Mittag im Getreide wandelnden Mutter. Pestjungfrau und Schicksalsjungfrau berühren sich nahe, die versehrende Göttin und die heilende, schonende Eir.
(Grimm, Jakob - Deutsche Mythologie, Volksausgabe von 1939, Bernina-Verlag Wien-Leipzig, S.676-679)




 Die wilde Jagd 

   Die Waidgesellen Wȏdans in der wilden Jagd und seine Begleiter im wütenden Heer sind der ursprünglichen Anschauung nach die Seelen der Verstorbenen schlechthin; deshalb ziehen in letzterem auch Frauen und Kinder mit. Da alle Toten in dieser Schar Aufnahme finden, so freut sie sich, wenn ihr irgendwie Zuwachs in Aussicht steht, ihr Erscheinen ist für grosze Unglücksfälle vorbedeutend. So zeigt das Mȏdisheer im schwäbischen Remstale durch seine Gegenwart das demnächstige Eintreffen eines allgemeinen Sterbens, der Pest an. Die Chasse de Caĩn in der Normandie hat daher ihren Namen erhalten, weil sie einen baldigen Totschlag anzeigt; und der "Grand veneur de Fontainebleau" liesz bei hellem Tage, dicht am königlichen Schlosse, das unheilvolle Geheul seiner unsichtbaren Hunde ertönen, um Heinrich IV. von dem schrecklichen Geschick durch Ravaillacs Mörderhand zu benachrichtigen. Erst christliche Auffassung hat die Genossen der wilden Jagd auf die Seelen groszer Verbrecher eingeschränkt. Besonders häufig erzählt man, die wilden Jäger seien die ruhelos umgehenden Geister von Leuten, welche Sonntags, wie Werkeltags gejagt, das Landvolk durch Frohnknechte zur Treibhatz getrieben und in ihrer wilden Lust selbst der Saaten und des Schweiszes der Bauern nicht geschont hätten. Darum trügen sie auch zur Strafe die Köpfe unter dem Arm und ritten auf kopflosen Rossen. Andere erklären die wilde Jagd für den bösen Feind, den seine Teufel begleiten, um die armen Seelen zu jagen. Glimpflicher denkt man in der Oberpfalz von den Holzhetzern, d.i. bellenden Geistern in Hundegestalt, welche die wilde Jagd begleiten, um die armen Holzfräulein zu zerreiszen. Sie sollen gefallene Engel sein, welche sich aber im Falle noch bekehrten.
   Gegenüber diesen christlichen Umdeutungen in der wilden Jagd, hat das wütende Heer schon im Heidentum selbst eine Fortbildung erfahren. Im Verlauf der kriegerischen Entwickelung unserer Mythologie, schränkte man dasselbe auf die im Kampf gefallenen Helden ein. Nun wurde es zu einem Heere von Bewaffneten, welche in der Luft die Kämpfe des Lebens fortsetzen, und nur die Seelen ebenbürtiger Männer zu sich hinaufziehen. Mit glänzenden Harnischen und leuchtenden Schwertern fahrt nun das Wuettenheer, zu Ross und zu Fusz durch Wälder und Berge, bald wie zum Krieg ausziehend daher, bald ist es hoch in der Luft in wildem Streite begriffen. Eine Frau im Elsass sah ihren im Krieg umgekommenen Mann im Haufen laufen, ihm war der Kopf auseinandergespalten. Sie lief zu ihm und band ihm das Haupt mit ihrem Schleier zusammen. Oft gewahrt man in ihrer Mitte ein leeres Ross von riesiger Grösze und vernimmt auf Befragen, es sei bestimmt diesen, oder jenen groszen Kriegshelden abzuholen. [...]
(Mannhardt, Wilhelm - Die Götterwelt der deutschen und nordischen Völker, Berlin 1860, S.125-126)

   Seitdem durch Grimm und die neuern Forschungen über germanische Mythologie der innige Zusammenhang zwischen Wuotan und dem wüthenden Heere festgestellt ist und es keinem Zweifel mehr unterliegt, dass die Neubekehrten und ihre Bekehrer den früher sieg und segenbringenden Umzug des obersten Gottes in die wilde Fahrt des bösen Feindes und seiner höllischen Genossen verwandelten, gewinnen die Sagern vom wüthenden Heere und wilden Jäger für die Erforschung der Ausdehnung des Wuotancultes eine grosse Bedeutung. Ich will sie daher des Zusammenhanges wegen hier in Betracht ziehen und nicht wie Grimm bei den Gespenstersagen, obwohl sie mannigfach in diese letztem hinüberspielen.
   Die innige Beziehung zwischen Wuotan und dem wüthenden Heere wird auch durch unsre einheimischen Ueberlieferungen bestätigt. Der Bergmann, welcher mit Frau Holke durch die Lüfte jagt, heisst in Oestreich Wetn, welcher Name sichtlich durch Zusammenziehung ans Wuotan entstand. Der wilde Mann und Riese, der in den bairischen und tiroler Bergen die seligen Fräulein verfolgt und zerreisst, wird nach derselben Ableitung Wutan, Wut, Wode genannt. Der wilde Jäger, der auf der Jägerwiese am Hermaanskogel bei Wien geistert, heisst in der Volkssage Karl = Herr, und wir haben in demselben durch seinen breitrandigen Hut und sein weisses Pferd bereits oben Odhins Abbild erkannt.
   Während in diesen Sagen der Führer der wilden Jagd eine rein mythische Persönlichkeit ist, so fehlt es auch bei uns nicht an halbhistorischen Personen, welche die Volksüberlieferung in den Zauberkreis des wüthenden Heeres versetzt. So zieht der im 10.Jahrhundert gemordete Welfe Heinrich in heiligen Zeiten als wilder Jäger auf schnaubendem Rosse, umgeben von bellenden Hunden und gefolgt von seinem Mörder Kunz durch das Land. In der Oberpfalz reitet der Burgherr Schiedermantel, dessen Name schon auf den Mantel tragenden Hakelberend zurückweist, mit der wilden Jagd. Dietrich von Bern, den die Böhmen Banadietrich heissen, jagt von ungezähmter Waidlust getrieben bis an den jüngsten Tag.
   Ausser diesen mythischen und halbmythischen Persönlichkeiten versteht man freilich unter dem wilden Jäger nur den Teufel, welcher den Zug des wüthenden Heeres führt. Dennoch hat sich die ursprüngliche Göttlichkeit dieser Fahrt im Volksbewusstsein nicht gänzlich verwischen lassen und ist wohl noch in der lieblichen Musik zu erkennen, von welcher sie, wenn auch sonst als ungeheuerlich gefürchtet, nach mehreren bairischen Sagen begleitet wird. Dieser Zug hat in unsern Sagen, die sich über alle bairischen umd Östereichischen Lande erstrecken, verschiedene Namen erhalten. In Baiern kennt man ausser dem wüthenden Heere, der wilden Jagd und wilden Fahrt das wilde Nadglaid, Nachtg'joad oder das wilde Gejaig, dessen Sagen sich über alle Provinzen bis an das Fichtelgebirge verbreiten. Ihr Zug geht in der Adventszeit alle Nacht, insbesondere aber in den Rauhnächten am ärgsten über unheimliche, sogenannte enterische Stätten, Kreuzwege, Schluchten, die dem Teufel verschrieben sind. Besonderer Forschung hat Schönwerth diese Sagen in der Oberpfalz unterworfen. Dort nennt man die wilde Jagd das Wildbeer, Nachtgjoid, Nachtatg'schrei, Nachtgloid, das wilde Goj oder Goig, und es ist gewiss von charakterisirender Bedeutung, dass sich im benachbarten Deutschböhmen der für dies Erscheinung bräuchliche Namen Nachtgoid in einen Schimpfnamen für verhaftete Personen umgewandelt hat, wie Rauhnacht im bairischen Walde. Man hört ihren Lärm im Frühjahr und Herbst an heiligen Zeiten, insbesondere an Samstagen nach Gebetläuten. Ihr Zug gebt stets von Osten oder Nordost gegen Südwest "Italien zu", wie man noch sagt, und kehrt nie auf derselben Strasse zurück. Diese Eigenthümlichkeit deutet Schönwerth als eine Erinnerung an den Zug der einwandernden - Germanen, an deren Spitze Wuotan einherfährt. So geht hinter dem Hoymann, den Scheibenhut und Mantel als Wuotan charakterisiren, die wilde Jagd einher. Nicht minder verbreitet ist der Glaube an die wilde Jagd in Oestreich und namentlich verbinden sich hier damit die Sagen vom schweren Wagen, indem ausdrücklich versichert wird, dass entweder der wilde Jäger auf demselben sass, oder das Letzterer der wilden Jagd vorausfährt. In Tirol hat die wilde Jagd mehrere Namen. Gewöhnlich heisst man sie die wilde Fahrt, das wilde G'fahr oder 's wild Gschroa; weil aber dieser Geisterzug sich besonders an Quatemberzeiten hören lässt, so führt er auch den Namen die Temper. Dass das Martingestämpfe gleichfalls in diesen Kreis gehört, habe ich bereits weiter oben nachgewiesen. Eine besondere Abart der wilden Fahrt in Tirol ist die wilde Füa. Sie besteht darin, dass um Weihnachten eine Schaar böser Geister alles Verwünschte, Verfluchte, Ungesegnete, Lebloses wie Lebendiges, Keuschen wie Thiere in wildem Sturm und brausendem Lärm mit sich führt, bis es wieder erlöst wird. Auch mit der wilden Füa, wie mit der wilden Jagd geht der Zug der ungetauften Kinder, auf den ich bei Perahta zurückkommen werde. In Steiermark geht das wilde G'jaid und ist durch ein besonderes Fuhrwerk, einen Schiffsschlitten, der unten in eine scharfe Pflugschaar ausläuft, ausgezeichnet, dessen Bedeutung, bei der Untersuchung über die weiblichen Gottheiten festgestellt werden wird. In Kärnten endlich erzählt man von der wilden Fare.
   Gleichen sich in der Hauptsache alle diese Namen - denn das bairische Nachtg'joad stimmt zum steirischen wilden Gejaid, wie zum oberpfälzischen Nachtg'joid und zum böhmischen Nachtgoid, indem es, obwohl von der Jagd, Gejaid, herstammend, nichts anders bedeutet als das tirolische wild G'schroa, Geschrei, nämlich ein lärmendes Hinund Wiederjagen - so finden wir auch in den einzelnen Zügen der Geistererscheinung eine durchgehende Uebereinstimmung. In der Regel führt der wilde Jäger das - Wüthende Heer mit Hundegebell Peitschenknallen und Höllenlärm durch die Luft, gewöhnlich nur an diesem Lärmen erkennbar, nicht aber sichtbar, weil sich der Begegnende auf das Angesicht werfen muss. Dagegen soll das Hinwegsetzen der Geisterthiere über den Liegenden deutlich fühlbar sein. Bisweilen ist aber die Jagd auf eine Beute gerichtet. So verfolgen der Riese Wode und der wilde Mann in. Tirol die seligen Fräulein; in Steiermark hetzen die wilden Jäger die Wildfrauen und das Gleiche muss von der wilden Fahre in Kärnten gelten, da die vorausreitenden Männer auf ihren Stangen Leichen tragen. Ganz in derselben Weise lassen die Sagen in der Oberpfalz den wilden Jäger und die Holzhetzer auf die Moosweiblein und Holzweiblein Jagd machen, und hier, wie in den Alpen, gewährt es den Letztern Schutz und Schirm, wenn sie einen beim Baumfällen mit 3 Kreuzen bezeichneteten Stock erreichen können. Ist diess aber nicht der Fall, so zerreisst der wilde Jäger seine Beute und wirft denjenigen nicht selten die Hälfte oder ein Viertel einer Leiche, oder auch einen Pferdefuss, welcher verwegner Weise beim Vorbeisausen der wilden Jagd seinen Antheil an der Beute fordert. Auch der Zug fehlt nicht, dass irdische Hunde mit fortgerissen den Zug der wilden Jagd mitmachen, sowie dass umgekehrt Hunde des wüthenden Heeres sich eine Zeit lang bei Menschen aufhalten.
   Allgemein, von Böhmen bis nach Kärnten, verbreitet ist der Glaube, dass Menschen, welche in freventlichem Uebermuth der wilden Jagd trotzen wollen, oder ihr zufällig begegnen und sich nicht zu schützen wissen, wie durch Niederfallen, kreuzweises Legen der Arme, Festhalten des Wagengeleises u.s.w., von dem Geisterzug gehoben und oft in bedeutende Fernen entführt worden seien. Wer aber aus Vorwitz die wilde Jagd zu sehen trachtet, dem schwillt der Kopf an, wie oben bei dem Belauschen des schweren Wagens. Nicht selten kommt ein Begegnender mit einem der Geister in Berührung und erleidet dadurch einen Schmerz, den er nur wieder verliert, wenn er sich in bestimmter Zeit wieder auf den Weg der wilden Fahrt begibt. Gewöhnlich sagt dann der Geist: Hier hab ich ein Hackl eingeschlagen, ich will es wieder ausziehen und damit sind auch die Schmerzen wie weggezaubert. In einigen Gegenden des Böhmerwaldes wird kein Baum gefällt, ohne dass früher ein Kreuz darein gehauen wurde; auf solchen gefällten Bäumen muss die wilde Jagd, welche Wandrer, die bei deren Herannahen nicht auf das Angesicht stürzten, weit mit sich fortführt, rasten und frei lassen. Auch hier ist wohl eigentlich das Schlagen des Zeichens in den Stock des gefällten Baumes gemeint, wie oben zur Hülfe der Saligen und Holzweiblein,
   In den Zug der wilden Jagd kommen aber auch Verstorbene zur Strafe für begangene Sünden. Dahin gehören liederliche Bursche, übelberüchtigte Dirnen, böse, unnütze Dienstmägde; insbesondere hat es aber der Volkswitz auf die Pfarrköchinnen abgesehen. Diese armen Seelen werden gleich Rossen beschlagen, wie auch beim Hexenritt in der Öberpfalz die Weiber mit Hufeisen versehen werden, um den Männern als Rosse zu dienen. Jeder 7. oder 9. Stamm einer Schmidefamilie hat die Obliegenheit, solche Teufelspferde zu beschlagen. Findet man nun hoch in den Bergen, wo sonst keine Pferde hinkommen, Hufeisen, so hält man sie für solche, welche das wilde G' fahr verloren hat, und nach ihren hauptsächlichen Trägerinnen, den Pfaffenhäuserinnen, heissen sie Pfäffeneisen. Sie sind von grossem Werthe; denn an einem Faden aufgehangen dienen, sie, gleich der Zeigruthe, zur Auffindung verborgener Schätze. Lässt man sich aber einen Schlagring daraus machen, der freilich nur an einem Samstag-Feierabend geschmidet werden kann, so reicht die leiseste Berührung des Gegners mit demselben hin, jenen zu Boden zu strecken. Die Eigenschaft, unüberwindlich im Ringkampf zu machen und Reichthümer zu verleihen, kann ihnen aber unzweifelhaft nur dadurch zukommen, weil sie mit Wuotan, dem Führer der wilden Jagd, der zugleich der Geber der Siegeswaffen und aller Wünscheldinge ist, in Berührung gebracht und durch seinen Dienst gleichsam bezaubert wurden, und so hat die Volksüberlieferung in sonst unverständlichen Zügen die Erinnerung an den alten Gott festgehalten.
(Quitzmann, Anton - Die heidnische Religion der Baiwaren. Erster faktischer Beweis für die Abstammung dieses Volkes, Leipzig & Heidelberg, 1860, S.40-45)

Denkmale mit Bezug darauf:
Leuchtenberg I (BY)
Enns III (AUT)

Stelzen I (TH)




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