Beiträge zur Geschichte der Steinkreuze


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Ein Kreuz zur Sühne, zum Gedenken...
Alte Steinkreuze im Kreis Kaiserslautern
von Fred Weinmann


Ramstein, Pfaffenkreuz
Da und dort treffen wir in unserer engeren Heimat auf jene alten, verwitterten Steinkreuze, die, in ihrer einfachen, gedrungenen Form überall in deutschen Landen stehen. Die hohen Steinkruzifixe, die als Devotionsmale Dorfstraßen und Fluren zieren, scheiden aus unserer Betrachtung aus.
Die Forschung hat sich vor allem in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts mit diesen altersgrauen Zeugen vergangener Zeiten beschäftigt und ihr rätselhaftes Dasein zu ergründen versucht. Man hat für Mitteleuropa ungefähr 3000 dieser Steinkreuze errechnet; zu Hunderten zählt man sie in den einzelnen deutschen Landschaften, in der Pfalz habe ich kaum mehr als drei Dutzend gefunden. Aber Urkunden, Grenzbeschreibungen, Orts- und Flurnamen verraten uns, dass wir einst hinter den übrigen deutschen Gauen nicht zurückstanden. Es waren nicht nur die Bilderstürmer der Reformationszeit und der Französischen Revolution, die den Bestand an diesen Malen reduzierten, auch unsere Zeit hat sie nicht geschont. Straßenbau und Flurbereinigung, mangelnde Achtung und sinnlose Zerstörungswut haben ihnen, neben der Verwitterung, hart zugesetzt.
Zu Anfang unseres Jahrhunderts fand man beim Straßenbau im Gehängeschutt unweit Mehlingen ein solches Kreuz, das man verständnislos zerschlug und beim Brückenbau verwendete. In unserer Zeit verschwand auch das einzige Kreuz auf der Kaiserslauterer Flur, das sogenannte "Zimmermannskreuz", an der alten Straße zur Eselsfürth. Andererseits soll nicht verkannt werden, dass Heimatfreunde sich um die wenigen noch, erhaltenen Male bemühen. Die Fragmente des Johanniskreuzes hat man vor wenigen Jahren ergänzt und wieder aufgerichtet. Die Ramsteiner sorgten für ihr bedrohtes "Pfaffenkreuz", das sie aus dem Gefahrenbereich des Flugplatzes in den ortsnahen Wald rückten. Auch das hinfällige "Baudweiler Kreuz", das zwischen Enkenbach und Münchweiler, jenseits unserer Kreisgrenze, steht, ersetzte man durch eine neues, das dem alten treu nachgebildet ist.
Wir begegnen diesen Kreuzen nicht nur am Straßenrand, sondern auch an einsamen Wegen, ja in der Tiefe des Waldes. Aber viele der stillen Pfade waren ehedem wichtige Verkehrswege. So stand das "Pfaffenkreuz" an der Heerstraße, die durch den Reichswald nach Westen zog. Auch das beschädigte Kombekreuz steht an der alten Geleitsstraße, die den Rhein über Neuleiningen mit Kaiserslautern verband. Die stille Waldstraße am Schorlenberg war noch bis ins letzte Jahrhundert eine stark benutzte Verkehrsstraße.
Diese Kreuze sind aus dem heimischen Sandstein gemeißelt. Aber der Verwitterungsgrad ist bei der so verschiedenen Qualität des Steines kein sicheres Kennzeichen für das Alter der Male. Eine genaue Datierung ist nicht leicht, denn sie tragen ganz selten eine Jahreszahl, und urkundliche Nachrichten sind dürftig. Stilmerkmale ermöglichen uns vereinzelt die ungefähre Entstehungszeit festzulegen, wie beim Torstensonkreuz bei Hochspeyer (2. Hälfte des 15. Jahrhunderts) oder beim Johanniskreuz, dessen Wappenformen ins 13. oder frühe 14. Jahrhundert weisen. Von den ältesten Kreuzen unseres Kreises trägt nur das auf dem Kreuzberg zwischen Rodenbach und Weilerbach eine verblichene Jahreszahl, in der man das Jahr 1627 vermutet. Weniger betagte Male geben bereitwillig Auskunft, wie das später gesetzte Johanniskreuz und das "Hannikelskreuz", die beide auf das Jahr 1769 zurückgehen.
Keines dieser Flurdenkmäler gleicht im Zuschnitt dem anderen. Es sind durchweg Monolithe, d. h. sie sind aus einem Stein herausgehauen. Die Urform ist das lateinische Kreuz mit den rechtwinkelig sich schneidenden Armen. Sie gilt als die älteste und hat sich bis heute als Standardform behauptet. Doch der Formenlust der Steinmetzen waren keine Grenzen gesetzt. Die gefälligere Kontur des Malteserkreuzes, bei dem sich die Balken wie beim "Eisernen Kreuz" nach außen verbreitern, ist in verschiedenen Abwandlungen bei uns gegeben, wie beim "Pfaffen"- und "Kunzenkreuz" (Ramstein). Konkav geschwungen endigen die Balken des Johanniskreuzes, und -halbkreisförmig gerundet sind alle Begrenzungslinien des sogenannten "Metzgerkreuzes", das neben dem Kombekreuz steht.
Die Steine sind in ihren Abmessungen niedrig, gehalten, wenn wir das Torstensonkreuz als Sonderform ausnehmen. Es unterscheidet sich nicht nur durch seine Höhe, sondern auch durch seine bildhauerische Gestaltung von den anderen. Über die Entstehungsursachen dieser Male gibt es mancherlei Interpretationen. Die Forschung kann nur in den seltensten Fällen nachweisen, daß die Kreuze als Weichbild-, Bann-, Gerichts- oder Geleitsgrenzzeichen aufgerichtet wurden. Die meisten werden als Sühnezeichen gedeutet, und damit zwingen sie uns, die Rechtsauffassung vergangener Zeiten zu streifen. Unsere Vorfahren waren rauflustige Gesellen, und das Leben eines Menschen galt nicht viel. Während der ertappte Dieb am Galgen endete, empfand man die Tötung eines Menschen als Friedensbruch. Er mußte der Familie des Getöteten, dem Gerichtsherrn und der Kirche gegenüber gesühnt werden. Die Hinterbliebenen nahmen sich nach altgermanischer Auffassung das Recht, am Mörder oder seinen Angehörigen Vergeltung zu üben. Diese Blutrache sollte durch den Sühnevertrag unterbunden werden. Die Kirche forderte für die Seele des Getöteten, die unvorbereitet ins Jenseits ging, Totenmessen, Wachs für Lichter, Wallfahrten und die Errichtung eines Steinkreuzes. Dieses sollte die Vorübergehenden auffordern, ein Gebet für den so jäh Verblichenen zu sprechen.

Anstelle des altgermanischen Sippschaftsrechtes trat die Sorge der Kirche um das Seelenheil des Toten. Man vermutete demnach in der Funktion des Sühnekreuzes neben dem rechtlichen und religiösen Sinngehalt ein Stück altgermanischen Rechtsempfindens. Die ältesten Sühneverträge reichen vereinzelt bis ins 13. Jahrhundert zurück. Sie verschwanden im 16. Jahrhundert. Einmal widersprachen sie der religiösen Einstellung der Reformation, und dann übernahm in dieser Zeit die weltliche Obrigkeit die Bestrafung. Anstelle der privatrechtlichen Sühne war durch die "Halsgerichtsordnung" Karls V. Verurteilung und Strafvollzug an die Staatsgewalt übergegangen.
Manche Forscher bringen den Brauch des Kreuzsetzens mit dem Totenkult unserer Vorfahren in Verbindung. Sie erinnern an die nordischen Bauta- und Runensteine und an die keltischen Menhire und wollen das Kreuz als die christliche Form des altheidnischen Steinkultes deuten. Die historischen Zusammenhänge können hier nicht herausgestellt, es soll nur auf die Erkenntnis einer verwandten religiösen Verhaltensweise, auf den Sinn frommer Steinsetzung, hingewiesen werden. Es gibt auch frühmittelalterliche Bußordnungen, die nicht nur den Nachweis erbringen, daß es vor über 1000 Jahren schon Steinkreuze gab, sondern die harte Strafen denen androhen, die sich zu abergläubischen Bräuchen an diesen Malen versammelten. Man fürchtete sich dereinst vor der Wiederkehr dessen, der eines gewaltsamen Todes gestorben war. Durch das Steinkreuz sollte die umherirrende Seele Ruhe finden, da der Stein als Sitz der Toten galt. So begreift man auch die abergläubische Scheu unserer Ahnen, nachts an diesen Malen vorüberzugehen. —
Aber nicht alle Male sind Sühnezeichen für einen gewaltsamen Tod. Eine große Zahl sind Gedenksteine für Verunglückte, für einen plötzlichen Tod, von den Angehörigen zur Erinnerung und Gebetsmahnung gesetzt.
Nur selten bereichern künstlerische Zutaten das Kreuz. Vereinzelt erkennt man die geübte Hand des Bildhauers, die allermeisten bezeugen in ihrer Primitivität kaum ein Mindestmaß fachlichen Könnens. Auf manchen sind Zeichen eingemeißelt, wie zum Beispiel Kelch und Buch beim "Pfaffenkreuz", Schere und Spieß auf den Kreuzen im Schwedelbacher Wald und Wappen auf dem Torstenson- und Johanniskreuz. Bei diesen Zeichen handelt es sich neben dem Wappen des Adels um Waffen und Gerät. Stellen diese Zeichen bäuerliche Hausmarken, Handwerkerzeichen oder die Mordwaffe dar?
So wenig wie diese Bilder lüften Inschriften, den Schleier. Nur die jüngeren Steinkreuze sind etwas gesprächiger. So meldet das "Hannikelskreuz" Name und Todestag des Verblichenen. Aus Urkunden erfahren wir, daß Johann Nicolaus Asemacher, Erbbeständer des Hahnbunnerhofes, im Stiftswald bei einem Jagdunfall 1769 den Tod fand. Seine Witwe, die sich wieder verehelichte, ließ ihrem ersten Mann das Gedächtnismal setzen. Das als Gedenkstein zuletzt errichtete "Italienerkreuz" im Stiftswald überrascht durch seine eigenwillige Form, die folgende fremde Inschrift trägt: "CASA ANTONIO MORI LI 18.5.1893." Der 28jährige Fremdarbeiter war damals auf seinem Arbeitsplatz von einem Gewitter überrascht und von einem Blitz erschlagen worden. Seine Angehörigen haben zur Erinnerung dieses Kreuz errichten lassen. Es ist ein Beweis dafür, daß die Sitte des Kreuzsetzens für einen jäh aus dem Leben Geschiedenen mancherorts sich bis in unsere Zeit erhalten hat. Ich erinnere hier an die Marterln in den Alpenländern. —
Häufig sind mit dem Kreuz Sagen verknüpft, die von Kampf, Unglück und Tod künden. Oft werden auch geschichtliche Vorgänge unterlegt, wie beim Johannis- und Torstensonkreuz, die beide über dem Grab eines schwedischen Generals errichtet sein sollen. Diese Erzählungen stehen im Widerspruch zu dem hohen Alter der Steine. Man hat den verhaßten fremdländischen Mordbrennern bestimmt keine Denkmäler gesetzt. Vergebens hat man nach modernden Gebeinen gegraben.
Doch die Lust des Volkes am Fabulieren kennt keine Grenzen. Am "Zimmermannskreuz" sollen einmal drei Zimmerleute in Streit geraten sein. Einen hat man dabei mit der Axt erschlagen. Hier gab die eingehauene Axt den Anstoß zur Sage. Kelch und Buch des "Pfaffenkreuzes" weisen auf einen Geistlichen hin. Da Vellmanns Reichslandbeschreibung von 1600 "ein Commentursgrab(en)" nennt, wird vermutlich ein Komtur der Deutschordens-Niederlassung vom Einsiedlerhof einen plötzlichen Tod gefunden haben. Später, als der eigentliche Anlaß vergessen war, nannte man es "Pfaffenkreuz" und. erzählte von einem Priester, den man hier beraubt und erschlagen habe.
Eine typische Steinkreuzsage, der man überall in Deutschland begegnet, berichtet von einem Zweikampf, bei dem beide Streitende den Tod fanden. Im Schwedelbacher Wald waren es ein Schneider und ein Stricker, die hier blindlings mit ihren Werkzeugen aufeinander losgingen, bis sie schwer verletzt ins Gras sanken und verschieden. Man begrub sie am Kampfplatz und setzte jedem ein Kreuz mit den Bildern der Mordwaffe. Vom Baudweiler Kreuz erzählt man, daß hier einmal die Kutsche des Grafen von Wartenberg, welche die Sembacher Steige herabraste, mit sämtlichen Insassen in den früher dort aufgestauten Woog stürzte, so daß alle ertranken.
Der Sühnegedanke rückt deutlich beim Abtstein in den Vordergrund. Verwittert steht er am Ortsrand von Mehlingen. Er weist die Form einer Stele auf und ist mit dem Relief eines Abtes geziert. Hebel berichtet in seiner Sagensammlung von einem Streit zwischen dem Otterberger Abt und seinem Bruder. Die Dienstmannen dieses Bruders verfolgten und erschlugen den Geistlichen. Der Bruder ließ an jener Stelle zum ewigen Gedenken für die Untat diesen Stein errichten und schenkte zur Sühne seinen ganzen Besitz dem Kloster Otterberg. —
Das Steinkreuz ist aus der deutschen Landschaft nicht wegzudenken. Früher war es mit dem Denken und Fühlen der Menschen eng verbunden. Heute gehen wir achtlos an ihm vorüber. Die vielfältigen Anlässe rechtlicher und religiöser Art, die zur Errichtung des Kreuzes führten, sind vergessen, der Aberglaube ist tot, die Sagen werden belächelt.
Doch wir sollten heute mit Pietät dem begegnen, was unseren Vorfahren lebendige Wirklichkeit, unserem Volke gemeinsames Erleben war. Unsere Liebe zur Heimat möge diese Zeugen einer schicksalsschweren Vergangenheit unseren Nachkommen erhalten.
(Quelle: Heimatkalender 1967, Stadt- und Landkreis Kaiserslautern, Seite 85–88)


Drei Odenwälder Bildsteine
Von Werner Hardes

Die letzten Jahre brachten im Marbachtal, einem Seitental der Mümling, die Auffindung mehrerer neuer Steinkreuze, die selbst in ihrer nächsten Umgebung nur noch wenig bekannt waren.

Der Stein des Lahmen Schneiders.
Es handelt sich zuerst um den sog. Stein des Lahmen Schneiders oder das Schneiderskreuz, der am oberen Ende des Marbachtals im Fürther Zentwald auf Fürther Gemarkung steht (Abb. l). Dieses Steinkreuz besteht aus einem gewachsenen, quadratischen Sandsteinblock von 90 cm Höhe, in den oben ein Kreuz eingesetzt ist. In das Kreuz ist ein Messer eingeritzt. Der rechte Kreuzarm weist eine größere Anzahl flacher, runder Löcher auf, die sicher künstlichen Ursprungs sind. Auf dem Block selbst ist eine Männerfigur eingeritzt. Die Arme sind nur strichförmig ausgeführt und das eine Bein ist kürzer. In der linken Hand hält die Figur einen Gegenstand, der eine Schere sein kann, und rechts von ihr ist in den Stein ein messerähnlicher Gegenstand eingeritzt. An diesen Stein knüpft sich eine Sage, die in den umliegenden Dörfern z.T. noch bekannt ist. Nach ihr war der Mann auf dem Stein ein lahmer Schneider, der in Oberostern auf den Allmen wohnte. Er hatte einmal für eine Frau in Hiltersklingen ein Leibchen zu machen. Als er heimging, kam jemand aus dem Wald und erschlug ihn. Genau an der Stelle, wo der Mord geschah, errichtete man ihm das Kreuz. Die drei auf dem Kreuz und Sockel dargestellten Gegenstände sollen Nadel, Schere und Garnrolle bedeuten.
Tatsächlich findet sich im ältesten Güttersbacher Kirchenbuch ein Mann mit dem Beinamen des Lahmen Schneiders, der zwischen 1600 und 1633 mehrmals erwähnt wird, jedoch nicht in Oberostern, sondern in Hiltersklingen. Wegen des Abbrechens des Kirchenbuches ist seine Todesursache nicht mehr festzustellen. Es läßt sich deswegen nicht mehr endgültig klären, ob der Stein tatsächlich für ihn errichtet wurde.
Auffällig sind auch die flachen, künstlichen Löcher auf dem rechten Kreuzarm. Frank (Dt. Gaue, Sonderh. 33) erwähnt mehrere Steinkreuze in Bayern, die ebenfalls runde, künstliche Vertiefungen aufweisen und vermutet, daß man aus diesen Löchern Steinmehl schabte oder in sie Krankheiten bannte.

Der Stein vom Mühlberg.
1921 wurde auf dem Mühlberg zwischen Güttersbach und Hiltersklingen auf Hiltersklinger Gemarkung in einem Steinhaufen eine 45 cm hohe, dreieckige Sandsteinplatte gefunden und 30 Jahre lang von Herrn Förster Berger, Güttersbach, vor jeder Beschädigung bewahrt. In die Platte ist eine kleine Männerfigur und über ihr ein gleicharmiges Kreuz eingeritzt (Abb. 2). Links und rechts von der Figur sind mehrere Löcher. Eines unterhalb des linken Armes, zwei links oberhalb des Kopfes und eines über dem Kreuz erwecken den Eindruck, daß sie sorgfältig mit einem Meißel ausgestemmt sind. Bei der Auffindung des Steines erinnerte sich der damals älteste Hiltersklinger Einwohner, daß dort oben auf dem Mühlberg einmal jemand erschlagen worden sei. Eine Deutung des Steines ist sehr unsicher und muß sich auf Hinweise beschränken. Sollten die drei sorgfältiger ausgestemmten Löcher neben der Figur zu dieser gehören, wie es bei einem Kreuz von Kaisheim der Fall ist (Frank, Dt. Gaue, S.H. 8), bei dem drei Löcher drei Pfeile andeuten, die den Toten getroffen haben, so läßt sich eine Notiz von 1622 in einem der Güttersbacher Kirchenbücher heranziehen. Nach dieser wurde damals der Kirchenpfleger Bastian Berg beim Durchmarsch Tillyscher Truppen von einem wallonischen Soldaten "am Mühlenberg" erschlagen, wobei er einen Schuß durch den linken Arm in den Leib und zwei Wunden auf den Kopf empfing.

Der Stein vom Feuchten Brünnchen.
Dieser Stein stand bis etwa 1917 an einer sumpfigen Quelle unweit der Etzeaner Grenze auf Hüttenthaler Gemarkung. Er wurde leider beim Wegebau zerschlagen. Sein ursprüngliches Aussehen ist nur noch sehr wenigen Leuten genauer bekannt, von denen Herr A. Scior, Hüttenthal, eine ungefähre Rekonstruktionszeichnung anfertigte, die in ihren wesentlichen Merkmalen von den anderen Gewährsleuten bestätigt wurde. Der Stein ragte etwa 1 m bis 1,20 m hoch aus dem Boden hervor, schloß oben anscheinend in drei geschwungenen Bogen ab und trug auf der Vorderseite in erhaben herausgearbeiteten Umrißlinien die Darstellung eines Mannes, der mit zwei Ochsen pflügte. Über dem Pflugbaum war eine bäumchenartige Verzierung herausgearbeitet. Auch unter dem Pflug soll sich noch eine Verzierung befunden haben; ihre Form ließ sich jedoch nicht mehr klären (Abb. 3). Die zwei am Feuchten Brünnchen noch heute liegenden Bruchstücke werden von der Bevölkerung für Reste dieses Steines gehalten. Ihre Größe und Verzierung spricht jedoch dagegen, so daß man geneigt ist, sie eher als Reste von zwei weiteren Steinen anzusprechen, die sich früher anscheinend noch am Feuchten Brünnchen befanden. An diesen Stein knüpft sich in Hüttenthal und Güttersbach eine Sage, die Folgendes berichtet:
Es hat ein Bauer auf Kannstag (Johannistag) Heidekorn gesät. Die Leute, die vorbeigekommen sind, haben gesagt: Heut' sät man doch nicht am Kannstag! Der Bauer aber hat gesagt: Kannstag hin, Kannstag her, mein Harekorn muß unter die Erd'! Darauf ist er mit seinem Gespann am Feuchten Brünnchen versunken. Man hat noch Stricke geholt, aber es war schon zu spät. Damals sei dort am Feuchten Brünnchen noch alles Feld gewesen, und der Mann habe dort sein Haus gehabt. Wie ein alter Mann weiter berichtete, habe er Löffler geheißen und sei aus Etzean gewesen.
Diese Sage ist anscheinend aus mehreren Quellen zusammengeflossen. Das Arbeiten am Johannistag und die Strafe dafür kommt in einer Wandersage vor, die im Odenwald bei Lampenhain, Mengelbach und Walldürn ebenfalls bekannt ist (Mitteilung F. Mößinger, Michelstadt). Die Angabe, daß der Bauer Löffler hieß, rührt von einem jüngeren Ereignis des Jahres 1791 her: Damals ertränkte sich ein Peter Löffler aus Etzean, jedoch nicht im Feuchten Brünnchen selbst, sondern in dem 1 km entfernten, kleinen Oberen See im Meisengrund. Die Angabe schließlich, daß früher beim Feuchten Brünnchen alles Feld war und daß der Bauer dort sein Haus hatte, scheint in die Zeit der Wüstung Marbach zurückzugehen, die sich anscheinend bis zum Feuchten Brünnchen erstreckte und um 1500 schon nicht mehr bestand.
Hierzu paßt auch die Angabe, daß die Leute damals am Feuchten Brünnchen vorbeigingen, ein Vorgang, der dann verständlicher wird, wenn man einen Kirchweg von dieser ehemaligen Ortschaft nach Güttersbach annimmt.
An der Rekonstruktion des Steines selbst ist vor allem die bäumchenartige Verzierung über dem Pflugbaum interessant. Im Odenwald finden sich zu ihr verschiedene Entsprechungen. So besitzt das Museum Buchen einen Holzpflug, der am Beschlag der Deichselspitze ein Eisenblättchen trägt, auf dem ebenfalls ein Bäumchen eingeritzt ist (H. Winter, Das Sonnenjahr, Darmstadt 1937). Dazu kann an die bekannte bronzezeitliche Darstellung eines Pflügers aus der südschwedischen Landschaft Bohuslän erinnert werden (Winter a.a.0.), der einen das wiedererwachende Leben versinnbildlichenden Maibusch in der Hand hält. Auch verschiedene Bestellungsbräuche aus Oberhessen und dem Odenwald gehören hierher, bei denen der Pflüger eine Birkenrute als Geißel benutzte, an deren Spitze z.T. 2-3 Zinken stehen blieben (Mößinger, Bl. f. Volkskunde 1935).

Betrachtet man diese drei Bildsteine im Zusammenhang, so ist es trotz ihrer verschiedenen Ausführung und wahrscheinlich verschiedenen Entstehungszeit auffällig, daß sich hier im Marbachtal drei der sonst nicht häufigen Bildsteine auf verhältnismäßig engem Raum finden. Der Gedanke an eine gegenseitige Abhängigkeit oder an ein gemeinsames Zentrum, das die bildlichen Darstellungen auf ihnen anregte, ist deswegen nicht ganz von der Hand zu weisen.
(Volk und Scholle, Hessische Heimatzeitschrift für Volkskunde, Geschichte, Natur, Kunst und Literatur, 25. Jg., Oktober 1953, S. 30-32)


Steinkreuzsagen im Bereiche des Odenwaldes
Von Dr. Erwin Meyer (Gießen/Lahn)

Von den zahlreichen Steinkreuzen und Kreuzsteinen dieser Landschaft sind nicht etwa alle, aber doch der größte Teil mit Sagen oder Überlieferungen verknüpft. Es wäre unzweckmäßig und ist auch nicht beabsichtigt, hier etwa sämtliche in Betracht kommenden Steinmale dieser Art mit den zugehörigen Erzählungen anzuführen, was schon wegen des Umfangs dem Inhalt eines Aufsatzes widerspräche. Außerdem ist eine solche umfassende Arbeit auf diesem Gebiet bereits 1935 von Fr. Mößinger im Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde erschienen.
   Auf diese Arbeit und einige sonstige Unterlagen stützt sich die vorliegende Darstellung, in welcher versucht werden soll, dem Leser nur einen Überblick dieser Volkssagen zu geben, ohne auf die Kreuze selbst und ihre Standorte näher einzugehen; dabei lassen sich offenbar verschiedene Bezirke unterscheiden.
   Im nördlichen Randgebiet mit dem Rodgau ist die Zahl der Unfallgedenksteine auffällig hoch, während man doch sonst im allgemeinen, ohne begründete Berechtigung allerdings, meistens von Mord- und Sühnekreuzen spricht. Zwei Jagdunfälle sind durch Inschriften, aber nur teilweise lesbar bezeugt; in einem dritten solchen Fall läßt sich an dem darauf hinweisenden "Schulzenkreuz" lediglich ein Christusmonogramm erkennen, und dort soll kein Jäger, sondern ein Holzhauer namens Schulz durch einen Eichbaum verunglückt sein. In dem gleichen Waldbezirk wurde ein Jagdherr beim Suchen eines erlegten Hirsches aus Unvorsichtigkeit erschossen, gleichwie in einer Nachbargemarkung ein junger Jagdhelfer, wie es heißt, beim Fuchsgraben, als die am Baum stehende Flinte sich durch den Hund entladen hat.
   Mehrmals hört man davon, daß bei den Denksteinen sogenannte Chaisen, d.h. Kutschwagen mit Verdeck, versunken seien, als die Gegenden dort noch mit Sümpfen durchsetzt waren; von einem dieser Plätze erzahlt man, die Trockenlegung sei durch einen zum Tode verurteilten Verbrecher erfolgt, der dafür begnadigt wurde. Diese Sage erinnert an eine ganz ähnliche von Langsdorf in der Wetterau: Im Westen dieses Dorfes lag ehemals in der heutigen Seewiese ein großer See; er wurde angeblich durch einen Mann in den Seegraben abgeleitet, welcher damit sein Leben rettete, nachdem er eigentlich hingerichtet werden sollte. Ein weiteres Unfallkreuz berichtet vom Wagenunglück eines Apothekers, der beim Scheuen der Pferde heraussprang und zu Tode stürzte.
Von einem anderen größeren Unglück scheint die Erinnerung in besonderer Weise erhalten geblieben zu sein, indem drei Seiten eines etwa aus dem Jahre 1400 stammenden Dorf-Kirchturmes je ein Steinkreuz eingesetzt worden ist; diesem Turm gegenüber lag früher der Kreuzgarten, wo vie leicht ursprünglich diese wohl auf einen Bauunfall hinweisenden Denkmale aufgestellt waren. Ein weiteres Beispiel für das Einmauern eines derartigen Unfallgedenkkreuzes bildet in Oberhessen die Kirche von Lütterz bei Salzschlirf.
   Im Gegensatz zu Unglücksfällen ist in den hier behandelten Kreisen Offenbach und Dieburg von Mordtaten nur wenig die Rede, auch sonst nur vom gegenseitigen Töten im Streit zwischen zwei Schwestern mit Sicheln bei der Feldarbeit. Etwas Ähnliches, aber Unglaubwürdiges wird von drei Zimmerleuten erzählt, nämlich, daß sie sich mit ihren Äxten, die auch auf den zugehörigen Kreuzen eingemeißelt sind, erschlagen hätten; indessen heißt es in der Erzählung weiterhin, daß diese drei Handwerker vor ihrer Streitigkeit auf einer Wiese, wie oft üblich die Zimmeraufbauten für ein neues Haus herstellten demzufolge man hier ebenfalls wohl ein größeres Bauunglück vermuten kann.
   Andererseits wird glaubhaft von der Ermordung einer Judenfrau durch ihren Sohn im Walde nahe der Landstraße berichtet, sowie von der Erschießung eines Mannes durch einen adligen Herrn, welcher dem Toten einen Geldbetrag schuldete und von ihm gemahnt wurde. Drei weitere Kreuze bezeichnen angeblich die Plätze, wo gefallene Franzosen, ungarische Szeklerhusaren oder Kosaken in den Freiheitskriegen begraben sind, worauf im letzten Fall auch eine Kosakenschneise hinweisen soll; doch werden die beiden ersten dieser Denksteine schon 1582 genannt und ungeachtet dessen sei bemerkt, daß unter solchen Steinkreuzen selbst wohl noch nirgends Bestattungen beobachtet oder bezeugt worden sind.
   Auffällig in dem bisher besprochenen Teilbezirk ist die mehrfach überlieferte Beziehung von Kreuzen dieser Art zu Kapellen, Klosterbauten und Heiligenhauschen, auf deren ehemaligen Standort sie nach der Volksmeinung hinweisen; im Güterverzeichnis eines Klosters dieser Reihe ist ein zugehöriges Steinkreuz bereits um das Jahr 1300 erwähnt. Auch als Missions- oder Wallfahrerkreuze werden in den Überlieferungen solche Steinmale aufgefaßt: eins davon, sagt man, sei von Kindern zur Ehre Gottes aufgestellt worden, obwohl es den Namen "Schwedenkreuz" trägt; ein anderes im Walde beim Wildhof an einer Straßengabelung ist ungewöhnlich groß und heißt das "Weiße Kreuz". Es soll ein Wegweiser gewesen sein von etwa 1700 für die Pilger aus der Untermaingegend nach Walldürn im südöstlichen Odenwald. Nach einer anderen Erzählung bezeichnet dieses Kreuz den Treffpunkt des Kaisers Franz des Ersten anläßlich der Wahl seines Sohnes Joseph zum König in Frankfurt mit dem Landgrafen Ludwig dem Achten am 29. März 1764; sehr wahrscheinlich sind beide Erklärungen richtig, insofern die beiden Fürsten sich verabredungsgemäß an dem damals schon bestehenden und weitbekannten Wallfahrerstein trafen.
   Am Schluß dieses Abschnittes sei noch kurz erwähnt, daß nur bei vereinzelten Fällen in den Erzählungen Steinkreuze der bekannten Art als Hinweise auf Gemarkungsgrenzen oder alte Grenzwege anzusehen sind, während man sie sonst oft damit in Zusammenhang bringen möchte.
   Ganz anders als in der vorhergehenden Darstellung ist das Bild, was sich bei der Durchsicht der Sagen im westlichen Odenwald und im angrenzenden Ried ergibt, wo vor allem auf der sich längs des Gebirgsrandes hinziehenden Bergstraße zu allen Zeiten der Verkehr stark gewesen ist. So kann man wohl verstehen, daß in dieser Gegend die Steinkreuze fast immer als Mordkreuze angesehen werden, welche an der Stätte des Verbrechens zur Erinnerung oder auch von dem Mörder zur Sühne aufgestellt worden seien; daneben kommen zwei Erzählungen von dem Sturz eines unbekannten Reiters und dem vermutlichen Tod eines Baumfällers an der Stelle seines Gedenksteins mit unklarer Inschrift kaum in Betracht.
   Unter zwei Kreuzen sind angeblich erschlagene Juden begraben, aber eins davon soll außerdem zum Dank für eine überstandene Pestepidemie errichtet worden sein. In ähnlicher Weise deuten nach der Volksmeinung verschiedene andere Totenmale auf die Bestattung von Franzosen hin, was zum Teil durch die nahe vorbeiziehende "Franzosenstraße" glaubhaft erscheint. In einem weiteren Fall erinnert das "Franzosenkreuz", wie man hört, an einen Offizier, der seine Soldaten im Kornfeld plündern ließ und deshalb von den Bauern erschlagen wurde; später haben einige Schatzgräber dort den Grabhügel vergeblich durchsucht, um den sagenhaften Degen mit goldenem Knauf zu finden.
   Auf die Ermordung eines Musikanten weist die "Spielmannseiche" mit dem "Spielmannskreuz" hin; er wurde wegen der geringen Geldsumme umgebracht, die er sich bei seiner Tanzmusik verdient hatte. In zwei anderen Fällen fehlen solche Hinweise, jedenfalls dort, wo ein Spielmann aus unbekannten Gründen getötet worden sein soll; ein dritter Musikant wurde nach der Sage durch einen Zimmermann ermordet und das daran erinnernde Kreuz zeigte angeblich, in früheren Jahren auf der Rückseite noch erkennbar, das Bild einer Geige.
   Ein "Schäferstein" und das "Schäferkreuz" auf dem "Schäfer-Acker" halten die Erinnerung fest an den gewaltsamen Tod von zwei Angehörigen dieses Berufszweiges: Von dem einen wird erzählt, er sei mit seinen Schafen zusammen umgekommen, für die der ungeformte Steinblock dicht dabei gesetzt worden ist; nebenbei bemerkt besteht auch der "Schäferstein" bei Leihgestern im Kreise Gießen nur aus einem stumpfen Obelisk. Der andere Schäfer traf sich nach der Sage öfters mit einem Spinnmädchen um Mitternacht auf einer Höhe, wo noch Trümmer des Bildstocks mit der Bezeichnung die "Rockenmagd" die Stelle kennzeichnen sollen und wo das Mädchen dann vom Teufel erwürgt wurde; ihren Freund fand man erschlagen in der Nähe.
   Anderswo gibt es auf dem letzten erhaltenen von mehreren verschwundenen Steinkreuzen an einer alten Grenze eine Lilienfigur zu sehen die vom Volk als Bilder von Weck und Schere aufgefaßt wurden; daraus bildete sich die Erzählung, daß dort sich ein Bäcker und ein Schneider gegenseitig getötet haben. Mit einem nicht mehr vorhandenen einfachen Kreuz war eine Überlieferung bei dem bekannten Siegfriedsbrunnen verknüpft; daselbst hatten sich einstmals ebenfalls zwei Männer wechselseitig umgebracht was demnach nicht mit dem Tode von Siegfried in Beziehung gesetzt werden kann; vielmehr gehört dies alles zu einem Motiv, welches uns in der Gegend des Odenwaldes noch zum dritten Mal und im übrigen weiterhin öfter beschäftigen wird: Von einem Sandsteinkreuz am Abhange der alten Straße zwischen zwei Dörfern wird berichtet, es gelte als Totenmal für zwei Buben die sich bei einer Hungersnot im Streit um ein Stück Brot erschlugen- vermutlich geschah das in Kriegszeiten, denn an diesem Platz haftet auch die Vorstellung von einem Massengrab. Das behandelte Grundmotiv findet man übrigens gleichfalls z.B. in Lauterbach und Landenhausen beim "Kreppel-kreuz" und "Kreppelstein", gleichfalls in Grebenhain, beim Ortenberger "Kässtein", sowie beim "Pfannkuchenstein" von Salzschlirf.
   Ganz aus der Reihe fällt das sagenhafte Ende des Klostermönches Ambrosius, nach welchem ein Sandsteinkreuz im Waldbezirk "Kreuztanne" benannt worden ist: Als großer Jagdliebhaber hatte er einen Hirsch im anstoßenden fremden Revier erlegt, wurde von dem zuständigen Jagdhüter verfolgt und trotz seiner glücklichen Flucht über die Grenze durch einen nachgesandten Pfeil tödlich getroffen. Wie das Volk glaubt, läuft abends der Hund des Mönches mit der Kette dort umher, sucht seinen Herrn und erschreckt die Vorübergehenden. Ein anderer Mönch wurde an einer Straßenkreuzung niedergeschlagen, konnte aber das daselbst stehende weiße Holzkreuz noch erreichen und mit seinem Blut röten; man nannte es daraufhin "das Rote Kreuz", gleichwie das später an seiner Stelle gesetzte Steinkreuz.
   Das merkwürdige Reststück eines steinernen Kreuzes mit der Bezeichnung "Die steinerne Hacke" wonach auch der Wiesengrund heißt, erinnert nach der Legende daran, daß der junge Sohn eines Müllers bei der Nachtwache am Mühlenwehr einen heranschleichenden Unbekannten mit seiner Hacke erschlug, als dieser durch das Hochziehen des Wehres der Mühle widerrechtlich das Wasser entziehen wollte; der unerkannte Täter indessen war der Pate des Jungen, welcher in seiner Verzweiflung bald darauf wohl Selbstmord beging, und ein Pferd samt Wagen ist dort angeblich nur schwer zu bewegen.
   Auffällig ist auch der Volksglaube, daß in einer Flur "Am weißen Stein" die früher urkundlich im Güterverzeichnis eines kirchlichen Stiftes den Namen "Am weißen Kreuz" trug, in der Nachtzeit ein Kalb ohne Kopf erscheine was in ähnlichen Sagen ein totes Kalb bedeutet, zum Schrecken der Vorbeigehenden; man möchte beinahe an die bekannten Erzählungen vom vergrabenen goldenen Kalb denken.
   Zum Schluß dieses Abschnittes mag noch die etwas unklare Überlieferung mitgeteilt werden, die einen größeren Radkreuzstein in Beziehung setzt zu einer verschwundenen Stadt mit hochgelegenem Schloß, obwohl der Stein innerhalb des Dorfes an der Straße steht.

   Der letzte Teil dieser Sagensammlung bezieht sich auf den sogenannten Mümhing-Odenwald mit dem südlich angrenzenden badischen Gebiet In diesem Bereich sind zwar, ebenso wie in den anderen Gegenden, steinerne Kreuze mit Hinweise auf Unfallereignisse zu verzeichnen, jedoch sind dazu keine besonderen ausschmückenden Erzählungen überliefert, zuweilen noch nicht einmal irgendwelche Angaben über den Hergang des Unglücks; nur in zwei Fallen solcher Art sind Gedenkkreuze mit entsprechenden Inschriften erhalten deren eine indessen schwer lesbar ist, während die andere mit dem Namen des getöteten Baumfällers mitten im Text abbricht. Lediglich in einem besonderen Fall ist noch die zugehörige Sage lebendig, nämlich beim "Stein vom feuchten Brunnchen", der vor einigen Jahrzehnten für den Wegebau zerschlagen wurde und einen pflügenden Bauern mit zwei Ochsen zeigte, vielleicht auch ein kleines eingeritztes Kreuz. Dieser Bauer soll trotz der Warnung von Kirchgängern am Johannistage Heidekorn gesät haben und bald darauf mit seinem Gespann im Erdboden versunken sein, obwohl man versucht habe, ihm mit Stricken noch zu Hilfe zu kommen.
   Weiterhin möge zunächst ein ebenfalls verschwundenes Totenmal kurz erwähnt werden, das "Steinern Kreuzel", angeblich die Grabstätte von russischen Soldaten aus den Freiheitskriegen. In ihrer Nähe will man während der nächtlichen Ruhestunden Trommelwirbel und Kommandorufe gehört haben, was wohl an militärische Bestattungsfeierlichkeiten erinnern könnte. Die sehr anfechtbare Auffassung solcher Begräbnisplätze findet man auch in einigen Erzählungen von dem gegenseitigen Töten zweier Buben oder Erwachsener. Entsprechend tragen die Grabsteine in mehreren Fällen die Bezeichnung "Bubenkreuz" (vgl. auch Beerfelden III), wonach gleichfalls die zugehörige Gewann benannt ist; nur einmal trifft man dabei auf ein "Linsekreuz", was vielleicht mit lenzen zusammenhängt. In diesen zuletzt genannten Örtlichkeiten haben sich, wie man sagt, zwei Buben totgekitzelt, was auch von zwei vermutlich älteren Hammerschmieden berichtet wird, zu deren Andenken in der Nähe eines ehemaligen Hammerwerkes das Sandsteinkreuz mit den entsprechenden Zunftzeichen gesetzt worden sei. Als "Bubenkreuz" wird gleichfalls ein Sandsteinblock bezeichnet, allerdings mit drei eingehauenen Kreuzen, wo drei Jungen miteinander "Mörder" spielten, während einer von ihnen versehentlich am Strick erhängt wurde, als die beiden anderen einem dreibeinigen Hasen nachliefen, ähnlich wie beim Kässtein von Leihgestern (Kreis Gießen); noch heute zeigt sich hier angeblich nächtlicherweise ein Gespenst bis zum Wegende.
   Andererseits berichtet die Sage in verschiedenen Orten vom gegenseitigen Erschlagen, wie zunächst von zwei Bauern, die als Waffen eine Sense und ein Pflugeisen benutzten, deren eingeritzte Bilder man auf einem der zugehörigen Steinkreuze sehen kann, während das zweite nur ein erhabenes Kreuzchen tragt; anderswo werden solche Totenmale auf streitende Zimmerleute bezogen, im Falle der sogenannten "Habermannskreuze", die ehemals indessen "Habermuskreuze" hießen, wird von Hafermähern berichtet und derem gegenseitigem Totschlag mit Sensen, wobei wohl eine Volksdeutung der Kreuzbezeichnung mitgespielt hat. Eine Besonderheit bietet die Legende vom "Hirtenstein", der wohl das Bild einer Hirtenschaufel zeigt und neben einem Grenzstein steht: Hier haben sich zwei Hirten verschiedener Konfession im Streit um ihren Glauben mit der Hacke erschlagen; der katholische ist unter dem Kreuz begraben, wie man hört, und der protestantische unter dem Grenzstein von 1580. Wie schon weiter oben bemerkt war, möge an dieser Stelle nochmal darauf hingewiesen werden, daß dieses hier so häufige Motiv des gegenseitigen Tötens als Wandersage ebenso im Kreis Lauterbach vor allem vorkommt.
   Eine andere weit verbreitete Steinkreuzsage in diesem Teil des Odenwaldes erzählt von ermordeten Spinnerinnen auf dem Wege zur Spinnstube, wofür die Zeichen mancher Kreuze den Anlaß geben. An einem der mit solchen Sagen verbundenen Kreuze ist ein achtspeichiges Rad erhaben angebracht, an zwei weiteren eine siebartige Kreisscheibe und an dem als "Spinnmädchen" benannten Sandsteinkreuz eine Rundstange mit anhängender Kugel, deren Deutung unsicher bleibt; das Rad dagegen ist wahrscheinlich  auf den Tod eines Wagners oder Fuhrmanns zu beziehen. Nicht eine Spinnerin, sondern eine Nonne soll ermordet sein, wo an dem dafür zum Andenken gesetzten Kreuz der Nonnenweg vorbeizieht; dieser Weg hat wohl  das Volk zu der Erzählung veranlaßt, gleichwohl wird auch berichtet, hier hatten Bauern einen Soldaten erschlagen. Als Seltenheit ist ein kleineres Kreuz anzusehen mit dem Bild einer Pflugsech, was zur Erinnerung an ein Kind aufgestellt worden sein soll, allerdings ohne nähere Angaben. Es wird aber noch überliefert, der Besitzer des Ackers habe wegen Behinderung beim Pflügen dieses Kinderkreuz mit samt zwei anderen beseitigt, woraufhin in den folgenden Nächten auf seinem Hofe furchtbarer Lärm zu hören war; dies dauerte solange, bis der erschrockene Bauer die Kreuze wieder an seinen Platz gebracht hatte.
   Drei Sandsteinkreuze spielen ebenfalls eine Rolle bei einem Doppelmord; sie stehen nahe bei einem Heiligenhäuschen, wo einstmals im Walde das Brautpaar eines Hochzeitzuges ermordet worden ist, wie man sagt. Der Mörder, ein Jude, kam anschließend gleichfalls um und ihm wurde das dritte Kreuz mit dem Dolch gesetzt. Im Marbachtal fand man seltene Kreuzsteine mit Bildern der Getöteten, nämlich den "Stein des Lahmen Schneiders" der am Waldrand erschlagen wurde, und der "Stein vom Mühlberg", wo ein Kirchenpfleger wohl von einem wallonischen Soldaten i.J. 1622 erschossen worden ist.
   Den Abschluß des ganzen Überblicks mag die Sage des auf dem Kirchgang überfallenen Schäfers bilden, der die Vögel als Rächer anrief, ähnlich wie Ibykus die Kraniche und so den Mörder dem Gericht überlieferte; am Tatort soll seitdem alles Wachstum kaum geraten, wie man es in ähnlicher Weise vom "Armesünderpfad" bei Lollar (Kreis Gießen) glaubt, wo ein unschuldig Verurteilter zum Galgen geführt wurde.
(aus: Der Odenwald, Heimatkundliche Zeitschrift des Breuberg-Bundes, 15.Jg. 1968, H.2, S.48-54)

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Sühnekreuze & Mordsteine