Beiträge zur Geschichte der Steinkreuze |
Ramstein, Pfaffenkreuz |
Die letzten Jahre brachten im Marbachtal, einem Seitental der Mümling, die Auffindung mehrerer neuer Steinkreuze, die selbst in ihrer nächsten Umgebung nur noch wenig bekannt waren.
Der Stein des Lahmen Schneiders.
Es handelt sich zuerst um den sog. Stein des Lahmen Schneiders oder das Schneiderskreuz, der am oberen Ende des
Marbachtals im Fürther Zentwald auf Fürther Gemarkung steht (Abb. l). Dieses Steinkreuz besteht aus einem gewachsenen,
quadratischen Sandsteinblock von 90 cm Höhe, in den oben ein Kreuz eingesetzt ist. In das Kreuz ist ein Messer eingeritzt. Der rechte
Kreuzarm weist eine größere Anzahl flacher, runder Löcher auf, die sicher künstlichen Ursprungs sind. Auf dem Block selbst ist eine
Männerfigur eingeritzt. Die Arme sind nur strichförmig ausgeführt und das eine Bein ist kürzer. In der linken Hand hält die Figur einen
Gegenstand, der eine Schere sein kann, und rechts von ihr ist in den Stein ein messerähnlicher Gegenstand eingeritzt. An diesen
Stein knüpft sich eine Sage, die in den umliegenden Dörfern z.T. noch bekannt ist. Nach ihr war der Mann auf dem Stein ein lahmer
Schneider, der in Oberostern auf den Allmen wohnte. Er hatte einmal für eine Frau in Hiltersklingen ein Leibchen zu machen. Als er
heimging, kam jemand aus dem Wald und erschlug ihn. Genau an der Stelle, wo der Mord geschah, errichtete man ihm das Kreuz.
Die drei auf dem Kreuz und Sockel dargestellten Gegenstände sollen Nadel, Schere und Garnrolle bedeuten.
Tatsächlich findet sich im ältesten Güttersbacher Kirchenbuch ein Mann mit dem Beinamen des Lahmen Schneiders, der
zwischen 1600 und 1633 mehrmals erwähnt wird, jedoch nicht in Oberostern, sondern in Hiltersklingen. Wegen des Abbrechens des
Kirchenbuches ist seine Todesursache nicht mehr festzustellen. Es läßt sich deswegen nicht mehr endgültig klären, ob der Stein
tatsächlich für ihn errichtet wurde.
Auffällig sind auch die flachen, künstlichen Löcher auf dem rechten Kreuzarm. Frank (Dt. Gaue, Sonderh. 33) erwähnt mehrere
Steinkreuze in Bayern, die ebenfalls runde, künstliche Vertiefungen aufweisen und vermutet, daß man aus diesen Löchern
Steinmehl schabte oder in sie Krankheiten bannte.
Der Stein vom Mühlberg.
1921 wurde auf dem Mühlberg zwischen Güttersbach und Hiltersklingen auf Hiltersklinger Gemarkung in einem Steinhaufen eine
45 cm hohe, dreieckige Sandsteinplatte gefunden und 30 Jahre lang von Herrn Förster Berger, Güttersbach, vor jeder Beschädigung
bewahrt. In die Platte ist eine kleine Männerfigur und über ihr ein gleicharmiges Kreuz eingeritzt (Abb. 2). Links und rechts von der
Figur sind mehrere Löcher. Eines unterhalb des linken Armes, zwei links oberhalb des Kopfes und eines über dem Kreuz erwecken
den Eindruck, daß sie sorgfältig mit einem Meißel ausgestemmt sind. Bei der Auffindung des Steines erinnerte sich der damals älteste
Hiltersklinger Einwohner, daß dort oben auf dem Mühlberg einmal jemand erschlagen worden sei. Eine Deutung des Steines ist sehr
unsicher und muß sich auf Hinweise beschränken. Sollten die drei sorgfältiger ausgestemmten Löcher neben der Figur zu dieser
gehören, wie es bei einem Kreuz von Kaisheim der Fall ist (Frank, Dt. Gaue, S.H. 8), bei dem drei Löcher drei Pfeile andeuten, die
den Toten getroffen haben, so läßt sich eine Notiz von 1622 in einem der Güttersbacher Kirchenbücher heranziehen. Nach dieser
wurde damals der Kirchenpfleger Bastian Berg beim Durchmarsch Tillyscher Truppen von einem wallonischen Soldaten "am Mühlenberg"
erschlagen, wobei er einen Schuß durch den linken Arm in den Leib und zwei Wunden auf den Kopf empfing.
Der Stein vom Feuchten Brünnchen.
Dieser Stein stand bis etwa 1917 an einer sumpfigen Quelle unweit der Etzeaner Grenze auf Hüttenthaler Gemarkung. Er wurde
leider beim Wegebau zerschlagen. Sein ursprüngliches Aussehen ist nur noch sehr wenigen Leuten genauer bekannt, von denen Herr
A. Scior, Hüttenthal, eine ungefähre Rekonstruktionszeichnung anfertigte, die in ihren wesentlichen Merkmalen von den anderen
Gewährsleuten bestätigt wurde. Der Stein ragte etwa 1 m bis 1,20 m hoch aus dem Boden hervor, schloß oben anscheinend in drei
geschwungenen Bogen ab und trug auf der Vorderseite in erhaben herausgearbeiteten Umrißlinien die Darstellung eines Mannes, der
mit zwei Ochsen pflügte. Über dem Pflugbaum war eine bäumchenartige Verzierung herausgearbeitet. Auch unter dem Pflug soll sich
noch eine Verzierung befunden haben; ihre Form ließ sich jedoch nicht mehr klären (Abb. 3). Die zwei am Feuchten Brünnchen noch
heute liegenden Bruchstücke werden von der Bevölkerung für Reste dieses Steines gehalten. Ihre Größe und Verzierung spricht
jedoch dagegen, so daß man geneigt ist, sie eher als Reste von zwei weiteren Steinen anzusprechen, die sich früher anscheinend
noch am Feuchten Brünnchen befanden. An diesen Stein knüpft sich in Hüttenthal und Güttersbach eine Sage, die Folgendes berichtet:
Es hat ein Bauer auf Kannstag (Johannistag) Heidekorn gesät. Die Leute, die vorbeigekommen sind, haben gesagt: Heut' sät man
doch nicht am Kannstag! Der Bauer aber hat gesagt: Kannstag hin, Kannstag her, mein Harekorn muß unter die Erd'! Darauf ist er mit
seinem Gespann am Feuchten Brünnchen versunken. Man hat noch Stricke geholt, aber es war schon zu spät. Damals sei dort am
Feuchten Brünnchen noch alles Feld gewesen, und der Mann habe dort sein Haus gehabt. Wie ein alter Mann weiter berichtete, habe
er Löffler geheißen und sei aus Etzean gewesen.
Diese Sage ist anscheinend aus mehreren Quellen zusammengeflossen. Das Arbeiten am Johannistag und die Strafe dafür
kommt in einer Wandersage vor, die im Odenwald bei Lampenhain, Mengelbach und Walldürn ebenfalls bekannt ist (Mitteilung F.
Mößinger, Michelstadt). Die Angabe, daß der Bauer Löffler hieß, rührt von einem jüngeren Ereignis des Jahres 1791 her: Damals
ertränkte sich ein Peter Löffler aus Etzean, jedoch nicht im Feuchten Brünnchen selbst, sondern in dem 1 km entfernten, kleinen
Oberen See im Meisengrund. Die Angabe schließlich, daß früher beim Feuchten Brünnchen alles Feld war und daß der Bauer dort
sein Haus hatte, scheint in die Zeit der Wüstung Marbach zurückzugehen, die sich anscheinend bis zum Feuchten Brünnchen
erstreckte und um 1500 schon nicht mehr bestand.
Hierzu paßt auch die Angabe, daß die Leute damals am Feuchten Brünnchen vorbeigingen, ein Vorgang, der dann verständlicher
wird, wenn man einen Kirchweg von dieser ehemaligen Ortschaft nach Güttersbach annimmt.
An der Rekonstruktion des Steines selbst ist vor allem die bäumchenartige Verzierung über dem Pflugbaum interessant. Im
Odenwald finden sich zu ihr verschiedene Entsprechungen. So besitzt das Museum Buchen einen Holzpflug, der am Beschlag der
Deichselspitze ein Eisenblättchen trägt, auf dem ebenfalls ein Bäumchen eingeritzt ist (H. Winter, Das Sonnenjahr, Darmstadt 1937).
Dazu kann an die bekannte bronzezeitliche Darstellung eines Pflügers aus der südschwedischen Landschaft Bohuslän erinnert
werden (Winter a.a.0.), der einen das wiedererwachende Leben versinnbildlichenden Maibusch in der Hand hält. Auch verschiedene
Bestellungsbräuche aus Oberhessen und dem Odenwald gehören hierher, bei denen der Pflüger eine Birkenrute als Geißel benutzte,
an deren Spitze z.T. 2-3 Zinken stehen blieben (Mößinger, Bl. f. Volkskunde 1935).
Betrachtet man diese drei Bildsteine im Zusammenhang, so ist es trotz ihrer verschiedenen Ausführung und wahrscheinlich
verschiedenen Entstehungszeit auffällig, daß sich hier im Marbachtal drei der sonst nicht häufigen Bildsteine auf verhältnismäßig
engem Raum finden. Der Gedanke an eine gegenseitige Abhängigkeit oder an ein gemeinsames Zentrum, das die bildlichen
Darstellungen auf ihnen anregte, ist deswegen nicht ganz von der Hand zu weisen.
(Volk und Scholle, Hessische Heimatzeitschrift für Volkskunde, Geschichte, Natur, Kunst und Literatur,
25. Jg., Oktober 1953, S. 30-32)
Von den zahlreichen Steinkreuzen und Kreuzsteinen dieser Landschaft sind nicht
etwa alle, aber doch der größte Teil mit Sagen oder Überlieferungen verknüpft. Es wäre unzweckmäßig und ist auch nicht beabsichtigt,
hier etwa sämtliche in Betracht kommenden Steinmale dieser Art mit den zugehörigen Erzählungen anzuführen, was schon wegen des
Umfangs dem Inhalt eines Aufsatzes widerspräche. Außerdem ist eine solche umfassende Arbeit auf diesem Gebiet bereits 1935 von
Fr. Mößinger im Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde
erschienen.
Auf diese Arbeit und einige sonstige Unterlagen stützt sich die vorliegende Darstellung, in welcher versucht
werden soll, dem Leser nur einen Überblick dieser Volkssagen zu geben, ohne auf die Kreuze selbst und ihre Standorte näher
einzugehen; dabei lassen sich offenbar verschiedene Bezirke unterscheiden.
Im nördlichen Randgebiet mit dem Rodgau ist die Zahl der Unfallgedenksteine auffällig hoch, während man
doch sonst im allgemeinen, ohne begründete Berechtigung allerdings, meistens von Mord- und Sühnekreuzen spricht. Zwei Jagdunfälle
sind durch Inschriften, aber nur teilweise lesbar bezeugt; in einem dritten solchen Fall läßt sich an dem darauf hinweisenden
"Schulzenkreuz" lediglich ein Christusmonogramm erkennen, und dort soll kein Jäger, sondern ein Holzhauer namens Schulz durch
einen Eichbaum verunglückt sein. In dem gleichen Waldbezirk wurde ein Jagdherr beim Suchen eines erlegten Hirsches aus
Unvorsichtigkeit erschossen, gleichwie in einer Nachbargemarkung ein junger Jagdhelfer, wie es heißt, beim Fuchsgraben, als die
am Baum stehende Flinte sich durch den Hund entladen hat.
Mehrmals hört man davon, daß bei den Denksteinen sogenannte Chaisen, d.h. Kutschwagen mit Verdeck,
versunken seien, als die Gegenden dort noch mit Sümpfen durchsetzt waren; von einem dieser Plätze erzahlt man, die Trockenlegung
sei durch einen zum Tode verurteilten Verbrecher erfolgt, der dafür begnadigt wurde. Diese Sage erinnert an eine ganz ähnliche von
Langsdorf in der Wetterau: Im Westen dieses Dorfes lag ehemals in der heutigen Seewiese ein großer See; er wurde angeblich durch
einen Mann in den Seegraben abgeleitet, welcher damit sein Leben rettete, nachdem er eigentlich hingerichtet werden sollte. Ein
weiteres Unfallkreuz berichtet vom Wagenunglück eines Apothekers, der beim Scheuen der Pferde heraussprang und zu Tode stürzte.
Von einem anderen größeren Unglück scheint die Erinnerung in besonderer Weise erhalten geblieben zu sein, indem drei Seiten
eines etwa aus dem Jahre 1400 stammenden Dorf-Kirchturmes je ein Steinkreuz eingesetzt worden ist; diesem Turm gegenüber lag
früher der Kreuzgarten, wo vie leicht ursprünglich diese wohl auf einen Bauunfall hinweisenden Denkmale aufgestellt waren. Ein
weiteres Beispiel für das Einmauern eines derartigen Unfallgedenkkreuzes bildet in Oberhessen die Kirche von Lütterz bei Salzschlirf.
Im Gegensatz zu Unglücksfällen ist in den hier behandelten Kreisen Offenbach und Dieburg von Mordtaten
nur wenig die Rede, auch sonst nur vom gegenseitigen Töten im Streit zwischen zwei Schwestern mit Sicheln bei der Feldarbeit.
Etwas Ähnliches, aber Unglaubwürdiges wird von drei Zimmerleuten erzählt, nämlich, daß sie sich mit ihren Äxten, die auch auf den
zugehörigen Kreuzen eingemeißelt sind, erschlagen hätten; indessen heißt es in der Erzählung weiterhin, daß diese drei Handwerker
vor ihrer Streitigkeit auf einer Wiese, wie oft üblich die Zimmeraufbauten für ein neues Haus herstellten demzufolge man hier
ebenfalls wohl ein größeres Bauunglück vermuten kann.
Andererseits wird glaubhaft von der Ermordung einer Judenfrau durch ihren Sohn im Walde nahe der
Landstraße berichtet, sowie von der Erschießung eines Mannes durch einen adligen Herrn, welcher dem Toten einen Geldbetrag
schuldete und von ihm gemahnt wurde. Drei weitere Kreuze bezeichnen angeblich die Plätze, wo gefallene Franzosen, ungarische
Szeklerhusaren oder Kosaken in den Freiheitskriegen begraben sind, worauf im letzten Fall auch eine Kosakenschneise hinweisen
soll; doch werden die beiden ersten dieser Denksteine schon 1582 genannt und ungeachtet dessen sei bemerkt, daß unter solchen
Steinkreuzen selbst wohl noch nirgends Bestattungen beobachtet oder bezeugt worden sind.
Auffällig in dem bisher besprochenen Teilbezirk ist die mehrfach überlieferte Beziehung von Kreuzen dieser
Art zu Kapellen, Klosterbauten und Heiligenhauschen, auf deren ehemaligen Standort sie nach der Volksmeinung hinweisen; im
Güterverzeichnis eines Klosters dieser Reihe ist ein zugehöriges Steinkreuz bereits um das Jahr 1300 erwähnt. Auch als Missions-
oder Wallfahrerkreuze werden in den Überlieferungen solche Steinmale aufgefaßt: eins davon, sagt man, sei von Kindern zur Ehre
Gottes aufgestellt worden, obwohl es den Namen "Schwedenkreuz" trägt; ein anderes im Walde beim Wildhof an einer
Straßengabelung ist ungewöhnlich groß und heißt das "Weiße Kreuz". Es soll ein Wegweiser gewesen sein von etwa 1700 für die
Pilger aus der Untermaingegend nach Walldürn im südöstlichen Odenwald. Nach einer anderen Erzählung bezeichnet dieses Kreuz
den Treffpunkt des Kaisers Franz des Ersten anläßlich der Wahl seines Sohnes Joseph zum König in Frankfurt mit dem Landgrafen
Ludwig dem Achten am 29. März 1764; sehr wahrscheinlich sind beide Erklärungen richtig, insofern die beiden Fürsten sich
verabredungsgemäß an dem damals schon bestehenden und weitbekannten Wallfahrerstein trafen.
Am Schluß dieses Abschnittes sei noch kurz erwähnt, daß nur bei vereinzelten Fällen in den Erzählungen
Steinkreuze der bekannten Art als Hinweise auf Gemarkungsgrenzen oder alte Grenzwege anzusehen sind, während man sie sonst
oft damit in Zusammenhang bringen möchte.
Ganz anders als in der vorhergehenden Darstellung ist das Bild, was sich bei der Durchsicht der Sagen im
westlichen Odenwald und im angrenzenden Ried ergibt, wo vor allem auf der sich längs des Gebirgsrandes hinziehenden Bergstraße
zu allen Zeiten der Verkehr stark gewesen ist. So kann man wohl verstehen, daß in dieser Gegend die Steinkreuze fast immer als
Mordkreuze angesehen werden, welche an der Stätte des Verbrechens zur Erinnerung oder auch von dem Mörder zur Sühne
aufgestellt worden seien; daneben kommen zwei Erzählungen von dem Sturz eines unbekannten Reiters und dem vermutlichen Tod
eines Baumfällers an der Stelle seines Gedenksteins mit unklarer Inschrift kaum in Betracht.
Unter zwei Kreuzen sind angeblich erschlagene Juden begraben, aber eins davon soll außerdem zum
Dank für eine überstandene Pestepidemie errichtet worden sein. In ähnlicher Weise deuten nach der Volksmeinung verschiedene
andere Totenmale auf die Bestattung von Franzosen hin, was zum Teil durch die nahe vorbeiziehende "Franzosenstraße" glaubhaft
erscheint. In einem weiteren Fall erinnert das "Franzosenkreuz", wie man hört, an einen Offizier, der seine Soldaten im Kornfeld
plündern ließ und deshalb von den Bauern erschlagen wurde; später haben einige Schatzgräber dort den Grabhügel vergeblich
durchsucht, um den sagenhaften Degen mit goldenem Knauf zu finden.
Auf die Ermordung eines Musikanten weist die "Spielmannseiche" mit dem "Spielmannskreuz" hin; er wurde
wegen der geringen Geldsumme umgebracht, die er sich bei seiner Tanzmusik verdient hatte. In zwei anderen Fällen fehlen solche
Hinweise, jedenfalls dort, wo ein Spielmann aus unbekannten Gründen getötet worden sein soll; ein dritter Musikant wurde nach der
Sage durch einen Zimmermann ermordet und das daran erinnernde Kreuz zeigte angeblich, in früheren Jahren auf der Rückseite
noch erkennbar, das Bild einer Geige.
Ein "Schäferstein" und das "Schäferkreuz" auf dem "Schäfer-Acker" halten die Erinnerung fest an den
gewaltsamen Tod von zwei Angehörigen dieses Berufszweiges: Von dem einen wird erzählt, er sei mit seinen Schafen zusammen
umgekommen, für die der ungeformte Steinblock dicht dabei gesetzt worden ist; nebenbei bemerkt besteht auch der "Schäferstein"
bei Leihgestern im Kreise Gießen nur aus einem stumpfen Obelisk. Der andere Schäfer traf sich nach der Sage öfters mit einem
Spinnmädchen um Mitternacht auf einer Höhe, wo noch Trümmer des Bildstocks mit der Bezeichnung die
"Rockenmagd" die Stelle
kennzeichnen sollen und wo das Mädchen dann vom Teufel erwürgt wurde; ihren Freund fand man erschlagen in der Nähe.
Anderswo gibt es auf dem letzten erhaltenen von mehreren verschwundenen Steinkreuzen an einer alten
Grenze eine Lilienfigur zu sehen die vom Volk als Bilder von Weck und Schere aufgefaßt wurden; daraus bildete sich die Erzählung,
daß dort sich ein Bäcker und ein Schneider gegenseitig getötet haben. Mit einem nicht mehr vorhandenen einfachen Kreuz war eine
Überlieferung bei dem bekannten Siegfriedsbrunnen verknüpft; daselbst hatten sich einstmals ebenfalls zwei Männer wechselseitig
umgebracht was demnach nicht mit dem Tode von Siegfried in Beziehung gesetzt werden kann; vielmehr gehört dies alles zu einem
Motiv, welches uns in der Gegend des Odenwaldes noch zum dritten Mal und im übrigen weiterhin öfter beschäftigen wird: Von einem
Sandsteinkreuz am Abhange der alten Straße zwischen zwei Dörfern wird berichtet, es gelte als Totenmal für zwei Buben die sich bei
einer Hungersnot im Streit um ein Stück Brot erschlugen- vermutlich geschah das in Kriegszeiten, denn an diesem Platz haftet auch
die Vorstellung von einem Massengrab. Das behandelte Grundmotiv findet man übrigens gleichfalls z.B. in
Lauterbach und Landenhausen beim
"Kreppel-kreuz" und "Kreppelstein", gleichfalls in Grebenhain, beim Ortenberger "Kässtein", sowie beim
"Pfannkuchenstein" von Salzschlirf.
Ganz aus der Reihe fällt das sagenhafte Ende des Klostermönches Ambrosius, nach welchem ein
Sandsteinkreuz im Waldbezirk "Kreuztanne" benannt worden ist: Als großer Jagdliebhaber hatte er einen Hirsch im anstoßenden
fremden Revier erlegt, wurde von dem zuständigen Jagdhüter verfolgt und trotz seiner glücklichen Flucht über die Grenze durch einen
nachgesandten Pfeil tödlich getroffen. Wie das Volk glaubt, läuft abends der Hund des Mönches mit der Kette dort umher, sucht seinen
Herrn und erschreckt die Vorübergehenden. Ein anderer Mönch wurde an einer Straßenkreuzung niedergeschlagen, konnte aber das
daselbst stehende weiße Holzkreuz noch erreichen und mit seinem Blut röten; man nannte es daraufhin "das Rote Kreuz", gleichwie
das später an seiner Stelle gesetzte Steinkreuz.
Das merkwürdige Reststück eines steinernen Kreuzes mit der Bezeichnung "Die steinerne Hacke" wonach
auch der Wiesengrund heißt, erinnert nach der Legende daran, daß der junge Sohn eines Müllers bei der Nachtwache am
Mühlenwehr einen heranschleichenden Unbekannten mit seiner Hacke erschlug, als dieser durch das Hochziehen des Wehres der
Mühle widerrechtlich das Wasser entziehen wollte; der unerkannte Täter indessen war der Pate des Jungen, welcher in seiner
Verzweiflung bald darauf wohl Selbstmord beging, und ein Pferd samt Wagen ist dort angeblich nur schwer zu bewegen.
Auffällig ist auch der Volksglaube, daß in einer Flur "Am weißen Stein" die früher urkundlich im
Güterverzeichnis eines kirchlichen Stiftes den Namen "Am weißen Kreuz" trug, in der Nachtzeit ein Kalb ohne Kopf erscheine was in
ähnlichen Sagen ein totes Kalb bedeutet, zum Schrecken der Vorbeigehenden; man möchte beinahe an die bekannten Erzählungen
vom vergrabenen goldenen Kalb denken.
Zum Schluß dieses Abschnittes mag noch die etwas unklare Überlieferung mitgeteilt werden, die einen
größeren Radkreuzstein in Beziehung setzt zu einer verschwundenen Stadt mit hochgelegenem Schloß, obwohl der Stein innerhalb
des Dorfes an der Straße steht.
Der letzte Teil dieser Sagensammlung bezieht sich auf den sogenannten Mümhing-Odenwald mit dem südlich
angrenzenden badischen Gebiet In diesem Bereich sind zwar, ebenso wie in den anderen Gegenden, steinerne Kreuze mit Hinweise
auf Unfallereignisse zu verzeichnen, jedoch sind dazu keine besonderen ausschmückenden Erzählungen überliefert, zuweilen noch
nicht einmal irgendwelche Angaben über den Hergang des Unglücks; nur in zwei Fallen solcher Art sind Gedenkkreuze mit
entsprechenden Inschriften erhalten deren eine indessen schwer lesbar ist, während die andere mit dem Namen des getöteten
Baumfällers mitten im Text abbricht. Lediglich in einem besonderen Fall ist noch die zugehörige Sage lebendig, nämlich beim
"Stein vom feuchten Brunnchen", der vor einigen Jahrzehnten für den Wegebau zerschlagen wurde
und einen pflügenden Bauern mit zwei Ochsen zeigte, vielleicht auch ein kleines eingeritztes Kreuz. Dieser Bauer soll trotz der
Warnung von Kirchgängern am Johannistage Heidekorn gesät haben und bald darauf mit seinem Gespann im Erdboden versunken
sein, obwohl man versucht habe, ihm mit Stricken noch zu Hilfe zu kommen.
Weiterhin möge zunächst ein ebenfalls verschwundenes Totenmal kurz erwähnt werden, das "Steinern
Kreuzel", angeblich die Grabstätte von russischen Soldaten aus den Freiheitskriegen. In ihrer Nähe will man während der nächtlichen
Ruhestunden Trommelwirbel und Kommandorufe gehört haben, was wohl an militärische Bestattungsfeierlichkeiten erinnern könnte. Die
sehr anfechtbare Auffassung solcher Begräbnisplätze findet man auch in einigen Erzählungen von dem gegenseitigen Töten zweier
Buben oder Erwachsener. Entsprechend tragen die Grabsteine in mehreren Fällen die Bezeichnung "Bubenkreuz"
(vgl. auch Beerfelden III),
wonach gleichfalls die zugehörige Gewann benannt ist; nur einmal trifft man dabei auf ein "Linsekreuz", was vielleicht mit lenzen
zusammenhängt. In diesen zuletzt genannten Örtlichkeiten haben sich, wie man sagt, zwei Buben totgekitzelt, was auch von zwei
vermutlich älteren Hammerschmieden berichtet wird, zu deren Andenken in der Nähe eines ehemaligen Hammerwerkes das
Sandsteinkreuz mit den entsprechenden Zunftzeichen gesetzt worden sei. Als "Bubenkreuz" wird gleichfalls ein Sandsteinblock
bezeichnet, allerdings mit drei eingehauenen Kreuzen, wo drei Jungen miteinander "Mörder" spielten, während einer von ihnen
versehentlich am Strick erhängt wurde, als die beiden anderen einem dreibeinigen Hasen nachliefen, ähnlich wie beim Kässtein von
Leihgestern (Kreis Gießen); noch heute zeigt sich hier angeblich nächtlicherweise ein Gespenst bis zum Wegende.
Andererseits berichtet die Sage in verschiedenen Orten vom gegenseitigen Erschlagen, wie zunächst von
zwei Bauern, die als Waffen eine Sense und ein Pflugeisen benutzten, deren eingeritzte Bilder man auf einem der zugehörigen
Steinkreuze sehen kann, während das zweite nur ein erhabenes Kreuzchen tragt; anderswo werden solche Totenmale auf streitende
Zimmerleute bezogen, im Falle der sogenannten "Habermannskreuze",
die ehemals indessen "Habermuskreuze" hießen, wird von Hafermähern berichtet und derem gegenseitigem Totschlag mit Sensen,
wobei wohl eine Volksdeutung der Kreuzbezeichnung mitgespielt hat. Eine Besonderheit bietet die Legende vom "Hirtenstein", der
wohl das Bild einer Hirtenschaufel zeigt und neben einem Grenzstein steht: Hier haben sich zwei Hirten verschiedener Konfession im
Streit um ihren Glauben mit der Hacke erschlagen; der katholische ist unter dem Kreuz begraben, wie man hört, und der
protestantische unter dem Grenzstein von 1580. Wie schon weiter oben bemerkt war, möge an dieser Stelle nochmal darauf
hingewiesen werden, daß dieses hier so häufige Motiv des gegenseitigen Tötens als Wandersage ebenso im Kreis Lauterbach vor
allem vorkommt.
Eine andere weit verbreitete Steinkreuzsage in diesem Teil des Odenwaldes erzählt von ermordeten
Spinnerinnen auf dem Wege zur Spinnstube, wofür die Zeichen mancher Kreuze den Anlaß geben. An einem der mit
solchen Sagen verbundenen Kreuze ist ein achtspeichiges Rad erhaben angebracht, an zwei weiteren eine
siebartige Kreisscheibe und an dem als "Spinnmädchen"
benannten Sandsteinkreuz eine Rundstange mit anhängender Kugel, deren Deutung unsicher bleibt; das Rad dagegen ist
wahrscheinlich auf den Tod eines Wagners oder Fuhrmanns zu beziehen. Nicht eine Spinnerin, sondern eine Nonne soll ermordet
sein, wo an dem dafür zum Andenken gesetzten Kreuz der Nonnenweg vorbeizieht; dieser Weg hat wohl das Volk zu der Erzählung
veranlaßt, gleichwohl wird auch berichtet, hier hatten Bauern einen Soldaten erschlagen. Als Seltenheit ist ein kleineres Kreuz
anzusehen mit dem Bild einer Pflugsech, was zur Erinnerung an ein Kind aufgestellt worden sein soll, allerdings ohne nähere Angaben.
Es wird aber noch überliefert, der Besitzer des Ackers habe wegen Behinderung beim Pflügen dieses Kinderkreuz mit samt zwei
anderen beseitigt, woraufhin in den folgenden Nächten auf seinem Hofe furchtbarer Lärm zu hören war; dies dauerte solange, bis der
erschrockene Bauer die Kreuze wieder an seinen Platz gebracht hatte.
Drei Sandsteinkreuze spielen ebenfalls eine Rolle bei einem Doppelmord; sie stehen nahe bei einem
Heiligenhäuschen, wo einstmals im Walde das Brautpaar eines Hochzeitzuges ermordet worden ist, wie man sagt. Der Mörder,
ein Jude, kam anschließend gleichfalls um und ihm wurde das dritte Kreuz mit dem Dolch gesetzt. Im Marbachtal fand man seltene
Kreuzsteine mit Bildern der Getöteten, nämlich den "Stein des Lahmen Schneiders" der am Waldrand
erschlagen wurde, und der "Stein vom Mühlberg", wo ein Kirchenpfleger wohl von einem wallonischen Soldaten i.J. 1622 erschossen
worden ist.
Den Abschluß des ganzen Überblicks mag die Sage des auf dem Kirchgang überfallenen Schäfers bilden,
der die Vögel als Rächer anrief, ähnlich wie Ibykus die Kraniche und so den Mörder dem Gericht überlieferte; am Tatort soll seitdem
alles Wachstum kaum geraten, wie man es in ähnlicher Weise vom "Armesünderpfad" bei Lollar (Kreis Gießen) glaubt, wo ein
unschuldig Verurteilter zum Galgen geführt wurde.
(aus: Der Odenwald, Heimatkundliche Zeitschrift des Breuberg-Bundes, 15.Jg. 1968, H.2, S.48-54)