Deutschland
Niedersachsen
Lkr. Gifhorn
Rade
die andere Seite |
Abbildung bei Müller / Baumann (1988) |
Skizze bei Hoffmann (1935) |
PLZ:
29378
GPS:
N 52° 43.671', O 10° 46.520'
Standort:
Am südlichen Rand der Landstraße von
Wittingen zur Landesgrenze, etwa 30m westlich der Kreuzung mit dem Fahrweg Rade - Sutterwingen.
Größe / Material:
97:96:20 / Kalkstein
Geschichte:
Das Rader Scheibenkreuz musste 1992 durch
die Mitarbeiter der Kreisarchäologie Gifhorn ausgegraben und um einige Meter von seinem damaligen Standort versetzt werden. Man
findet es heute südlich neben der Straße Wittingen - Salzwedel, ca. 50m westlich der kreuzenden Straße Rade - Suderwittingen. Auf
Grund einer erst jüngst in Salzwedel entdeckten Zeichnung des Lagendorfer Predigers Johann Heinrich Friedrich Krüger gelang es
dem ehrenamtlich beauftragten Mitarbeiter der Gifhorner Kreisarchäologie, Heinz Gabriel, im April 2006, den wahrscheinlichen
Standplatz des Kreuzes in den 1850er Jahren zu rekonstruieren. Bei seinen Untersuchungen stellte sich heraus, dass das Kreuz sich
damals ca. 500m westlich von Rade an der ehemaligen Hauptstraße Wittingen - Salzwedel, somit etwa 450m nordwestlich des heutigen
Standplatzes (N 52° 43,856', O 10° 46,254')
befunden hat. Demnach ist es auch noch in der jüngeren Vergangenheit mehrfach umgesetzt worden.
Das Kreuz ist sehr stark verwittert und weist zahlreiche Wetzrillen und
Schälchen auf. Es war ursprünglich auf beiden Seiten mit einem Ringkreuzrelief versehen. Es ist nord-süd-orientiert, besteht aus
Muschelkalk und ragt etwa 1m aus dem Boden. Der Durchmesser der Scheibe beträgt ca. 95cm. Der Schaft ist gerade.
Bevor das Kreuz wieder eingegraben wurde, konnte es wissenschaftlich untersucht und konserviert werden. Bei den
Untersuchungen wurde auf dem Schaft die eingeritzte Jahreszahl 1701 oder 1709 festgestellt, was bedeutet, dass dieser Bereich
um 1700 noch sichtbar gewesen war. Vor 1993 steckte das Kreuz aber noch tiefer als heute im Boden, deshalb war die
Überraschung groß, als man bei der Ausgrabung feststellte, dass es insgesamt fast 2m hoch ist und dass sich unter dem Fuß ein
Zapfen befindet. Dieser Zapfen war zur Aufstellungszeit in einen Sockel eingesetzt gewesen.[...] (Mittag 2006)
NIEDERSACHSEN. Kreuzstein bei Rade geborgen. Seit Anfang dieses Jahrhunderts steht an der Landstraße von Wittingen nach Waddekath, unmittelbar an der
Abzweigung nach Rade, kurz vor der ehemaligen DDR-Grenzanlage, ein etwa 60 Zentimeter aus der Erde ragender, stark verwitterter Kreuzstein.
In der Schulchronikvon Radeaus dem Jahre 1882 ist er als "Glockenstein" geführt. Phantasiebegabte Betrachter wollen auf diesem der Sage nach aus vorchristlicher
Zeit stammenden Stein ein Kreuz oder Hufeisen erkennen. In jener Vorzeit könnte er auch eine Gerichtsstätte markiert haben und später als Grenzstein zwischen den
Bistümern Halberstadt, Hildesheim und Verden gedient haben. Nach den Erkenntnissen über "Kreuzsteine aus der niedersächsischen Denkmalspflege" von Werner Müller
und Günther Baumann aus Hameln, soll dieser Glockenstein nach einem sagenumwobenen Mord an einem Glockengießerlehrling um 1430 an der Richtstätte des Mörders
aufgestellt worden sein. Nun haben Mitglieder der Archäologischen Arbeitsgemeinschaft Gifhorn und der Kreisbeauftragte für archäologische Denkmalpflege Meine,
Heinz Gabriel, diesen bis 1,30 Meter tief in der Erde steckenden Stein ausgegraben und mit Unterstützung des Straßenbauamts Wolfenbüttel nach Wittingen zum
Säubern, Restaurieren und Konservieren gebracht. Wie der Oberkonservator Günter Jung von der Bezirksregierung Braunschweig am Ausgrabungsort erläuterte, könnte
es sich bei diesem aus Kalkstein bestehenden Denkmal auch um einen "Sühnestein" aus dem Mittelalter handeln. Beim Ausgraben gesellte sich Hans-Heinrich Niebuhr
aus Rade zu der Gruppe und erinnerte sich, daß seine Großmutter als Zeitzeugin seinerzeit ihm erzählt habe, dieser Stein habe, bevor er um 1905 dort eingegraben sei,
auf dem damaligen Soltauschen Hofe in Rade (jetzt Karlsdorf) als Abtretestein gedient. Konservator Jung, Heinz Gabriel und der Leiter der Archäologischen
Arbeitsgemeinschaft Klaus Joachim Borchert wollen mit ihren Helfern diesen Stein im Frühjahr um rund zehn Meter versetzt in neuem Glänze und ungefährdet von
Straßenverkehr und Umwelteinflüssen wieder aufstellen. (Gifhorner Rundschau 1992)
Stand einst etwa 100m entfernt von der Mühle in Rade. Das "Glockenstein" genannte, stark verwitterte und beschädigte mit dem Fuß
eingesunkene Scheibenkreuz läßt auf beiden Seiten in der Scheibenmitte eine ringförmige Erhöhung und, von dieser ausgehend, vier
nach außen geschweifte und am Scheibenrand auslaufende Kreuzarme erkennen. Die Scheibenmitte, die vielleicht eine Skulptur
enthalten haben könnte, ist völlig zerstört. Auf dem Stein sind zahlreiche Kritzeleien, Wetzrillen
und einige eingetiefte Näpfchen vorhanden. (Müller / Baumann 1988)
An einer Straßenkreuzung unweit Wittingen liegt der Glockenstein, etwa 2 Meter hoch, mit Ornamenten versehen;
ein Ring und ein darin befindliches Kreuz sind noch zu erkennen. Von diesem Stein geht im Volk eine Sage um, die in dem Band "Vom Harz zur Heide" der
"Niedersächsischen Sagen" des Verfassers wiedergegeben wurde; sie ähnelt der Sage vom Glockenguß zu Lüneburg, die in fast gleicher Form auch in Breslau
und anderen Orten vorkommt, und die mehrfach dichterisch behandelt worden ist. Die Glockensteine anderer Orte haben meistens die Form einer Glocke, so
daß schon darin die Ursache der Namengebung gesucht werden kann. (Karstens 1943)
Der etwa 100m von der Mühle in Rade an der Landstraße vom Orte nach Wittingen stehende Stein (T.XVIII, 148)
ist aus Muschelkalk gefertigt und hat nach einigen Ortsveränderungen jetzt seinen alten Platz wieder erhalten. Er soll vor Jahren in die Wand des Kuhstalls, später aber im
Backofen eingemauert gewesen sein und nichts Gutes dahin gebracht haben. Das Vieh wurde krank, das Brot nicht gar. Als er dann wieder an seine ursprüngliche
Stätte zurückgebracht war, sollen wieder Ruhe und Ordnung in der Mühle eingezogen sein.
Sage: Die schon an anderer Stelle erwähnte Glockengießersage. Nach H. Karstens soll die
Untat sich 1470 zugetragen haben und die Glocke im Turme der Kirche in Wittingen dies bezeugen. Nachts soll eine auf dem Steine sitzende schwarze Katze,
die am Tage noch niemand gesehen haben will, die Vorübergehenden ängstigen. (Hoffmann 1935)
Sage:
1. Um 1430 soll ein Glockengießerlehrling in
Abwesenheit des Meisters den Guß der Wittinger Kirchenglocke vollbracht haben. Aus Neid erschlug ihn der Meister und wurde
dafür hingerichtet und am Richtplatz das Scheibenkreuz aufgestellt.
2. Ein Reiter, ein "Schimmelreiter" oder ein General soll unter dem alten Standort des Steines begraben sein.
3. Ein Bauer in Rade hatte den Stein als Trittstein vor die Haustür gelegt, fand ihn jedoch am nächsten Tag aufrecht
stehend vor. Als dies mehrmals geschah, brachte er ihn zurück.
4. Ein anderer Bauer benutzte den Stein als Backofenplatte, mußte aber erfahren, daß ihm kein Brot mehr geriet. Als er
den Stein dann in eine Hofecke geworfen hatte, gelang das Brotbacken wieder, doch brachen sich ein Fohlen und eine Kuh
am Stein das Bein, und ärgelich darüber brachte auch er den Stein an den alten Platz zurück (vgl. Drehna in Sachsen).
5. Ein Wunderdoktor im Ort soll von dem Stein Pulver abgeschabt haben zu Heilzwecken für Mensch und Vieh. Zeitweilig habe er den Stein auch im Haus gehabt, doch aus
Gewissensunruhe brachte er denselben wieder an den alten Platz.
6. Eine schwarze Katze, die sich am Tage nie zeigte, hat nachts, auf dem Stein sitzend, die Vorübergehenden erschreckt.
7. Ein Mensch sei in diesen Stein verwandelt worden.
Quellen und Literatur:
• Krüger, Johann Heinrich Friedrich - Der rahder Stein, in: Altmärkische Sagen und Gewohnheilen, in: 12. Jahresbericht des altmärkischen Vereins für vaterländische Geschichte und Industrie. Salzwedel 1859, S.17-23
• Ehlies, Martin - Dichtung und Wahrheit um den Rahder Stein, in: Unsere Altmark, Heimatbeilage zur Tageszeitung Salzwedeler Wochenblatt, Nr.27, 1934, S.105-106
• Karstens, Heinrich - Von alten Steinkreuzen und anderen Malen, in: Unsere Altmark, Sonntagsunterhaltungsbeilage zur Tageszeitung Salzwedeler Wochenblatt, Nr.35, 1934, S.139-140
• Hoffmann, Adolf - Die mittelalterlichen Steinkreuze, Kreuz- und Denksteine in Niedersachsen, 1935, S.7, 42
• Karstens, Heinrich - Findlinge und alte Steinmale in Niedersachsen, in: Völkischer Beobachter, Nr.319 vom 5.11.1943
• Müller / Baumann - Kreuzsteine und Steinkreuze in Niedersachsen, Bremen und Hamburg, 1988, Nr.3230.1
• Gifhorner Rundschau vom 21.11.1992, in: Steinkreuzforschung, Mitteilungsblätter, Nr.2 / 1993, S.28-29
• Rohde, Eberhard - Sagen und Märchen aus dem Raum Gifhorn - Wolfsburg, Gifhorn 1994, S.102
• Mittag, Lothar - Das spätmittelalterliche Scheibenkreuz von Rade im Landkreis Gifhorn, 2006, in: Altmark-Blätter / Heimatbeilage der Altmark-Zeitung, 17.Jg., Nr.28, S109-112 / Nr.29, S.113-114
• Mittag, Lothar - Sagenhafte Steine, 2006, S.13-18
• recherchiert und bebildert von Robert Ache, Cottbus (Fotos von Juli 2005)
• Hinweise und Ergänzungen von Werner Müller, Elze
Dichtung und Wahrheit um den Rahder Stein
Von Martin Ehlies
Wer sich auf der Landstraße von Waddekath nach Wittingen von dem Zauber der herrlichen
Birkenalle gefangen nehmen läßt, wird sicherlich achtlos vorübergehen an einem sonderbar geformten Stein, der bescheiden am
Straßenrande linkerhand in der Nähe der Wegkreuzung Suderwittingen - Rahde steht. Und doch sollte er unsere Aufmerksamkeit erwecken;
denn er steht nicht von ungefähr da, sondern merkwürdige Geschichten spinnte der Volksmund um diesen artfremden Stein. Artfremd ist er;
denn er hat nichts gemein mit dem Gestein unserer näheren Heimat. Es ist ein großer Kalkstein, scheibenförmig und unten mit einem
Fuße versehen, der aber bereits in der Erde versunken ist.
Der Durchmesser der Scheibe beträgt etwa 90cm und die Dicke etwa 25-30cm. Mit Bestimmtheit, wenn auch schon stark verwittert,
ist auf beiden Seiten ein eingehauener Kreis zu erkennen, von welchem vier Schenkel eines Kreuzes ausgehen, die sich bis zum Rande der
Scheibe erstreckt haben mögen, so daß der Kreis den Mittelpunkt des Kreuzes bildet. Das Innere des Kreises ist flach und ohne alle
Verzierung. Außerdem weist der Stein verschiedene größere und kleinere Löcher auf als Zeichen fortschreitender Verwitterung.
Dieser merkwürdige Stein wird im Volksmunde auch noch "Glockenstein" genannt, und mit ihm soll es folgende
Bewandtnis haben: Ein Glockengießer aus Salzwedel sollte im Jahre 1470 nach einem großen Brande für die Wittinger Kirche eine
neue Glocke gießen. Aber der Guß mißlang ihm zweimal, und ärgerlich baute er mit seinem Lehrling zum dritten Male die Form und machte
alles zum Gusse fertig. Diesmal sollte aber der Guß bestimmt gelingen, und der Meister ging daher nach Salzwedel, um ein Zaubermittel
für die Glockenspeise zu holen. Dem Jungen befahl er, recht tüchtig den Ofen zu heizen, damit nach seiner Rückkehr der Guß sofort
beginnen könne. Weil aber der Meister nicht so bals wiederkam, wurde der Junge ungeduldig, öffnete den Hahn, wie der meister es zu tun pflegte
und ließ die glühende Glockenspeise in die Form rinnen. Nun bekam er es doch mit der Angst und lief dem Meister entgegen. Als dieser
von dem Vorfall hörte, geriet er in Wut, weil er glaubte, der Guß sei nun wieder mißlungen, und schlug unbarmherzig auf den Jungen
ein, so daß er bals tot zusammenbrach. Beim Aufbruch des Mantels (Glockenform) mußte er aber feststellen, daß der Guß ausgezeichnet
gelungen war und daß die Glocke einen wunderschönen Klang hatte. Der Mörder wurde an derselben Stelle, wo er den Jungen ermordet hatte,
hingerichtet. Man setzte auch einen Stein an den Ort und hieb zwei Kreuze hinein für die Seelen der Toten. Auch hat man noch lange
Zeit bei Wittingen das Loch gezeigt, wo die Glocke gegossen worden sein soll.
Von diesem sonderbaren Stein erzählt man sich in der Gegend natürlich noch mancherlei. So soll der Stein nicht
Glockenstein, sondern Kreuzstein heißen, weil ein Reiter, nach anderen Angaben ein Schimmelreiter, darunter begraben liege. Nach
anderen Erzählungen soll der Stein heilig und unverletzlich sein, und wer ihn fortnimmt, ladet Gottes Zorn auf sich und wird selbst von
der Obrigkeit nicht ungestraft bleiben.
Ein Bauer aus Rahde hatte ihn einmal mitgenommen, um ihn beim Bau eines Backofens zu verwenden, aber zu
seinem Unglück. Seit der Zeit konnte er kein Brot mehr gar kriegen, wollte er auch ein halbes Fuder Holz verbrennen. Und machte er den
Ofen auch so heiß, daß er Risse bekam, sein Teig blieb doch Klitsch. Nun riß er den Stein wieder heraus, und siehe da, sein Brot
geriet wieder. Aber das Unglück hing doch am Stein, der achtlos beiseite in einem Winkel auf dem Hofe lag. Ein dreijähriges Füllen,
des Bauern Stolz und Freude, rutschte am Stein aus und brach das Bein, und ähnlich geschah es kurz darauf mit einer
schmucken Kuh. Um ferneres Unglück vom Hofe abzuwenden, schaffte der bauer den Stein wieder an den rechten Ort.
Ein anderer Bauer aus Rahde, der ebenfalls Gefallen fand an dem Stein, nahm ihn als Trittstein vor seinem Hause.
Jedoch am andern Morgen stand derselbe aufrecht vor der Tür. Er legte ihn wieder hin, aber am anderen Morgen stand der Stein wieder aufrecht.
Das erschien ihm nicht geheuer, und er brachte ihn an seinen früheren Standort zurück.
Vor vielen Jahren soll in Rahde ein berühmter Hexenmeister gewohnt haben, zu dem die Leute aus allen Gegenden kamen. Er
heilte Menschen und Vieh mit gleichem Erfolge und mit - derselben Medizin, nähmlich mit einem Pulver, dessen Hauptbestandteile vom
Rahder Stein abgeschabt waren. Tatsächlich sind an dem Stein noch heute bei genauerem Betrachten Schabstellen zu sehen, woher sie
jedoch rühren, läßt sich nicht feststellen, immerhin läßt ein Kalkstein sich leicht schaben. Diese Wunderkraft des Steines soll aber
auch später noch ein Rahder Schäfer ausgenützt haben, der große Wunderkuren damit gemacht haben soll. Auch andere Leute haben
diesen Kreuzstein als Schutzmittel gegen Krankheiten genutzt und ihn nicht bloß geschabt, sondern sogar Stücke abgeschlagen. Der
vorerwähnte Hexenmeister soll den Stein sogar mehrere Tage in seinem Hause verborgen haben, aber es soll sich doch sehr gegrault haben, daß
er ihn schleunigst wieder an Ort und Stelle bracht.
Was es mit diesem Stein eigentlich auf sich hat, mag wohl ungelöst bleiben. Ein alter Lehrer soll gemeint haben,
es wäre ein Opferstein gewesen. Die bezeichneten Male seien die Blutrinnen. Vielleicht ist es aber auch ein Grenzstein gewesen; denn schon Jacob Grimm sagt:
"Das Zeichen des Kreuzes war bei Grenzen im rechtlichen Gebrauch". Ob er nun noch an seiner grenzmäßigen Stelle steht, wissen wir nicht.
Vielleicht war aber auch durch diesen Stein der Platz geweiht, wo früher Volksversammlungen und Gerichte abgehalten wurden; denn
diese fanden bei Steinen und unter Bäumen statt. Da Anzeichen von einem ehemaligen Landgerichte aber nicht vorhanden sind, will man
annehmen, daß der Kreuzstein ein Zeichen adeliger Gerichtsbarkeit sei. Und zwar soll sich die Gerichtsbarkeit von Wolfsburg bis
hierher erstreckt haben, auch müsse der Rahder Stein von Wolfsburg hergekommen sein, da sonst nirgends näher Kalkstein angetroffen wird. Es
könnte aber ebensogut auch die Gerichtsbarkeit der von dem Knesebeck hierher gereicht haben. Das sind alles nur Vermutungen.
Das Rätsel des Steines wird wohl ungelöst bleiben.
Ich möchte dich aber, verehrter Leser, bitten, beileibe nicht gleich morgen zum Rahder Stein zu eilen und ein
Mittel gegen Rotlauf und dergl. mehr abzuschaben; nein, wir wollen ihn als Naturdenkmal in unseren Schutz nehmen une erhalten.
(Unsere Altmark, Heimatbeilage zur Tageszeitung Salzwedeler Wochenblatt, Nr.27, 1934, S.105-106)
Das spätmittelalterliche Scheibenkreuz von Rade im Landkreis Gifhorn
von Lothar Mittag
1. Die mittelalterlichen "Sühnekreuze" der Altmark
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Bild 01 Die Altmark – die schwarzen Punkte bezeichnen die Orte in denen sich heute
noch mittelalterliche Steinkreuze befinden
Kartengrundlage: Topographischer Atlas Sachsen- Anhalt; Landesamt für Landesvermessung und Datenverarbeitung Sachsen-Anhalt: 1999 |
In der gesamten Altmark existieren heute noch 13 spätmittelalterliche Steinkreuze. In der angrenzenden Prignitz, dem Teil des ehemaligen Kreises Havelberg,
der heute zum Kreis Stendal gehört, kommt ein weiteres hinzu. Das außergewöhnlichste Kreuz, das im folgenden im Mittelpunkt stehen soll, befindet sich heute bei
Rade im Kreis Gifhorn nahe der Kreis- und Landesgrenze zwischen den Kreisen Salzwedel und Gifhorn bzw. zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen.
Im Kreis Stendal, einschließlich Havelberg, gibt es noch 11 Kreuze, im Kreis Salzwedel dagegen nur 3. Nur das
Kleinauer Kreuz befindet sich westlich der
Milde-Biese-Aland-Niederung. Dazu käme in diesem Falle allerdings noch das Rader Kreuz. Das genannte Niederungsgebiet bildete in der mittelalterlichen Altmark die
Grenze zwischen den Bistümern Verden und Halberstadt. Zumindest östlich des Milde-Biese-Aland-Flusses waren früher noch mehrere "Sühnekreuze" vorhanden, die
leider zwar inzwischen verschwunden sind, aber manchmal noch eine Erwähnung in Sagen bzw. alten Berichten finden.
Meist werden diese Kreuze heute als "Sühne- oder Mordkreuze" bezeichnet. Sie wurden in Deutschland zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert errichtet und konnten
Teil der Sühne für einen Totschlag sein. "Echte" Sühnekreuze findet man heute meist an Wegegabelungen oder Straßen. Im Jahre 1532 versuchte Kaiser Karl V. mit einer
neuen Kriminalverordnung (constutio criminalis carolina) das traditionelle Sühnevertragsverfahren zu beenden. Verbrechen sollten damit in erster Linie als Verbrechen
gegen den Staat verstanden werden, was zur Folge hatte, dass der Staat das Recht aber auch die Pflicht zugesprochen bekam, Verbrechen zu bestrafen. Der Kaiser
wollte, wie schon vorher die Kirche, damit der alten germanischen (heidnischen) Sitte der Rache und Widerrache (Fehde) Herr werden. Noch im Jahre 1502 (Pflanz, 1931)
ist in einem Urteil aus der Stadt Seehausen festgelegt worden, dass ein Totschläger unter anderem auch ein Kreuz zu setzen habe. Da er aber u.a. auch für die gesamte
Beerdigung aufkommen musste, könnte es sich dabei möglicherweise auch "nur" um ein Grabkreuz gehandelt haben. Im 16. Jahrhundert endete das Aufstellen der
echten Sühnekreuze, nicht aber das von Gedenksteinen- oder kreuzen. H. Karstens berichtet 1934, dass im 19. Jahrhundert im Amte Neuhaus noch ein Steinmal
errichtet wurde und Fritz Ebruy (Ebruy, 1956, S.38) schreibt, dass das letzte Sühnekreuz in Sachsen-Anhalt 1902 errichtet worden sein soll, ohne aber eine Quelle
dafür anzugeben. Wahrscheinlich ist in dieser Quelle die Bezeichnung "Sühnekreuz" verwendet worden, ohne den eigentlichen Inhalt des Begriffes noch zu kennen. In
den genannten Fällen wird es sich bereits um Gedenksteine gehandelt haben. Diese Sitte ist bis heute nicht verloren gegangen.
Die meisten mittelalterlichen Steinkreuze der Altmark befinden sich auf Friedhöfen bzw. sind in die Friedhofsmauer oder in Kirchen eingemauert, auch diese werden
meist als "Sühnekreuz" bezeichnet. Dabei wird es sich hier möglicherweise aber nur um mittelalterliche Grabkreuze, die der Vernichtung entgangen sind, handeln. Der
Hallenser Forscher Walter Saal hat sogar Grabplatten als Kreuzsteine bezeichnet und in seinen Katalog der Steinkreuze aufgenommen (Saal, 1987). Diese Steine
sollen hier aber nicht in die Betrachtungen aufgenommen werden.
Von den 15 erwähnten Kreuzen sind nur die 4 Kreuze von Rade, Berkau,
Groß Möringen sowie das Kleinauer
Kreuz als Wegekreuz zu bezeichnen. Die 4 Kreuze von Stendal und
Havelberg sind
in die Fassaden der Katharinenkirche, der Marienkirche bzw. der Havelberger Stadtkirche eingemauert worden. Das Kreuzfragment von Borstel
sowie die Kreuze von Badingen und Klein
Schwechten stehen jeweils auf den Friedhofsmauern, das Lindstedter Kreuz ist außen in die
Friedhofsmauer eingesetzt worden. Die beiden Kreuze von Berge in der Wische und das Zienauer Kreuz
stehen auf dem Friedhof. Mit Ausnahme der beiden Berger Kreuze, die Walter Saal ins 16. Jahrhundert setzt, datiert er die übrigen altmärkischen Steinkreuze in die
erste Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die meisten Kreuze besitzen ausschwingende Arme und Schäfte sowie Köpfe bzw. sie haben sogenannte Nasen und manchmal
Zwickel. Die Ausnahmen bilden hier das Kreuz von Kleinau, dabei handelt es sich um ein
parallelarmiges lateinisches Kreuz sowie das Rader Kreuz. Bei diesem handelt es sich um ein sogenanntes Scheibenkreuz. Im Gegensatz
zum durchbrochenen Radkreuz wurden hier die Kreuzarme und der Kopf auf einer großen runden Vollscheibe als Relief hervorgehoben. Nur der Schaft des Kreuzes ist
parallelseitig. Scheibenkreuze kommen in der Altmark nicht vor.
2. Die Steinkreuze in der Sagenwelt
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Bild 02 Lucie Löwe, 2005 |
Viele Sagen ranken sich um Großsteingräber, besondere Steine und um Steinkreuze. Ging man bei der sagenhaften Entstehung der Hünengräber (Großsteingräber)
und besonderen Steine, dabei kann es sich um sogenannte Schälchen-, Rillen- oder Rinnensteine oder aber um besonders große Findlinge handeln, meist davon aus,
dass nur Riesen (Hünen)- oder Zauberkräfte dafür Verantwortung trugen, so war das bei den wesentlich jüngeren Steinkreuzen anders. Allerdings konnte man sich auch
hier meist nur noch mit Sagen behelfen, wenn man eine Erklärung für deren Aufstellung benötigte. Dabei spielten allerdings Riesen, Teufel (höchstens als Schutz vor
diesem (Badingen) oder Hexerei keine Rolle. Man wusste in der Regel, dass die Kreuze durch
Menschen aufgestellt worden waren und der Teufel wäre sicherlich nur schwer zu überzeugen gewesen, freiwillig ein Kreuz aufzustellen. Der tatsächliche Grund für die
Aufstellung der Kreuze war bei der Entstehung der Sagen aber entweder nicht mehr bekannt oder aber der Sagenaufschreiber (-erfinder?) hielt ihn für zu pragmatisch und
wollte seine Geschichte erzählen.
Über 10 der erwähnten 15 Steinkreuze sind sagenhafte Berichte bekannt geworden. Nur über die 3 noch vorhandenen
Stendaler Kreuze sowie über das Havelberger
und das Klein Schwechtener Kreuz sind mir bisher noch keine Geschichten bekannt
geworden. Allerdings berichtet Walter Saal auch über dieses Kreuz, dass ihm erzählt wurde, "...dass
hier einstmals jemand totgeschlagen worden sei."
Ein mehrfach auftretendes Motiv für einen zu sühnenden Totschlag ist der Neid des Meisters auf seinen Gesellen oder Lehrling. Oft ist es der Glockenguss, der hier die
entscheidende Rolle spielte (z.B. in Berkau, Groß Möringen
oder Rade, hier handelt es sich auch immer um Wegekreuze!).
Schon das Gießen einer Kirchenglocke galt als heilige Handlung. Wenn somit der Glockengießer seinen Gesellen erschlug, dann hatte er sich damit zuallererst
gegen Gott und die Kirche versündigt. Es war deshalb logisch, wenn als Sühne ein Kreuz aufgestellt wurde, an dem für das Seelenheil des Erschlagenen, vielleicht aber
auch für dessen Mörder, gebetet werden konnte. Indem man hervorhob, dass die eigentliche Sünde sich gegen Gott richtete, versuchte man der Familie des Getöteten
das Recht zur Rache abzusprechen. Möglicherweise stammen diese Berichte deshalb tatsächlich aus der Aufstellungszeit der Kreuze, waren aber damals schon zu
diesem Zweck ideologisiert worden. Ein weiteres Mordkreuz befindet sich in Borstel, allerdings gibt es
über die eigentliche Mordtat differenzierende Meinungen. Die beiden Berger Kreuze stehen ebenso wie
das Lindstedter Kreuz für Brudermorde bzw. den Totschlag unter nahen Verwandten. Am
Kleinauer Kreuz ist ein Unfall passiert, bei dem jemand zu Tode kam. In
Zienau, so wird berichtet, wurde ein französischer Offizier "zu Tode gepflegt". Das
Badinger Kreuz wurde aber auf der Ecke der Friedhofsmauer eingemauert, um zu verhindern, dass der
Teufel die Mauer übersteigt.
Bild 03 Kreuz in Klein Schwechten Foto: Lothar Mittag, 2005 |
Bild 04 Die Wegekreuze von Berkau… Foto: Lothar Mittag, 2005 |
Bild 05 …und Groß Möringen Foto: Lothar Mittag, 2005 |
Einige der Kreuzsagen beziehen sich auf die Zeit des "30 jährigen Krieges" oder gar noch auf die "Franzosenkriege". Und das, obwohl in unserer Gegend nach der
Reformation im 16. Jahrhundert zumindest keine Sühnekreuze mehr aufgestellt wurden. Das könnte ein wichtiger Hinweis darauf sein, dass man sich so manche
Geschichte zu den Kreuzen tatsächlich viel später ausgedacht hatte oder dass einige der alten Kreuze später weiter genutzt worden waren.
Eine Ausnahme zu dem bisher Gesagten stellen die jüngeren Mord- und Unfallsteine dar, die lediglich als Gedenksteine fungierten und keine Sühnefunktion hatten,
wahrscheinlich aber tatsächliche Morde dokumentieren. Auf diese Steine soll hier aber nicht näher eingegangen werden. Allerdings besaßen und besitzen sowohl die
spätmittelalterlichen Steinkreuze als auch die moderneren Gedenksteine letztlich immer auch die Funktion der Aufrechterhaltung des Gedächtnisses an den Toten.
Eine besondere Bedeutung kommt in unserer Gegend dem Rader Scheibenkreuz zu. Anhand dieses Kreuzes und der vielen
Geschichten, die darüber überliefert sind, lassen sich einige wichtige Fragen der Sagenforschung recht anschaulich besprechen. Auch (und nicht zuletzt) durch jüngere
Forschungsergebnisse rückt dieses besondere Kreuz heute wieder in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Obwohl es sich im Kreis Gifhorn befindet, wurde das Kreuz
auch in die altmärkischen Sagensammlungen aufgenommen, warum, wird noch zu erläutern sein.
3. Das Scheibenkreuz von Rade
Lage und Beschreibung
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Bild 06 Das Rader Kreuz im Jahr 2005 Foto: Lothar Mittag
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Bild 07 Heutiger Standort des Kreuzes (rot) im Vergleich zum wahrscheinlichen
Standort von 1859 (grün); nach Heinz Gabriel
Ausschnitt aus der TK 3230 Wittingen M 1:25000; Niedersächsisches Landesverwaltungsamt: 1995 |
Das Rader Scheibenkreuz musste 1992 durch die Mitarbeiter der Kreisarchäologie Gifhorn ausgegraben und um einige Meter von seinem damaligen Standort
versetzt werden. Man findet es heute südlich neben der Straße Wittingen - Salzwedel, ca. 50m westlich der kreuzenden Straße Rade - Suderwittingen. 1931 schreibt
Paul Pflanz (Pflanz, 1931, S.45): "Auf der Feldflur von Rahde, etwa 30m westlich von der Stelle, wo der Feldweg von Rahde nach Suderwittingen die Chaussee
Diesdorf Wittingen kreuzt, steht im südlichen Chausseegraben ein Stein ... ." Was bedeutet, dass das Kreuz zu dieser Zeit wahrscheinlich bereits an der Stelle
eingegraben war, wo es sich vor seiner Umsetzung 1992 befunden hatte. Auf einer zugehörigen Zeichnung ist die Kreuzscheibe in einer schrägen Grabenböschung
steckend, dargestellt. In einem drei Jahre später veröffentlichten Artikel (Karstens, 1934, S.139) heißt es aber: "An einer Straßenkreuzung unweit Wittingen liegt
der Glockenstein, etwa 2m hoch, mit Ornamenten versehen ... ." Die Größe des Kreuzes konnte dem Autor nur bekannt gewesen sein, wenn es eine Zeit lang
nicht eingegraben gewesen war und neben der Straße lag. Auch wenn der Artikel erst 1934 erschien, muss das nicht unbedingt ein Widerspruch zu Pflanz´ Bericht sein.
Vielleicht hatte der Autor, der in Goslar lebte, den Stein vor längerer Zeit einmal gesehen oder aber ihm war davon berichtet worden. Möglicherweise war es aber auch
zwischen 1931 und 34 (zum wievielten Male?) herausgenommen worden. Auf jeden Fall bedeutet das aber, dass der Glockenstein zwischen 1859 und 1934 zumindest
einmal ganz und gar ausgegraben war, höchstwahrscheinlich ist er bei dieser Gelegenheit auch versetzt worden. Das Wissen um die tatsächliche Größe des Kreuzes
war bis 1992 verloren gegangen. Auf Grund einer erst jüngst in Salzwedel entdeckten Zeichnung des Lagendorfer Predigers Johann Heinrich Friedrich Krüger gelang
es dem ehrenamtlich beauftragten Mitarbeiter der Gifhorner Kreisarchäologie Heinz Gabriel im April 2006 den wahrscheinlichen Standplatz des Kreuzes in den 1850er
Jahren zu rekonstruieren. Bei seinen Untersuchungen stellte sich heraus, dass das Kreuz sich damals ca. 500m westlich Rades an der ehemaligen Hauptstraße
Wittingen - Salzwedel, somit etwa 450m nordwestlich des heutigen Standplatzes, befand.
Das Kreuz ist sehr stark verwittert und weist zahlreiche Wetzrillen und Schälchen
auf. Es war ursprünglich auf beiden Seiten mit einem Ringkreuzrelief versehen. Es ist Nord - Süd orientiert, besteht aus Muschelkalk und ragt etwa 1m aus dem Boden.
Der Durchmesser der Scheibe beträgt ca. 95cm. Der Schaft ist gerade.
Bevor das Kreuz wieder eingegraben wurde, konnte es wissenschaftlich untersucht und konserviert werden. Bei den Untersuchungen wurde auf dem Schaft die
eingeritzte Jahreszahl 1701 oder 1709 festgestellt, das bedeutet, dass dieser Bereich um 1700 noch sichtbar gewesen war. Vor 1992 steckte das Kreuz aber noch tiefer
als heute im Boden, deshalb war die Überraschung groß, als man bei der Ausgrabung feststellte, dass es insgesamt fast 2m hoch ist und dass sich unter dem Fuß ein
Zapfen befindet. Dieser Zapfen war zur Aufstellungszeit in einen Sockel eingesetzt gewesen. Bei vergleichbaren irischen Hochkreuzen beträgt die Höhe der Sockel im
Durchschnitt etwa ein Fünftel der Gesamthöhe eines aufgestellten Kreuzes. Deshalb kann für das Rader Kreuz angenommen werden, dass es, mit Sockel, ursprünglich
ca. 2,50m hoch gewesen ist. Da beide Seiten des Kreuzes verziert sind, also auch sichtbar sein sollten, stand es ursprünglich frei. Eindeutige Merkmale an einer Seite
weisen aber darauf hin, dass es später mit dieser Seite, wahrscheinlich an einer Wand, befestigt wurde und somit nur noch eine Seite des Kreuzes zu sehen war.
In den 1850er Jahren beschäftigte sich der bereits erwähnte Pastor Johann Heinrich Friedrich Krüger, der von 1831 bis zu seinem Tode 1865 die Pfarrstelle in
Lagendorf betreute, mit dem Rader Kreuz und sammelte alles, was er darüber ermitteln konnte. Auf der neu entdeckten Zeichnung Krügers ist das Kreuz besser sichtbar
und ragt weiter aus dem Boden als heute, obwohl Krüger schreibt, "...und ragte, als ich ihn vor 20 Jahren (also um 1839) gesehen, 7 Zoll, jetzt nur noch 3 Zoll aus der
Erde hervor..." (!) Eigentlich kann es sich hier nur um Schreibfehler handeln, wenn man Krügers Zeichnung als authentisch ansieht. Die Maße 70 und 30 Zoll wären hier
sehr viel wahrscheinlicher. Im 12. Jahresbericht des Altmärkischen Geschichtsvereins von 1859 veröffentlichte Johann Friedrich Danneil zwar Krügers Ergebnisse, aber
leider nicht dessen Zeichnung.
Im Jahre 1901 erschien in Stendal die erste altmärkische Sagensammlung des Flessauer Pastors Alfred Pohlmann in Buchform. Darin veröffentlichte er auch eine
Sage über das Steinkreuz von Rade, die im folgenden wiedergegeben wird.
Der Glockenstein zwischen Rade*) und Wittingen
Alfred Pohlmann; 1901, S.108
Zwischen den beiden hannöverschen Ortschaften Rade und Wittingen, welche bis zum Jahre 1350 zur Altmark gehörten, steht nach dem 12. Jahresbericht des
Altmärkischen Vereins vom Jahre 1859 auf der Rader Feldmark ein merkwürdiger Stein. Auf beiden Seiten des Steines ist etwas erhaben ausgehauen. Auf der Ostseite,
welche weniger verwittert ist, bemerkt man einen Kreis, von welchem vier Schenkel eines Kreuzes ausgehen, die sich bis zum Rande der Scheibe erstrecken, sodass der
Kreis den Mittelpunkt des Kreuzes bildet. Auf der Westseite findet sich ein ähnlicher Kreis mit einem Kreuze, welches mit gotischen Zierraten zwischen den Schenkeln
versehen ist; auch steht im Kreise eine Figur, welche leider sehr verstümmelt ist, sodass man deren Umrisse nicht mehr bestimmt angeben kann. Die Wittinger erzählen
von diesem Steine folgende Sage, welche den beiden vorigen (Groß Möringen und Berkau, Verf.) ganz ähnlich ist und uns wie dieselben an das bekannte Gedicht "Der
Glockenguss von Breslau" erinnern.
Ein Glockengießer aus Salzwedel sollte für ihre Kirche eine neue Glocke gießen. Ihm wollte aber der Guss derselben erst gar nicht gelingen. Als er zum dritten Male
alles zu einem neuen Gusse vorbereitet hatte, lief er nach Salzwedel, um noch einige wunderbare Zutaten herbeizuholen; diese wollte er in die glühende Masse werfen in
dem Glauben, dass dann ihm der Guss bestimmt gelingen würde. Als der Meister eben fort war, machte sich der Geselle ans Werk, der ein kluger und vorwitziger Mensch
war und längst wusste, woran das bisherige Misslingen der Glocke gelegen hatte. Wirklich hatte er bald eine prächtige Glocke zu Stande gebracht, ehe der Meister von
Salzwedel heimgekehrt war. Als derselbe aber bei seiner Rückkehr sah, was sein Geselle vollbracht hatte, da packte ihn ein rasender Neid und heftiger Zorn und auf der
Stelle stach er seinen Gesellen tot. Weil nun die gegossene Glocke einen so wunderschönen Klang von sich gab, so ward dem armen Gesellen auf der Stelle, wo er sein
junges Leben ausgehaucht hatte zum bleibenden Gedächtnis von den dankbaren Bürgern Wittingens jener Stein gesetzt. Auch hat man nach langer Zeit bei Wittingen
das Loch gezeigt, in welchem die schöne Glocke einst gegossen wurde.
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Bild 08 Bleistiftzeichnungen der beiden Seiten des Rader Kreuzsteines;
höchstwahrscheinlich vom Prediger Krüger aus Lagendorf, um 1859; die Anmerkung auf der linken Seite stammt von J.F. Danneil und lautet folgendermaßen:
"Auf der Feldmark Rahde, auf dem Wege von Diesdorf nach Wittingen Die Sag, dass der Glockengießer s. Lehrling daselbst erschlagen der ohne s. Erlaubnis
den Stöpsel geöffnet." |
Im oben erwähnten 12. Jahresbericht erzählte J.H.F. Krüger die Sage etwas anders als Pohlmann. Obwohl Pohlmann Krügers Sage sicherlich
kannte, hatte er "dessen Legende“ verändert.
Ein Glockengießer aus Salzwedel sollte für die Wittinger Kirche eine neue Glocke machen, konnte sie aber nicht zu Stande bringen, denn der Guss misslang
ihm zweimal, und man kann sich denken, wie ärgerlich der Meister war, als er sie abermals zusammenschlagen und einschmelzen musste. Doch gab er die Hoffnung
nicht auf und machte mit Hilfe seines Lehrlings die dritte Form und bereitete mit der größten Sorgfalt alles zum neuen Gusse vor. Wie er damit fix und fertig war, eilte er
nach Salzwedel, um noch etwas, nämlich Zaubermittel, zu holen damit ihm nicht wieder Unglück passiere, und er befahl seinem Jungen während der Zeit den Ofen
gehörig zu heizen, damit bei seiner Rückkehr der Guss sogleich beginnen könne. Der Junge tat wie ihm sein Meister befohlen, und als nun das Metall im Ofen flüssig
geworden war, spielte er aus Vorwitz an dem Zapfen, der mit einem male losging, worauf sich das Metall in die Form ergoss. Voller Angst lief nun der Junge weg und
seinem Meister entgegen. Er traf ihn auf dem Rader Felde und erzählte ihm unter heißen Tränen sein Missgeschick. Der Meister aber entbrannte in furchtbarem Zorn
und schlug den Jungen auf der Stelle tot. Wie die Glocke untersucht ward, fand man sie wohlgeraten, und als sie geläutet wurde, hatte sie einen wunderschönen Klang.
Deshalb ward von der dankbaren Bürgerschaft zu Wittingen dem armen Jungen auf der Stelle, wo er erschlagen worden, dieser Stein zum ewigen Gedächtnis aufgerichtet.
Auch hat man noch lange Zeit bei Wittingen das Loch gezeigt, wo die Glocke gegossen worden.
Eine etwas andere Version dieser Sage berichtet Krüger im Folgenden, wahrscheinlich hat sich Pohlmann aus beiden Varianten seine Sage zusammengeschrieben
und dann noch etwas umformuliert. Ein gutes Beispiel dafür, wie sich Sagen im Laufe der Zeit verändern können, bzw. "sich dem Erzähler anpassen müssen":
Nach einer anderen Relation soll der Junge sehr pfiffig gewesen sein und den Fehler gleich erkannt haben, warum die Glocke früher misslingen musste. Vergebens
hätte er den Meister darauf aufmerksam gemacht, der habe ihm ärgerlich das Maul verboten und ihn sogar geschlagen, weil er klüger als sein Meister sein wollte. Da
hätte der Junge in des letzteren Abwesenheit einmal zeigen wollen, was er könne und somit eigenhändig die Glocke gegossen, und wie ihm der Guss gelungen, so sei
er freudig seinem Meister entgegengerannt und von ihm aus purem Neid erschlagen.
In den folgenden Ausführungen Krügers wird deutlich, wie sehr sich selbst orts- und objektbezogene Sagen unterscheiden können. Möglicherweise sind Sagenstoffe
von denen heute mehrere Varianten existieren älter als Sagen, die nur in einer Form erhalten geblieben sind, da sie über einen längeren Zeitraum immer wieder neu
"erfunden" wurden. Vielleicht wurde aber auch im Laufe der Zeit, wenn das beschriebene Objekt bereits für andere Handlungen "Verwendung" gefunden hatte, entweder
der Ort oder die gesamte Motivation des Geschehens verändert. Irgendwann fanden dann gleich oder ähnlich lautende Berichte für ganz unterschiedliche Plätze, bzw.
unterschiedliche Handlungen für ein und dasselbe Objekt Verwendung. Zudem haben manchmal auch verschiedene Erzähler versucht, ihre eigenen Geschichten "unters
Volk" zu bringen, was wiederum die unterschiedlichsten Variationen des gleichen Stoffes zur Folge haben konnte.
Krüger: Die Rader Leute wollen indessen von der Glockengeschichte nichts wissen; sie nennen auch den Stein nicht Glockenstein, wie die Wittinger es tun,
sondern Kreuzstein und nach ihrer Angabe soll ein Reiter, nach einigen sogar ein Schimmelreiter, darunter begraben liegen. Auch hörte ich, das ein Mensch in diesen
Stein verwandelt worden, konnte aber nichts Näheres darüber in Erfahrung bringen. Doch bemerke ich, dass in hiesiger Gegend dergleichen Verwandlungssagen öfter
vorkommen. Wichtiger scheint mir der Reiter, respektive Schimmelreiter zu sein. Ich denke bei dem letzteren nicht an Wotan, sondern vermute nur, dass damit eine
angesehene Person bezeichnet werden soll, und auf weiteres Nachfragen ward mir wirklich erzählt, es sei der Reiter ein General gewesen, der in einer Schlacht mit
den Heiden gefallen. Von solcher Schlacht ist nichts bekannt, doch ich bin auf folgende Notiz gestoßen: 'Im Jahre 932 haben die Hunnen in Radi (Rade) und hinter
Kakobicki (Kakerbeck, Landkreis Gifhorn) ein großes Lager aufgeschlagen und die Gräben zwischen Suderwittingen, Rade, Ohrdorf etc. sollen noch heute die Stellen
bezeichnen, wo sie ihre Lagerstätten aufgeschlagen haben.' ..."
Tatsächlich hatte König Heinrich I. am 15.3.933 die eingefallenen Ungarn in der Schlacht bei "Riade" geschlagen. Die meisten Historiker vermuten, dass diese
Schlacht in den Unstrutsümpfen (im Ried) in der Nähe des heutigen Dorfes Kalbsrieth an der Unstrut (Burgenlandkreis) stattgefunden hat. So haben wir es auch hier
wahrscheinlich mit einer "Wandersage" zu tun. Denn darüber, dass die Ungarn im Verlaufe der Einfälle des 10. Jahrhunderts bis in unsere Gegend gekommen sind, ist
nichts bekannt. Interessant ist hier aber, dass aus den inzwischen christlichen Ungarn die heidnischen Hunnen geworden waren. (vgl. Sachsen / heidnische Slawen in
anderen altmärkischen Sagen)
Mit den erwähnten Gräben ist die große noch recht gut erhaltene Landwehranlage dieser Gegend gemeint. Wenn sie ein Teil der Grenzanlagen zwischen dem
Herzogtum Sachsen und der Markgrafschaft Brandenburg war, dürfte sie aber erst aus dem 14. Jahrhundert stammen oder sie ist sogar noch älteren Ursprungs.
Das Rader Steinkreuz kann als exemplarisches Beispiel für die Bedeutung eines "heiligen Platzes" für die ortsansässige abergläubische Landbevölkerung
angeführt werden. Allein aus solchen Berichten geht hervor, dass man in unserer Gegend noch sehr lange an die Wunderkraft dieser Plätze glaubte, demzufolge also
noch an den Kultobjekten schabte, rieb, bohrte oder ähnliches tat, um ihre Zauberkraft auszunutzen. Zu verdanken ist das Wissen in diesem Falle wiederum dem
Pastor Krüger, der alles, was er zu diesem Kreuz in Erfahrung bringen konnte, aufschrieb und veröffentlichte. Über viele "heilige Orte" gab es sicherlich früher Ähnliches
zu berichten, leider ist die Kenntnis darüber aber im Laufe der Zeit meist verloren gegangen.
Krüger: Ein Bauer in Rade hatte denselben (Stein) einmal heimlich weggenommen, um ihn zu seinem Backofen (!) zu gebrauchen, und hatte ihn dort vorn an
der Tür als Platte eingemauert; aber zu seinem Unglück. Denn seit dieser Zeit konnte er kein Brot gar kriegen, er mochte aufstellen, was er wollte. Und wenn er auch
ein halbes Fuder Holz verbrannte und den Ofen so heiß machte, dass er Risse bekam, so ging doch sein Brot nicht auf, sondern blieb "en Deg un Klitsch" (klitschig)
und musste für das Vieh verfüttert werden, weil es kein Mensch essen konnte. Da riss der Bauer den Stein aus seinem Backofen wieder heraus und warf ihn in einen
Winkel des Hofes. Nun geriet zwar sein Brot wieder, aber der Stein tat ihm anderen Schaden. Denn ein jähriges Füllen, was des Bauern Stolz und Freude war, rutschte
auf demselben aus und brach den Fuß ab, und ein gleiches geschah bald darauf mit einer jungen schmucken Kuh. Um ferneres Unheil von dem Hofe abzuwenden,
brachte der Bauer den Stein nach seiner alten Stelle zurück.
Einem anderen Bauern in Rade gefiel der Stein so gut, dass er ihn ebenfalls ausgrub und als Trittstein vor seinem Hause benutzte. Aber am anderen Morgen stand
derselbe aufrecht vor seiner Tür. Er legte ihn wieder nieder, doch in jeder folgenden Nacht richtete sich derselbe wieder auf. Das ward dem Bauern endlich doch zuviel.
Er fing an sich vor dem Stein zu fürchten und brachte ihn mit Zittern und Beben wieder dahin, woher er ihn geholt.
Die durch solche Geschehnisse "erwiesene" Zauberkraft des Steines, versuchte man auch noch anders zu nutzen. Krüger weiter:
Vor Jahren lebte in Rade ein Mann, Namens Ehrich oder Soltau, den die alten Leute noch persönlich gekannt haben. Das war ein rechter Hexenmeister, zu dem
viele kamen, um sich Rat zu holen. Er kurierte Menschen und Vieh und zeichnete sich namentlich als Schweinedoktor aus. Allen seinen Patienten gab er dasselbe
Pulver ein, das gleich geholfen haben soll und die Hauptingredienzien (die wichtigsten Bestandteile) seines Pulvers soll er von dem Rader Stein genommen haben.
Wirklich sah ich schon vor 20 Jahren viele abgeschabte Stellen an demselben. Auch andere Leute haben diesen Kreuzstein als Schutzmittel gegen Krankheiten benutzt
und ihn nicht bloß abgeschabt, sondern auch Stücke davon abgeschlagen und noch heut zu Tage wird derselbe als Medizin gebraucht und ein Schäfer Jacob Leier macht
damit famose Kuren. - Der Hexenmeister Ehrich soll auch einmal den Stein gestohlen und ihn mehrere Tage in seinem Hause verborgen haben. Aber trotzdem, dass er
ein Teufelskerl war und sich vor nichts fürchtete, so hat er doch darüber keine Ruhe gehabt und sich so gegrault, dass er ihn schleunigst aus seinem Hause entfernte und
ihn wieder an seinem alten Platze eingrub.
Nach einer weiteren Legende (Rohde,1994) soll eine schwarze Katze, die am Tage bisher niemand gesehen hat, nachts auf diesem Stein sitzen und die
Vorrübergehenden (Kneipengänger?) erschrecken.
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Bild 09 Das Rader Scheibenkreuz im Jahre 1992 nach der Ausgrabung.
Foto: Heinz Gabriel, 1992 |
Aus all diesen Erzählungen geht hervor, dass das Steinkreuz lange Zeit eine große Bedeutung hatte und als heilig galt, somit auch nicht zerstört werden durfte.
Man war der Meinung, dass jeder der es fortnahm unweigerlich den Zorn Gottes oder irgendwelcher Geister auf sich nahm. Folglich konnte ein heiliger Kreuzstein auch
nur durch den Zorn Gottes vernichtet oder an einen anderen Ort gebracht werden (Kreuz von Berkau / Bismark).
Leider können sämtliche Sagen, die sich um den Kreuzstein von Rade ranken, kaum zur Aufklärung über seinen Ursprung und seine eigentliche Bedeutung beitragen.
Bestimmte Merkmale des Kreuzes deuten, wie oben erwähnt, darauf hin, dass es ursprünglich frei stehend in einem Sockel eingezapft und befestigt war. Mit dann
fast 2,50 m Höhe kann es damit der Mittelpunkt eines Friedhofes oder eines frühen Klosters, ähnlich den irischen Hochkreuzen, gewesen sein. Später war es an einer
Wand stehend befestigt worden, was auf die Aufstellung in oder an einer Kirche hinweisen könnte. Irgendwann danach wurde es in ein Wegekreuz umfunktioniert und
eingegraben.
Krüger bringt noch eine andere Möglichkeit, nämlich die, dass es als Grenzstein gedient haben könne, ins Spiel. Hier wiederum gäbe es zwei Möglichkeiten, zum
einen die Aufstellung an einer frühen Bistumsgrenze, als wahrscheinlichere Variante. Denn in der Nähe Wittingens stießen früher die 3 Bistümer Verden, Halberstadt
und Hildesheim aneinander. Zum anderen als Grenzstein zwischen der Altmark und Lüneburg. Allerdings schließt er, bezugnehmend auf die Form des Kreuzes, dann
die zweite Möglichkeit aus. Es sei denn, es ist als Ersatz für ein älteres, ein Vorgängerkreuz, errichtet worden. Genau dieses Argument ist allerdings zweifelhaft. Auch
wenn die Gegend um Wittingen bis 1350 zur Mark Brandenburg gehört hat**), deutet die Form des Kreuzes eher auf ein
Entstehen in früherer Zeit hin. Aus der Altmark sind heute keine Scheibenkreuze bekannt, in Niedersachsen sind sie aber noch verhältnismäßig häufig anzutreffen.
Krüger gibt als ein, allerdings ebenfalls fragliches, Datum für den Glockenguss von Wittingen die Zeit um 1470 an. Wenn der Stein also irgendwann nach 1350 aufgestellt
wurde, dann wäre eine Aufstellung als Grenzstein an der Grenze zur Altmark, zwischen Rade und Wittingen, zwar nicht ganz auszuschließen, aber es ist für diese Zeit
unüblich, an solchen Plätzen Kreuze zu errichten. Zum anderen ist dabei zu bedenken, dass auch Rade heute nicht mehr zur Altmark gehört. Eine weitere Möglichkeit,
nach Krüger, ist die eines Versammlungs- und Gerichtsplatzes am Kreuzstein. Dabei darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass zu diesem Zwecke eher heilige Bäume
(z.B. Gerichtslinden) oder heilige Steine genutzt wurden. In einer jüngeren Sagenzusammenstellung (Rhode, 1994) wird vom "Glockenstein" tatsächlich als von einem
großen Findling gesprochen. Diese Variante erscheint zwar unglaubwürdig, wenn es aber früher tatsächlich zwei "Glockensteine" gegeben haben sollte, zum einen,
dass wieder aufgestellte Scheibenkreuz und zum anderen einen glockenähnlichen Findling, dann könnten sich, nachdem der Findling ("der heilige Stein") verschwunden
war, nach und nach alle betreffenden Sagen und Geschichten des Umfeldes auf das noch vorhandene Scheibenkreuz bezogen haben.
Bis mindestens in die Mitte des 13. Jahrhunderts wurden sowohl Gerichts- als auch andere wichtige Versammlungen in der Regel an heiligen Orten und unter
freiem Himmel abgehalten. Im Sachsenspiegel des Eike von Repgow wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass Gerichtsverhandlungen nicht innerhalb geschlossener
Höfe oder unter einem Dach stattfinden dürfen und keinesfalls in Kirchen oder auf Kirchhöfen. Wahrscheinlich wollte man damit nach altem germanischen Recht
allen freien Männern die Teilnahme an solchen Verhandlungen gewährleisten. Mit Ausnahme der sogenannten "Bauernsteine", an denen noch lange kleine Streitigkeiten
und Gemeindeangelegenheiten unter freiem Himmel geschlichtet wurden, ist diese altgermanische Tradition in der Folge dann aber rasch verschwunden. Zum
Versammlungsplatz wurden im Verlaufe des Mittelalters die Burgen, Kirchen, Rathäuser oder Dorfschenken aber keine zu diesem Zwecke aufgestellten Kreuze. Es sei
denn, es fand dorthin eine Wallfahrt statt.
*) Pohlmann spricht einmal von "Rahde", dann wiederum von "Rhade", Krüger
schreibt "Rhade", darum wird hier die moderne Form "Rade" verwendet.
**) Die Markgrafen Ludwig und Ludwig der Römer überlassen den Herzögen von Braunschweig die Lehnsherrlichkeit über Wittingen, am 19. Februar 1350;
aus: Riedel's Codex diplomaticus; Bd. A 25, S.215
Literatur:
Ebruy, Fritz: Sagenumwobenen, Geheimnisvolle Steine, in: Der Altmarkbote, Heft 3, 1956, Salzwedel: 1956, S.38-39 sowie Heft 4, 1956, S.62
Ehlies, Martin: Dichtung und Wahrheit um den Rahder Stein, in: Unsere Altmark; 15. Jahrgang, Nr.27, Salzwedel: 1934, S.105-106
Karstens, Heinrich: Von alten Steinkreuzen und anderen Malen, in: Unsere Altmark; 15. Jahrgang, Nr.35, Salzwedel: 1934, S.139-140
Krüger, Johann Heinrich Friedrich: Der rahder Stein, in: Altmärkische Sagen und Gewohnheiten; in: 12. Jahresbericht des altmärkischen Vereins für
vaterländische Geschichte und Industrie; Salzwedel: 1859, S.17-23
Mittag, Lothar: Relikte mittelalterlicher Rechtssprechung, in: Archäologie in der Altmark; Bd.2; Oschersleben: 2002; S.352-355
Mittag, Lothar: Sagenhafte Steine - Hünengräber, besondere Steine und Steinkreuze in der altmärkischen Sagenwelt; Salzwedel: 2005
Müller, Werner/ Baumann, Günther E.H.: Kreuzsteine und Steinkreuze in Niedersachsen, Bremen und Hamburg; Hameln: 1988; S.36
Pflanz, Paul: Die Sühnekreuze der Altmark, in: Beiträge zur Geschichte, Landes- und Volkskunde der Altmark, Band VI, Heft 1; Stendal: 1931, S.24-59
Pflanz, Paul: Sühnekreuze in der Altmark, in. Altmärkischer christlicher Hausfreund; Kalender für das Schaltjahr 1940; Stendal: 1940, S.51-53
Pohlmann, Alfred: Sagen aus der Wiege Preußens und des deutschen Reiches, der Altmark; Stendal: 1901
Riedel: Codex diplomaticus Brandenburgensis, Band A 25, Berlin: 1863, S.215
Rohde, Eberhard: Sagen und Märchen aus dem Raum Gifhorn - Wolfsburg; Gifhorn: 1994, S.102
Saal, Walter: Steinkreuze und Kreuzsteine im Bezirk Magdeburg; Halle/ Saale: 1987
(Altmark-Blätter / Heimatbeilage der Altmark-Zeitung, 17.Jg., Nr.28, S109-112 / Nr.29, S.113-114)