Geschichte & Forschung volkstümliche Bezeichnungen

Spinnmädchenkreuze
auch Spinnmädchenstein, Spinnrockenstein, Roggenmagd, Spinnerin am Kreuz etc.


 Einleitung 

Die Bezeichnung "Spinnmädchenkreuz- oder -stein" bezieht sich fast immer auf eine sagenhafte Überlieferung, fast nie auf eine Einzeichnung im Denkmal. Man erklärte damit ein Steinkreuz, das an der Stelle aufgestellt worden sei, wo ein Mädchen oder eine junge Frau auf dem Weg von der oder zur Spinnstube (auch Rockenstube, Kunkelhaus etc.) umgekommen sein soll. Diese Sagen wurden erzählt, um Frauen vom Gang zur Spinnstube abzuhalten, da es dort meist ungezwungen zuging und die Spinnstube als der "Heiratsmarkt" der Mägde- und Knechteschaft galt. Besonders gruselige Geschichten von Hexen, weisen Frauen, Werwölfen, zurückgekehrten Toten und dem Teufel wurden gerne am Ende der Spinnstube erzählt. Die Mädchen sollten auf diese Weise davon abgehalten werden, den Heimweg allein anzutreten, und sie sollten den starken Arm ihres Begleiters benötigen. Sowohl die Männer als auch die Frauen unterzogen sich bei Spinnstubenabenden Mutproben. Bevorzugte Mutproben waren mitternächtliche Gänge auf den Friedhof oder andere wenig geheure Orte, wo es galt, etwa aus dem Beinhaus einen Knochen, einen Schädel oder ein Kreuz von einem frischen Grab zu holen. Es versteht sich von selbst, daß diesen Prüfungen - um den Nervenkitzel zu erhöhen - das Erzählen von Schauer- und Spukgeschichten vorausging...



 kleinere Abhandlungen 
Ziegelhauser, Leopold - Die Spinnerin am Kreuz, 1844
Bormuth, Heinz - Die Spinnmädchen-Kreuze um die Böllsteiner Höhe, 1979


 einige Sagen 
Grimm, Jacob und Wilhelm - Die Spinnerin am Creuz., 1816
Bechstein, Ludwig - Die Spinnerin am Creuz., 1840
Ziegelhauser, Leopold - Das Spinnerkreuz., 1844
Ziegelhauser, Leopold - Das Spinnerinkreuz., 1844
Gugitz, Gustav - Die Spinnerin am Kreuz (1. Variante), 1952
Gugitz, Gustav - Die Spinnerin am Kreuz (2. Variante), 1952
Winter, Heinrich - Die Sage von der Rockenmagd, 1966
Göpfert, Ulrich - Die "Spinnera", o.J.


 Literatur-Auszüge 

   Ein zweites Beispiel einer dem historischen Tatbestand nicht entsprechenden Sagenbildung ist die Spinnerin am Kreuz in Wien (Abb.5). Angeblich - so erzählt das Volk - soll an dieser Stelle jahrelang eine Rittersfrau gesessen und gesponnen haben, auf die Rückkehr ihres in den Krieg gezogenen Gatten harrend. Nun taucht der Name "Spinnerin am Kreuz" in Wien urkundlich erst in einer Baurechnung von 1809 zum ersten Male auf, während die Säule selbst bereits im Jahre 1451 an Stelle eines älteren Kreuzes errichtet wurde. Angeblich einer Denksäule, die Leopold III. im Jahre 1375 als Erinnerung an die Länderteilung zwischen ihm und seinem Bruder Albrecht errichten ließ. Außerdem ist es nicht die Säule in Wien, sondern diejenige zu Wiener Neustadt, welche diesen Namen zuerst aufweist.
(Hula, Franz - Die Bildstöcke, Lichtsäulen und Totenleuchten Österreichs, 1948, S.45)

Spinnerin am Kreuz (Wien X). Wer vorbeigeht, muß ein Kreuz machen, dort sind heidnische Türken eingemauert.
(Wiener Kinderglaube. Ein Beitrag zu "Volksglaube und Volksbrauch in der Großstadt". Gesammelt in Ottakring und Hernals (Wien XVI. und XVII.) von Oberlehrer Leopold Höfer, Wien. (Fortsetzung.) Wiener Zeitschrift für Volkskunde. (Vormals Zeitschrift für österreichische Volkskunde.) Herausgegeben vom Verein für Volkskunde in Wien. XXXIV. Jahrgang 1929. I.-III. Heft (Ausgegeben Mitte März 1929.), S.25-33, besonders S.31)

   [...] Cäsar sowohl als Tacitus sind des Lobes voll von der Keuschheit der germanischen Jugend. "Je länger man unverheiratet bleibt, desto rühmlicher ist es. Dadurch wird man nach ihrer Meinung groß, stark und eisennervig. Umgang mit Weibern vor dem zwanzigsten Jahre ist die größte Schande", sagt jener, und ähnlich berichtet Tacitus. Auch im Mittelalter bis in die Neuzeit ist jungfräuliche Reinheit immer die Forderung deutscher Sitte gewesen. Strengste Bestrafung, kirchliche wie bürgerliche, wurde der Gefallenen zuteil. Die Dithmarschen begruben sie lebendig im Sumpfe, und noch heute wird in den brandenburgischen Spinnstuben kein gefallenes Mädchen zugelassen. Vielfach freilich sieht es in dieser Beziehung heute anders aus. Schon zeitig fangen bei der ländlichen Bevölkerung im Norden wie im Süden die jungen Burschen zu "gasseln Gehen" und zu "Fensterln" an, d.h. bei nächtlicher Weile die jungen Mädchen zu besuchen. Die Alten haben es nicht anders getan und drücken daher ein Auge zu. Auf dem Tanzboden werden meist die Bekanntschaften angeknüpft. Daher eiferten in verflossenen Jahrhunderten geistliche wie weltliche Verordnungen immer wieder gegen die "Tanzwut" der Bauern. Vielfach sind auch die Spinn- oder Rocken- oder Kunkelstuben, hier und da auch Heimgarten genannt, zu Stätten der Unsittlichkeit geworden, jene uralten germanischen Einrichtungen, die schon den alten Römern auffielen. Einst bestanden sie überall, wo deutsche Geselligkeit und Freude an der Arbeit herrschten, heute sind sie schon in vielen Gegenden geschwunden. Hier kommen Mädchen und Burschen zusammen. Erst sind die Mädchen allein; sie haben eine Spule abzuspinnen. Dann aber erscheinen die Burschen, und nun beginnen alle möglichen Neckereien, die nicht selten in Zoten ausarten. Zuweilen werden Märchen und Sagen erzählt oder gemeinsam Volkslieder gesungen. Gesellschaftsspiele, bei denen der Kuß die Hauptsache ist, und Tänze pflegen den Abend zu beenden, worauf der Bursche sein Mädchen nach Hause bringt. Diese Spinnabende finden an gewissen Tagen (Dienstag, Donnerstag, Sonnabend) der Woche statt und werden abwechselnd in den einzelnen Familien abgehalten.
   Spinnstube und Fensterln hängen aufs engste zusammen. Dem Liebhaber, der dem Mädchen den Spinnrocken zur und von der Rockenstube tragen darf, ist in der Regel auch der nächtliche Besuch gestattet. Daher heißt es in der Schweiz sowohl dieser wie auch der Besuch in der Spinnstube der Kilt, d.h. Besuch zur Nachtzeit. Ursprünglich sind diese nächtlichen Besuche wie die Spinnstubenbesuche ganz harmloser natur gewesen; noch im 19. Jahrhundert verteidigte sich in der Schweiz das Volk mit Entschiedenheit gegen die Angriffe der Geistlichen und Lehrer, die diesem alten Brauch den Krieg erklärt hatten. "Die Herren verstehen das nicht; sie halten den Kiltgang nur deshalb für böse, weil sie nicht im stande wären, auf ehrliche Weise bei einem Mädchen zu weilen", entgegnete es den Tadlern. Und auch heute noch sieht man in verschiedenen Gegenden darauf, daß in den Spinnstuben Zucht und Ordnung herrscht. Allein bei den meisten haben sich im Laufe der Zeit arge Missbräuche eingestellt, und wie die Unsittlichkeit auf dem flachen Lande überhaupt, so ist sie auch in den Spinnstuben eingezogen. […]
(Mogk, Eugen - Die deutschen Sitten und Bräuche, in: Das Deutsche Volkstum, hrgg. von Prof. Dr. Hans Meyer, 2.Auflage, 1903, S.279-280)



 dokumentierte Beispiele 
Kirchbrombach I (HE)
Wallbach (HE)
Wimmelbach (BY)
Straas (BY)
Nordenberg III (BY)
Serkendorf (BY)
Ober-Mossau I (HE)
Dallau (BW)
Wiener Neustadt (AUT)
Zavelstein II (BW)
Morlesau (BY)
Fahrenbach (BW)
Weisbach IV (BW)
Favoriten (AUT)
Welsberg (BY)
Isling (BY)



 weiterführende Literatur und Quellen 
Wikipedia - Spinnerin am Kreuz
Ikonographie - Spinnrocken, Weberschiffchen etc.


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Sühnekreuze & Mordsteine