Beiträge zur Geschichte der Steinkreuze


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Zur Problematik von Steinkreuzrekonstruktionen in Thüringen
Von Frank Störzner, Erfurt

Abb. 1: Steinmetzmeister Dieter Schuchardt, Eisenach, bei der Arbeit an der Rekonstruktion des Steinkreuzes von Creuzburg.
Foto E. Riske, Eisenach

Abb. 2: Rekonstruiertes Steinkreuz von Creuzburg, auf dem Stumpf des verlorengegangenen Original-Steinkreuzes.
Foto F. Störzner

Abb. 3: Rekonstruiertes Steinkreuz in Kleinvargula.
Foto F. Störzner

Abb. 4: Rekonstruiertes Steinkreuz vor der Alten Kapelle in Suhl-Heinrichs. Die auffallend ungleichen Armlängen entsprechen dem zerstörten Vorbild
Foto F. Störzner

Abb. 5: Rekonstruiertes Steinkreuz im Fuhrmannsgrund bei Lindenau. Davor ragt noch der Stumpf des zerstörten originalen "Fuhrmannskreuzes" aus dem Boden.
Foto W.-D. Nelke, Hildburghausen

Abb. 6: Das Rekonstruierte Steinkreuz von Kleinberndten, Kr. Sondershausen.

Abb. 7: Rekonstruiertes Steinkreuz im Garten der Weißenmühle bei Kursdorf. Rückseitig ist eingraviert: "NEU ERRICHTET 1953".
Foto F. Störzner

Das Gebiet der thüringischen Bezirke Erfurt, Gera und Suhl weist einen zahlenmäßig wie denkmalkundlich-historisch sehr bemerkenswerten Bestand an Steinkreuzen und artverwandten steinernen Kleindenkmalen auf. Diese - nicht neue - Feststellung wird durch die jüngsten umfangreichen Publikationen zum Steinkreuzthema (Störzner 1984; 1988), wo immerhin 519 vorhandene Denkmale verzeichnet und einzeln beschrieben sind, vollauf bestätigt. Aus dieser hohen Anzahl ergibt sich, daß fast 40% aller unbeweglichen archäologischen Bodenaltertümer, die im Zuständigkeitsbereich des Museums für Ur- und Frühgeschichte Thüringens (Weimar) liegen und von diesem betreut werden, derartige Kleindenkmale sind. Ihre Erhaltung stellt große Anforderungen sowohl an das Museum als auch an die ehrenamtlichen Mitarbeiter und Heimatfreunde auf örtlicher Ebene, denn gerade diese Gruppe von Bodendenkmalen ist in der Praxis erheblich gefährdet. Zum Schutz dieser wertvollen Kulturgüter und Geschichtsquellen, die zudem belebende Bestandteile der Landschaft sind und diese mit inneren und äußeren Wesensmerkmalen bereichern, lassen sich die Bodendenkmalschutzverordnung von 1954, das Landeskulturgesetz von 1970 und das Kulturgutschutzgesetz von 1980 heranziehen. Das schließt die praktische Pflege und erforderlichenfalls die Instandsetzung ausdrücklich mit ein, und in diesem Sinne werden erfreulicherweise auch in Thüringen Jahr für Jahr ungezählte Taten zur Rettung gefährdeter Denkmale vollbracht.

Aber trotz aller Fürsorge, die jedem einzelnen Objekt gilt, konnten einige bedauerliche Totalverluste nicht verhindert werden. Um einer in solchen Fällen entstandenen Verödung der Kulturlandschaft entgegenzuwirken, andererseits auch die Beziehung zu dem an dieser Stelle vor langer Zeit stattgefundenen Ereignis nicht zu verlieren und ein wenigstens symbolisches Adäquat zu schaffen, sind in Thüringen bisher fünf Neuanfertigungen bzw. Rekonstruktionen verlorener Steinkreuze "ersatzweise" aufgestellt worden. Sie sollen hier zusammenfassend einmal vorgestellt und bewertet werden.

Bis kurz nach Kriegsende 1945 stand nahe der Werrabrücke in Creuzburg, Kr. Eisenach, ein gotisches Steinkreuz (Störzner 1984, Kat. Erf. 38). Zuletzt lag sein Oberteil abgebrochen neben dem Stumpf und verschwand wenig später. Der Verbleib konnte nie geklärt werden; auch Suchaktionen bei Niedrigwasser in der Werra blieben erfolglos. Auf Initiative des verdienstvollen Bodendenkmalpflegers Erwin Riske (gest. 1984) beschloß der Rat des Kreises Eisenach am 9. März 1978 die Wiederherstellung bzw. Nachbildung des Kreuzes und stellte dafür aus der Haushaltsreserve 800,-- Mark zur Verfügung (Beschlußvorlage 0043/78: Finanzierung der Durchführung denkmalpflegerischer Aufgaben). Dazu wurde das Kreuz-Oberteil nach der maßstabgerechten Vergrößerung eines alten Fotos im Eisenacher Steinmetzbetrieb Schuchardt aus einer Kalksteinplatte herausgearbeitet (Abb. 1) und am 5. Dezember 1978 mittels Dübel und Zementverguß an Ort und Stelle paßgenau auf den im Boden steckenden Stumpf dessOriginal-Kreuzes aufgesetzt. Die Rekonstruktion beeindruckt aufgrund ihrer Originaltreue, ihres Ebenmaßes, der Oberflächenstruktur und der in Thüringen einmaligen Einzeichnung eines Pflugmessers; sie kann als hervorragend gelungen bezeichnet werden (Abb 2). Die Beschädigungen des alten Kreuzes sind bewußt nicht ausgeführt worden, um die Rekonstruktion auch als solche erkennbar zu lassen.

In Kleinvargula, Kr. Bad Langensalza, standen sich in der Straße "Bei den Kreuzchen" zwei ebenfallls gotische Steinkreuze gegenüber, bis 1979 eines davon beim Eigenheimbau mutwillig herausgerissen und zerstört wurde (Störzner 1984, Kat. Erf. 121). Die zunächst beim Rat der Gemeinde sichergestellten Bruchstücke verschwanden kurz darauf spurlos, und daraufhin veranlaßte Kreispfleger Wilhelm Fleischmann im Einvernehmen mit dem Museum Weimar die Rekonstruktion im VEB Travertinwerke Bad Langensalza. Die gut gelungene, in Maß und Form originalgetreue Nachbildung aus holozänem Travertin der heimischen Brüche, aus dem schon das originale Kreuz gefertigt war, konnte am 1. Juni 1985 genau am alten Platz aufgestellt werden (Abb. 3). Die "offizielle" Einweihung - mit Ansprachen und Volksmusik - geschah am 7. Juli im Rahmen des Parkfestes und unter reger Beteiligung der Bevölkerung. In Presseberichten wurde das neue Steinkreuz in seiner gepflegten Umgebung - einem Vorgarten - als "Zierde für den gesamten Ort" bezeichnet.

In Suhl-Heinrichs, Kr. Suhl-Stadt ging 1975 ein Steinkreuz unwiederbringlich verloren (Störzner 1988, Kat. Suhl 112), als es beim Ausbau der Umgehungsstraße im Weg stand und völlig unsachgemäß mit schwerer Bautechnik aus dem Boden gehoben werden sollte. Dabei zerbrach es mehrfach und wurde trotz der daraufhin mit dem Baubetrieb getroffenen Absprache nicht instandgesetzt, sondern drei Meter tief in die Auffüllung des heutigen Straßenniveaus verbracht. Auf Kosten des schadenverursachenden Betriebes ließen der Suhler Kreisbodendenkmalpfleger Gerhard Müller und Bodendenkmalpflegerin Eleonore Richter im VEB Elbe-Naturstein Pirna eine Rekonstruktion anfertigen, die 1980 aufgestellt werden konnte (Abb. 4). Dieses zwar nach den vorgegebenen Maßen exakt ausgeführte Kreuz vermag durch seine strenge, scharfkantig-eckige Form, die kaum noch eine Ähnlichkeit mit dem in seinen Konturen stark verrundeten alten Kreuz aufweist, leider nicht so recht zu befriedigen.

Das gilt in noch stärkerem Maße für die im Dezember 1986 aufgestellte "Rekonstruktion" eines Steinkreuzes bei Lindenau, Kr. Hildburghausen. Seit Jahrzehnten lag das "Fuhrmannskreuz" (Störzner 1988, Kat. Suhl 21) umgesunken; nach einer schweren Beschädigung durch Fahrzeuge der Forstwirtschaft sollte es restauriert werden. Als jedoch die Bruchstücke im Steinmetzbetrieb abhanden kamen (!), bestand Kreispfleger Wolf-Dieter Nelke im Einvernehmen mit dem Museum Weimar auf einer Rekonstruktion des Bodendenkmals. Das daraufhin vom VEB (B) Bau Unterland Heldburg gelieferte, sichtbar aus zwei Einzelstücken zusammengefügte und kaum mehr als Rekonstruktion zu bezeichnende Kreuz wirkt nüchtern und schematisch. Es hat in seiner offenbaren Künstlichkeit mit dem originalen Kreuz keinerlei Ähnlichkeit und steht - noch verstärkt durch das auffallend helle Gestein - wie ein Fremdkörper in der Landschaft. Dicht daneben ragt der Stumpf des alten Steinkreuzes, der sich - wenn auch schwierig - wie in Creuzburg zur Verwendung angeboten hätte, aus dem Boden (Abb. 5).

Die älteste Rekonstruktion eines Steinkreuzes in Thüringen und zugleich die einzige im Bezirk Gera stehende ist im Garten der Weißenmühle bei Kursdorf, Kr. Eisenberg, zu finden (Störzner 1988, Kat. Gera 7). Das ursprünglich hier stehende Steinkreuz war bereits um die Jahrhundertwende sehr beschädigt und wurde 1947 beim Fällen einem Baumes gänzlich zertrümmert; die Bruchstücke fanden als Baumaterial Verwendung. Auf Initiative der Ortsgruppe Eisenberg des Kulturbundes entstand 1953 in einem Geraer Steinmetzbetrieb eine formschöne Rekonstruktion aus Sandstein, die am alten Platz aufgestellt wurde (Abb. 6). Sie lehnt sich in ihrer äußeren Gestaltung eng an das Original-Steinkreuz an und hat trotz ihrer Ebenmäßigkeit ein sehr "natürliches" Aussehen. Zu diesem Eindruck trug sicher auch die merkliche Nachdunklung des Gesteines im Laufe von fast vier Jahrzehnten bei (Information G. Werner, Balgstädt). Längerfristig vorgesehen ist die Rekonstruktion der zerstörten Denkmale von Ilmenau (Störzner 1988, Kat. Suhl 40), Kr. Ilmenau, und Kleinberndten (Störzner 1984, Kat. Erf. 261), Kr. Sondershausen. Letzteres ist (Mitt. nach Redaktionsschluß) inzwischen aufgestellt: Die bislang jüngste Steinkreuzrekonstruktion Thüringens ist am 8. Juni 1989 im Helbetal nahe dem Hainleitedorf Kleinberndten, Kr. Sondershausen, aufgestellt worden. Das dort ursprünglich auf dem sogenannten Pfingstrosen stehende Steinkreuz (Störzner 1984, Kat. Erf. 261) wurde schon um 1935/40 vom damaligen Grundstückseigentümer zerschlagen, weil es bei der maschinellen Bewirtschaftung der Wiese hinderlich war. Die am Wiesenrand abgelegten Bruchstücke gingen 1953/54 als Füllmaterial für das Fundament des damaligen Landschulheimes endgültig verloren. 35 Jahre später entstand nun auf Veranlassung des rührigen Bodendenkmalpflegers Volker Lauterbach aus Großbrüchter - dessen Vater Arthur Lauterbach (gest. 1982) die Kenntnis und das einzige Foto dieses zerstörten Kreuzes zu verdanken sind - unter den geschickten Händen von Steinmetzmeister Lothar Hechler, Schlotheim, ein Ersatz-Steinkreuz aus Ehringsdorfer Travertin (Abb. 7). Die landeskulturelle und volksbildende Bedeutung des an der alten Stelle stehenden Flurdenkmals ist besonders groß, weil das nahegelegene "Schülerhaus an der Helbe" von vielen, zumeist jugendlichen Besuchern und Wandergruppen genutzt wird. Auch dieser Gesichtspunkt war bei der Abwägung der Rekonstruktionswürdigkeit des kaum mehr bekannten Denkmales von Bedeutung.

Lothar Hechler und Volker Lauterbach haben sich auch um die Restaurierung und Neuaufstellung weiterer Steinkreuze verdient gemacht. Besonders hervorhebenswert ist in diesem Zusammenhang die komplizierte Teilrekonstruktion des nur als Bruchstück überkommenen Kreuzes von Großbrüchter, Kr. Sondershausen, dem der Schaft und ein Arm als Betonstock mit Muschelkalkvorsatz paßgenau und formgerecht angefügt werden mußten (Störzner 1984, Kat. Erf. 258).

Zusammenfassung. In Thüringen sind bisher sechs vernichtete Steinkreuze durch Rekonstruktionen bzw. Nachbildungen ersetzt worden. Selbstverständlich ist ein jahrhundertealtes Denkmal in seiner historischen Substanz und Aussage letztlich unersetzbar. Die grundsätzliche Frage jedoch, ob die Rekonstruktion eines unwiederbringlich zerstörten Flurdenkmales überhaupt den immerhin recht großen Aufwand lohnt, ist auch angesichts der eingangs formulierten Überlegungen nachdrücklich zu bejahen. Die Entscheidung darüber, welches Denkmal rekonstruktionswürdig ist, sollte bei der Vielseitigkeit abzuwägender Kriterien stets im Einzelfall getroffen werden; eine Verallgemeinerung ist hierbei wenig nützlich.

Auch wenn die Rekonstruktion als solche durchaus erkennbar sein muß (sie soll und kann keine Kopie sein!), sollte doch ein hohes Maß an Vorbildtreue angestrebt werden. Das ist in Suhl-Heinrichs und Lindenau leider nicht gelungen. Wie dagegen die Rekonstruktionen von Creuzburg, Kleinvargula, Kursdorf und Kleinberndten überzeugend vor Augen führen, haben hier erfahrene Fachleute, die interessiert und kreativ tätig waren, hervorragende Arbeit geleistet. Auch die wenigen Rekonstruktionen stehen selbstverständlich unter Bodendenkmalschutz.
(Quelle: Archäologie und Heimatgeschichte, Heft 4, Berlin 1989, S.77-81)


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Unsere Steinkreuze in Sage und Geschichte
Von Dr. Heinz Deubler / Dr. Richard Künstler / Gerhard Ost

   Über Alter, Ursprung und Bedeutung der inschriftlosen Steinkreuze ist schon viel gerätselt worden. Ältere Forscher glaubten, ihnen ein vorgeschichtliches, zumindest vorchristliches Alter geben zu müssen. Andere wieder hielten sie für wesentlich jünger. Die Volksmeinung brachte ihre Entstehung gewöhnlich mit den Kriegsereignissen des 17. und 18. Jahrhunderts in Zusammenhang. Als zwangsläufige Folge ihrer Anonymität wurden die Steinkreuze zum beliebtesten Gegenstand der Legendenbildung und fanden bald Eingang auch in die ostthüringische Sagensammlungen des Vogtlandes und des Holzlandes wie des Saale- und Orlatals, die heute größtenteils in Neubearbeitungen vorliegen.

   In der Volksüberlieferung werden die meisten ostthüringischen Steinkreuze als "Schweden-" und mehr noch als "Franzosenkreuze" bzw. -gräber, oftmals sogar als beides bezeichnet. Nachträglich angebrachte Jahreszahlen wie 1630 oder 1806 (Hockeroda, (Fischersdorf) deuten gelegentlich den geschichtlichen Bezug an. Nur vereinzelt fanden frühere Kriege wie z.B. die Türkenkriege (Bildstock Oppurg) oder die Kreuzzüge (Neidenberga) in Steinkreuzsagen ihren Niederschlag. Natürlich fehlen auch abenteuerliche Rittersagen des höfisch-feudalen Mittelalters nicht, die sich zu einem ganzen Sagenzyklus um manches Steinkreuz entwickelt haben (Gerichtsstein Ranis, Bildstock Oppurg, Heiliges Kreuz Hohenleuben / Reichenfels). Diese Steinkreuzsagen sind jedoch viel weniger originell und meist den Wandersagen entlehnt wie beispielsweise der tollkühne Ritt über die Burgmauer, die Befreiung aus jahrelanger Gefangenschaft u.a.

   Christliches Gedankengut spiegeln die Missionssagen wider. So kennt man westlich der Saale im Gebiet um Remda sogenannte "Bonifatiuskreuze", die vor allem in Westthüringen und im Eichsfeld verbreitet sind, wo der Bonifatiuskult angesiedelt war. Im Orlatal sind es Märtyrerkreuze im Zusammenhang mit sorbischen Bekehrungslegenden (Ottmannsdorf u.a.) Bei Wallfahrten sollen sie als Betstationen gedient haben (Saalfeld, Schleiz, Kulm). In Grenzgebieten trifft man verschiedentlich auf Steinkreuze, die im Volksmund "Zigeunergräber" genannt werden (Milda, Seubtendorf u.a.), weil sich dort öfters umherziehende, des Landes verwiesene Zigeuner aufgehalten haben sollen.

   Selbst mythologische Motive aus der germanischen Göttersage von Wodan oder dem Schimmelreiter sind in die Steinkreuzsage eingedrungen, wie die "Pferdeköpfe" von Sparnberg und Mühlsdorf oder der "Reiter ohne Kopf" von Albersdorf erkennen lassen. Eine besondere Rolle spielten in Ostthüringen (Königshofen / Eisenberg u.a.) die sogenannten "Wetterkreuze". Sie galten im Volksglauben als Wetterteiler, an denen sich schwere Gewitter teilten und verzogen, wenn an ihnen Gebete verrichtet wurden. Ähnliche Abwehrkräfte maß man wohl auch den "Pestkreuzen" (Weißen) bei gegen Volksseuchen wie die gefürchtete Pest, denen die Menschen nach dem damaligen Stand des Wissens hilflos ausgeliefert waren. Im Unterschied dazu ist das Pößnecker Pestkreuz (Ranis) auf Grund seiner Inschrift ein reines Gedenkkreuz, überhaupt hatte das Steinkreuz einen hohen Stellenwert im Volksaberglauben. Dafür sprechen auch die zahlreichen "Wetzrillen" und "Näpfchen" auf ostthüringischen Steinkreuzen. Am Steinkreuz "wetzte" man symbolisch die Waffe zum siegreichen Kampf oder das Gerät zur guten Einbringung der Ernte. Nach altem volksmedizinischem Brauch "schabte" man am Kreuz das begehrte Steinmehl zur Heilung von Krankheiten und Bekämpfung von Tierseuchen (z.B. Isserstedt). Doch das Steinkreuz galt nicht allein als Wohltäter, sondern flößte nachts auch Furcht ein, so daß es lieber gemieden wurde, weil es dort "spukte". So ist manches Steinkreuz Anlaß zu allerlei Spuk- und Geistergeschichten geworden (Rusitz). So vielgestaltig das Sagengut unserer Steinkreuze auch ist, so besitzt es doch nur einen relativ geringen Aussagewert über ihre Entstehung und geschichtliche Bedeutung. Und dennoch sollte es auch nicht unterschätzt werden. Die echte Volkssage ist als Spiegel der Volksseele eine unerschöpfliche volkskundliche Quelle. In ihr kommt vor allem das gerechte und humane Fühlen und Denken des Volkes zum Ausdruck. Das zeigt sich in einer ganzen Reihe unserer Steinkreuzsagen, z.B. in dem humanitärem Gehalt der Roswitha-Sage vom Paulinzellaer Nonnenkreuz oder des Friedebacher Steinkreuzes, das in Anerkennung der Hilfe und Pflege eines Verwundeten durch Friedebacher Dorfbewohner als "Steinerner Schutzbrief" in die Volksüberlieferung eingegangen ist. Dazu gehört auch das gerechte Volksempfinden für unschuldig Verurteilte in den Steinkreuzsagen vom Spaal und der Hangeiche. Gerade solche das Volk aufs tiefste berührende Erzählungen haben nicht unwesentlich zur Respektierung und Erhaltung dieser Steinkreuze beigetragen. Und schließlich steckt schon in den Steinkreuzsagen ein wahrer Kern, der auf den generellen Anlaß zur Errichtung solcher Kreuze hindeutet. Als "Mordkreuze" oder "Mordsteine" sind viele von ihnen, wenn auch von geheimnisvollem Dunkel umhüllt, im Volksbewußtsein von Generation zu Generation lebendig geblieben. Noch mehr verraten uns die Sagenmotive. Habgier, Herrschsucht, Unnachgiebigkeit, Eifersucht u.a. sind die häufigsten Ursachen von Streit, der zum Totschlag eines oder mehrerer der Kontrahenten führt. In Neidenberga geht es um das väterliche Erbe, in Hengelbach um die beste Hutweide, in Pflanzwirbach oder Wilhelmsdorf um die Gunst des Brotgebers von walzenden Handwerksburschen, in Mühlsdorf um das schönste Mädchen im Dorfe, was in Arnsgereuth, Marktgölitz, Mötzelbach oder Wernburg in die folgenschwerste Kirmeskeilerei ausartet.

   Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die schon erwähnten "Wetterkreuze", von denen allein in Ostthüringen bisher mehr als zehn nachgewiesen werden konnten. Das bekannteste ist das Wetterkreuz von Königshofen an der alten Weinstraße und Stadtgrenze von Eisenberg. Von den fünf noch existierenden stehen höchstens zwei an einer ausgesprochenen Wetter- und Wasserscheide (Königshofen und Weisbach), von den urkundlich nachweisbaren ist es nur von einem (Kulm) anzunehmen. Das läßt doch ernste Zweifel an der Volksüberlieferung aufkommen, daß es "Wetter- oder Gewitterteiler" seien. Die Zweifel sind um so berechtigter, als es Wetterkreuze auch im übrigen deutschen Sprachgebiet gibt.

   Nun führten urkundliche Forschungen nach dem Alter des Gorndorfer Steinkreuzes an der ehemaligen Saalfelder Stadtgrenze überraschenderweise zu der bemerkenswerten Erkenntnis, daß das urkundlich häufig genannte Gorndorfer "Creutz" bei seiner Ersterwähnung im Jahre 1429 als "wetercrucz" bezeichnet ist. Diese alte Bezeichnung wird erst seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch "Hohes Creutz" oder "Creutz" mehr und mehr verdrängt, weil ihr eigentlicher Sinn wohl nicht mehr verstanden wurde.
Der verschiedentlich noch ortsübliche Beiname "Wetterkreuz" geht offensichtlich auf diese ältere Bezeichnung zurück, die sinngemäß mit Wetter oder Gewitter gar nichts zu tun hat, sondern sprachlich mit dem Wort "wett" bzw. "quitt" im Sinne von abbezahlt, beglichen oder ausgeglichen zusammenhängt.
Nach dem Mittelhochdeutschen Wörterbuch von Lexer bedeutet das mittelhochdeutsche Wort "wete" bzw. "wette", das noch in unserem Ausdruck "wetten", "Wettbewerb", "um die Wette" steckt, u.a. sowiel wie Erfüllung und Aufhebung einer Rechtsverbindlichkeit, Bezahlung oder Tilgung einer Schuld, Vergütung oder Wiedergutmachung eines Schadens oder auch Geldbuße. Legt man dem Wetterkreuz diese Bedeutung zugrunde, so hieße das, daß mit seiner Errichtung etwas wett- bzw. wiedergutgemacht, eine Schuld, in diesem Fall sogar Blutschuld beglichen und somit eine Rechtsverbindlichkeit eingelöst werden sollte. Das aber entspricht haargenau dem ursprünglichen Sinn des mittelalterlichen Steinkreuzsetzens. Daraus kann gefolgert werden, daß "Wetterkreuz" nur ein älterer Ausdruck für "Sühnekreuz" ist und die gleiche Bedeutung hat. Gleichbedeutend damit ist auch in der kirchlichen Ausdrucksweise die Bezeichnung "gebüßt Kreuz" (Bußkreuz) in Rabis, Kreis Stadtroda, aus dem Jahre 1485. Darauf könnten ebenfalls Flurnamen von Dorndorf und Heilingen im Hexengrund wie "die Buße" und "Bußecke" hinweisen. Damit ist schließlich die Frage nach dem Ursprung und der geschichtlichen Entstehung und Bedeutung unserer unbeschrifteten Flurdenkmale gestellt. Das mittelalterliche Sühnerecht erscheint uns heute fremd und schwer verständlich; in den Grundzügen geht es bereits auf die Germanen zurück, wie uns Tacitus in seiner "Germania" berichtet. Es beruhte auf dem Prinzip der Vergeltung für empfangenes Unrecht, insbesondere in bezug auf die Tötung eines Sippenangehörigen, und verpflichtete die gesamte Sippe zur Blutrache. Später wurde diese durch eine mildere Form der Entschädigung, das sogenannte "Wergeld", abgelöst. Wann sich das Sühnerecht in der Form, wie es uns in Urkunden des 15. bis zum ersten Drittel des 16. Jahrhunderts überliefert ist, herausgebildet hat, bedarf noch der wissenschaftlichen Klärung. Es sah im Falle eines Totschlags, der zu jenen Zeiten feudaler Willkür keine Seltenheit war, eine vertraglich-friedliche Regelung zwischen den beteiligten Parteien vor, um der Entstehung endloser Fehden vorzubeugen. Das Sühneverfahren wurde durch eine Privatklage der Hinterbliebenen unter Vorlage eines "Leibzeichens" oder "Leichzeichens", meist eines vom Leichnam des Erschlagenen abgetrennten Fingers, als Beweismittel des erfolgten Todes eingeleitet. Daraufhin wurden gewöhnlich der Täter und gelegentlich auch mitschuldige Familienangehörige in Gewahrsam genommen. Erklärten diese ihre Bereitschaft zur Sühnung des Vergehens gegenüber der Gegenseite, wurde vom Territorialherrn bzw. zuständigen Gerichtsherrn der Sühnetermin festgelegt, und ein Sühnevertrag kam zustande, der sämtliche Sühneforderungen enthielt.

   Aus dem Bezirk Gera sind uns bisher vier solcher Sühneurkunden bekannt geworden, und zwar von Rudolstadt (1443), Neustadt (Orla) (1465), Jena (1500) zugunsten des Dominikaner-Nonnenkloster Cronschwitz und Orlamünde (1514). Außerdem liegen eine Teilsühne ohne Steinkreuzforderung von Pößneck (1495) und urkundliche Aufzeichnungen über weitere acht verhandelte Sühnefälle vor.

   Der Sühnevertrag von Neustadt macht den hohen kirchlich-religiösen Anteil am Sühnevorgang deutlich sichtbar. Alle dem Rechtsbrecher auferlegten Sühneverpflichtungen, Stiftung von Messen, Romfahrt und nicht zuletzt das Setzen eines Steinkreuzes sind keine Akte der Wiedergutmachung im Sinne von Entschädigungsansprüchen der Hinterbliebenen, sondern reine Kirchenbußen, die zum "Seelgerät" gehörten und nach mittelalterlicher Anschauung dazu dienten, die auf das Jenseits unvorbereitete Seele des gewaltsam aus dem Leben Geschiedenen durch fromme Werke und Gebete vor dem Fegefeuer zu retten und zu erlösen. Daß dies auch mit bedeutenden materiellen Zuwendungen an die Kirche verbunden war, versteht sich von selbst. So kann auch das Sühnekreuz als mittelalterliches Rechtsdenkmal nicht ohne jene christlich-religiösen Jenseitsvorstellungen begriffen werden. Dieses Seelgerät war unveräußerlicher Bestandteil jedes Sühnevertrags.

   Das schließt nicht aus, daß vor allem weniger begüterten Schichten gegenüber ebenso materielle Entschädigungen zu leisten waren. So mußte Melchior von Obernitz zu Eßbadi für seinen Sohn Diethrich oder Titze, einen jugendlichen Haudegen, einstehen, der den Sohn des Orlamünder Bürgermeisters, Wendel Jener, bei einer Schlägerei tödlich verwundet hatte. Im Sühnevertrag von Orlamünde aus dem Jahre 1514 hatte er nicht nur die üblichen, sogar recht empfindlichen Kirchenbußen auf sich zu nehmen, sondern auch Arzt- und Gerichtskosten zu tragen und außerdem eine Geldentschädigung in Höhe von 70 rhein. Gulden an den Vater des Getöteten zu zahlen. Dabei verlor er Hab und Gut. Nach unseren Rechtsbegriffen mögen manchmal solche Sühneforderungen angesichts eines Menschenlebens nur geringfügig erscheinen.
Dieses Beispiel zeigt aber, daß auch das Sühnerecht erhebliche Opfer forderte und manchem Rechtsverletzer teurer zu stehen kam, als im allgemeinen angenommen wird.

   Diese Sühneverträge sind aber noch in anderer Hinsicht für uns eine unschätzbare Quelle der Erkenntnis gesellschaftlicher Verhältnisse im ausgehenden Mittelalter. Die vier uns vollständig überlieferten Sühneurkunden berühren fast ausschließlich einen Personenkreis aus dem niederen ostthüringischen Landadel, und zwar nicht nur auf Seiten der Übeltäter. Damit soll nicht gesagt sein, daß es nicht auch bürgerliche Totschlagsühnen gegeben hätte, wie wir aus anderen Bezirken wissen. Im Bezirk Gera sind uns bürgerliche Namen nur vereinzelt und mangelhaft aus Rabis (1485), Pößneck (1.495) und Tautendorf (1520) überliefert. Wir kennen aber weder die soziale Stellung der Totschläger noch die Motive ihrer Tat. Nur in selteneren Fällen ist es bisher gelungen, ein Steinkreuz eindeutig mit einem Sühnevorgang in Verbindung zu bringen. Dazu gehört das nur urkundlich noch nachweisbare Steinkreuz von Reschwitz auf der Weichbildgrenze von Saalfeld und wohl auch das bildlich noch bekannte Rabiser Sühnekreuz mit einer Keule und der Jahreszahl 1485. In allen Fällen sind wir mehr oder weniger auf Vermutungen angewiesen. Die Einführung der "Peinlichen Halsgerichtsordnung" Kaiser Karls V. (Constitutio Carolina criminalis), der sogenannten "Carolina", im Jahre 1532 setzte dem mittelalterlichen Sühnerecht und damit auch der Errichtung von Wetter- oder Sühnekreuzen ein Ende. An seine Stelle trat nunmehr die oft grausame strafrechtliche Verfolgung dieser und ähnlicher Delikte. Die zahlreichen Sühnekreuze aber, deren eigentlicher Sinn Im Volksbewußtsein relativ rasch verblaßte, verfielen mit der Zeit oder wurden zu einem ihnen wesensfremden Zweck beispielsweise als Grenzsteine, Gedenkkreuze, Wegweiser u.a. benutzt bzw. umgearbeitet. Dennoch sind auch später noch in unserer ostthüringischen Heimat jüngere Kreuze oder andere Denkmalsformen als Flurdenkmale errichtet worden, allerdings ohne rechtlichen Hintergrund. Es sind Gedenk- oder Unfallmale, sogenannte "Marterln", wie sie in den Alpengebieten heißen, die einem Verunglückten zum Gedächtnis von den eigenen Angehörigen oder Freunden und Berufskollegen am Unglücksort gesetzt worden sind. Sie tragen im Unterschied zu den Sühnekreuzen eine Inschrift, die meist in ausführlicher Weise Auskunft über die Unfallursache gibt, wie z.B. das Unfallkreuz von 1582 an einer alten Saalefurt bei Rothenstein, die einem Kaufmann bei Hochwasser zum Verhängnis geworden ist, oder das Unfallkreuz bei Hainbücht für den im Jahre 1859 in einer dunklen Gewitternacht verunglückten Schlöbener Pfarrer Reinhard. So ist das Flurdenkmal in Sage und Geschichte ein Spiegelbild wechselvoller Ereignisse und Menschenschicksale. Besonders aber sind die inschriftlosen Steinkreuze und Kreuzsteine, die in der Mehrzahl, wenn auch im Einzelfall nicht immer nachweisbar, mittelalterliche Rechtsdenkmale des 15. und frühen 16. Jahrhunderts darstellen und somit ein Durchschnittsalter von über 500 Jahren haben, bedeutsame Sachzeugen einer frühen Etappe unserer gesellschaftlichen Entwicklung.
(Deubler, Heinz / Künstler, Richard / Ost, Gerhard - Steinerne Flurdenkmale in Ostthüringen, 1976)

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Sühnekreuze & Mordsteine