So hat, wie wir wissen, das Konzil von Tours im Jahre 567 allen jenen Personen, welche der heidnischen
Gewohnheit gemäß ihre Gebete bei den Menhiren, den großen Steinen verrichteten, das Betreten der christlichen Kirchen offiziell
verboten. Die Kirchenversammlung von Toledo (681/682) nahm wegen Unterbindung der in aller Heimlichkeit fortgesetzten Verehrung
der alten Gottheiten und der Verrichtung nicht gern gesehener kultischer Handlungen an Steinen erneut zu dem 567 zu Tours
erlassenen Verbot Stellung. Die Hartnäckigkeit jedoch, mit welcher ein nicht geringer Teil der Bevölkerung die von ihren Vätern
ererbten Sitten und Gebräuche bei den Menhiren fortführten, führte schließlich dazu, daß das Konzil zu Nantes 687 strengere
Maßnahmen ergriff und anordnete, daß diejenigen Steine, bei welchen heidnische Kulthandlungen wahrgenommen würden,
auszugraben, umzustoßen und an ihrer Stelle christliche Kapellen zu errichten seien. Siebzig Jahre später, im Jahre 743, befaßte
sich die Synode von Liftinae, da der Steinkult immer noch geübt wurde, ebenfalls mit der Abschaffung dieser heidnischen Sitte und
stellte ein Verzeichnis der von der Kirche verbotenen und als heidnisch bezeichneten Gebräuche auf. Dieser Indiculus superstitionum
et paganiarum enthält leider nur noch die Ueberschriften von 30 verloren gegangenen Kapiteln, welche die verbotenen heidnischen
Gebräuche behandelten. Das 7. Kapitel handelt von den Gebräuchen, welche man an Steinen oder Felsen beobachtete. Bonifatius,
der als päpstlicher Legat den Vorsitz dieser Versammlung inne hatte, duldete nicht einmal Kreuze an Brunnen und auf den Feldern,
weil man dort die Darbringung heidnischer Opfer beobachtete. Diese Maßnahme erinnert an die von dem christlichen Apologeten
Minutius Felix um das Jahr 180 herum verfaßte Schrift "Octavius" in welcher das Kreuz als heidnisches Symbol bezeichnet wird. Auch
die Schriften des heiligen Pirmin ( 754) enthalten dieselben Gebräuche verzeichnet, gegens welche Bonifatius in Liftinae seine
Verbote erließ. Die Nichtbeachtung der von der Kirche wegen der heidnischen Sitten und Gebräuche ausgesprochenen Verbote
führte schließlich dazu, daß Kaiser Karl der Große in seinen auf dem Landtag zu Aachen 789 erlassenen Kapitularien unter anderem
auch bestimmte, daß die vor Gott verwerfliche Sitte, an Bäumen, Quellen und Steinen Andachten zu verrichten, zu verbieten, und die
dabei ertappten Personen zu bestrafen seien. Das zähe Festhalten des Volkes an seinen altererbten religiösen Gepflogenheiten
veranlaßte schließlich die Kirche, ihre bisherigen Christianisierungsmethoden, entsprechend den Ratschlägen, die Papst Gregor der
Große dem Abt Millitus bereits im Jahre 601 brieflich übermittelte, zu ändern. Man ging dazu über, die heiligen Stätten der zu
bekehrenden Völker nicht mehr zu zerstören, sondern die für diese Plätze überlieferte Ehrfurcht zu benützen, um dem an solchen
Stellen bestehenden Gottesdienst ein christliches Gepräge zu geben. Im Zuge dieser Maßnahmen führte der aus dem Kreuzzug
zurückgekehrte Abt Odilo von Clugny im Jahre 998 das Allerseelenfest ein. Mit dieser Einführung versuchte Odilo die zeitlich
verschieden gefeierten Totenfeste auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und dem Volk ein Fest zurückzugeben, das im
Totenkult unserer Vorfahren eine große, wenn auch ganz anders geartete Rolle spielte. Die Art und Weise, mit welcher jedoch das
unter dem Zwang der Verhältnisse zum Christentum übergetretene Volk die von der Kirche verachteten Gebräuche seiner Väter
fortsetzte, nötigte im 11. Jahrhundert den Bischof Burkhard von Worms eine Bußordnung zu erlassen, die zur Feststellung, aber
auch zur endgültigen Beseitigung der noch vorhandenen heidnischen Gebräuche dienen sollte. Nach diesen Vorschriften hatten die
Priester die Pflicht, in Beichtangelegenheiten nur dann Absolution zu erteilen, wenn der Beichtende das Glaubensbekenntnis
abgelegt und verschiedene vorgehaltene Fragen beantwortet hatte. Die für unsere Forschung in Betracht kommende Frage lautete:
"Bist Du zum Beten an einen anderen Ort gegangen als in die Kirche? Etwa an Quellen, Bäume, Steine oder Kreuzwege und hast
Du dort irgend ein Heil für Deinen Leib und Seele gesucht?"
(Seidenstücker, Gustav - Geschichte und Bedeutung einer alten Steinkreuzsage, in: Das Steinkreuz, Jahrgang 10, 1950, Heft 1/2, S.20-28)
Zum Schluß mag noch gesagt sein, daß eine gerade Linie von den Steinkreuzen zu den Runensteinen und von hier zu den
Großbauten der Menhirs der Megalithkultur führt. Diese Linie genau nachzuweisen, ist der heutige Sinn und Zweck der
Steinkreuzforschung, nachdem die mittelalterlichen Gegebenheiten vollkommen geklärt sind. Mit der Erforschung dieser
vorchristlichen Denkmale wird eine der tiefsten seelischen Regungen unserer Vorfahren lebendig werden, die sich zum Teil auch
heute noch spüren und beobachten läßt; diese seelische Regung manifestiert sich in den mittelalterlichen Sühnekreuzen.
(Wittmann, Leonhard - Die mittelalterliche Bedeutung der Sühnekreuze, o.J.)
Weingärtner hat in seinem gehaltvollen Schriftchen: "System des christlichen Thurmbaues etc."
auch die Todtenleuchten
in den Kreis der Erörterung gezogen, ohne jedoch den Ursprung und die früheste Bedeutung nachzuweisen; er hat Seite 59 die Hoffnung ausgesprochen in
Viollet-le-Duc's Dictionnaire, wenn derselbe einmal zum L gekommen sein würde, die nöthigen Aufschlüsse darüber zu finden. Ob ihn das daselbst gesagte,
nachdem nun jene Partie erschienen ist, vollständig befriedigt haben würde, bleibt dahingestellt. Viollet glaubt in dem celtischen Alterthum den Ursprung suchen
zu müssen, um so mehr als man sie in Frankreich vorzugsweise in den Gegenden findet, wo auch die Menhir's vorkommen. Letzteres mag zufällig sein; sie waren
aber im Mittelalter in ganz Deutschland ehenfalls verbreitet und sicher in Italien und England, in Frankreich und Spanien auch; nur sind wohl sehr viele desshalb
verschwunden, weil auf solche unbedeutende Werke Niemand achtete; auch sind sicher noch manche vorhanden, auf die man jetzt noch nicht achtet.
(Essenwein, A. - Über einige Todtenleuchten in Österreich, in: Mittheilungen der K. K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale, VII.Jhg., Wien 1862, S.319-325)
Vom Ursprung her liegen dieser Sitte Gedanken zugrunde, die weit in die Vergangenheit sogar bis in die Vorgeschichte ganz verschiedenartiger Völkergruppen
zurückverfolgt werden können. Steinsetzungen sind nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Teilen Europas zu Hause gewesen, und nicht minder hat man
sie bei afrikanischen und südamerikanischen Völkerschaften gefunden. Herrschte doch in den Naturreligionen all dieser Völker der Glaube vor, daß die Seele des Toten
in einen, in "ihren“ Stein schlüpfen müsse, um ihre Ruhe zu finden. Solange die Seele eines Erschlagenen nicht diesen Stein besaß, irrlichterte sie um die Stelle, wo
ihr Körper getötet wurde. Dabei haben die Steine im Wandel großer Zeiträume verschiedene Gestalt angenommen. Und so wissen wir von einfachen großen Steinen
ebenso wie von Menhiren, skandinavischen Bautasteinen und Runensteinen bis zu den Formen des Kreuzes hin, die letztlich auf die Vermischung der christlichen
Lehre mit den heidnischen Religionen zurückgehen.
(Langlotz, Kurt - Steinkreuze in der Umgebung von Eisenach, in: Thüringer Heimatkalender 1970. Herausgegeben von Dr. phil. Julius Kober - 15.Jg., Zapfendorf über Bamberg 1969, S.52-58)
[..] Es scheint auch so, als ob um diese Zeit der Menhir eine weitere Entwicklung durchgemacht habe, nämlich die Verwandlung
zum Grenzstein, der ein christliches Symbol aufwies, das Kreuz; dadurch wurde er auch zugleich zum Kreuzstein. Doch auch unsere Steinkreuze halten in
manchen Exemplaren den Personen- oder Ahnenkult noch aufrecht und hier ist es vor allem die Kirche wieder, welche
sich den Brauch zunutze macht. Ich meine damit die Gedenksteine der Heiligen, Steinkreuze mit der Darstellung eines Heiligen. Diese Steine sind reine Gedächtnissteine.
Was früher an Helden und Götter erinnerte, erinnert heute an Heilige, denn diese Personen sind ja an die Stelle der alten Götter getreten. Wir sehen, daß sich der alte
Gedanke wie ein roter Faden durch die ganze Symbolik der Steinkreuze und des Steinkultes hindurchzieht!
(Wittmann, Leonhard - Die Flurdenkmäler des ehemaligen Reichsstadtgebietes Nürnberg, I.Teil: Der Ursprung des Steinkultes, 1933, S.13-14)